Vor dem Hintergrund einer weltweiten Gesundheits- und Wirtschaftskrise von historischem Ausmaß wird das Management globaler Gemeingüter zu einer echten Herausforderung. Das Vertrauen in Staat, Fachleute, ja sogar Fakten schwindet, und so wird es immer schwieriger, in der Politikgestaltung zu einem Konsens zu gelangen. Gleichzeitig wächst der Druck, rasch Entscheidungen zu treffen, um konkrete wirtschaftliche, ökologische und soziale Probleme zu lösen. Deshalb müssen wir die Methoden der staatlichen Regelungstätigkeit neu durchdenken. Dabei ist Eile geboten: Wir benötigen dringend vertrauenswürdige, evidenzbasierte, international abgestimmte und klug umgesetzte Regelungen, um dem Klimawandel zu begegnen, Innovationen zu nutzen und komplexe globale Risiken zu bewältigen.
Inzwischen sind es bald zehn Jahre, seit 2012 die Empfehlung des Rates zu Regulierungspolitik und Governance verabschiedet wurde – Zeit also, einen Blick zurückzuwerfen und zu schauen, was die Mitgliedsländer seitdem erreicht haben, Zeit aber auch, über die aktuellen und künftigen Herausforderungen der Regulierungspolitik nachzudenken. Wie bereits in den Ausgaben 2015 und 2018 des OECD-Ausblicks Regulierungspolitik erörtert, ist gute Rechtsetzung bereits unter „normalen Bedingungen“ kein leichtes Unterfangen. Es gilt, zahlreiche fachlich komplexe Fragen in einem ungewissen Umfeld zu lösen, häufig erschwert durch politische Spannungen und Sachzwänge. Wenn das nicht gelingt, erweisen sich die eingeleiteten regulatorischen Initiativen möglicherweise als unzulänglich oder gar kontraproduktiv: Sie haben unbeabsichtigte Folgen, auch für Gruppen, die überhaupt nicht von ihnen betroffen sein sollten, die Kosten stehen in keinem Verhältnis zu den erreichten Zielen, die Regelung geht am Zweck vorbei, oder schlimmer noch, der Gesamteffekt ist negativ.
Diese Gefahren müssen den politisch Verantwortlichen immer bewusst sein, wenn sie den regulierungspolitischen Rahmen an aktuelle Herausforderungen anzupassen versuchen. Damit sich Wirtschaft und Gesellschaft von den Folgen der Pandemie erholen können, werden die Regelungen, auf denen die Marktwirtschaft aktuell fußt, neu ausgerichtet werden müssen, um wirtschaftliche Effizienz besser mit Nachhaltigkeit, Chancengleichheit und Resilienz zu vereinbaren. Zudem werden die Staaten in regulatorischen Fragen stärker zusammenarbeiten müssen, um die wachsenden grenzüberschreitenden Herausforderungen zu bewältigen.
Eine gute Regulierungspolitik ist heute wichtiger denn je. Wenn es gelingt, eine klare, gut durchdachte und evidenzbasierte Politik zu verfolgen, legen gestärkte, neu ausgerichtete und umgestaltete Wirtschaftsstrukturen das Fundament der nächsten Jahrzehnte und erhöhen das Vertrauen der Menschen. Es gehört zu den großen Stärken einer guten Regulierungspolitik, dass sie aufzeigt, wann und wo Rechtsvorschriften überarbeitet werden müssen und wo es bessere Alternativen zum Status quo gibt.
Angesichts dieser Herausforderungen werden die Regierungen in dieser dritten Ausgabe des OECD-Ausblicks Regulierungspolitik zu einem großen „regulatorischen Neustart“ für das 21. Jahrhundert aufgefordert, um grenzüberschreitende Zusammenhänge, Umweltfragen, Ungleichheiten, Risiken, Innovationen und vorausschauende Analysen in der Politik stärker zu berücksichtigen. Die kürzlich verabschiedete OECD-Empfehlung „Agile Regulatory Governance to Harness Innovation“ soll ihnen dabei helfen. Ohne die bewährten Grundelemente besserer Rechtsetzung kann dieser Neustart aber nicht gelingen, und gerade sie sind in einigen Ländern besorgniserregend schwach ausgeprägt. Zum Beispiel führt noch nicht einmal ein Viertel der OECD-Länder eine systematische Prüfung durch, ob mit den bereits bestehenden Rechtsvorschriften die gewünschte Wirkung erzielt wird. Die Länder müssen daher verstärkte Anstrengungen unternehmen, um die traditionellen regulierungspolitischen Instrumente Folgenabschätzung, Akteursbeteiligung und Ex-post-Evaluierung besser zu nutzen.
Seit nunmehr über sechzig Jahren engagiert sich die OECD unablässig für den Schutz der individuellen Freiheiten und für mehr wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand – kurzum, ihr Ziel ist eine bessere Politik für ein besseres Leben. Eine bessere Politikgestaltung ist dabei der erste Schritt. Dieser Ausblick weist den Regierungen den Weg hin zu einer Rechtsetzung, die es ihnen erlaubt, weltweit für mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen.
Mathias Cormann
OECD-Generalsekretär