Dieses Kapitel wirft einen Blick in die Zukunft, indem es einen Rahmen für die Regulierungspolitik des nächsten Jahrzehnts skizziert – eine Regulierungspolitik, die agiler ist als bisher und die einem im Wandel begriffenen Umfeld mit raschen technologischen Entwicklungen und sich ändernden staatlichen Prioritäten besser gerecht wird, die aber zugleich fest in den Prinzipien der OECD-Empfehlungen verankert ist.
OECD-Ausblick Regulierungspolitik 2021 (Kurzfassung)
1. Regulierungspolitik 2.0
Abstract
Wichtigste Erkenntnisse
Globale Krisen und komplexe politische Probleme zwingen die Regierungen dazu zu prüfen, wie sie die Rechtsetzung verbessern können – auch mit Blick auf die Zukunft. Das bestehende Konzept der „besseren Rechtsetzung“ beruht auf einem während der letzten dreißig Jahre entwickelten Rahmen von Institutionen, Instrumenten und Verfahren. Wie in den Ausgaben 2015 und 2018 dieses Berichts dargelegt, ist die Rechtsetzung bereits in „normalen Zeiten“ ein schwieriges Unterfangen. Noch größer wird der Druck, der auf den Rechtsetzungssystemen lastet, in Zeiten globaler Krisen wie der Coronapandemie. Angesichts komplexer politischer Fragen wie Plattformwirtschaft, Ungleichheit, Klimawandel, Bevölkerungsalterung sowie erschwerender Faktoren – verhärtete Meinungsfronten, Misstrauen gegenüber den öffentlichen Institutionen, rascher technologischer Wandel – bedarf es neuer Ansätze, um die aktuellen Probleme anzugehen und die Regierungen in die Lage zu versetzen, auf künftige Probleme effektiv zu reagieren.
Eine Agenda für „Regulierungspolitik 2.0“ bietet die Chance, den für eine bessere Rechtsetzung erforderlichen Rahmen anzupassen, zu optimieren und flexiblerer zu gestalten. In diesem Kapitel sollen verschiedene Aspekte dieser Problematik beleuchtet und Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Dazu wird untersucht, was in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde, was davon weiterhin seinen Zweck erfüllt und was geändert werden muss, um den Regulierungsrahmen zukunftsfähig zu machen. Bei der Umsetzung regulierungspolitischer Prinzipien klaffen effektiv noch große Lücken. Erstens wird von regulierungspolitischen Ansätzen nicht genügend Gebrauch gemacht, insbesondere im Vergleich zu der Aufmerksamkeit, die steuer- und ausgabenpolitische Maßnahmen erhalten, und zu den Anstrengungen, die in diesen Bereichen unternommen werden. Zweitens ist in der Tendenz weiterhin festzustellen, dass die Instrumente des Regulierungsmanagements nicht hinreichend ausgereift sind oder nicht in ausreichendem Umfang bzw. nur mit unbefriedigenden Ergebnissen eingesetzt werden. Drittens wird häufig auf konventionelle Modelle menschlichen Handelns vertraut, was dazu führen kann, dass verhaltensbezogene Hindernisse und Verzerrungen unberücksichtigt bleiben, die die Wirksamkeit der Regierungspolitik schmälern können.
Technische Innovationen sind die treibende Kraft für Regulierungspolitik 2.0: Sie führen dazu, dass es nicht mehr reicht, Dinge einmal zu regeln und dann dabei zu belassen. Stattdessen müssen anpassungsfähige, „lernende“ Konzepte entwickelt werden. Auf diese Weise können die gesellschaftlichen Vorteile von Innovationen genutzt und Menschen und Umwelt zugleich vor eventuellen negativen Auswirkungen geschützt werden. Die Regierungen stehen weltweit vor neuen Herausforderungen, die ihre Kapazitäten auf eine schwere Belastungsprobe stellen. Viele Aspekte der Rechtsetzungssysteme müssen neu durchdacht, ja sogar neu erfunden werden. Die regulatorischen Herausforderungen und die neuen Möglichkeiten, die der technologische Wandel mit sich bringt – darunter auch Möglichkeiten, die Regulierungskapazitäten zu stärken –, sowie neue Entwicklungen oder schwerwiegende Ereignisse wie die Coronapandemie machen Veränderungen unerlässlich. Die mit der Pandemie einhergehenden sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen unterstreichen die strategische Bedeutung flexiblerer und besser koordinierter regulatorischer Konzepte. Solche Ansätze sind unerlässlich, um in einem sich wandelnden Umfeld die erforderliche Reaktionsfähigkeit und Resilienz zu sichern.
Die regulatorischen Herausforderungen, die sich aus neuen Technologien ergeben, erfordern einen Paradigmenwechsel in Politik und Verwaltung. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass Innovationen, die das Wirtschaftswachstum fördern und zur Lösung der drängenden sozialen und ökologischen Herausforderungen der Welt beitragen können, nicht durch überholte Regelungen gebremst werden. Auch müssen sie verhindern, dass eine rigide Rechtsdurchsetzung, die am Buchstaben statt am Geist des Gesetzes orientiert ist, Innovationen im Wege steht. Es bedarf agiler, flexiblerer und belastbarer Governance- und Regulierungspraktiken, um das Potenzial neuer Technologien zu erschließen und gleichzeitig Gesundheits- und Umweltschutz, Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und andere gesellschaftliche Ziele zu gewährleisten.
Zur Erhöhung der Flexibilität, Qualität und Kohärenz des Rechtsetzungssystems ist es unerlässlich, die Instrumente des Regulierungsmanagements besser zu nutzen und anzupassen. Herkömmliche Instrumente wie Gesetzesfolgenabschätzungen, Akteursbeteiligung und Ex-post-Evaluierungen müssen angepasst werden, um den Regierungen bei der Bewältigung der Herausforderungen und Nutzung der Chancen zu helfen, die transformative Entwicklungen mit sich bringen. Dies erleichtert ihnen dann auch die Auswahl der richtigen – regulatorischen oder nichtregulatorischen – Konzepte zur Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Die neuen Herausforderungen erfordern zudem eine größere Regulierungskohärenz. Dazu gilt es, den Regulierungsrahmen mit strategischen staatlichen Zielen wie etwa den Zielen für nachhaltige Entwicklung in Einklang zu bringen. Zur Steigerung der Wirksamkeit des Regulierungsrahmens müssen außerdem neue Elemente des Regulierungsmanagements, wie die internationale Zusammenarbeit im Regulierungsbereich, genutzt werden. Besonders deutlich wird dies im Kontext der Digitalisierung, die keine Landes- oder Zuständigkeitsgrenzen kennt und die Umfang und Zahl der grenzüberschreitenden Transaktionen zugleich drastisch steigen lässt.
Durch die Anwendung verhaltensökonomischer Erkenntnisse können die Institutionen und Verfahren der Rechtsetzung verbessert werden, und zwar über den gesamten Rechtsetzungszyklus. Verhaltensökonomische Erkenntnisse (behavioural insights) können nachweislich eine bessere Rechtsetzung und Rechtsumsetzung fördern: Hinter dem komplexen System der Institutionen und Verfahren der politischen Entscheidungsfindung stehen stets Menschen, deren Verhalten – wie das aller Menschen – von unbewussten Vorurteilen und Vorbehalten beeinflusst ist. Reformen von Institutionen und Verfahren, z. B. die Einrichtung neuer Aufsichtsorgane oder die Nutzung von Instrumenten des Regulierungsmanagements, können durch Widerstand gegen Verhaltensänderungen gebremst werden, der ihren Erfolg schmälert. Der nächste Schritt ist daher, bereits in der Politik angewandte verhaltensökonomische Erkenntnisse auf die internen Abläufe auszudehnen, um die Politikgestaltung aus der Systemperspektive heraus zu verbessern.
Die Phase der Rechtsumsetzung ist in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung. Wichtig dafür sind intelligente Verfahren und Prüfungen, die an den Risiken ausgerichtet – und ihnen angemessen – sowie wirkungsorientiert sind. Die Coronakrise hat erneut gezeigt, wie wichtig eine risikobasierte, professionelle und flexible Rechtsumsetzungen über verschiedene Systeme und Bereiche hinweg ist. Dabei sollten insbesondere die Chancen genutzt werden, die digitale Technologien und eine verbesserte Datenverfügbarkeit und -nutzung bieten, denn dadurch lassen sich solche Konzepte nicht nur leichter, sondern auch wirksamer umsetzen.
Die Regierungen müssen Vertrauen in die Rechtsetzung und die für sie zuständigen Instanzen schaffen (bzw. wiederherstellen). Dazu braucht es bessere Kommunikationsstrategien, mehr echte Akteursbeteiligung anstatt nur öffentlicher Konsultationen und eine nachweislich gute Governance der zuständigen Stellen.
Einleitung
Wie die Ausgaben 2015 und 2018 des OECD-Ausblicks Regulierungspolitik anschaulich zeigten, ist die Rechtsetzung bereits in „normalen Zeiten“ ein schwieriges Unterfangen. Im letzten Jahrzehnt galt es, eine Reihe regulatorischer Herausforderungen zu bewältigen, viele davon eine Folge der großen Rezession der Jahre 2007–2009, nach der eine nachhaltige und inklusive Konjunkturerholung gewährleistet werden musste. In einer Reihe von Fällen kam es dabei zu Politikversagen, weil regulatorische Verfahren übereilt durchgeführt oder ignoriert wurden.
Rückblickend wirken diese Herausforderungen jedoch fast klein verglichen mit den scheinbar unüberwindbaren Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen und die uns in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter begleiten werden. Angesichts einer weltweiten Gesundheits- und Wirtschaftskrise von Jahrhundertausmaß, zunehmend verhärteter Meinungsfronten, des allgemeinen Misstrauens gegenüber der Politik und des – wie es scheint – immer schneller voranschreitenden technologischen Wandels ist eine gute Regulierungspolitik heute wichtiger denn je. Wenn es gelingt, eine klare, gut durchdachte und evidenzbasierte Politik zu verfolgen, können die Wirtschaftsstrukturen saniert, neu ausgerichtet und mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte umgestaltet werden, was wiederum eine wirkungsvollere Rechtsetzung ermöglicht und hilft, Vertrauen bei den Bürger*innen wiederzugewinnen.
Der notwendige wirtschaftliche und gesellschaftliche Wiederaufbau wird an den Grundfesten unseres Gesellschaftsverständnisses rütteln, das in den letzten Jahren bereits zunehmend brüchig geworden ist. Die Regelungen, auf denen die Marktwirtschaft fußt, werden geändert werden müssen, um die Ziele wirtschaftlicher Effizienz mit denen der Teilhabe, Resilienz und Nachhaltigkeit zu vereinbaren. Diese Änderungen werden zweifellos auf gewissen Widerstand stoßen. Aufzuzeigen, dass Veränderungen nötig sind und dass es bessere Alternativen zum Status quo gibt, sind indessen zwei der großen Stärken einer guten Regulierungspolitik.
Regulierungspolitik muss stets mit einer klaren Formulierung des zu lösenden Problems beginnen. Leider sehen wir uns seit einiger Zeit mit sehr vielen Problemen konfrontiert, darunter der Klimawandel, die durch die Globalisierung entstandenen Ungleichheiten, die Bevölkerungsalterung und die offenbar unaufhaltsame Expansion der Plattformwirtschaft. Diese Trends werden uns weiterhin als globale Gesellschaft, bei der Organisation unserer Arbeitsformen und unseres Lebens vor Herausforderungen stellen. Staatliche Eingriffe sind hier unumgänglich. Doch selbst mit den besten Absichten werden solche Eingriffe manchmal übereilt, schlecht durchdacht oder ohne ausreichende vorherige Konsultationen durchgeführt. In solchen Fällen kann der Schaden größer sein als der Nutzen. Akteursbeteiligung und Datenerfassung sind von entscheidender Bedeutung, um solche Eingriffe zielführender und wirkungsvoller zu machen.
In diesem Kapitel wird aufgezeigt, dass diese Herausforderungen auch Auswirkungen auf die Regulierungspolitik selbst haben. Auch sie muss sich weiterentwickeln und angepasst werden. Mit diesem Kapitel soll daher der Rahmen einer Regulierungspolitik für das nächste Jahrzehnt skizziert werden – einer Regulierungspolitik, die agiler ist als bisher und die einem im Wandel begriffenen Umfeld und sich ändernden staatlichen Prioritäten besser gerecht wird, die aber zugleich fest in den Prinzipien der OECD-Empfehlungen von 1995 und 2012 verankert ist. Nennen wir es eine „Regulierungspolitik 2.0“.
Warum muss die Regulierungspolitik „neu erfunden“ werden?
Rechtsetzungsmaßnahmen waren und sind in fast allen Phasen der Bewältigung der Coronakrise und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Effekte von entscheidender Bedeutung. Doch auch in diesem besonderen Kontext müssen die bewährten Prinzipien der Regulierungspolitik und Rechtstaatlichkeit gewahrt bleiben. Rechtsetzungsdisziplin (wie aktuell durch die Empfehlung des Rates zu Regulierungspolitik und Governance von 2012 definiert) ist in der Phase der Erholung von der Coronakrise – wie auch generell – für gut funktionierende Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen von entscheidender Bedeutung. Trotz staatlicher Anstrengungen klaffen in der Regulierungstätigkeit jedoch immer noch große Lücken, wobei erschwerend hinzukommt, dass die Rechtsetzung selbst immer schwieriger wird. Viele Bürger*innen weltweit sehen sich mit Regelungen konfrontiert, die ihren intendierten Zweck nicht wirklich erfüllen oder gar verfehlen und nicht den angestrebten Schutz bieten. Dies ist auch deshalb folgenschwer, weil nicht zielführende Regelungen das Vertrauen in die Institutionen, ja in den Staat an sich schwächen können. Gute Rechtsetzung ist wichtig, um den Bürger*innen die Gewissheit zu geben, dass die politisch Verantwortlichen tatsächlich um die Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt bemüht sind.
An drei Punkten zeigt sich besonders deutlich, wo die Regulierungspolitik und ihre Umsetzung noch unzulänglich sind. Erstens sind einige Instrumente des Regulierungsmanagements, wie bereits in den vorherigen Ausgaben dieses Berichts festgestellt, nicht hinreichend ausgereift oder werden nicht in ausreichendem Umfang bzw. nicht mit befriedigenden Ergebnissen eingesetzt. Im Bereich der Akteursbeteiligung und der Gesetzesfolgenabschätzungen wurden zwar Fortschritte erzielt, in den anschließenden Phasen des Rechtsetzungszyklus besteht jedoch noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Ein entscheidender Knackpunkt ist die unzureichende Aufmerksamkeit, die der Ex-post-Evaluierung von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften u. a. aufgrund begrenzter Mittel und Investitionen zukommt. Viele Regelungen bleiben bestehen, ohne dass jemals evaluiert würde, ob sie zweckmäßig sind und ihren Zielen gerecht werden. Ex-ante-Evaluierungen neu erarbeiteter Rechtsvorschriften werden zwar zunehmend häufig durchgeführt, systematische Evaluierungen bestehender Rechtsvorschriften nach einem bestimmten Zeitraum sind jedoch wesentlich seltener (sieht man von den anlassbezogenen Prüfungen ab, die hauptsächlich der Verringerung des Verwaltungs-/Regulierungsaufwands dienen).
Ein ebenen- und ressortübergreifender Ansatz der Rechtsumsetzung ist in weiten Teilen des OECD-Raums nach wie vor relativ selten. Gemeinsame Rahmenkonzepte, Verfahren, Methoden und ein Datenaustausch zwischen den Vollzugs- und Prüfstellen würden eine kohärentere Herangehensweise an gesellschaftliche Risiken fördern. Die Strukturen, Mittelzuteilungen, Methoden und Praktiken der Rechtsumsetzung stammen jedoch allzu oft noch aus der Vergangenheit bzw. sind von Pfadabhängigkeiten geprägt. So kommt es zu Überschneidungen und Doppelarbeit, während zugleich an anderer Stelle Lücken klaffen. Aufgrund knapper Mittel sind Prüfungen und Durchsetzung oft zu wenig zielgerichtet. Außerdem ist dadurch kein durchgängiges Risikomanagement gewährleistet und die Rechtseinhaltung wird zu wenig gefördert (Kapitel 6).
Zudem haben nur wenige Länder eine ressortübergreifende Vision der internationalen Regulierungszusammenarbeit entwickelt. Inländische Lösungen sind indessen kaum ausreichend, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen, denen sich die Länder gegenübersehen. Diese Schwachstellen schaden der Qualität des Regulierungsrahmens, was wiederum dazu führen kann, dass die staatlichen Eingriffe ineffektiv bleiben und nicht den angestrebten Schutz der Bürger*innen gewährleisten. Eine geeignete internationale Regulierungszusammenarbeit kann das Management grenzüberschreitender Risiken verbessern, eine Arbeitsteilung und Ressourcenbündelung zwischen den Ländern im Interesse wirkungsvoller regulatorischer Maßnahmen fördern, die Produktionskosten senken und den Handel erleichtern. Die internationale Regulierungszusammenarbeit ist daher ein wichtiger Baustein struktureller Regulierungsreformen, der hilft, den Regulierungsrahmen widerstandsfähiger zu machen. Dies bestätigte sich während der Coronapandemie, als mit großer Dynamik auf wirkungsvolle Konzepte hingearbeitet wurde, um der Pandemie und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu begegnen. Dabei zeigte sich unwiderlegbar, wie wichtig internationale Zusammenarbeit und Wirkungsorientierung als Grundpfeiler der Regulierung sind, um Krisen und ihre Folgen zu bewältigen und künftigen Krisen vorzubeugen.
Zweitens wird von regulierungspolitischen Ansätzen im Vergleich zu den Anstrengungen, die bei steuer- und ausgabenpolitischen Maßnahmen unternommen werden, nach wie vor nicht genügend Gebrauch gemacht. Fiskalpolitische Maßnahmen werden im Allgemeinen in Konsultation mit den betroffenen Akteuren ausgearbeitet; es wird darauf geachtet, Wirkungen und Zielkonflikte zu ermitteln, und die Maßnahmen werden genau unter die Lupe genommen. Dies ist eigentlich genau das, worum es bei der Regulierungspolitik geht – und doch findet, was im fiskalpolitischen Bereich üblich ist, in anderen Bereichen oft nicht statt. Natürlich gilt fiskalpolitischen Maßnahmen aus nachvollziehbaren Gründen besonderes Interesse, das soll jedoch nicht heißen, dass andere Aspekte staatlicher Regulierung weniger bedeutsam wären. Schließlich sind diese anderen Gesetzesregelungen die Basis unveräußerlicher Rechte, des Justizsystems sowie einer Vielzahl anderer Vorschriften, die Menschenleben, bedrohte Tier- und Pflanzenarten und vieles andere schützen. Angesichts der Bedeutung, die diese anderen Rechtsvorschriften im Alltag haben, ist es bedauerlich – um nicht zu sagen gefährlich –, weiterhin den Beitrag zu ignorieren, den die Regulierungspolitik hier leisten kann. Die Regulierungspolitik bietet einen robusten und doch flexiblen Rahmen sowie wirkungsvolle Instrumente, um den politisch Verantwortlichen zu helfen, bessere Rechtsvorschriften auszuarbeiten. Um es einfach auszudrücken: Wenn Dinge rechtlich geregelt werden sollen, dann sollten sie auch gut geregelt werden.
Die Regulierungspolitik zieht als ein wichtiger Hebel neben der Geld- und Fiskalpolitik nach wie vor nicht die Aufmerksamkeit auf sich, die sie seitens der Regierungen verdient. Die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Bekämpfung des Klimawandels oder die Bewältigung der Probleme der Bevölkerungsalterung gehören inzwischen zu den wichtigsten Zielen vieler Regierungen weltweit. Dennoch wird die Regulierungspolitik in politischen Erklärungen der Regierungen zur Erreichung dieser Ziele selten erwähnt. Dies überrascht und ist auch in gewisser Weise enttäuschend, da die Regulierungspolitik eine Reihe wirkungsvoller Instrumente bietet, die den Regierungen bei ihren Anstrengungen zur Verwirklichung der oben genannten Ziele helfen dürften.
Drittens wird häufig versäumt, die verhaltensökonomischen Gründe menschlichen Handelns bzw. Nichthandelns zu berücksichtigen. Dies ist ein weiterer Faktor, der die Wirksamkeit der Regulierungspolitik schmälert. Eines der zentralen Ziele der Rechtsetzung besteht darin, Verhaltensänderungen herbeizuführen. Wenn politisch Verantwortliche wissen, wie der soziale Kontext und sog. behavioural biases („Verhaltensverzerrungen“) Entscheidungsprozesse beeinflussen, hilft ihnen dies, die Antriebskräfte für bestimmte Handlungen zu verstehen und so die Wirksamkeit von Rechtsvorschriften zu steigern. Daher setzen politisch Verantwortliche in aller Welt zunehmend auf verhaltensökonomische Erkenntnisse, um eine bessere Rechtsetzung zu fördern.
Die Möglichkeiten, die die Nutzung verhaltensökonomischer Erkenntnisse bietet, sind allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. Studien der OECD zeigen, dass verhaltensökonomische Erkenntnisse bislang hauptsächlich genutzt werden, um Verhaltensänderungen auf individueller Ebene herbeizuführen. Auch dienen sie zumeist nur dazu, die Umsetzung von Maßnahmen zu verbessern, in deren Gestaltung selbst keine verhaltensökonomischen Erkenntnisse eingeflossen sind (OECD, 2019[1]). Verhaltensökonomische Erkenntnisse können jedoch im gesamten Rechtsetzungszyklus gewinnbringend genutzt werden. Zudem lassen sich mit ihrer Hilfe auch Verhaltensänderungen auf organisationaler Ebene erwirken, insbesondere in den Verwaltungen selbst. Wenn politisch Verantwortliche verhaltensökomische Erkenntnisse nutzen, um die richtigen Regulierungsinstrumente und -verfahren zu wählen und die Reformmotivation zu steigern, so stärkt dies den Regulierungsrahmen. Dadurch kann erreicht werden, dass in jeder Phase des politischen Entscheidungsprozesses die Instrumente gewählt werden, die jeweils am besten zur Regelung einer bestimmten Frage geeignet sind.
Diese Herausforderungen sind nicht neu, sondern bestehen bereits seit einiger Zeit. Neu hinzugekommen sind die Herausforderungen, denen sich Regierungen in aller Welt aufgrund rasch voranschreitender neuer Entwicklungen sowie schwerwiegender Ereignisse wie der aktuellen Coronapandemie gegenüber sehen.
Regulatorische Herausforderungen infolge neuer Trends oder Ereignisse
Technologischer Wandel
Nie zuvor war die Gesellschaft so abhängig von digitalen Lösungen wie in der Coronapandemie. Staaten weltweit nutzen digitale Technologien, um die gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu unterstützen und die Kontinuität der Verwaltungstätigkeit und der Dienstleistungserbringung zu sichern. So werden diese Technologien z. B. für das Monitoring des Infektionsgeschehens und der Fallzahlen, die Kontaktnachverfolgung, die Evaluierung der ergriffenen Maßnahmen und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit eingesetzt. Vor allem aber hat die Pandemie bereits bestehende Trends deutlich beschleunigt und verstärkt: Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie wir arbeiten, wie wir mit unseren Mitmenschen kommunizieren, wie wir lernen und wie wir Einkäufe tätigen. Der prägende Einfluss, den digitale und andere neue Technologien auf die Gesellschaft haben, wird in den kommenden Jahren daher weiter zunehmen (Kapitel 6).
Damit wachsen auch die Herausforderungen, vor denen die Regierungen im Hinblick auf technologische Transformationen stehen (Kasten 1.1). Sie müssen Innovationen fördern und technologieinduzierte disruptive Entwicklungen zulassen, dabei aber zugleich Menschen und Unternehmen ausreichenden Schutz vor möglichen negativen Auswirkungen bieten und das Gemeinwohl im Auge behalten. Eine weitere Aufgabe besteht darin, agile und zukunftsfeste Regulierungskonzepte zu entwickeln und gleichzeitig die für die Wirtschaft unverzichtbare Stabilität und Vorausplanbarkeit zu gewährleisten. Darüber hinaus müssen die zuständigen Stellen mehr Experimente unter regulatorischer Aufsicht ermöglichen und zugleich Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften reformieren, um Wettbewerbsungleichheiten und Stranded Assets, d. h. Fehlinvestitionen in nicht zukunftsfähige Kapitalgüter, zu verhindern.
Kasten 1.1. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen des technologischen Wandels
Der technologische Wandel zieht wirtschaftliche Veränderungen nach sich, deren Tempo, Ausmaß und Komplexität beispiellos sind. Diese „Revolution“ erklärt sich aus verschiedenen – weitgehend zeitgleichen – technologischen Durchbrüchen, die zur Entstehung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle führten, die noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar waren. Dabei geht es um ein breites Spektrum von Bereichen, von digitalen Technologien (wie künstlicher Intelligenz, Blockchain oder dem Internet der Dinge) über Biotechnologien (etwa Genom-Editing) bis hin zu neuen Werkstoffen (z. B. Nanomaterialien).
Diese technologischen Entwicklungen führen über ihre Effekte auf Produktivität, Beschäftigung, Kompetenzen, Einkommensverteilung, Handel und Umwelt nicht nur zu tiefgreifenden Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen, sondern haben auch weitreichende Auswirkungen auf das Wohlergehen und den Zusammenhalt der Gesellschaft insgesamt.
Die Digitalisierung hat z. B. einen positiven Effekt, indem sie die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher*innen vergrößert, den Wettbewerb steigert und das subjektive Wohlbefinden erhöht. Sie ist aber auch mit erheblichen Risiken verbunden und kann negative Effekte haben, weil sie zu starken Verwerfungen auf den traditionellen Arbeitsmärkten führt, bestimmte Bevölkerungsgruppen ins Abseits drängt, einer „Dark Economy“ Vorschub leistet und große Herausforderungen in Bezug auf den Datenschutz, den Schutz der Privatsphäre sowie die Diskriminierungsbekämpfung entstehen lässt.
In diesem Kontext muss der Staat regelnd eingreifen, um die Risiken des technologischen Wandels zu mindern und gleichzeitig wertvolle Innovationen, Experimente und unternehmerische Initiative zu fördern. Das Tempo und die Auswirkungen der Digitalisierung auf Gesellschaft und Märkte wurden von der OECD und anderen bereits umfassend untersucht. Deutlich weniger Aufmerksamkeit richtete sich bislang indessen auf die Folgen, die die Digitalisierung für die staatliche Regelungstätigkeit selbst hat.
Der rapide technologische Fortschritt verändert das Umfeld der staatlichen Regelungstätigkeit grundlegend. Innovationen lassen neue Governance- und Regulierungsherausforderungen entstehen, die unter vier großen Punkten zusammengefasst werden können (OECD, 2019[2]):
Es wird zunehmend schwierig, mit der beschleunigten Skalierung digitaler Technologien Schritt zu halten.
Die traditionellen Grenzen zwischen den Märkten verschwimmen, was Fragen bezüglich des Auftrags und Zuständigkeitsbereichs der Regulierungsbehörden aufwirft.
Es kommt zu neuen Herausforderungen bei der Rechtsdurchsetzung.
Die meisten neuen Technologien haben starke grenzüberschreitende Effekte, während die Rechtsetzung auf nationaler Ebene erfolgt.
Über diese regulatorischen Herausforderungen hinaus sehen sich die Regierungen mit wachsendem öffentlichem und politischem Druck konfrontiert, neue Konzepte im Umgang mit Innovationen zu entwickeln, um nützliche Innovationen nicht zu behindern und zugleich von ihnen ausgehende Risiken effektiv zu bewältigen. So wird beispielsweise zunehmend erwartet, dass Onlineplattformen anders reguliert werden. Diese (verspäteten) Rufe nach Regulierung führen dazu, dass zahlreiche Reformvorschläge und neue Rechtsvorschriften ausgearbeitet werden. Leider wird dabei nur wenig darüber nachgedacht, wie sich die Regulierungspraxis selbst ändern sollte. Im Nachhinein zeigt sich dann oft, dass es keine gute Lösung ist, regulierungspolitische Verfahrensregeln außer Acht zu lassen, nur um neue Vorschriften möglichst schnell verabschieden zu können. Dies kann effektiv zu Regulierungsversagen führen, z. B. durch
unnötige Hindernisse für die Verbreitung von dem öffentlichen Interesse dienenden Innovationen (z. B. aufgrund unnötig intransparenter, unvollständiger, überflüssiger oder sich überschneidender Regulierungsstrukturen) oder
Versäumnisse bei der Minderung der negativen Risiken von Innovationen.
Die erste Art von Regulierungsversagen lässt sich u. U. nur schwer erkennen, kann aber erhebliche Opportunitätskosten für Wirtschaft und Gesellschaft nach sich ziehen, vor allem wenn das Produktivitätswachstum bereits schwach ist. Die zweite Art von Regulierungsversagen lässt sich zwar wesentlich leichter diagnostizieren, kann aber unumkehrbare Folgen (wie etwa beim Genom-Editing) und damit gravierende Konsequenzen für die Gesellschaft haben.
Beide Arten von Regulierungsversagen machen deutlich, dass sich die staatlichen Instanzen proaktiv mit Innovationen auseinandersetzen müssen. Die Regulierungspolitik ist ein wirkungsvolles Instrument, um die mit Innovationen verbundenen Herausforderungen zu bewältigen und die jeweils am besten geeigneten regulatorischen (oder nichtregulatorischen) Konzepte dazu auszuwählen. Mithilfe des traditionellen regulierungspolitischen Instrumentariums ist es möglich, Konzepte zu untersuchen, zu erörtern, zu hinterfragen und zu prüfen, die allgemeinen Politikzielen förderlich sein können. Dies erleichtert die Entscheidung zwischen unterschiedlichen regulatorischen und sonstigen Lösungen, um digitale Innovationen zu fördern und gleichzeitig ihre Risiken zu mindern. Fallstudien zeigen, dass die Länder im Bereich des technologischen Wandels verschiedenste regulatorische Konzepte umgesetzt haben (OECD/KDI, 2021[3]). Das Spektrum reicht von Vorschriften, die die Entwicklung oder Einführung digitaler Technologien explizit verhindern, bis hin zu eher abwartenden Herangehensweisen, bei denen beobachtet wird, welche Risiken tatsächlich eintreten, oder gesteuerten Experimenten, z. B. mit befristeten regulatorischen Ausnahmen (etwa in „Reallaboren“) für innovative Neuanbieter, bei denen übergreifende Regulierungsziele wie der Verbraucherschutz gewahrt bleiben.1
Regulierungspolitische Instrumente sind auch entscheidend, damit die Regierungen die Stärken und Schwächen bestehender Rechtsvorschriften sowie eventuellen Nachbesserungsbedarf erkennen können. Im Bereich des technologischen Wandels bilden sich aktuell interessante neue regulatorische Ansätze heraus (Kasten 1.2). Es muss jedoch mehr getan werden, um die aus diesem Wandel erwachsenden Möglichkeiten optimal zu nutzen und die Risiken von Regulierungsversagen zu minimieren. Insbesondere bei der internationalen regulatorischen Zusammenarbeit sollten größere Anstrengungen unternommen werden: Es gilt, die Politik der verschiedenen Länder zu koordinieren und eine wirksame grenzüberschreitende Regulierung zu ermöglichen. Die regulatorischen Unterschiede zwischen den Staaten sind, zumindest teilweise, Zeichen mangelnder Zusammenarbeit im Regulierungsbereich. Die Bedeutung dieser Unterschiede darf nicht unterschätzt werden. Sie können die Wirksamkeit staatlichen Handelns beeinträchtigen, das Vertrauen der Menschen in den Staat weiter untergraben und Hindernisse für die Verbreitung nützlicher Innovationen schaffen. Einer OECD-Erhebung zufolge werden sich die Länder auch zunehmend bewusst, dass die Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung angepasst werden müssen, um Fragen des technologischen Wandels besser gerecht zu werden. Bislang wurden jedoch nur wenige dahingehende Initiativen eingeleitet.
Kasten 1.2. Regulierungsmanagement für technologische Innovationen: neue Initiativen
Internationale regulatorische Zusammenarbeit: Die Arbeiten an Lösungen für die grenzüberschreitenden Herausforderungen des technologischen Wandels laufen, insbesondere mit der Schaffung einer Architektur internationaler und regionaler Organisationen. Auf nationaler Ebene wächst das Bewusstsein, dass unilaterale Maßnahmen zu kurz greifen. Daher wurde in Kanada beispielsweise das Prinzip der internationalen regulatorischen Zusammenarbeit in einer Kabinettsrichtlinie zur Regulierung verankert. Im Finanzsektor wurden gleich mehrere Initiativen gestartet, so z. B. die Kooperation zwischen dem Abu Dhabi Global Market (ADGM) und dem ASEAN Financial Innovation Network, bei der Reallabore im Mittelpunkt stehen. Das Global Financial Innovation Network (GFIN) wurde geschaffen, um ein globales Reallabor im Bereich der Finanzmarktregulierung zu ermöglichen. Außerdem wurden weltweit mehrere „Fintech Bridges“ eingerichtet (etwa die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und Australien zur Förderung einer besseren Zusammenarbeit zwischen Regierung, Finanzmarktaufsicht und Unternehmen). Im Dezember 2020 haben sieben Staaten – Dänemark, Italien, Japan, Kanada, Singapur, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Arabischen Emirate – Agile Nations ins Leben gerufen, die weltweit erste zwischenstaatliche Allianz, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für agilere, flexiblere und belastbarere Governance- und Regulierungsverfahren fördern soll. Ziel ist es, das Potenzial von Innovationen besser zu nutzen. In der Agile Nations Charter1 sind die Zusagen der sieben Staaten zur Schaffung eines Regulierungsumfelds verankert, in dem neue Ideen gedeihen können. Die Vereinbarung ebnet den Weg für eine Zusammenarbeit der beteiligten Staaten, um Innovatoren zu helfen, sich sicher in ihrem Rechtsrahmen zu bewegen, neue Ideen gemeinsam mit den zuständigen Behörden zu testen und diese Ideen auf den sieben Märkten zu skalieren.
Ebenen- und ressortübergreifende Rechtsetzungskonzepte: Einige Staaten haben eine Reihe institutioneller Mechanismen geschaffen, um dem Problem der Fragmentierung zu begegnen. So z. B. das Vereinigte Königreich mit der Ministerial Group on Future Regulation und dem Centre for Data Ethics and Innovation.
Akteursbeteiligung: Einige Staaten haben begonnen, betroffene Akteure verstärkt einzubeziehen, um besser auf die Chancen und Herausforderungen digitaler Technologien zu antworten. Im Vereinigten Königreich wurde 2018 die Digital Charter aufgelegt. Sie bringt staatliche Instanzen und Vertreter der Tech-Branche, der Geschäftswelt und der Zivilgesellschaft zusammen, um gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen der Digitalisierung zu finden. Ziel ist es u. a., den Erfindungsreichtum des Technologiesektors zu nutzen, um Antworten auf spezifische technologische Herausforderungen zu finden. Zugleich soll es den Bürger*innen so einfach wie möglich gemacht werden, ihre Ansichten zu äußern. Dänemark hat einen Katalog von Prinzipien für die Rechtsetzung aufgestellt, insbesondere für die Phase der Gesetzesfolgenabschätzung. Dabei geht es darum, Unternehmen die Möglichkeit zu geben, neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle zu testen, zu entwickeln und umzusetzen. Eine andere interessante Initiative wurde jüngst von der britischen Financial Conduct Authority ins Leben gerufen. Diese lancierte 2019 einen allgemeinen Call-for-Inputs, um zu sehen, wie groß das Interesse an sektorübergreifenden Reallaboren ist und welches Potenzial solche Strukturen bieten. Das Ziel ist es, Unternehmen die Chance zu geben, neue Produkte, Dienstleistungen oder Ideen in einem kontrollierten Umfeld zu testen, in dem mehrere Regulierungsbehörden zusammenarbeiten.
Vorteile und Risiken der Nutzung technologischer Lösungen in der Rechtsetzung
Die digitale Transformation eröffnet dem Staat große Möglichkeiten zur Stärkung seiner Regulierungskapazität (vgl. Kapitel 6). So können staatliche Stellen und Regulierungsagenturen z. B. innovative Konzepte nutzen, um Mittelengpässe zu überwinden oder die Rechtsetzung effektiver und effizienter zu machen. In Pilotprojekten wird beispielsweise zunehmend künstliche Intelligenz genutzt, um Rechtsvorschriften zu sichten und zu straffen. Da KI-Technologien gewaltige Mengen an Text erfassen können, ist es mit ihnen u. a. möglich, Zusammenhänge und Überschneidungen zwischen Rechtstexten verschiedener Ressorts und staatlicher Ebenen zu erkennen.2 Größere Kapazitäten zur Sammlung, Verwaltung und Analyse von Daten bedeuten auch, dass die Evidenzbasis für den Rechtsetzungsprozess deutlich vergrößert und gestärkt werden kann. Damit können Risikoanalyse und Risikoabschätzung auf strategischer und operationeller Ebene erheblich verbessert werden. Der technologische Wandel kann auch erhebliche Verbesserungen in der Rechtsumsetzung ermöglichen, sowohl im Hinblick darauf, wie rasch und wie zielgenau geantwortet werden kann (Datenverknüpfung, maschinelles Lernen usw.), als auch hinsichtlich der Beobachtung komplexer, breit verteilter, entfernter Objekte und Phänomene. Ein Echtzeit-Monitoring, z. B. durch den Einsatz von Fernsensoren, kann zudem die effektive Umsetzung einer ergebnisorientierten Regulierung ermöglichen (etwa in der Schadstoffbekämpfung – vgl. auch Kapitel 6, Abschnitt zu wirkungsorientierter vs. prozessorientierter Regulierung).
Neue Technologien sind aber auch mit Risiken verbunden, z. B. wenn größere technologische Kapazitäten und sinkende Kosten den Eindruck entstehen lassen, dass in bestimmten Bereichen eine „totale Kontrolle“ möglich sein könnte (etwa durch Echtzeit-Monitoring in Verbindung mit flächendeckender Überwachung und dem Internet der Dinge). Die Frage ist dabei nicht nur, ob dies tatsächlich machbar ist, sondern auch, ob es wünschenswert ist. Erstens wirft eine massive Ausweitung der Fernüberwachung große Probleme in Bezug auf die individuellen Rechte und Freiheiten auf. Dass bestimmte Technologien es einfacher machen, einen „Überwachungsstaat“ aufzubauen und „effizient“ zu gestalten, dürfte demokratische Regierungen davor zurückschrecken lassen, sie stärker einzusetzen. Zweitens ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Effizienz bedenklich, zur Erhöhung der Regulierungskapazitäten zu stark auf Technologie und Automatisierung zu vertrauen – selbst wenn man das Problem der individuellen Rechte ausblendet bzw. zu Argumentationszwecken unterstellt, es könne gelöst werden.
Eine zu starke Nutzung technologischer Überwachungsmöglichkeiten kann effektiv nicht nur gravierende Anfälligkeiten entstehen lassen. Übergroße Begeisterung für solche Möglichkeiten gründet sich auch auf falsche Prämissen, was deren Umsetzbarkeit und Auswirkungen auf die Rechtsbefolgung betrifft. So wird z. B. erstens unterstellt, dass die Fernüberwachung und die damit gewonnenen Daten ausreichend und verlässlich sind. In Wirklichkeit ist für viele Gefahren, denen mit Rechtsvorschriften begegnet werden soll, eine Fernüberwachung nur schwer oder gar nicht möglich (z. B. für viele Risiken der Nahrungsmittelsicherheit, die aus mangelnder Hygiene und unsachgemäßer Handhabung resultieren). Zweitens drückt sich im Wunsch nach umfassender Kontrolle ein grundsätzliches Misstrauen aus. Es wird unterstellt, dass immer mehr kontrolliert werden müsse, weil es sonst ständig zu Zuwiderhandlungen käme. Dabei wird jedoch vergessen, dass die Instrumente der technologischen Überwachung selbst äußerst anfällig für Betrug, Hackerangriffe usw. sind. Anders ausgedrückt: Wenn die Ausweitung der Überwachung für nötig erachtet wird, weil den Akteuren des jeweiligen Systems (seien es die Wirtschaftsakteure oder die öffentlich Bediensteten) grundsätzlich zu misstrauen ist, so ist die Nutzung technologischer Überwachungsinstrumente keine Lösung, da sie ja ebensolche – wenn nicht sogar größere – Möglichkeiten der Vertuschung, Manipulation usw. eröffnet.
Technologien sollten daher nicht als Ersatz für eine solide Rechtsetzung und Rechtsumsetzung gesehen werden, sondern als ein neues Instrument, um gute Regulierungsverfahren noch wirksamer anzuwenden.
Regulierungspolitik in der Coronakrise
Die Coronapandemie hat die Regierungen weltweit gezwungen, Notstandsmaßnahmen zu ihrer Eindämmung in Kraft zu setzen.3 Dabei stellten sich in fast allen Phasen regulierungspolitische Fragen: Die staatliche Regelungstätigkeit hatte Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Instrumenten zur Diagnose und Bekämpfung der Krankheit (Tests, medizinische Produkte und Geräte), die Funktionsfähigkeit der Versorgungsunternehmen, die Produktion und Auslieferung von Nahrungsmitteln sowie generell die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung wesentlicher Dienstleistungen. Auch wenn die unmittelbare Krise bewältigt ist, werden sich weiter regulierungspolitische Fragen stellen, insbesondere bei der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufschwungs und der Erhöhung der künftigen Krisenfestigkeit. In Kasten 1.3 werden einige der von den Ländern in Reaktion auf die Pandemie ergriffenen Maßnahmen beschrieben. Bei der Ausarbeitung dieser Regelungen sahen sich die zuständigen staatlichen Stellen mit ungewöhnlich schwierigen Abwägungen und Zielkonflikten konfrontiert. So stellte sich insbesondere die Frage, welche Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit, der Freizeit und der Bewegungsfreiheit nötig und vertretbar waren, wann die Öffnung der Wirtschaft wieder zugelassen werden konnte und wie diese Öffnung genau vonstattengehen sollte und zu welchem Zeitpunkt (Sunstein, 2020[4]). Die Folgen regulatorischer (oder nichtregulatorischer) Entscheidungen können in einem solchen Krisenkontext deutlich weitreichender sein als normalerweise und erhebliche wirtschaftliche und soziale Effekte haben.
In einer Krisensituation, in der keine ausreichenden Daten vorliegen bzw. die Datenlage unklar ist und sich laufend verändert, ist es besonders schwer, die Folgen rechtlicher Regelungen genau vorherzusehen, zu analysieren und gründlich zu erörtern. Extrem schwierig ist es in einem solchen Kontext auch, international zusammenzuarbeiten und die Maßnahmen mit anderen Ländern abzustimmen, was im Fall einer globalen Krise eigentlich notwendig ist. Da die gesundheitspolitischen Maßnahmen sehr rasch ausgearbeitet werden mussten, blieb wenig Raum, umfassende Konsultationen mit den betroffenen Akteuren durchzuführen oder alternative regulatorische oder nichtregulatorische Optionen zu prüfen. Ein großes Problem waren auch fehlende verlässliche Daten zu Infektions- und Sterberaten. Zudem wurde die Sammlung von Informationen, die für solide Politikmaßnahmen wesentlich sind, in einigen Fällen durch gesetzliche Regelungen behindert (Dudley, 2020[5]). Die Sicherung eines zeitnahen und uneingeschränkten Zugriffs auf verlässliche Datenquellen (z. B. Open Data) wurde angesichts der globalen Tragweite der Pandemie zu einer Frage der digitalen Solidarität (OECD, 2020[6]). Aufgrund des Zeitdrucks waren deliberativere Formen der politischen Entscheidungsfindung mit Instrumenten und Verfahren des Regulierungsmanagements, z. B. Gesetzesfolgenabschätzungen und Akteursbeteiligung, in der Krise nur schwer umsetzbar.
Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass bei Notstandsregelungen auf eine Prüfung von Folgen und Wirksamkeit verzichtet werden sollte, auch wenn diese in einigen Fällen weniger umfangreich ausfallen kann. In einem gut konzipierten Rechtsetzungssystem können die Empfehlungen zu Regulierungspolitik und Governance (insbesondere die Empfehlung von 2012) selbst in Krisenphasen beachtet werden. Wenn der unmittelbare Druck der Krise vorbei ist, können im Schnellverfahren verabschiedete Regelungen zudem einer sorgfältigen Ex-post- oder Post-Implementation-Prüfung unterzogen werden, um ihre Auswirkungen und ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Wirtschaftsregulierungsbehörden können diese Anstrengungen durch Datenerhebung und durch ihr sektorspezifisches Wissen wesentlich unterstützen (vgl. Kapitel 5). Sehr wichtig ist auch, dass die Länder über starke, mit ausreichenden Ressourcen ausgestattete Regulierungsaufsichtsbehörden verfügen. Diese können entscheidend dazu beitragen, dass die Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung nach der Krise nicht nachlassen.
Kasten 1.3. In Reaktion auf die Coronapandemie ergriffene regulatorische Maßnahmen
Im Vereinigten Königreich wurde im März 2020 ein Notstandsgesetz erlassen (Coronavirus Act), das durch siebzig untergesetzliche Regelungen und eine Reihe nichtgesetzlicher Änderungen ergänzt wurde. Durch diese Regelungen erhielten Polizei, Einwanderungsbehörden und Gesundheitsbeamt*innen neue Befugnisse, um Personen unter Gewahrsam zu stellen, bei denen Gefahr besteht, dass sie andere anstecken könnten, oder um Versammlungen und öffentliche Veranstaltungen zu verbieten oder einzuschränken, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Vorschriften für Behörden und Gesundheitsdienste wurden geändert, um Verfahren zu vereinfachen (etwa für die Verschreibung von Medikamenten oder medizinischen Behandlungen), die Wettbewerbsregelungen in bestimmten Bereichen vorübergehend zu lockern (etwa zur Gewährleistung einer besseren Koordinierung der Nahrungsmittelversorgung) und z. B. die Bestimmungen für die regelmäßige Fahrzeugprüfung vorübergehend auszusetzen. Die Mehrzahl der Bestimmungen des Notstandsgesetzes sollte nach zwei Jahren auslaufen, dabei wurde allerdings die Möglichkeit einer Verlängerung um sechs Monate oder einer Verkürzung der Frist vorgesehen.
In Frankreich verabschiedete das Parlament im März 2020 ein Notstandsgesetz zur Bekämpfung der Epidemie und erklärte landesweit den Gesundheitsnotstand. Dadurch erhielt die Regierung größere Befugnisse zur Eindämmung der Infektionslage. Das Gesetz gestattete es der französischen Regierung zwei Monate lang, die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung einzuschränken und per Dekret zu verfügen, z. B. um bestimmte Güter und Dienstleistungen zu requirieren. Zudem ermöglichte es der Regierung, besondere Wirtschaftsmaßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen zu verabschieden, die durch die Situation besonders beeinträchtigt wurden. Der Notstand sollte ursprünglich zwei Monate ab seiner Verhängung in Kraft bleiben, die im Mai 2020 beschlossene Neuregelung wurde danach aber bis Juni 2021 verlängert.
In Korea musste bislang noch in keiner Stadt oder Region ein Lockdown verhängt werden. Die Regierung forderte die Bevölkerung stattdessen auf, die Abstandsregeln einzuhalten und nach Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten. Am 22. März 2020 starteten die zuständigen Stellen eine vierwöchige Kampagne zur Förderung der physischen Distanzierung: Die Bevölkerung wurde z. B. angehalten, zu Hause zu bleiben und Großveranstaltungen zu meiden. Die koreanische Strategie zur Eindämmung der Infektionslage beruhte auf Testen, Nachverfolgen und Behandeln. Für die Tests wurden innovative Konzepte ausgearbeitet, z. B. mit Drive-through- bzw. Walk-through-Teststationen. Da zugleich rasch Tests entwickelt wurden, konnte in großem Umfang getestet werden. Zur Nachverfolgung der Infektionsketten und Kontakte stellten die zuständigen Behörden im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben gründliche epidemiologische Nachforschungen an, wofür sie bei Bedarf Kreditkartentransaktionsdaten, CCTV-Aufzeichnungen und GPS-Daten aus Mobiltelefonen heranzogen. Positiv getestete Personen wurden nach Schwere der Symptome eingeteilt und gegebenenfalls an geeignete Einrichtungen weitergeleitet, d. h. Krankenhäuser für schwerere Fälle und Unterbringungs- und Behandlungszentren für leichtere Fälle. Die Gesundheitsversorgung wurde in Reaktion auf die Pandemie angepasst und mit zusätzlichen Ressourcen ausgestattet.
Ein Blick in die Zukunft der Regulierung
Die Coronapandemie hat weltweit schwere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen ausgelöst. Bei ihren Bemühungen um Aufschwung und Erneuerung müssen die Regierungen nun sicherstellen, dass innovative Ansätze, die das Wirtschaftswachstum fördern und zur Lösung der drängenden sozialen und ökologischen Herausforderungen der Welt beitragen können, nicht durch unzeitgemäße Regelungen gebremst werden. Angesichts der verschiedenen Herausforderungen, denen sich die Regierungen gegenübersehen, müssen dringend zukunftsweisende und agile regulierungspolitische Praktiken entwickelt werden – u. a. unter Nutzung der Chancen, die digitale Technologien bieten.
Instrumente des Regulierungsmanagements optimal nutzen und bedarfsgerecht anpassen, um die Flexibilität, Qualität und Kohärenz des Rechtsetzungssystems zu erhöhen
Instrumente des Regulierungsmanagements anpassen
Jede Regulierung ist zwangsläufig ein Experiment. Manche rechtlichen Regelungen bringen den gewünschten Nutzen, andere wiederum nicht und müssen deshalb nachgebessert oder zurückgenommen werden. Instrumente des Regulierungsmanagements wie Gesetzesfolgenabschätzungen (GFA), Akteursbeteiligung und Ex-post-Prüfungen der bestehenden Rechtsvorschriften sind wichtig, um das gesamte Portfolio möglicher Lösungen zu betrachten, ihre Auswirkungen zu analysieren, alle betroffenen Akteure zu konsultieren, die Einhaltung der Vorschriften zu beobachten und die mit ihnen erzielten Ergebnisse zu evaluieren. Diese Instrumente waren von Anfang an entscheidend bei den Bemühungen um wirksame Rechtsetzung und sie werden auch in Zukunft ein entscheidender Bestandteil der Regulierungspolitik bleiben. Sie müssen jedoch angepasst und besser genutzt werden, damit die Regierungen die Herausforderungen und Chancen transformativer Veränderungen bewältigen und die richtigen regulatorischen (oder nichtregulatorischen) Ansätze zur Erreichung staatlicher Ziele wählen können.
Laut den Ergebnissen früherer iREG-Erhebungen, die durch die Ergebnisse der Erhebungsrunde 2020 bestätigt wurden, werden GFA in vielen Ländern nach wie vor erst spät im Rechtsetzungsprozess durchgeführt, und vielfach auch nur, um die bereits gewählte Lösung zu rechtfertigen. Dies läuft dem Hauptzweck der Gesetzesfolgenabschätzung zuwider, bei der es darum geht, verschiedene Lösungen für eine bestimmte Frage kritisch zu beleuchten, inhärente Zielkonflikte zu berücksichtigen und letztlich die Lösung zu finden, bei der der gesellschaftliche Nutzen möglichst groß und die Kosten möglichst gering sind. Die Gesetzesfolgenabschätzung muss parallel zur Ausarbeitung des Regelungsentwurfs laufen und zeitgleich mit ihr beginnen, also bereits mit der Formulierung der Problemstellung und der Ziele (OECD, 2020[8]). Wie dies gewährleistet werden kann und wie die GFA zu einem festen Bestandteil des Berufsalltags der Verantwortlichen in Verwaltung und Politik werden kann, ist eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre.
Um die richtige Lösung zu finden, müssen die Verantwortlichen das gesamte Spektrum möglicher – sowohl regulatorischer als auch nichtregulatorischer – Lösungen berücksichtigen (OECD, 2020[8]). Dazu müssen sie sich vom „Regulierungsreflex“ befreien, also nicht systematisch bei allen Fragen, die staatliches Handeln erfordern, eine regulatorische Option wählen. Um dies zu fördern, müssen die Leitlinien und Schulungen zu alternativen, nichtregulatorischen Lösungen verbessert werden. Zudem müssen die zuständigen Kräfte motiviert werden, solche alternativen Optionen in allen Fällen zu prüfen, in denen sie von Vorteil sein könnten. Auch die Regulierungsaufsichtsinstanzen müssen stärker darauf hinwirken, dass solche Lösungen genutzt werden. Konzepte wie wirkungsorientierte Regulierung, Ko-Regulierung, Standardsetzung oder die Schaffung von Freiräumen für Selbstregulierung müssen häufiger genutzt werden, um flexibler auf sich rasch vollziehende technologische Veränderungen zu antworten. Internationale Erfahrungen und Vereinbarungen müssen systematischer als eine grundlegende Säule der innerstaatlichen Rechtsetzung betrachtet werden. Um die richtige regulatorische bzw. nichtregulatorische Lösung zu finden, kann es hilfreich sein zu schauen, wie ähnliche Herausforderungen in anderen Ländern oder auf internationaler Ebene gelöst wurden.
Zu den Folgen der Coranapandemie gehört, dass die Regulierungsverantwortlichen künftig wahrscheinlich in einem zunehmend unsicheren Umfeld agieren müssen. Methoden wie Problemdefinition oder Folgenanalyse müssen daher u. U. ebenfalls angepasst werden. Bei der Problemdefinition müssen die Verantwortlichen berücksichtigen, dass viele Fragen sehr unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Gruppen (wie Jugendliche, ältere Menschen, Frauen oder kleine und mittlere Unternehmen) oder Wirtschaftszweige (Tourismus, Gastgewerbe usw.) haben können. Die Folgenanalyse muss zudem der Unsicherheit über die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen Rechnung tragen. Die GFA kann als Instrument zur Optimierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses auch eingesetzt werden, um die Lösung auszuwählen, die zur Erzielung der gewünschten Ergebnisse und Wirkungen am besten geeignet ist (OECD, 2020[9]).
Die betroffenen Akteure könnten bei der Identifizierung optimaler Lösungen eine entscheidende Rolle spielen. Bei der Akteursbeteiligung geht es nicht nur darum, optimale Lösungen zu finden. Wesentlich ist auch, dass die Bürger*innen Mitsprachemöglichkeiten bei Zielkonflikten und Wertepräferenzen erhalten. So lassen sich die neuartigen ethischen und verteilungspolitischen Herausforderungen besser bewältigen, die neue Technologien und technologiebasierte Geschäftsmodelle mit sich bringen. Daher ist es wichtig, die betroffenen Akteure von Anfang an systematisch zu konsultieren und in den Rechtsetzungsprozess einzubeziehen (vgl. Mehr echte Akteursbeteiligung statt nur öffentliche Konsultationen).
Wenn der unmittelbare Druck der Coronakrise vorüber ist, müssen die im Schnellverfahren verabschiedeten Regelungen zudem einer sorgfältigen Ex-post- oder Post-Implementation-Prüfung (PIR) unterzogen werden, um ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Dieser Ex-post-Prüfprozess muss angepasst werden, um die Entstehung eines erheblichen Rückstaus zu prüfender Regelungen zu vermeiden. Dazu bedarf es einer Priorisierung. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Maßnahmen, die als vorübergehende Lösung gedacht waren, nicht zu einem Dauerzustand werden. Daher dürfte künftig häufiger auf Auslaufklauseln („Sunsetting“) und Befristungen zurückgegriffen werden.
Sehr wichtig sind zudem mit ausreichenden Ressourcen ausgestattete, belastbare Regulierungsaufsichtsinstanzen. Sie können entscheidend dazu beitragen, dass die Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung in Krisenzeiten nicht nachlassen. Des Weiteren können sie eine wesentliche Rolle dabei spielen, Lehren aus den ergriffenen Maßnahmen zu ziehen und die Einführung innovativer Konzepte des Regulierungsmanagements zu fördern. Darüber hinaus können sie die Priorisierung der Ex-post-Prüfungen unterstützen und sicherstellen, dass einschlägige Daten zur Umsetzung erfasst und ausgewertet werden.
Die Regulierungskohärenz steigern und den Regulierungsrahmen an strategischen staatlichen Zielen ausrichten
Regulierungskohärenz bedeutet, dass die Planung, Gestaltung, Veröffentlichung, Umsetzung und Prüfung von Rechtsvorschriften auf den Grundsätzen guter Rechtsetzung basiert, um die Verwirklichung innerstaatlicher Ziele zu ermöglichen. Dies erstreckt sich auch auf zwischenstaatliche Maßnahmen zur Verbesserung der regulatorischen Zusammenarbeit, die diesen Zielen dienen und den internationalen Handel sowie Investitionen, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung fördern.
Auf nationaler Ebene helfen Instrumente des Regulierungsmanagements dabei sicherzustellen, dass Rechtsvorschriften mit den allgemeinen politischen Zielen im Einklang stehen, die in Regierungserklärungen, Strategiepapieren, Koalitionsvereinbarungen usw. verankert sind. Die GFA ist ein entscheidendes Instrument zur Erzielung von Regulierungskohärenz. Deshalb müssen die Verantwortlichen in der Phase der Problemstellung und insbesondere der Festlegung der Ziele der staatlichen Maßnahmen das politische Umfeld berücksichtigen und untersuchen, inwieweit die verschiedenen Lösungsoptionen mit den allgemeinen Zielen der Regierung vereinbar sind. Eine Art „GFA light“ könnte bereits bei der Definition der Ziele durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass diese erreichbar sind und nicht zu einer suboptimalen Herangehensweise an das betreffende Problem führen, was in manchen Fällen geschehen kann. Dieser Aspekt sollte neben der eigentlichen Zwecktauglichkeit und dem Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Auswahl der effizientesten Lösung eine wichtige Rolle spielen.
Die Coronakrise hat die Aufmerksamkeit besonders auf Gefahren für Gesundheit und Wirtschaft gelenkt, das ändert jedoch nichts daran, dass dringend auf die Bedrohungen für Wohlstand und Wohlergehen reagiert werden muss, die weltweit von Umweltrisiken ausgehen. Klimawandel und Nachhaltigkeit sind Themen, denen wir uns auch nach der Coronakrise weiter stellen müssen. Wie bereits erwähnt, werden die Möglichkeiten, die die Regulierungspolitik im Hinblick auf aktuelle weltweite Prioritäten staatlicher Politik bietet – z. B. die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG), die Bekämpfung des Klimawandels, die Herausforderungen der Bevölkerungsalterung oder die Sicherung eines Wachstums für alle –, selten voll ausgeschöpft. Damit das anders wird, muss der Fokus auf Instrumente gerichtet werden, mit denen die Politikkohärenz gesteigert und die Verwirklichung der Ziele staatlicher Politik unterstützt werden kann. Zudem muss sichergestellt werden, dass die regulierungsbedingten Kosten für die Wirtschaft begrenzt bleiben, z. B. indem aus den Erfahrungen der Coronakrise gelernt wird. Dies gilt auch für die Ziele nachhaltiger Entwicklung, wo es gilt, optimale Antworten auf die jeweiligen Fragen, seien es soziale Gerechtigkeit oder Klimawandel, zu finden.
Eine solide Politik, die auf Fakten beruht – und effektiv umgesetzt wird –, ist für die Verwirklichung der Agenda 2030 von entscheidender Bedeutung. Indem sie die SDG vollumfänglich im Regulierungsrahmen berücksichtigen, können die Regierungen die Kapazitäten für eine sektorübergreifend kohärente Formulierung, Umsetzung und Begleitung von Politikmaßnahmen stärken, die mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in Einklang stehen. Dazu sollten in allen Phasen des Rechtsetzungszyklus Instrumente des Regulierungsmanagements eingesetzt werden. Die Berücksichtigung der SDG in der Phase der Ex-ante-Folgenabschätzung ist für die Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften, die sich positiv auf die Verwirklichung der SDG auswirken, von entscheidender Bedeutung. Retrospektive Prüfungen unter dem Gesichtspunkt der SDG sind jedoch ebenso wichtig, um sicherzustellen, dass auch bereits existierende Rechtsvorschriften mit den Zielen der Agenda 2030 in Einklang stehen. Die Einbeziehung wichtiger Akteure wie Nichtregierungsorganisationen und Forschungseinrichtungen hilft dabei sicherzustellen, dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den SDG in die Politikgestaltung einfließen.
Krisen wie die Coronapandemie erfordern eine kohärente Reaktion der Politik. Dazu gehört natürlich auch die Umsetzung kohärenter regulatorischer Maßnahmen. Eine solche Kohärenz muss zwischen den verschiedenen Institutionen der zentralen Ebene, zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen, z. B. zwischen der föderalen Ebene, den Gliedstaaten, den Regionen und den Kommunen, aber auch – was nicht weniger wichtig ist – durch regulatorische Zusammenarbeit auf internationaler Ebene erreicht werden (Kapitel 4).
Wegen der naturgemäß globalen Folgen der Coronapandemie war klar, dass die politisch Verantwortlichen in dieser Situation nicht isoliert handeln konnten. Vielmehr mussten sie den Blick über die Grenzen werfen, um aus den Erfahrungen anderer Länder zu lernen und sich gemeinsamen Initiativen anzuschließen. Die Staaten unternahmen daher erhebliche Anstrengungen, um Wissen und Erfahrungen in Bezug auf die Gestaltung wirksamer Maßnahmen auszutauschen, die Krisenfestigkeit der globalen Wertschöpfungsketten – vor allem für wichtige Nahrungsmittel und medizinische Produkte – zu sichern und die Interoperabilität von Dienstleistungen wie internationaler Reiseverkehr oder Internetzugang zu gewährleisten. Die dringend notwendige Zusammenarbeit auf dem Höhepunkt der Krise zeigte auch, wie wichtig es ist, die internationale regulatorische Zusammenarbeit systematisch im Regulierungsrahmen zu verankern, um die nötigen Strukturen im Krisenfall rasch mobilisieren zu können und künftigen Krisen gemeinsam vorzubeugen (Kapitel 4).
Auch in diesem Bereich müssen die Regulierungsaufsichtsorgane eine aktivere Rolle spielen und prüfen, ob die Qualität von Gesetzentwürfen mit den staatlichen Zielen im Einklang steht (Kapitel 3).
Unnötigen regulatorischen Aufwand und Ballast beseitigen, um den Aufschwung zu fördern
Klare und vorausplanbare administrative Verfahren sind wichtig für die Verwirklichung regulatorischer Ziele. Verfahrensregeln können aber auch erheblichen unnötigen Verwaltungsaufwand verursachen (regulatory sludge4). In einer Zeit, in der sogar Bankkonten eröffnet und benutzt werden können, ohne dass man dafür eine Bank aufsuchen müsste, ist ein solcher Aufwand u. U. schwer zu rechtfertigen. Die zuständigen staatlichen Stellen sollten ihre Verwaltungsverfahren daher regelmäßig prüfen und so weit wie möglich straffen, um die Erfüllung der an sie geknüpften Pflichten zu erleichtern. In vielen Ländern zwang die Coronapandemie die Regierungen dazu, die Digitalisierung der Verwaltung zu beschleunigen.
Um es den Normadressaten leichter zu machen, die Verfahrensregeln einzuhalten, sollten die Regierungen zentrale Anlaufstellen einrichten (OECD, 2020[10]), über die die meisten staatlichen Dienstleistungen abgewickelt werden können – wenn möglich auch online. Dabei sollte zudem das „Once only“-Prinzip beachtet werden (d. h. dass bestimmte Informationen nur einmal eingereicht werden müssen, weil die Verwaltungen sie danach untereinander weiterleiten). Ziel ist es, den Verwaltungsaufwand für Bürger*innen und Unternehmen zu verringern. Außerdem sind umfassende Berichtspflichten möglicherweise nicht mehr notwendig, wenn Daten mittels moderner Technologien erhoben, verarbeitet und an andere Stellen weitergeleitet werden können (OECD, 2019[11]).
Die Coronapandemie beschleunigte die Digitalisierung der Verwaltung in vielerlei Hinsicht. Was bislang unmöglich schien – oder als unmöglich dargestellt wurde – musste plötzlich in wenigen Monaten, wenn nicht Wochen geschehen. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit sowie bei Dienstleistungen von staatlichen Stellen an Unternehmen, Bürger*innen und andere Organisationen zeigte sich, dass bestimmte Verwaltungsverfahren in einigen Fällen unnötig komplex waren. Es wurde aber auch deutlich, wie wichtig ein Ökosystem vom Typ „Staat als Plattform“ ist, um Bedarfe der Nutzer*innen zu erkennen und neue Dienste zur Bewältigung von Krisen zu entwickeln. Zudem zeigte sich, dass die Digitalisierung von Verwaltung und Staat künftig mit einer Prüfung der Verwaltungsverfahren und der Gestaltung staatlicher Dienste einhergehen muss, um diese zu vereinfachen und unnötigen Bürokratieaufwand zu verringern. Dies ist wichtig, damit Verwaltung und Staat proaktiver und nutzerorientierter werden.
In der Zeit nach Corona müssen Wirtschaftsaktivitäten wieder angekurbelt werden, die während der Lockdowns teilweise zum Erliegen gekommen waren. Die dazu erforderlichen Konjunkturprogramme sollten systematische Prüfungen der getroffenen Regelungen umfassen, vor allem derjenigen, die sich auf Unternehmen auswirken. Während der akuten Phase der Krise haben die Regierungen bereits Ausnahmeregelungen für Hunderte von Rechtsvorschriften und Verwaltungsregeln erlassen. So wurden z. B. Beschränkungen für Essenlieferdienste und verschiedene andere Arten von Regelungen aufgehoben, die die Menschen daran hinderten, während der Lockdowns ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Alle Regierungen, die möchten, dass ihre Wirtschaft wieder floriert und neue Unternehmen gegründet werden, sollten eine systematischere Prüfung unnötig aufwendiger Regelungen auf die Tagesordnung setzen. Die Konjunkturprogramme sollten zudem Sonderregelungen für KMU umfassen, die die Auswirkungen auf Klein- und Kleinstunternehmen besser berücksichtigen – gegebenenfalls mit Ausnahmen für diese Unternehmen.5 Dank der Möglichkeiten zur Erfassung und Verarbeitung großer Datenmengen, die neue Technologien bieten, könnte dieser Prozess strukturierter ablaufen und stärker evidenzbasiert ausgerichtet werden. Die zuständigen staatlichen Stellen müssen dazu jedoch bereits im Stadium der Ausarbeitung der Regelungen klar definieren, welche Daten sie für das Monitoring und die Prüfung der Rechtsvorschriften benötigen.
Neue Denkansätze: verhaltensökonomische Erkenntnisse im Regulierungsrahmen berücksichtigen
Mit Blick auf die Zukunft müssen auch die Verfahren der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften kritisch hinterfragt werden. In den letzten zehn Jahren haben Fachleute und Politikverantwortliche aufgezeigt, dass die Politikgestaltung durch verhaltensökonomische Erkenntnisse bereichert werden kann (Lunn, 2014[12]); (OECD, 2017[13]) und (OECD, 2019[1]). Verhaltensökonomische Erkenntnisse werden meistens auf einzelne Personen angewandt, häufig in Bezug auf Verbraucherentscheidungen; zusammen mit anderen innovativen Ansätzen können sie aber auch dabei helfen, Lösungen zu finden, die in der traditionellen Politikgestaltung normalerweise nicht berücksichtigt werden.
Fachleute und Politikverantwortliche haben diese Herangehensweise auf andere Bereiche ausgeweitet, um dafür zu sorgen, dass sie systematisch angewendet wird und dadurch zu besseren gesamtgesellschaftlichen Ergebnissen beiträgt. Für die Regulierungspolitik bedeutet dies, dass sich der Fokus zunehmend von Einzelpersonen auf Organisationen verlagert, da die Interaktion zwischen den zuständigen Behörden und den Normadressaten Auswirkungen auf die Ergebnisse der Regelungstätigkeit hat (OECD, 2020[14]). In den dazu durchgeführten Forschungsarbeiten wurde nachgewiesen, dass Organisationen durch verhaltensökonomische Ansätze beeinflusst werden können.
Ein Schlüsselelement einer solchen zukunftsgerichteten Agenda besteht darin, auf den bereits erzielten Erfolgen aufbauend zu untersuchen, wie verhaltensökonomische Erkenntnisse die Effektivität und Effizienz des Regulierungsrahmens insgesamt verbessern können. Als Bezugspunkt dient dabei die OECD-Empfehlung (OECD, 2012[15]), der zufolge der Regulierungsrahmen eine ständige Verbesserung der Rechtsetzung fördern sollte. Dieser Rahmen besteht aus einem System von Institutionen, Prozessen und Instrumenten, das bei richtiger Anwendung zu einer Optimierung der regulatorischen Entscheidungsprozesse beiträgt. Wenn verhaltensökonomische Erkenntnisse zu einer Verbesserung der Regulierungsentscheidungen, d. h. der Politikergebnisse, führen, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sie auf die Institutionen, Prozesse und Instrumente haben können, die dieser Politik zugrunde liegen. Die OECD (2021[16]) hat ein Arbeitsdokument erstellt, das diese Frage untersucht. Die wichtigsten Erkenntnisse werden nachstehend aufgeführt.
Weshalb Verhaltensaspekte im Regulierungsrahmen berücksichtigt werden müssen
Verhaltensänderungen sind eines der Ziele der Rechtsetzung. Dies kann erreicht werden, indem bestimmte Verhaltensweisen (z. B. gesündere Lebensmittel einkaufen) oder Ergebnisse (z. B. eine gesündere Gesellschaft) gefördert werden oder indem andere Entwicklungen (z. B. steigende Gesundheitskosten) verhindert werden. Dabei hat sich die Regulierungspolitik traditionell auf stark generalisierende deduktive Modelle des menschlichen Verhaltens und der Entscheidungsprozesse gestützt (Lunn, 2014[12]). Diese Modelle basieren häufig auf bestimmten Annahmen über menschliches Verhalten, so beispielsweise das in der Wirtschaftsregulierung verwendete Modell des rational handelnden Menschen. Die politisch Verantwortlichen stützen ihre Maßnahmen dann häufig auf diese Annahmen.
Die verhaltensökonomische Forschung hat jedoch gezeigt, dass die Vorhersehbarkeit menschlichen Handelns systematisch durch den sozialen Kontext und Verhaltensverzerrungen beeinflusst wird (OECD, 2019[1]). Daher empfiehlt es sich, Politikprobleme auf der Basis von verhaltens- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen zu analysieren. Entsprechende Daten können Aufschluss darüber geben, welche Lösungen funktionieren (und welche nicht), was wiederum genutzt werden kann, um die Ergebnisse der staatlichen Politik zu verbessern. Bislang lag der Fokus jedoch vor allem darauf, Verhaltensänderungen auf individueller Ebene herbeizuführen – häufig in der Umsetzungsphase der Politikgestaltung, d. h. um Maßnahmen zu verbessern, in deren Gestaltung noch keine verhaltensökonomischen Erkenntnisse eingeflossen sind. Neuere Forschungsarbeiten befassen sich auch mit der Frage, wie das Verhalten von Organisationen durch verhaltensökonomische Erkenntnisse verändert werden kann. Sie richten den Blick dabei sowohl auf die Regulierungsbehörden als auch die ihrer Regulierung unterstehenden Unternehmen (OECD, 2019[17]; 2020[14])
Das neue Konzept des „Behavioural Public Choice“ (Lucas und Tasić, 2015[18]; Viscusi und Gayer, 2015[19]); stützt sich auf normative Argumente, um verhaltensökonomische Erkenntnisse auch auf die Institutionen, Prozesse und Instrumente anzuwenden, aus denen sich der Regulierungsrahmen zusammensetzt. Die Wurzeln dieser Theorie reichen von Niskanen (1971[20]), der Verzerrungen in bürokratischen Prozessen feststellt, bis zu jüngeren Studien. In der Neuen Politischen Ökonomie („Public Choice“) wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass Staatsversagen häufig auf fehlende Rationalität zurückzuführen ist (z. B. Tullock, Seldon und Lo Brady (2002[21]), zitiert nach Viscusi und Gayer (2015[19])). Die „Behavioural Public Choice“-Theorie bietet ein Modell, um Staatsversagen durch psychologische Verzerrungen zu erklären und als Reaktion darauf andere Lösungsansätze zu finden.
Das Kernargument dieser Theorie ist die Erkenntnis, dass die Regierungen bei ihren Entscheidungen zwar verstärkt auf die Verhaltenswissenschaften zurückgreifen, dabei aber nicht berücksichtigen, dass das Verhalten der politisch Verantwortlichen und der Regulierungsinstanzen wie das aller Menschen ebenfalls durch unbewusste Vorurteile und Vorbehalte verzerrt werden kann (Viscusi und Gayer, 2015[19]). Diese Verzerrungen beeinträchtigen die Effizienz und Effektivität von Institutionen, Prozessen und Instrumenten. Staatliche Stellen „institutionalisieren“ Verhaltensanomalien häufig, anstatt sie zu überwinden (Viscusi und Gayer, 2015, S. 40[19]). So kann es zu Fehlern bei der Risikowahrnehmung und -bewertung kommen, die wiederum zu Überregulierung – falls dem Vorsorgeprinzip aufgrund solcher Fehleinschätzungen zu hohe Bedeutung eingeräumt wird – führen können oder umgekehrt zur Folge haben, dass die Notwendigkeit eines regulatorischen Eingriffs nicht gesehen wird.
In Kosten-Nutzen-Analysen werden Verluste und Gewinne gleich hoch gewichtet. Ein gut fundiertes Axiom der Verhaltenswissenschaft besagt jedoch, dass Menschen Verlusten größeres Gewicht einräumen als gleich hohen Gewinnen (Kahneman und Tversky, 1979[22]), was ihre Risikoaversion verstärken kann. Viscusi und Gayer (Viscusi und Gayer, 2015[19]) geben dafür ein konkretes Beispiel: Der hippokratische Eid verpflichtet Ärzt*innen, die Kranken vor Schaden zu bewahren. Für Arzneimittelbehörden kann sich daraus ableiten, dass sie möglichen Nachteilen mehr Bedeutung beimessen müssen als möglichen Vorteilen, was sie beispielsweise dazu bewegen kann, bestimmte Medikamente nicht zuzulassen. In anderen Fällen können Regulierungsbehörden einen „Tunnelblick“ entwickeln, sodass sie starr an bestimmten Prozessen und Instrumenten festhalten, was zu Inkonsistenzen und Ineffizienzen führen kann.
Staatsbedienstete, die sich nicht rational verhalten, sind also eine wichtige Ursache von Staatsversagen (Lucas und Tasić, 2015[18]). In der „Behavioural Public Choice“-Theorie wird deshalb gefordert, verhaltensökonomische Erkenntnisse symmetrisch sowohl auf die Regulierungsbehörden als auch auf die ihrer Regulierung unterstehenden Unternehmen anzuwenden (Thomas, 2019[23]). Staatliche Stellen werden von Menschen geschaffen und verwaltet, deren Verhalten wie das aller Menschen von unbewussten Vorurteilen und Vorbehalten beeinflusst ist. Es gibt also gute Gründe dafür zu prüfen, inwieweit verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden können, um die Effektivität der staatlichen Verwaltung zu verbessern.
Dies hat verschiedene Auswirkungen auf die Politikgestaltung. Erstens können die Entscheidungen der zuständigen Behörden systematisch verzerrt sein, was zu suboptimalen Ergebnissen führen kann. Zweitens scheint es neben einer verzerrten Entscheidungsfindung verhaltensbezogene Hemmnisse zu geben, die die zuständigen Stellen daran hindern, die regulierungspolitischen Instrumente und Verfahren effektiv zu nutzen, z. B. um die Diskrepanz zwischen Werten und Handeln (intention-action gap) zu verkleinern oder andere Reibungsverluste zu beseitigen. Die Regulierungsbehörden und -prozesse werden also verbessert, wenn Verhaltensverzerrungen erkannt und verringert werden, damit das Handeln stärker den Absichten entspricht. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für eine Regulierungspolitik, die über die Umsetzung hinausgeht, um die Governance der staatlichen Organisationen insgesamt durch Change- und Reformmanagement zu unterstützen.
Durch verhaltensökonomische Erkenntnisse die Nutzung der Instrumente des Regulierungsmanagements fördern
„Behavioural Public Choice“ hat erhebliche Auswirkungen auf die Nutzung von Instrumenten des Regulierungsmanagements zur Förderung einer besseren Rechtsetzung. Eine Studie der OECD (2021[16]) weist auf mehrere neue Ansätze hin, um Verhaltensverzerrungen und -hemmnisse zu erkennen, die die Nutzung von Gesetzesfolgenabschätzungen, Akteursbeteiligung und Ex-post-Evaluierungen beeinträchtigen können. Außerdem werden mögliche verhaltensorientierte Lösungen vorgeschlagen. Diese können ausgehend von OECD (2019[1]) unter vier Punkten zusammengefasst werden:
1. Aufmerksamkeit: Den zuständigen Behörden und ihren Mitarbeiter*innen helfen, die Instrumente des Regulierungsmanagements effektiv zu nutzen. Denkbremsen bzw. kurzfristigem Denken kann beispielsweise durch eine intelligente Nutzung von Erinnerungshilfen und Default-Lösungen begegnet werden.
2. Einstellung: Die zuständigen Behörden und ihre Mitarbeiter*innen dazu anregen, ihre Einstellung gegenüber der Nützlichkeit der Instrumente des Regulierungsmanagements kritisch zu überdenken, und sie motivieren, diese Instrumente zu nutzen. Umsetzungsabsichtserklärungen können helfen, die Diskrepanz zwischen dem gewünschten und dem tatsächlichen Verhalten zu überwinden. Dabei lässt sich auch Risikoaversion zunutze machen, indem die Risiken im Fall eines unzureichenden Einsatzes der Instrumente betont werden.
3. Entscheidungsalternativen: Die zuständigen Behörden und ihre Mitarbeiter*innen bei ihren Entscheidungen über den Einsatz der Instrumente unterstützen. Diversifizierte Arbeitsteams und Strukturen, die zur Diskussion anregen, können Gruppendenken und Ist-Zustand-Verzerrungen überwinden helfen.
4. Entschlossenheit: Die zuständigen Stellen und ihre Mitarbeiter*innen ermutigen, die Instrumente des Regulierungsmanagements weiter zu nutzen, indem Hindernisse wie z. B. kontraproduktive soziale Normen und der Eindruck fehlender Entscheidungsautonomie ausgeräumt werden. Wenn Verbesserungen und Veränderungen der Instrumente dokumentiert werden, kann dies den Prozess strukturieren und die Autonomie stärken.
Die vorstehende Aufzählung ist nicht erschöpfend und basiert auf Diskussionen mit den für die Regulierungspolitik zuständigen Stellen. Im Fokus stehen die Bereiche, die für die Nutzung von Instrumenten des Regulierungsmanagements besonders relevant sind. Sie bilden einen guten Ausgangspunkt, um diese Instrumente in der Praxis durch verhaltensökonomische Erkenntnisse zu verbessern.
Die Methodik der verhaltensökonomischen Forschung kann in diesem Zusammenhang ebenfalls genutzt werden. Die Instrumente des Regulierungsmanagements dienen dazu, Informationen zu sammeln und zu nutzen, um die regulatorischen Entscheidungsprozesse auf eine solidere Grundlage zu stellen. In der Verhaltensökonomie werden ebenfalls Daten erhoben, aber auf experimenteller Basis. Die „Verzerrung“ der Datenerhebung, Analyse und Entscheidungsfindung soll aufgehoben werden, indem Daten über das tatsächliche – und nicht das unterstellte – menschliche Verhalten geliefert werden und diese Evidenz bei der Politikgestaltung genutzt wird.
Diese Erkenntnisse können auch dazu beitragen, „Verhaltensversagen“ aufzudecken (Viscusi und Gayer, 2015[19]), d. h. Verhaltensformen, die von dem in ökonomischen Modellen unterstellten rationalen Verhalten des Einzelnen abweichen. Sie können deshalb in bestimmten Fällen eine zusätzliche Rechtfertigung für staatliches Eingreifen darstellen (Congdon, Kling und Mullainathan, 2011[24]). Dies ermöglicht es den Politikverantwortlichen, neben den traditionellen politischen Maßnahmen verhaltensorientierte Lösungen in Erwägung zu ziehen. Dadurch wird der Handlungsspielraum auf andere regulatorische und nichtregulatorische Optionen ausgeweitet. Bei Ex-post-Prüfungen ist diese Methode besonders effektiv, weil in diesem Kontext mehr Zeit für aussagekräftige experimentelle Evaluierungen möglicher Verhaltensprobleme zur Verfügung steht, die in neue Regulierungszyklen einfließen können.
Die wachsende Bedeutung der Regulierungsaufsicht
Wie oben erwähnt, wird die Bedeutung der Regulierungsaufsichtsbehörden (RAB) in Zukunft wahrscheinlich zunehmen. Die Evidenz zeigt (Ladegaard, Lundkvist und Kamkhaji, 2018[25]), dass eine gut funktionierende Aufsicht für eine effektive Regulierungspolitik unerlässlich ist. Die RAB müssen eine aktivere Koordinierungsrolle einnehmen, indem sie sich für die Regulierungspolitik stark machen und als „Gatekeeper“ die Qualität der Regelungen sowie den Einsatz der Instrumente des Regulierungsmanagements bei ihrer Ausarbeitung, Umsetzung und Prüfung kontrollieren. Darüber hinaus müssen sie verstärkt Ministerien und andere Behörden unterstützen, die diese Instrumente bei ihrer Arbeit nutzen sollen.
Es kann schwierig sein, Menschen von solchen Veränderungen zu überzeugen. Noch schwieriger ist es, das Verhalten großer Organisationen, wie Behörden dies sind, zu ändern. Es gibt allerdings Belege dafür, dass derartige Reformen leichter und effektiver sind, wenn die ausschlaggebenden verhaltensbezogenen Faktoren berücksichtigt werden. Im vorhergehenden Abschnitt wurde dieser Aspekt in Bezug auf die Instrumente des Regulierungsmanagements erörtert. Er lässt sich jedoch auch auf die Regulierungsaufsicht anwenden.
„Behavioural Public Choice“ bietet effektiv Möglichkeiten, die Regulierungsaufsicht zu verbessern. Die OECD (2021[16]) beschreibt fünf Aspekte der Rolle und Struktur von RAB, für die verhaltensökonomische Erkenntnisse relevant sein können. Dazu gehören die organisatorische Pfadabhängigkeit, die unterschiedlichen Ebenen der öffentlichen Kontrolle, die Einordnung der RAB im staatlichen Entscheidungsprozess, die Doppelrolle der RAB als Generalisten und Spezialisten sowie der Druck, dem sie ausgesetzt sind, weil sie „zwischen“ den Staatsbediensteten und den Entscheidungsträger*innen stehen.
Mehr Wirkungsorientierung in der Rechtsumsetzung
Der Begriff „Rechtsumsetzung“ ist nicht nur deskriptiv, sondern impliziert auch einen Paradigmenwechsel. Die Beziehung zwischen den für die Umsetzung zuständigen Institutionen und den Normadressaten ist bei diesem neuen Konzept eine andere als im traditionellen Rechtsvollzug, der stärker auf „sanktionsorientierter“ Prüfung und Durchsetzung basiert (Russell und Hodges, 2019[26]). Die Rechtsumsetzung umfasst dabei das gesamte Spektrum der vielfältigen Tätigkeiten, Maßnahmen und Prozesse, die die Anwendung der Regelungen in der Praxis sicherstellen.
Dieser Paradigmenwechsel vollzieht sich seit etwa zwanzig Jahren und äußert sich u. a. in einer weitreichenden Umstrukturierung und Konsolidierung von Aufsichtsbehörden, etwa in Estland, Litauen, den Niederlanden, Slowenien und im Vereinigten Königreich. Er beinhaltet zahlreiche institutionelle Reformen, die die Wirkung der Regelungen verbessern und die Effizienz steigern sollen (vgl. Kapitel 6).
Forschungsarbeiten zu einzelnen Ländern, Regulierungsbereichen und anderen Aspekten zeigen, dass Pfadabhängigkeit ein wichtiger Faktor ist und dass bestimmte Risiken in der Rechtsumsetzung nicht durchgängig und systematisch berücksichtigt werden Blance, (Blanc, 2012[27]; 2018[28]). Dies führt zu äußerst komplexen und verworrenen institutionellen Strukturen (wie direkt bei der Datenerhebung zu beobachten ist, die durch die große Zahl von Institutionen mit sich überschneidenden oder gemischten Funktionen, unzureichende Angaben über die Personalausstattung der Prüfstellen usw. erschwert wird). Dadurch wird auch die Nachverfolgung und Beurteilung von Mittelzuteilungen und Ausgaben beeinträchtigt, die zudem meistens ohne Bezug zur Risikoanalyse oder -beurteilung erfolgt. Der Weg zu einer wirklich risikobasierten, risikofokussierten und risikoangemessenen Rechtsumsetzung ist somit noch lang. Es sind aber durchaus Fortschritte festzustellen und in den letzten Jahren wurden wichtige Initiativen ergriffen, um die Lage zu verbessern. Sie werden im folgenden Abschnitt dieses Kapitels beschrieben.
Ein solches Beispiel ist die Agentur für die Evaluierung und Durchsetzung von Umweltgesetzen (Organismo de Evaluación y Fiscalización Ambiental – OEFA) in Peru, die vor kurzem als erste Institution nach den Kriterien des 2018 von der OECD vorgestellten Regulatory Enforcement and Inspections Toolkit (OECD, 2018[29]) beurteilt wurde.
In der Praxis geht es dabei um eine Neuausrichtung auf ein breites Spektrum relevanter Instrumente, Aktivitäten und Maßnahmen und eine stärkere Fokussierung auf den Beziehungsaufbau. Die staatlichen Institutionen müssen die Normadressaten in Zukunft aktiver informieren und anleiten, damit sie besser verstehen, welche Regeln für sie gelten, was sie bedeuten und bezwecken, warum sie wichtig sind und wie sie umgesetzt werden sollten/können. Es wird nicht mehr von vornherein unterstellt, dass Regelverstöße vorsätzlich erfolgen, sondern vielmehr davon ausgegangen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Unkenntnis, Nichtverstehen, Fehlinterpretationen oder technische und/oder finanzielle Schwierigkeiten zurückzuführen sind. Der Staat hat daher die Aufgabe (und Pflicht), den Normadressaten zu helfen, die Regeln einzuhalten und die Risiken für das Gemeinwohl zu erkennen und zu mindern (Blanc, 2021[30]).
Bei diesem neuen Konzept der Rechtsumsetzung ist es von entscheidender Bedeutung, die verhaltensökonomischen Faktoren der Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Regeln zu berücksichtigen. Dazu muss verstanden werden, weshalb Menschen sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten – und welche Maßnahmen in einem konkreten Fall funktionieren. Umfangreiche Forschungsarbeiten6 zeigen, dass die Normadressaten weder genauso handeln, wie es die Regeln vorschreiben, noch ausschließlich von Eigeninteresse oder Angst getrieben sind. Außerdem führt die Einhaltung der Vorschriften nicht automatisch dazu, dass deren Ziele erreicht werden, weil die Regeln nicht immer optimal formuliert sind (Kasten 1.5).
Rechtseinhaltung und risikominderndes Verhalten werden durch vier Verhaltensfaktoren beeinflusst, die die staatlichen Stellen bei der Rechtsumsetzung berücksichtigen müssen (Blanc, 2018[28]):
Fähigkeiten, d. h. Wissen sowie finanzielle und fachliche Möglichkeiten
Abschreckung, d. h. Angst vor Reputationsschaden und Sanktionen
individuelle moralische Werte und vorherrschende soziale und kulturelle Normen
Legitimität der Behörden und wahrgenommene Verfahrensgerechtigkeit
Von diesen vier Faktoren ist die wahrgenommene Verfahrensgerechtigkeit von entscheidender Bedeutung, um die freiwillige Einhaltung der Vorschriften zu fördern, da sie maßgeblich dazu beiträgt, Vertrauen in das Rechtsetzungssystem und die Legitimität der zuständigen Stellen aufzubauen. Das Konzept der Verfahrensgerechtigkeit basiert auf vier Grundsätzen (Tyler, 2003[31]):
1. sicherstellen, dass die Bediensteten der zuständigen Stellen sich vollkommen korrekt verhalten
2. den Normadressaten Mitsprachmöglichkeiten geben, damit sie ihre Umstände, Probleme, Herausforderungen und Erwartungen erläutern können, und ihnen zeigen, dass ihre Anliegen so weit wie möglich berücksichtigt werden
3. den Normadressaten in allen Phasen erklären, welche Regeln und Verfahren auf welche Weise angewendet werden und welches Ziel damit verfolgt wird
4. ständig aufzeigen, dass es Regeln und Verfahren gibt, um Interessenkonflikte aufseiten der Regulierungsbehörden zu vermeiden, und dass alles getan wird, um solche Konflikte zu verhindern
Diese Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit stärken die Professionalität und Fachkompetenz der für die Rechtsumsetzung zuständigen Institutionen, fördern einen verhältnismäßigen und risikobasierten Ansatz und bauen Beziehungen zu den Normadressaten auf, die das Vertrauen fördern und stärken, wobei Sanktionen nur als letztes Mittel eingesetzt werden (Kasten 1.4).
Kasten 1.4. Rechtsbefolgung und Risikomanagement durch Verfahrensgerechtigkeit verbessern
Die niederländische Aufsichtsbehörde für Gesundheitsversorgung und Jugend (Inspectie Gezondheidszorg en Jeugd – IGJ) konsultiert betroffene Akteure und nutzt deren Input bei ihrer Arbeit. Sie überwacht beispielsweise, wie die Krankenhäuser mit „Sentinel Events“ umgehen, um soziales und partizipatives Lernen auf lokaler Ebene zu fördern (de Kam et al., 2020[32]). Die IGJ hat außerdem systematische Untersuchungen über die Einbindung von Patient*innen und deren Angehörigen durchgeführt. Dabei zeigte sich, welche Vorteile solche Verfahren haben (bessere Aufsicht, mehr Legitimität, größeres Gerechtigkeitsempfinden aufseiten der Betroffenen sowie Stärkung der Eigeninitiative), aber auch, welche Herausforderungen sie mit sich bringen (Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung der Beiträge in den Entscheidungen, mangelnde Mitwirkungsbereitschaft, Zeit- und Kostenaufwand, aufwendige organisatorische Verfahren usw.) (Wiig et al., 2020[33]).
In den letzten Jahren wurden viele Initiativen ergriffen, um die Rechtsetzung zugänglicher und besser verständlich zu machen. Einige dieser Initiativen richten sich an Kleinbetriebe in der Lebensmittelindustrie. Seit 2017 erstellt die italienische Region Venetien beispielsweise detaillierte Handbücher für kleine lokale Unternehmen, insbesondere Produzenten traditioneller Spezialitäten. Die Canadian Food Inspection Agency hilft Lebensmittelunternehmen, die Safe Food for Canadians Regulations von 2019 zu verstehen und anzuwenden. Sie hat dafür ein umfassendes Toolkit entwickelt, das den Unternehmen alle Aspekte der Regelungen erklärt – sowohl im Hinblick auf die wesentlichen Anforderungen als auch hinsichtlich der Verfahren. Indem diese Instrumente die Regeln, ihre Gründe und ihre Anwendung erläutern, schaffen sie ein Gefühl von Fairness und vermitteln so nicht nur wichtige Kenntnisse, sondern erhöhen auch die Bereitschaft, die Regeln einzuhalten.
Quelle: OECD-Untersuchungen.
Ethical Business Regulation
Ein damit zusammenhängendes Konzept, die Ethical Business Regulation (EBR), findet immer mehr Anklang, um die Rechtsumsetzung zu verbessern. EBR ist ein verhaltensbezogenes Instrument, das flexible ergebnisorientierte Ansätze der Rechtsumsetzung ermöglicht. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass „Regulierung durch Regeln“ zwangsläufig unzureichend ist, weil das Verhalten in Unternehmen stärker durch die Unternehmenskultur als durch Rechtsvorschriften oder den Abschreckungseffekt der Rechtsdurchsetzung bestimmt wird (Hodges, 2015[34]). EBR schließt die Anwendung von Rechtsvorschriften und Sanktionen nicht aus, insbesondere bei Unternehmen und Einzelpersonen, die sich eindeutig unethisch verhalten, berücksichtigt aber, dass Vorschriften und Abschreckung zwangsläufig zu enttäuschenden Ergebnisse führen, wenn sie das Hauptinstrument zur Erreichung der regulatorischen Ziele sind.
Der EBR-Ansatz besteht darin, dass die Regulierungsbehörden die interne Unternehmenskultur beurteilen und kooperativ vorgehen, wenn diese Kultur grundsätzlich solide und den Regulierungszielen förderlich ist. Unternehmen, die ihre Kultur ändern möchten, erhalten dadurch positive Anreize. Aufgabe der Regulierungsbehörden ist es, diesen Wandel zu begleiten. Bei Unternehmen, die einen solchen ethikbasierten Ansatz ablehnen, kehren die Regulierungsbehörden zur strengen Durchsetzung der Regeln und Sanktionen zurück. Mit EBR wird also gewissermaßen ein flexibler und anpassbarer Ansatz, der seit Langem von einer Reihe von Regulierungsbehörden verfolgt wird, neu formuliert und in einen kohärenteren und „kulturzentrierteren“ Rahmen eingefügt (Kasten 1.5)
Kasten 1.5. Ethical Business Regulation
Eine ethikgeleitete Kultur der Fairness, sei es innerhalb einer Organisation oder in einem Rechtsdurchsetzungssystem, muss zwischen Personen unterscheiden, die im Wesentlichen versuchen, das Richtige zu tun, und solchen, die dies nicht tun. Die Durchsetzungsmaßnahmen müssen fair und verhältnismäßig sein. Dazu ist es erforderlich, die oberste zuständige Führungsebene innerhalb der Organisation zur Verantwortung zu ziehen, und nicht die Beschäftigten auf den unteren Ebenen, die Opfer eines Systems oder einer Geschäftsleitung sein können, die vorsätzlich „wegschaut“ oder sich gar „amoralisch“ verhält. Im Fall krimineller Handlungen erwarten die Menschen, dass dem Gesetz entsprechend eine Strafe verhängt wird. Wenn Menschen hingegen versuchen, das Richtige zu tun oder aus Unwissenheit unbeabsichtigt gegen Vorschriften verstoßen, würde eine Strafe als unfair angesehen und somit die allgemeine Bereitschaft zur Einhaltung der Vorschriften untergraben.
Die Unternehmenskultur sollte eine Rechenschaftspflicht umfassen, die einen Informationsaustausch ohne Schuldzuweisungen ermöglicht. Dann können die Daten, auf denen Leistung, Verbesserungsanstrengungen und Innovationen basieren, optimal genutzt werden. Wenn eine Kultur ohne Schuldzuweisungen wirksam sein soll, muss sie alle relevanten Aspekte erfassen, insbesondere die Beschäftigungsbeziehungen, die systemrelevanten und die berufsständischen Regelungen sowie die verschiedenen Unternehmenseinheiten.
Quelle: C. Hodges, Ethical Business Regulation: Understanding the Evidence, report to the UK Better Regulation Delivery Office, 2016, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/497539/16-113-ethical-business-regulation.pdf.
Aktuelle Forschungsarbeiten des OECD-Sekretariats zeigen darüber hinaus, dass die Pfadabhängigkeit in wichtigen Bereichen der Rechtsumsetzung, etwa bei den Strukturen, institutionellen Mandaten und Ressourcen, nach wie vor sehr stark ist. Es hat bisher nur relativ wenige Versuche gegeben, diese Aspekte systematisch zu überprüfen und die bestehenden Strukturen und Ressourcen an die derzeitigen Risiken und ihre jeweilige Bedeutung anzupassen. Doppelarbeit und Zuständigkeitskonflikte aufzudecken und alle in einem bestimmten Regulierungsbereich eingesetzten Ressourcen zu erfassen, können wichtige Schritte zur weiteren Verbesserung der Rechtsumsetzung sein (vgl. Kapitel 6 wegen näherer Einzelheiten).
Risikobasierte, professionelle und flexible Rechtsumsetzung
Eine der Schwierigkeiten sowohl bei der Entwicklung neuer Technologien als auch bei der Regulierung von wirtschaftlichen Tätigkeiten, die durch neue Technologien ermöglicht oder transformiert werden, ist die Abhängigkeit von übermäßig präskriptiven und detaillierten Vorschriften. Bereits vor Jahrzehnten wurde nachgewiesen, dass das „optimale“ Maß an Präzision nicht zu erreichen ist; auch dass es unweigerlich zu Diskrepanzen zwischen den Vorschriften, deren Befolgung und deren Ergebnissen kommt, ist seit Langem bekannt (Diver, 1983[35]); (Baldwin, 1990[36]); (Ogus, 1994[37]). Da niemals alle möglichen Situationen vollständig und in allen Einzelheiten vorhergesagt werden können, sind Regelungen zwangsläufig entweder „zu präskriptiv“ (d. h. es gibt zu viele Verbote und Vorschriften, wobei auch Aktivitäten untersagt werden, die eigentlich wünschenswert wären) oder „nicht präskriptiv genug“ (d. h. einige schädliche Aktivitäten werden nicht verboten). „Optimale“ Regelungen sind also unmöglich. Daher ist eine risikobasierte, rechenschaftspflichtige und professionelle Ermessensausübung in der Umsetzung und Durchsetzung der Regelungen unerlässlich, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen (Kasten 1.6 und WWR (2013[38])7).
Kasten 1.6. Von der Unmöglichkeit optimaler Regelungen
Regelungen setzen sich nicht von alleine um. Folglich kann es keine optimalen Regeln geben (Stokes, 2010[39]). Diese Tatsache, auf die die Wissenschaft immer wieder hingewiesen hat (Diver beschrieb 1983 als erster, dass Verwaltungsvorschriften zwangsläufig unbefriedigend sind, weil sie entweder nicht präzise genug oder umgekehrt zu starr sind) und die auch in der Praxis weltweit zu beobachten ist, stellt die Rechtsumsetzung vor Herausforderungen (Diver, 1983[35]). Normen sind für die Rechtsumsetzung zwar entscheidend, alle Arten von verbindlichen Normen („zielorientierte“, „leistungsbezogene“ oder „spezifizierungsbasierte“) haben jedoch ihre Grenzen. Leichter zu überprüfende und durchzusetzende Normen haben zumeist auch den geringsten direkten Bezug zu den erwarteten Ergebnissen. Ausschließlich „ergebnisbasierte“ Normen haben wiederum den geringsten Bezug zum Handeln der Wirtschaftsakteure, weshalb sie schwieriger durchzusetzen sind (Ogus, 1994[37]).
„Zielorientierte“ Normen erklären die Ursachen bestimmter Schäden für rechtswidrig. Theoretisch stellen sie für die Wirtschaftsakteure die geringste Belastung dar, fördern wirtschaftliche Effizienz und Innovationen und ermöglichen ein Höchstmaß an Flexibilität. Sie legen jedoch nicht fest, wie die Unternehmen ihre Tätigkeiten ausüben sollten, und definieren keine Zwischenergebnisse. Dies führt zu Schwierigkeiten, u. a. weil der Kausalzusammenhang zwischen bestimmten wirtschaftlichen Aktivitäten und den von den Normen adressierten Schäden schwer nachzuweisen ist und weil sie zu Unsicherheit darüber führen, welche Ergebnisse als rechtskonform einzustufen sind.
„Leistungsbezogene“ Normen schreiben vor, welche Wirkungen die wirtschaftlichen Tätigkeiten haben sollten. Weil sie auf Zwischenergebnisse ausgerichtet sind, legen sie keine genauen Abläufe fest. Sie bieten den Wirtschaftsbeteiligten mehr Sicherheit, lassen jedoch auch erheblichen Spielraum für technische Innovationen und Flexibilität. Es gelingt mit ihnen aber nicht immer, Schäden zu verhindern oder zu mindern, da sie den Fokus nicht auf das zu verhindernde schädliche Endergebnis legen.
„Spezifizierungsbasierte“ Normen schreiben vor, wie eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden sollte. Sie sind für die zuständigen Stellen wie auch für Kleinbetriebe leichter umzusetzen, führen aber strukturell zu „Inklusionsfehlern“. Das bedeutet, dass eigentlich wünschenswerte Tätigkeiten beeinträchtigt werden können, weil der Kreis der berücksichtigten Aktivitäten zu weit gefasst ist, oder dass umgekehrt nicht wünschenswerte Aktivitäten gestattet werden, weil er zu eng gefasst ist (Baldwin, 1995[40]); (Diver, 1983[35]). Nachteilig ist auch, dass spezifikationsbezogene Normen mit einer hohen technologischen Rigidität einhergehen, dass ihre Einhaltung zumeist nur vor Ort kontrolliert werden kann und dass die alleinige Einhaltung der Regeln nicht zwangsläufig bedeutet, dass ihre Ziele erreicht werden.
Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, die Regelungen nicht isoliert, sondern im Kontext ihrer Durchsetzung zu betrachten. Dies betrifft die „Form, Stärke und Art der Sanktion“ sowie die Frage, wie Inklusionsfehler bei der Rechtsdurchsetzung angegangen werden können (Baldwin, 1995[40]). Um Risiken effektiv zu verhindern, benötigen die zuständigen Stellen also einen (abgegrenzten) Ermessensspielraum, der es ihnen erlaubt, selektiv und reaktionsschnell zu prüfen, welche Durchsetzungsinstrumente und -methoden eingesetzt werden sollten.1
1. Auch sehr spezifische und genaue Normen wirken in der Praxis aufgrund unterschiedlicher Durchsetzungsmethoden – die zuständigen Stellen können beispielsweise eine „Nulltoleranzpolitik“ oder einen „den Risiken angepassten“ Ansatz verfolgen – nicht immer gleich: Blanc (2018[28]).
Quelle: Blanc (2021[30]).
Im Hinblick auf den technologischen Wandel bedeutet die Unmöglichkeit optimaler Regelungen, dass es u. U. nicht gelingt, den durch technologische Neuerungen verursachten oder verschärften Herausforderungen und Risiken zu begegnen, oder dass im Gegenteil eine Reihe neuer Tätigkeiten und Produkte verboten werden, die eigentlich wünschenswert wären. Im Extremfall ist sogar beides gleichzeitig möglich. Besonders deutlich ist dies im Fall von Verwaltungsverfahren wie der Lizenzvergabe. Bei der Einführung von Ride-Hailing-Apps wurde beispielsweise die Frage aufgeworfen, ob die betroffenen Unternehmen unter die gleichen Regeln fallen sollten wie Taxis und Fahrervermietungen und ob bzw. wie sie auf der Basis der bestehenden Anforderungen und Verfahren eine Lizenz beantragen sollten. Eine gute Regulierung würde in einem solchen Fall jedoch eher fragen, welche Risiken sich aus diesen Tätigkeiten ergeben, wie diese am besten adressiert werden können, ob die derzeitigen Verfahren zweckdienlich sind und was angesichts der neuen Gegebenheiten zur bestmöglichen Sicherung des Gemeinwohls geändert werden sollte.
Risikobasierte Regulierung (Kapitel 6) bedeutet, Risiken zu analysieren, um ihre Ursachen und Mechanismen zu verstehen, das Ausmaß verschiedener Risiken zu beurteilen und sie durch verschiedene Maßnahmen zu steuern. Das wiederum bedeutet, Risiken bei der Ausarbeitung von Regelungen, der Zuteilung von Ressourcen an verschiedene Institutionen und Sektoren, der Festlegung von Lizenzbedingungen und Kontrollen sowie bei der Verhängung von Sanktionen zu berücksichtigen. Risiko ist ein übergreifendes Konzept, das im Regulierungssystem eine zentrale Rolle spielen sollte. Um eine Regulierung zu verhindern, die der Gesellschaft durch eine Kombination aus Innovationshemmnissen und ineffektiver Risikosteuerung letztlich mehr schadet als nutzt, müssen Strukturen, die sich nur am Buchstaben des Gesetzes orientieren und den Ermessensspielraum der zuständigen Stellen immer weiter einschränken, abgebaut werden (Kapitel 6). Rechtsvorschriften setzen sich mit einer Reihe unterschiedlicher potenzieller Schäden auseinander (körperliche, ökologische, finanzielle usw.), die nicht alle gleichermaßen gravierend sind. Entscheidend ist insbesondere, ob sich die Schäden rückgängig machen lassen. Zudem sollen Rechtsvorschriften vielen Gefahren begegnen. Dazu zählen industrielle Umweltverschmutzung und Explosionen, Lebensmittelvergiftungen, Gebäudebrände und -einstürze, Marketingbetrug, Steuerhinterziehung usw. Auch diese Risiken sind unterschiedlich schwerwiegend, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich eintreten, variiert beträchtlich. Daher ist es schwierig, bei der Regulierung verschiedener Wirtschaftszweige oder Betriebe eine Priorisierung auf der Grundlage der Schadensgefahren vorzunehmen.
Auf Basis der Risiken kann eine strategische Mittelverteilung (zwischen verschiedenen Bereichen wie Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Staatseinnahmen, technische Sicherheit usw.) vorgenommen werden, auch wenn dies selten geschieht. Anhand der Risiken lassen sich regulatorische Eingriffe in einem gegebenen Bereich zudem nach verschiedenen Wirtschaftssektoren und Betrieben priorisieren, was weitaus häufiger der Fall ist. Das Risiko fungiert dann als eine Art gemeinsame Messgröße, die eine einfache Umrechnung und einen Vergleich des relativen „Werts“ verschiedener regulatorischer Eingriffe z. B. in Form von geretteten Menschenleben, vermiedenen Umweltschädigungen oder wirtschaftlichen Auswirkungen gestattet. Dies ist jedoch nur möglich, wenn in den zu regulierenden Bereichen und Sektoren ein einheitliches Konzept für die Risikobewertung angewendet wird.
Um die relative Höhe der Risiken zu vergleichen und über die geeignete Art und Stärke der regulatorischen Maßnahmen zu entscheiden, muss eine Risikobewertung vorgenommen werden – d. h. die relative Höhe der verschiedenen Risiken muss in Bezug auf die kombinierte Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensschwere abgeschätzt werden. Zur Sicherung der vollständigen Vergleichbarkeit über unterschiedliche Regulierungsbereiche hinweg bedarf es aber nicht nur eines einheitlichen Konzepts für die Risikobewertung, sondern auch einer Methode zur Umrechnung verschiedener Schadensarten. Eine solche Umrechnung ist zwar theoretisch möglich (in Recht und Wirtschaft gibt es viele Konzepte, um den wirtschaftlichen Wert von Menschenleben, Gesundheit, Umwelt usw. zu schätzen), wird in der Praxis jedoch selten derart präzise vorgenommen. Meistens erfolgen Vergleiche der Risikoniveaus innerhalb einer gegebenen Schadenskategorie, z. B. potenzielle Verluste von Menschenleben oder potenzielle finanzielle Verluste. In jedem Fall handelt es sich, unabhängig von Umfang und Reichweite der Risikobetrachtung, um ein Instrument, um Vergleiche – und damit Priorisierungen – vorzunehmen.
Eine ausschließlich nach Sektor oder Art der Tätigkeit vorgenommene Risikopriorisierung kann zwar in Situationen, in denen die Risikobewertung bei null beginnt und nur eine geringe oder gar keine Datengrundlage vorhanden ist, ein nützlicher erster Schritt in die richtige Richtung sein, sie ist jedoch nicht optimal und auf längere Sicht unzureichend. In fortgeschrittenen Volkswirtschaften bzw. in Ländern, in denen die zuständigen Behörden über die für die Risikoanalyse und Priorisierung erforderlichen Daten verfügen, sollte ein differenzierterer Ansatz für die Bewertung und die gezielte Minderung von Risiken verfolgt werden. Dabei könnte z. B. jedes Unternehmen oder jeder Unternehmensbestandteil (Produktionsanlage, Betriebsstätte) anhand seiner inhärenten Merkmale und Ergebnisse individuell berücksichtigt werden.
Warum Risiken berücksichtigt werden müssen: Priorisierung und Verhältnismäßigkeit
Das soll natürlich nicht heißen, dass die zuständigen Behörden und deren Mitarbeiter*innen willkürlich vorgehen können und dass die Wirtschaftsakteure und Bürger*innen ihren Entscheidungen schutzlos ausgeliefert sind. Die Ermessensausübung sollte darauf abzielen, die Rechtseinhaltung flexibel zu fördern, und sollte auf den Grundsätzen von Risikoangemessenheit, Rechenschaftspflicht und Transparenz basieren (OECD, 2014[41]; 2018[29]). Ermessen kann nur unter Wahrung der Rechte und der Rechtsstaatlichkeit ausgeübt werden, wenn die Grundsätze und Kriterien der Entscheidungsprozesse klar kommuniziert werden.
Hilfreich ist es hier, die Normadressaten – seien es Bürger*innen oder Unternehmen – als die Akteure, die die Risiken tragen, bei der Steuerung dieser Risiken zu unterstützen. Dazu gehört die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Akteuren, die in der Lage sind, dauerhafte Veränderungen herbeizuführen. Die britische Arbeitsschutzbehörde Health and Safety Executive verfolgt seit Langem einen Ansatz, bei dem Rechtsvorschriften nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Sie versucht stattdessen, die ihrer Aufsicht unterstehenden Unternehmen einzubinden und die Sicherheit durch verhaltensbezogene Konzepte zu fördern (z. B. Beratung, Vergleich mit anderen, Hinweise auf potenzielle Risiken und Kosten usw.) (Hawkins, 2003[42]). Die so erzielten Ergebnisse sind besser (z. B. im Hinblick auf tödliche und schwere Unfälle) als vor der Reform und/oder in anderen Sektoren, in denen dieser neue Ansatz nicht in gleichem Maße genutzt wird.8
Innovationen für die Rechtsumsetzung nutzen
Die Phase der Rechtsumsetzung ist von entscheidender Bedeutung. Dabei kommt es vor allem auf intelligentere Verfahren und Prüfungen an, die an den Risiken ausgerichtet und wirkungsorientiert sind. „Optimale“ Regelungen sind, wie bereits erwähnt, unmöglich. In einem Umfeld, das von raschem Wandel und immer komplexeren wirtschaftlichen Netzwerken geprägt ist, gilt dies erst recht – neue Technologien ändern daran nichts. Maschinenlesbare Regeln (regulation as code) sind ein neuer Ansatz, der neue Technologien (und eine immer größere Rechenleistung) nutzt, dem aber eine restriktive Rechtsvorstellung zugrunde liegt. Dies kann dazu führen, dass Ermessensspielraum als Schwachstelle betrachtet wird, die beseitigt werden muss. Stattdessen wird es für möglich gehalten, vollkommen vorhersehbare und unzweideutige Regeln zu erreichen. Wie weiter oben dargelegt (Kasten 1.6), ist es jedoch nicht immer machbar oder wünschenswert, vollkommen „explizite“ oder „unzweideutige“ Regeln zu entwickeln. Vielfach sind die Mehrdeutigkeiten bestehender Rechtsvorschriften darauf zurückzuführen, dass politische Kompromisse gefunden werden mussten oder dass ein gewisses Maß an Flexibilität und Ermessensspielraum zugelassen werden sollte, um mit der – bei noch nicht eingetretenen Ereignissen und Situationen naturgegebenen – Ungewissheit umzugehen. Die Kodierung eines erheblichen Teils der Rechtsvorschriften in maschinenlesbaren Text hätte außerdem eine grundlegende Veränderung des Regulierungsrahmens, der Rechtsdurchsetzung und der Rechtsverfahren zur Folge. Dies würde kritische Fragen im Hinblick auf die demokratische Legitimität einer Auslegung und Umsetzung von Rechtsvorschriften außerhalb klar definierter exekutiver und judikativer Befugnisse aufwerfen. Außer in einigen eng umrissenen spezifischen Fällen, in denen dies angemessen sein kann (z. B. bei bestimmten Aspekten des Steuer- oder Zollrechts, der Finanzregulierung oder der Beurteilung von Beihilfeansprüchen) führt ein solcher Ansatz zwangsläufig zu suboptimalen – oder sogar schlechten – Ergebnissen. Neue Technologien zur Verbesserung der Rechtsumsetzung sollten vielmehr so genutzt werden, dass gute Praktiken der Vergangenheit anerkannt und breiter und effektiver angewandt werden.
Zahlreiche Beispiele zeigen, dass die Regierungen zunehmend neue Technologien integrieren (Kapitel 6, Abschnitt über die wichtigsten Initiativen und Innovationen im Bereich der risikobasierten Regulierung). Dies beinhaltet insbesondere eine bessere Erfassung, Verwaltung und Nutzung von Daten, um Risiken effektiver zu bewerten und zu mindern, sowie eine bessere Nutzung von Kommunikationsinstrumenten. Eine intelligentere Regierungsführung erfordert einen vorausschauenderen Ansatz für die Nutzung und Integration von Informationen, Technologien und Innovationen (Kasten 1.7). Die Digitalisierung der Rechtsumsetzung ist außerdem mit einer Reihe von Risiken und Hindernissen verbunden, die von den Regierungen wirksam angegangen werden sollten.
Kasten 1.7. Digitalisierung der Rechtsumsetzung
Viele Regierungen prüfen inzwischen, wie neue (digitale) Technologien genutzt werden können, um Rechtsdurchsetzung und Kontrolle zu verbessern. In größerem Umfang verfügbare Daten über die Ergebnisse verschiedener staatlicher Maßnahmen, die früher nur unzureichend beobachtet werden konnten, ermöglichen eine bessere Überwachung und Aufsicht (z. B. kontinuierliche Überwachung der Rechtseinhaltung in Echtzeit) und eine effektivere Durchsetzung der Maßnahmen. In Ländern weltweit werden neue Verfahren der Onlinelizenzierung und -Registrierung von Unternehmen, der automatischen Terminplanung von Inspektionen, des Einsatzes von Drohnen zur Überwachung sowie der Anwendung von maschinellem Lernen und KI zur Risikoanalyse und zur Compliance-Schulung erprobt. Neue Technologien ermöglichen eine intelligentere risikobasierte Regulierungsaufsicht, indem sie Informationen und Erkenntnisse liefern, die proaktive Maßnahmen und Reaktionen ermöglichen. Sie können den zuständigen Stellen helfen, Ressourcen effizient zuzuteilen und zielführende Ergebnisse nachzuweisen. Darüber hinaus können sie den Normadressaten helfen, die Einhaltung der Vorschriften nachzuweisen, wodurch der Erfüllungsaufwand der Unternehmen gesenkt wird.
Beispiele sind der Einsatz von Satellitenbildern zur Kontrolle der Einhaltung von Umweltvorschriften (z. B. in Chile), integrierte Informationssysteme für die Verwaltung von staatlichen Kontrollen (etwa in Kolumbien auf kommunaler Ebene, in Italien auf regionaler Ebene, in der britischen Arbeitsschutzbehörde, in Serbien usw.), die Nutzung der sozialen Medien, um Infektionsausbrüche aufzudecken oder zielgerichtet Inspektionen zu planen (lokale Behörden in den USA), die Ferninspektion zur Prüfung von Chemikalien (in Finnland), die Fernüberwachung von Bergbau- und Energieaktivitäten (in Peru), das integrierte Datenmanagement für den Umweltschutz (in Irland) usw. Einige Behörden (z. B. die NVWA in den Niederlanden) prüfen außerdem den Einsatz von Satelliten- und Drohnenbildern in einigen Bereichen des Primärsektors (z. B. in der Fischereiwirtschaft).
Ein weiterer Bereich, in dem die Rechtsumsetzung „digitaler“ werden muss, ist logischerweise die Regulierung von Onlinemarktplätzen. Seit einiger Zeit arbeiten die Regulierungsbehörden zunehmend mit den großen Plattformen zusammen. Sie versuchen bessere Ergebnisse zu erzielen, indem sie auf deren eigene digitale Tools zurückgreifen. In den Niederlanden nutzt die NVWA beispielsweise die Plattform „Marktplaats“ von eEbay. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat besondere Anstrengungen unternommen, um effektiv mit Onlinehändlern zusammenzuarbeiten (vgl. G@ZIELT: Sicher im Internet einkaufen, eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Kontrolle der im Internet gehandelten Erzeugnisse des LFGB und Tabakerzeugnisse: https://www.bvl. bund.de/en/remit/gezielt_safe_shopping/gezielt_node.html).
Quelle: OECD (2021[43]) und Mangalam und Vranic (2020[44]).
Innovationen erfordern dynamischere und flexiblere technologieneutrale Rechtsetzungskonzepte
Die staatliche Regelungstätigkeit ist ein wichtiges Politikinstrument, das genutzt werden kann, um die Vorteile des technologischen Wandels besser auszuschöpfen und zugleich seine Risiken zu mindern. Allerdings steht sie im gegenwärtigen Umfeld, wie bereits erwähnt, vor besonders schwierigen Herausforderungen. Technologische Innovationen stellen die Argumente traditioneller regulatorischer Ansätze grundsätzlich infrage. Sie erfordern bedarfsangepasste, innovative Lösungen, um die transversalen Herausforderungen der Gestaltung, Durchsetzung und Governance von Rechtsvorschriften zu bewältigen. Den tiefgreifenden Veränderungen, die technologische Innovationen nach sich ziehen, stehen jedoch zumeist noch keine entsprechenden Innovationen des Governance- und Regulierungsrahmens gegenüber. Angesichts der Herausforderungen des technologischen Wandels müssen die Regierungen daher erhebliche Reformen anstrengen, um dynamischere und flexiblere technologieneutrale Konzepte der Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Dies umfasst mehrere sich ergänzende Handlungsansätze.
Im Einklang mit der in Arbeit befindlichen OECD-Empfehlung „Agile Regulatory Governance to Harness Innovation“ sollten die Regierungen insbesondere
flexiblere, iterative und adaptive Ex-ante- und Ex-post-Bewertungsverfahren entwickeln. Dafür sollten sie die Chancen nutzen, die digitale Technologien zur Verbesserung der Datenbasis bieten. Angesichts der Dynamik des digitalen Wandels dürfen die regulatorischen Antworten nicht statisch bleiben. Sie müssen regelmäßig angepasst werden, um mit den sich vollziehenden Veränderungen Schritt zu halten. Ausgehend von einem kontinuierlichen Monitoring des Regelungsbestands kann untersucht werden, ob die geltenden Regelungen weiterhin ihren Zweck erfüllen und wirksam sind. Bei Bedarf müssen sie überarbeitet werden.
Kohärenz und gemeinsame Ansätze fördern. Dies erfordert eine wirksame Koordination zwischen der supranationalen, der nationalen und der subnationalen Ebene, um dem Querschnittscharakter von Innovationen gerecht zu werden.
zukunftsgerichtete Governance- und Regulierungskonzepte entwickeln, um Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen und eine nachhaltige Technologieeinführung in einem Umfeld des Vertrauens zu ermöglichen.
das traditionelle regulatorische Instrumentarium um flexiblere Ansätze erweitern, wie etwa wirkungsorientierte Regulierung, befristete Ausnahmen von den geltenden Regeln (z. B. in Reallaboren), Ko-Regulierung oder nichtregulatorische Ansätze, beispielsweise freiwillige Verhaltenskodizes oder Standards. Wie die OECD Global Conference on Governance Innovation9 zeigte, untersuchen Regierungen und Regulierungsbehörden zunehmend innovative Ansätze, um die Erprobung neuer Technologien zu unterstützen, technologische Neuerungen (z. B. Big-Data-Analysen, KI, Internet der Dinge, Cloud-Computing, Augmented Reality, unbemannte Luftfahrzeuge, Blockchain und offene Anwendungsprogrammierschnittstellen) zu nutzen und so die Gestaltung und die Umsetzung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften zu verbessern. Besondere Aufmerksamkeit richtet sich dabei in jüngster Zeit auf die wirkungsorientierte Regulierung, Innovationsämter und Reallabore (Kasten 1.8).
neue Vollzugsstrategien entwickeln, um die Rechtsbefolgung zu fördern. Die zuständigen staatlichen Stellen sollten anpassungsfähige, risikobasierte und wirkungsorientierte Konzepte der Rechtsumsetzung bevorzugen, die die Befolgung effektiv fördern, anstatt allein am Buchstaben des Gesetzes ausgerichtet zu sein.
digitale Technologien zur Entwicklung innovativer Ansätze nutzen, die eine effektivere und effizientere Rechtsetzung, Compliance-Überwachung und Rechtsdurchsetzung ermöglichen (z. B. datengestützte Rechtsetzung). Digitale Technologien können beispielsweise auch genutzt werden, um ein kontinuierliches staatliches Monitoring transformativer Veränderungen umzusetzen und anpassungsfähige Regelungen zu erarbeiten, die mit dem technologischen Wandel Schritt halten. Wie sich an der Vielzahl technologischer Lösungen zeigt, die während der Coronakrise in verschiedenen Ländern umgesetzt wurden, um die Regulierungskapazität zu steigern, eröffnen digitale Technologien neue Möglichkeiten für eine effektivere und effizientere Rechtsetzung in einem Kontext erhöhter Unsicherheit (Amaral, Vranic und Lal Das, 2020[45]). Ein agilerer, präziserer Mix regulatorischer und nichtregulatorischer Instrumente kann dabei helfen, die Verbreitung neuer Technologien zu begleiten, ihre Chancen zu nutzen und auf die Bedenken zu antworten, die sie in der Gesellschaft wecken.
Kasten 1.8. Innovative regulatorische Ansätze
Reallabore: Die von der Financial Conduct Authority (FCA) des Vereinigten Königreichs erstmals erprobten regulatory sandboxes bzw. Reallabore sind eine Art „sicherer regulatorischer Raum“, in dem Unternehmen Innovationen unter verringerten Regulierungsauflagen testen können. Da eine Lockerung dieser Auflagen mit zusätzlichen Risiken verbunden sein kann, sind die meisten Reallabore in einem kontrollierten Umfeld mit einer Reihe von Sicherheitsvorkehrungen angesiedelt. Nach einem bestimmten Zeitraum können die innovierenden Unternehmen dann eine Zulassung außerhalb des Reallabors beantragen. Dieses Konzept wird inzwischen in verschiedenen Sektoren genutzt, etwa im Finanzsektor, im Verkehr und in der Energiewirtschaft.
Wirkungsorientierte Regulierung: Ergebnis- bzw. wirkungsorientierte Regelungen definieren im Allgemeinen messbare Ergebnisse bzw. Wirkungen, die die betreffenden Unternehmen erzielen müssen. Diese können dann flexibel entscheiden, wie sie dabei vorgehen. Sie müssen nur nachweisen können, dass die gewünschten Ergebnisse erreicht werden. Solche regulatorischen Ansätze ermöglichen es den Normadressaten theoretisch, die effizienteste Methode zur Zielerreichung zu wählen, und verringern so zugleich den Erfüllungsaufwand. Ergebnisorientierte Regelungen sind in jüngster Zeit in vielen Ländern auf großes Interesse gestoßen. Sie sind jedoch kein Wundermittel, das immer und überall funktionieren würde. Der Dieselabgasskandal bei Volkswagen zeigt z. B., dass solche Regelungen komplett versagen können, vor allem wenn die Ergebnisse nicht sachgerecht definiert, gemessen oder überwacht werden können.
Innovationsämter: Verschiedene Staaten haben Innovationsämter eingerichtet, die die Innovationstätigkeit fördern sollen, insbesondere im Finanzsektor. Ein Beispiel hierfür ist die estnische Finanzaufsicht EFSA, die innovativen Unternehmen Orientierungshilfen zum bestehenden gesetzlichen Rahmen bietet. Innovationsämter können verschiedene Formen haben, sie haben jedoch meistens das Ziel, die Zusammenarbeit mit Innovationsträgern zu verbessern und einen gegenseitigen Lernprozess anzustoßen. Dieser Ansatz ermöglicht es, Risiken und Chancen frühzeitig zu erkennen und gemeinsam mit den Unternehmen anzugehen.
Anmerkung: Zum Volkswagenskandal vgl. Coglianese und Nash (2017[46]). Wegen weiterer Informationen zu innovativen staatlichen Ansätzen vgl. OECD (2021[47]).
Vertrauen in die Rechtsetzung und die für sie zuständigen Instanzen schaffen (bzw. wiederherstellen)
Bessere Kommunikationsstrategien
Einer der Hauptgründe für Risikoaversion sowie für schwindendes Vertrauen in das Rechtsetzungssystem ist Enttäuschung infolge zu hoher Erwartungen. Bürger*innen, Verbraucher*innen, Medien usw. – sie alle erwarten zu viel von der Rechtsetzung und vom Rechtsetzungssystem. Um Vertrauens- und Legitimitätsverluste zu vermeiden, sollten die Regulierungsverantwortlichen (sowie die Politikverantwortlichen, deren Aufsicht sie unterstehen) ehrlich und transparent über die Grenzen staatlicher Regelung kommunizieren: Keine Rechtsvorschrift und kein Rechtsetzungssystem kann Risiken komplett ausschalten und die Regulierungsverantwortlichen sind nicht allmächtig. Die Sicherheit liegt im Wesentlichen in der Verantwortung der Unternehmen und der Verbraucher*innen. Zudem können sehr strenge Rechtsvorschriften mit anderen Gemeinwohlzielen in Konflikt geraten (Coglianese und Carrigan, 2012[48]). Die Lösung dieses Problems sind umfassende Kommunikationsstrategien, die die Verbindung zwischen Risikoanalyse, Risikomanagement und Öffentlichkeit herstellen. Eine kohärente Risikokommunikation kann gewährleistet werden, indem zunächst ein Risikoanalyseverfahren ausgearbeitet wird. Dies sollte dann durch einen offenen Dialog zwischen allen betroffenen Akteuren ergänzt werden, d. h. die Öffentlichkeit sollte aktiv und transparent über die angestrebten Ziele und die bestehenden Risiken informiert werden. Um effektiv über Risiken zu kommunizieren, ist es wichtig, die Zielgruppen und die Herausforderungen zu kennen, denen sie sich bei der Abschätzung der Risiken und deren Bewältigung gegenübersehen. Im heutigen komplexen Kommunikationsumfeld mit einer Vielzahl verschiedener Plattformen ist es natürlich schwierig, kontrolliert und koordiniert über Risiken zu kommunizieren. Daher ist es äußerst wichtig, dass die zuständigen Stellen den Normadressaten und der Öffentlichkeit insgesamt Orientierungen geben und ihnen helfen, verlässliche Informationsquellen zu den verschiedenen Fragen zu finden.10
Kasten 1.9. Warum eine gute Kommunikation für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Aufsichtsbehörden so wichtig ist
Die Zahl der Aufsichtsbehörden wächst und auch ihr Einfluss nimmt zu. Daher ist es äußerst wichtig, dass sie von den Bürger*innen als vertrauenswürdig wahrgenommen werden – d. h. dass nicht nur die betroffenen Akteure, sondern auch die Bevölkerung insgesamt ihnen vertraut. Vertrauen in die Aufsichtsbehörden ist beispielsweise nötig, damit die Bürger*innen ihre Empfehlungen befolgen. Davon geht dann wiederum Druck auf die der Aufsicht unterstehenden Akteure aus, ihre Auflagen zu erfüllen. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Aufsichtsbehörden ist also entscheidend, damit ihre Tätigkeit wirksam ist, was zu einem großen Maße von der freiwilligen Befolgung der Vorschriften durch die der Aufsicht unterstehenden Akteure abhängt. In den Niederlanden wurde am Beispiel dreier Behörden – der Gesundheitsaufsichtsbehörde, der Bildungsaufsichtsbehörde und der Finanzmarktaufsicht – untersucht, welchen Einfluss Entscheidungstransparenz auf das Vertrauen der Bürger*innen in die Aufsichtsbehörden hat. Grundlage dafür war ein Experiment, das in einer repräsentativen Stichprobe der niederländischen Bevölkerung ab 18 Jahren durchgeführt wurde. Dabei wurde verglichen, welche Auswirkungen verschiedene Stufen der Information der Öffentlichkeit über die von diesen Behörden getroffenen Entscheidungen und insbesondere Vollzugsentscheidungen haben.
Die Ergebnisse dieses Experiments lassen insgesamt darauf schließen, dass Transparenz über die Entscheidungen von Aufsichtsbehörden das Vertrauen der Bürger*innen in diese Instanzen erhöhen kann. Dies stützt die Transparenzhypothese, der zufolge die psychologische Distanz ein wichtiger Faktor für den Effekt der Transparenz sein kann. Dieser Effekt erwies sich im Fall der Finanzmarktaufsicht allerdings als weniger signifikant. Das lässt vermuten, dass die Stärke des Effekts von den Merkmalen des regulierten Bereichs abhängig ist.
Offenbar weisen die verschiedenen Bereiche bestimmte Merkmale auf, die den Einfluss der Entscheidungstransparenz auf das Vertrauen der Öffentlichkeit insgesamt schmälern oder vergrößern. Die Bürger*innen könnten von Behörden, die private Anbieter wie etwa Finanzdienstleister beaufsichtigen, beispielsweise weniger Nachsicht erwarten als von solchen, die für öffentliche Einrichtungen wie Schulen zuständig sind. Ein weiterer Erklärungsansatz für den Unterschied, der zwischen der Finanzaufsicht und den beiden anderen Aufsichtsbereichen festgestellt wurde, ist die relative Distanz zum Leben der Bürger*innen. Die Entscheidungen der Finanzaufsicht haben zumeist weniger Bezug zum Alltag der Bürger*innen als die der Gesundheits- und der Bildungsaufsichtsbehörde. Deren Entscheidungen wirken sich beispielsweise auf Eltern und Patient*innen aus. Damit stehen diese Behörden in direkterem Kontakt zu den Bürger*innen als die Finanzaufsicht, die bei ihrer Arbeit mit professionellen Akteuren zu tun hat. Gut über die Entscheidungen der Finanzaufsicht informiert zu sein, dürfte daher für Bürger*innen im Allgemeinen weniger wichtig sein.
Darüber hinaus könnte Transparenz als vertrauensschaffender Mechanismus im Fall von Behörden, die nicht direkt an staatliche bzw. politische Weisungen gebunden sind, also z. B. für Aufsichtsbehörden, insgesamt wirkungsvoller sein. Die Menschen sind politisch beeinflussten Entscheidungen gegenüber generell skeptisch: Sehen sie sich mit politisch beeinflussten Entscheidungs- und Verhandlungsprozessen konfrontiert, sinkt ihr Vertrauen. In Behörden, die weniger politisch weisungsgebunden sind, könnte Transparenz hingegen einen vergleichsweise starken vertrauensstiftenden Effekt haben und sogar Vertrauen in kontroverse Entscheidungen schaffen.
Quelle: Auszüge aus Grimmelikhuijsen et al. (2021[49]).
Die Regulierungsverantwortlichen unterstellen häufig, dass die Bürger*innen sich nicht mit der Existenz von Risiken auseinandersetzen möchten bzw. risikoscheu sind. Sie optieren daher für einen Diskurs, der beruhigend wirken soll. Neuere Studien zeigen allerdings, dass die Bürger*innen Risiken wesentlich gelassener gegenüberstehen als oft angenommen und dass sie im Gegenteil zurecht skeptisch sind, wenn Risiken heruntergespielt werden.11 Die zuständigen Instanzen sollten klar über die Risiken kommunizieren, z. B. indem sie öffentliche Konsultationen organisieren, die den Bürger*innen die Möglichkeit geben, Einfluss auf den Entscheidungsprozess zu nehmen. So kann zugleich einer übermäßigen Enttäuschung entgegengewirkt werden (wobei ein gewisses Maß an Enttäuschung unvermeidbar sein dürfte). Wenn die Bürger*innen in den Rechtsetzungsprozess eingebunden werden und sichergestellt wird, dass sie die Risiken verstehen, können ihre Erwartungen gedrosselt werden. Dies hilft Überreaktionen zu verhindern, die zumeist darauf zurückzuführen sind, dass die Menschen nicht hinreichend informiert wurden und dass die zuständigen Stellen nicht ehrlich und transparent genug darüber kommuniziert haben, was Rechtsetzung leisten kann – und was nicht. Nur über die Risiken zu informieren, ohne ausreichende Aufklärung über deren Komplexität und die an sie geknüpfte Unsicherheit, reicht für eine effiziente Risikokommunikation allerdings u. U. nicht aus.
Mehr echte Akteursbeteiligung statt nur öffentliche Konsultationen
Die betroffenen Akteure haben das Recht, im Rahmen der Ausarbeitung, Umsetzung und Überprüfung von Rechtsvorschriften ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen (OECD, 2017[50]), und sie werden in Zukunft wohl zunehmend den Wunsch haben, dies zu tun, um auf die Rechtsetzung Einfluss zu nehmen. Um daraus möglichst großen Nutzen zu ziehen und den Prozess der Akteursbeteiligung möglichst inklusiv zu gestalten, wird es für die staatlichen Instanzen immer wichtiger, aktiv auf Gruppen zuzugehen, die bislang in solchen Verfahren unterrepräsentiert waren, und sie stärker einzubeziehen. Dies gilt für ethnische und sexuelle Minderheiten oder sozial schwache Bevölkerungsgruppen ebenso wie z. B. für Kleinstunternehmen (vgl. die weiteren Arbeiten der OECD zum Thema Open Government unter http://www.oecd.org/gov/open-government/ und insbesondere die Empfehlung des Rates zu Open Government12).
Damit die betroffenen Akteure einen sinnvollen Beitrag zum Rechtsetzungsverfahren leisten können, müssen die politisch Verantwortlichen regelmäßig und frühzeitig den Kontakt mit ihnen suchen. Der regelmäßige Austausch mit den betroffenen Akteuren, seien es Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen oder Vertreter bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (z. B. von Jugendlichen), ist unerlässlich, um ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen. Wichtig ist auch, umfassendes Feedback zum Konsultationsprozess zu liefern, d. h. darüber zu informieren, wie die Beiträge der Akteure in die Regelungen eingegangen sind, bzw. gegebenenfalls zu begründen, warum sie nicht berücksichtigt wurden. Diskussionsforen, in denen die Qualität und Leistung des Regulierungsrahmens regelmäßig erörtert wird, ermöglichen es den zuständigen staatlichen Stellen, die Anforderungen der Normadressaten zu verstehen und den Zweck bestehender oder neuer Regelungen zu erläutern. Den betroffenen Akteuren bieten solche Foren nicht nur die Gelegenheit, sich über die Qualität der Regelungen und den durch sie entstehenden Aufwand zu „beschweren“, sondern auch, gemeinsam nach Lösungen zu suchen (so z. B. im iSPOC-System der Europäischen Arzneimittel-Agentur). Die zuständigen staatlichen Stellen können dann gegebenenfalls erklären, warum bestimmte Lösungen nicht gangbar sind. Auf diese Weise können sich alle Seiten besser darüber klar werden, was der Staat mit seiner Regelungstätigkeit bezweckt. Dies wiederum führt dazu, dass die betroffenen Akteure ihr mehr Vertrauen entgegenbringen und die Regelungen eher einhalten, sodass die angestrebten Ziele besser erreicht werden können.
Die zuständigen staatlichen Stellen müssen wissen, auf wen sich ihre Regelungstätigkeit auswirkt und auf welche Weise. Sie müssen herausfinden, welche Gruppen besonders stark betroffen sein könnten, und ihre Meinungen einholen. Dies sollte idealerweise schon ganz am Anfang des Verfahrens geschehen, bevor die Rechtsvorschriften ausgearbeitet werden. Es ist Aufgabe der staatlichen Stellen, dafür zu sorgen, dass alle Gruppen gleichermaßen die Möglichkeit haben, ihre Ansichten zu äußern. Dies kann bedeuten, dass sie aktiv den Kontakt mit Gruppen suchen müssen, die u. U. nicht die notwendigen Mittel haben, sich aus eigener Initiative einzubringen, oder die nicht hinreichend über die dazu bestehenden Möglichkeiten informiert sind.
Nachweislich gute Governance der zuständigen Stellen
Um ihre Aufgaben zu erfüllen, müssen die zuständigen Stellen unparteiische, objektive und auf Fakten beruhende Entscheidungen treffen und umsetzen, die die Rechtsetzung vorhersehbar machen, Vertrauen in die öffentlichen Institutionen schaffen und Investitionen fördern. Die Governance-Strukturen der Regulierungsbehörden haben entscheidenden Einfluss darauf, wie gut sie ihre Aufgaben erfüllen können, welche Ergebnisse sie erzielen und inwieweit es ihnen gelingt, das Vertrauen der Bürger*innen und der Unternehmen (wieder) zu gewinnen. Dies wird in Kapitel 5 ausführlicher erörtert.
Ethisches Verhalten als Grundpfeiler
Die Möglichkeiten, mit Rechtsvorschriften einen echten Wandel herbeizuführen, sind naturgemäß begrenzt. Auch wenn immer genauere und striktere Regeln aufgestellt und möglichst streng umgesetzt werden, ist dies keine Garantie dafür, dass die angestrebten Ergebnisse auf zufriedenstellende Weise erreicht werden. Entscheidend sind hingegen Flexibilität und Agilität, um überhöhten regulatorischen Aufwand und Hindernisse für unternehmerische Tätigkeit und Innovationen zu vermeiden. Sie sind auch wichtig, um zu verhindern, dass die Verwaltungen eine defensive Haltung einnehmen und auf einer derart strikten Anwendung der Regeln beharren, dass diese ad absurdum geführt werden, was Vertrauen und Legitimität beschädigt. Genauso wie die Umsetzung der Regeln auf klaren Kriterien basieren muss (die insbesondere risikobasiert sein sollten, vgl. Kapitel 6), was eine starke Berufsethik in den Regulierungsbehörden voraussetzt, müssen auch in den regulierten Unternehmen strenge Ethikregeln gelten. Dies erfordert Anstrengungen, die über die formelle Durchsetzung der Vorschriften hinausgehen (Hodges und Steinholtz, 2018[51]).
Literaturverzeichnis
[45] Amaral, M., G. Vranic und P. Lal Das (2020), „Technology helps strengthen countries’ regulatory capacity to respond to COVID-19“, Private Sector Development Blog, 6. Mai, Weltbank, Washington, D.C., https://blogs.worldbank.org/psd/technology-helps-strengthen-countries-regulatory-capacity-respond-covid-19.
[7] Assemblée Nationale (2021), Loi n° 2021-160 du 15 février 2021 prorogeant l’état d’urgence sanitaire, Journal officiel de la République française, N° 0040 du 16/02/2021.
[40] Baldwin, R. (1995), Rules and Government, Clarendon Press, Oxford.
[36] Baldwin, R. (1990), „Why Rules Don’t Work“, The Modern Law Review, Vol. 53/3, S. 321-337, https://doi.org/10.1111/j.1468-2230.1990.tb01815.x.
[30] Blanc, F. (2021), „Regulation, regulatory delivery, trust and distrust – avoiding vicious circles“, in De Benedetto, M., N. Lupo und N. Rangone (Hrsg.), The Crisis of Confidence in Legislation, Bloomsbury Publishing, Oxford, https://www.bloomsburyprofessional.com/uk/the-crisis-of-confidence-in-legislation-9781509939855/.
[28] Blanc, F. (2018), From Chasing Violations to Managing Risks: Origins, Challenges and Evolutions in Regulatory Inspections, Edward Elgar Publishing.
[27] Blanc, F. (2012), Inspections Reforms: Why, How and with What Results?, OECD, Paris, https://www.oecd.org/regreform/Inspection%20reforms%20-%20web%20-F.%20Blanc.pdf.
[48] Coglianese, C. und C. Carrigan (2012), „Oversight in Hindsight: Assessing the U.S. Regulatory System in the Wake of Calamity“, in Coglianese, C. (Hrsg.), Regulatory Breakdown: The Crisis of Confidence in U.S. Regulation, University of Pennsylvania Press.
[46] Coglianese, C. und J. Nash (2017), „The Law of the Test: Performance-Based Regulation and Diesel“, Yale Journal on Regulation, Vol. 34/1, S. 33-90.
[24] Congdon, W., J. Kling und S. Mullainathan (2011), Policy and Choice: Public Finance Through the Lens of Behavioral Economics, Brookings Institute Press, Washington, D.C., https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2016/07/policyandchoice_book.pdf.
[32] de Kam, D. et al. (2020), „How incident reporting systems can stimulate social and participative learning: A mixed-methods study“, Health Policy, Vol. 124/8, S. 834-841, https://doi.org/10.1016/j.healthpol.2020.05.018.
[35] Diver, C. (1983), „The Optimal Precision of Administrative Rules“, The Yale Law Journal, Vol. 93/1, S. 65-109, https://doi.org/10.2307/796245.
[16] Drummond, J., D. Shephard und D. Trnka (2021), „Behavioural insights and regulatory governance: Challenges and opportunities for improving regulatory oversight and management tools“, OECD Regulatory Policy Working Papers, No. 16, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/ee46b4af-en.
[5] Dudley, S. (2020), „Learning From COVID-19“, Forbes, 20. März, https://www.forbes.com/sites/susandudley/2020/03/20/learning-from-covid-19/#50682d0d15f1.
[49] Grimmelikhuijsen, S. et al. (2021), „Can decision transparency increase citizen trust in regulatory agencies? Evidence from a representative survey experiment“, Regulation & Governance, Vol. 15/1, S. 17-31, https://doi.org/10.1111/rego.12278.
[42] Hawkins, K. (2003), Law as Last Resort: Prosecution Decision Making in a Regulatory Agency, Oxford University Press, https://dx.doi.org/10.1093/acprof:oso/9780199243891.001.0001.
[34] Hodges, C. (2015), Law and Corporate Behaviour: Integrating Theories of Regulation, Enforcement, Compliance and Ethics, Hart/Beck, Oxford/München.
[51] Hodges, C. und R. Steinholtz (2018), Ethical Business Practice and Regulation, Hart/Beck, Oxford/München.
[22] Kahneman, D. und A. Tversky (1979), „Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk“, Econometrica, Vol. 47/2, S. 263-292, https://doi.org/10.2307/1914185.
[53] Kirchler, E. und E. Hoelzl (2006), „Modelling Taxpayers’ Behaviour as a Function of Interaction between Tax Authorities and Taxpayers“, in Elffers, H., P. Verboon und W. Huisman (Hrsg.), Managing and Maintaining Compliance, Boom Legal Publishers, Den Haag.
[54] Kirchler, E., E. Hoelzl und I. Wahl (2008), „Enforced versus voluntary tax compliance: The ‘slippery slope’ framework“, Journal of Economic Psychology, Vol. 29/2, S. 210-225, https://doi.org/10.1016/j.joep.2007.05.004.
[25] Ladegaard, P., P. Lundkvist und J. Kamkhaji (2018), „Giving Sisyphus a Helping Hand: Pathways for Sustainable RIA Systems in Developing Countries“, Policy Research Working Paper, No. 8367, Weltbank, Washington, D.C., https://doi.org/10.1596/1813-9450-8367.
[18] Lucas, G. und S. Tasić (2015), „Behavioral Public Choice and the Law“, West Virginia Law Review, Vol. 118/1, https://scholarship.law.tamu.edu/facscholar/720.
[12] Lunn, P. (2014), Regulatory Policy and Behavioural Economics, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264207851-en.
[44] Mangalam, S. und G. Vranic (2020), Use of New Technologies in Regulatory Delivery, Donor Committee for Enterprise Development, Cambridge, https://www.enterprise-development.org/wp-content/uploads/DCED-BEWG-Use-of-New-Technologies-in-Regulatory-Delivery.pdf.
[20] Niskanen, J. (1971), Bureaucracy and Representative Government, Routledge.
[47] OECD (2021), G20 Survey on Agile Approaches to the Regulatory Governance of Innovation: Report for the G20 Digital Economy Task Force, OECD, Paris, https://assets.innovazione.gov.it//1628073646-g20detfoecdagile-regulation.pdf.
[43] OECD (2021), Using digital technologies to improve regulatory delivery activities – a review of current practices.
[14] OECD (2020), Behavioural Insights and Organisations: Fostering Safety Culture, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/e6ef217d-en.
[10] OECD (2020), One-Stop Shops for Citizens and Business, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/b0b0924e-en.
[6] OECD (2020), Open Data and COVID-19: Looking forward towards government readiness and reform, OECD, Paris, https://www.oecd.org/gov/digital-government/6th-oecd-expert-group-meeting-on-open-government-data-summary.pdf.
[8] OECD (2020), Regulatory Impact Assessment, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/7a9638cb-en.
[9] OECD (2020), „Regulatory quality and COVID-19: The use of regulatory management tools in a time of crisis“, OECD Policy Responses to Coronavirus (COVID-19), OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/b876d5dc-en.
[17] OECD (2019), Delivering Better Policies Through Behavioural Insights: New Approaches, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/6c9291e2-en.
[2] OECD (2019), „Regulatory effectiveness in the era of digitalisation“, Broschüre, OECD, Paris, http://www.oecd.org/gov/regulatory-policy/Regulatory-effectiveness-in-the-era-of-digitalisation.pdf.
[11] OECD (2019), The Path to Becoming a Data-Driven Public Sector, OECD Digital Government Studies, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/059814a7-en.
[1] OECD (2019), Tools and Ethics for Applied Behavioural Insights: The BASIC Toolkit, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9ea76a8f-en.
[29] OECD (2018), OECD Regulatory Enforcement and Inspections Toolkit, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264303959-en.
[13] OECD (2017), Behavioural Insights and Public Policy: Lessons from Around the World, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264270480-en.
[50] OECD (2017), „Public consultation on the draft OECD Best Practice Principles on Stakeholder Engagement in Regulatory Policy“, http://www.oecd.org/governance/regulatory-policy/public-consultation-best-practice-principles-on-stakeholder-engagement.htm.
[41] OECD (2014), Regulatory Enforcement and Inspections, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264208117-en.
[15] OECD (2012), Empfehlung des Rates zu Regulierungspolitik und Governance, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264209053-de.
[3] OECD/KDI (2021), Case Studies on the Regulatory Challenges Raised by Innovation and the Regulatory Responses, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/8fa190b5-en.
[37] Ogus, A. (1994), Regulation: Legal Form and Economic Theory, Bloomsbury Publishing, Oxford.
[26] Russell, G. und C. Hodges (Hrsg.) (2019), Regulatory Delivery, Hart/Beck, Oxford/München, https://doi.org/10.5040/9781509918614.
[39] Stokes, E. (2010), „Regulating Technologies: Legal Futures, Regulatory Frames and Technological Fixes by Roger Brownsword and Karen Yeung (eds)“, The Modern Law Review, Vol. 73/4, S. 682-689, https://doi.org/10.1111/j.1468-2230.2010.00814-2.x.
[4] Sunstein, C. (2020), „Coronavirus Is Giving Cost-Benefit Analysts Fits“, Bloomberg Opinion, 12. Mai, https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2020-05-12/coronavirus-is-giving-cost-benefit-analysts-fits.
[23] Thomas, M. (2019), „Reapplying behavioral symmetry: public choice and choice architecture“, Public Choice, Vol. 180/1-2, S. 11-25, https://doi.org/10.1007/s11127-018-0537-1.
[21] Tullock, G., A. Seldon und G. Lo Brady (2002), Government Failure: A Primer in Public Choice, Cato Institute.
[31] Tyler, T. (2003), „Procedural Justice, Legitimacy, and the Effective Rule of Law“, Crime and Justice, Vol. 30, S. 283-357, https://doi.org/10.1086/652233.
[52] Tyler, T. (1990), Why People Obey the Law, Yale University Press, New Haven.
[19] Viscusi, W. und T. Gayer (2015), „Behavioral Public Choice: The Behavioural Paradox of Government Policy“, Mercatus Working Paper, Mercatus Center, George Mason University, Arlington, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3191387.
[33] Wiig, S. et al. (2020), „What methods are used to promote patient and family involvement in healthcare regulation? A multiple case study across four countries“, BMC Health Services Research, Vol. 20, Artikel 616, https://doi.org/10.1186/s12913-020-05471-4.
[38] WWR (2013), Supervising public interests. Towards a broader perspective on government supervision, Wetenschappelijke Raad voor het Regeringsbeleid, https://english.wrr.nl/publications/reports/2013/09/09/supervising-public-interests.-towards-a-broader-perspective-on-government-supervision.
Anmerkungen
← 1. Angesichts des hohen Tempos und des Querschnittscharakters des technologischen Wandels dürfte es sinnvoll sein, verschiedene regulatorische Konzepte zu kombinieren. Beispielsweise könnte Selbstregulierung mit Ko-Regulierung oder Leitlinien kombiniert werden, um den Unternehmen Orientierungen zu geben und die potenziellen Risiken neuer Technologien zu verringern. Selbstregulierung kann von den Regulierungsverantwortlichen sogar zur gesetzlichen Auflage gemacht werden. Es könnte auch sinnvoll sein, Reallabore mit rechtlichen Leitlinien zu kombinieren, um die Unsicherheit zu reduzieren, der sich Unternehmen gegenübersehen, wenn sie technologisch innovieren.
← 2. Hinsichtlich der Nutzung von KI für die juristische Recherche und eines kanadischen Pilotprojekts zur Nutzung von KI bei der Überprüfung des Regelungsbestands vgl. https://www.csps-efpc.gc.ca/video/ai-eng.aspx.
← 3. Wegen Einzelheiten zur Reaktion der Länder auf die Coronakrise vgl. das OECD Briefing Paper „Regulatory quality and COVID-19: The use of regulatory management tools in a time of crisis“ (OECD, 2020[9]). Genaue Informationen zu den von den Regierungen in Reaktion auf die Coronakrise ergriffenen Coronamaßnahmen liefert auch der OECD Policy Tracker: https://www.oecd.org/coronavirus/country-policy-tracker/#Containmentmeasures.
← 4. Regulatory sludge: „Überhöhte oder unbegründete Reibungen – z. B. durch zeit- und kostenaufwendige Schreibarbeit –, die das Leben erschweren, die frustrierend, stigmatisierend oder erniedrigend sein können und Menschen so letztlich den Zugang zu wichtigen Gütern, Chancen und Dienstleistungen versperren können.“ (Vgl. Sunstein, Cass R. (2019), „Sludge Audits”, Harvard Public Law Working Paper, No. 19-21, erscheint demnächst, Behavioural Public Policy, http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3379367.)
← 5. https://www.oecd-ilibrary.org/governance/how-do-laws-and-regulations-affect-competitiveness_7c11f5d5-en.
← 6. Vgl. z. B. Tyler (1990[52]; 2003[31]); Kirchler, Hoelzl und Wahl (2008[54]); Kirchler und Hoelzl (2006[53]); Blanc (2018[28]).
← 7. Nach der Weltfinanzkrise erstellter Bericht des wissenschaftlichen Beirats an die Regierung der Niederlande, in dem feststellt wird, dass es mit übermäßig „starren“ Regelungen nicht gelungen ist, schädliche Aktivitäten und Produkte zu verhindern.
← 8. Vgl. beispielsweise Health and Safety Executive (HSE) (2016), The effectiveness of HSE’s regulatory approach: The construction example (erstellt von Frontline Consultants für das Health and Safety Executive im Jahr 2013).
← 9. Vgl. http://www.oecd.org/fr/gov/politique-reglementaire/oecd-global-conference-on-governance-innovation.htm.
← 11. Vgl. die zusammenfassende Analyse des Risikoregulierungsreflexes in http://www.oecd.org/gov/regulatory-policy/48654345.pdf.