Diese Ländernotiz bietet einen Überblick über die Arbeitsmarktlage in Deutschland auf der Grundlage von Daten aus dem OECD Employment Outlook 2024. Sie untersucht außerdem, wie sich die Transformation zur Treibhausgasneutralität (THG-Neutralität) bis 2050 auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitsplätze auswirken wird.
OECD Beschäftigungsausblick 2024 Ländernotiz: Deutschland
Die Arbeitsmärkte haben sich als widerstandsfähig erwiesen und bleiben angespannt
Die Arbeitsmärkte haben sich weiter gut entwickelt. Viele Länder verzeichnen ein historisch hohes Beschäftigungsniveau und eine niedrige Arbeitslosigkeit. Im Mai 2024 lag die Arbeitslosenquote im OECD-Raum bei 4.9 %. In den meisten Ländern haben sich die Erwerbstätigenquoten von Frauen im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie stärker verbessert als die von Männern. Die Arbeitsmarktanspannung lässt weiter nach, ist aber im Allgemeinen nach wie vor hoch.
In Deutschland lag die Arbeitslosenquote im April 2024 bei 3,3 % – eines der niedrigsten Niveaus aller OECD-Länder. Damit liegt der deutsche Wert in etwa auf dem im Dezember 2019 verzeichneten Vorpandemieniveau von 3,1 % und somit deutlich unter dem Ende 2020/Anfang 2021 erreichten Krisenhöchststand von 3,9 %. Die Erwerbstätigenquote belief sich im vierten Quartal 2023 auf 77,3 %, das waren 1,6 Prozentpunkte mehr als im vierten Quartal 2019. Dieser Anstieg der Erwerbstätigenquote spiegelt eine Veränderung der Erwerbsbeteiligungsquote wider.
Die OECD geht für 2024 von einem anhaltend schwachen Wachstum des deutschen BIP in Höhe von 0,2 % aus, während der prognostizierte OECD-Durchschnitt bei 1,7 % liegt. Für 2025 sind die Aussichten jedoch optimistischer: Es wird von einem BIP-Wachstum von 1,1 % in Deutschland ausgegangen, gegenüber 1,8 % im OECD-Raum. Dies ist auf einen Rückgang der Inflation und ein sich erholendes Lohnwachstum zurückzuführen, was den privaten Konsum und die privaten Investitionen ankurbeln wird. Die hohe Ersparnisbildung des Unternehmenssektors und die allmählich sinkenden Zinssätze werden zu dieser positiven Entwicklung beitragen.
Im November 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Verwendung von Sondervermögen, wie sie beispielsweise in Reaktion auf die Coronapandemie geschaffen wurden, zur Finanzierung anderer Investitionen in den Folgejahren für verfassungswidrig. Die Entscheidung könnte die öffentlichen Investitionen in die Transformation zur THG-Neutralität – insbesondere aus dem Klima- und Transformationsfonds – in den kommenden Jahren deutlich verringern. Dadurch entstehen möglicherweise weniger umweltorientierte Arbeitsplätze auf dem deutschen Arbeitsmarkt, z. B. im Baugewerbe, das von den Fördermitteln für die energetische Gebäudesanierung und den Infrastrukturinvestitionen profitieren sollte.
Die Reallöhne steigen, haben sich aber noch nicht vollständig erholt
Angesichts der rückläufigen Inflation steigen die Reallöhne in den meisten OECD-Ländern inzwischen im Vorjahresvergleich, liegen aber in vielen Ländern immer noch unter dem Niveau von 2019. Der auf die einsetzende Erholung der Reallöhne zurückzuführende Anstieg der Arbeitskosten wird z. T. von den Gewinnen abgefedert. In vielen Ländern können die Gewinne noch weitere Lohnsteigerungen absorbieren, zumal es keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale gibt.
In den vier Jahren seit Beginn der Pandemie (Q4 2019 – Q1 2024) sind die Reallöhne in Deutschland um 2 % gesunken, verglichen mit einem Anstieg um 1,5 % im OECD-Durchschnitt (Abbildung 1). Damit verzeichnete Deutschland in diesem Zeitraum einen der stärksten Rückgänge im OECD-Raum. Die niedrigere Inflation dürfte jedoch zusammen mit deutlichen Anhebungen der Tariflöhne und der Auszahlung der steuer- und abgabenfreien Inflationsprämie in Höhe von bis zu 3 000 EUR bis Ende 2024 die Reallöhne in Deutschland in diesem Jahr erheblich steigen lassen.
Die Anhebungen des 2015 in Deutschland eingeführten Mindestlohns haben dazu geführt, dass die Löhne im Niedriglohnsektor in den letzten Jahren gestiegen sind. So beträgt der Mindestlohn nach der Erhöhung im Januar 2024 heute 12,41 EUR pro Stunde. Im Mai 2019 waren es nur 9,19 EUR. In realer Rechnung ist der Mindestlohn in Deutschland in diesem Zeitraum um 13 % gestiegen, was in etwa dem OECD-Durchschnitt entspricht und weit über dem Median liegt (8,3 %).
Der Klimaschutz wird zu einer erheblichen Reallokation von Arbeitsplätzen führen
Die ehrgeizige Transformation zur THG-Neutralität, die derzeit in den OECD-Ländern umgesetzt wird, wird voraussichtlich nur einen moderaten Effekt auf die Gesamtbeschäftigung haben. Einige Arbeitsplätze werden jedoch verloren gehen, gleichzeitig werden neue Chancen entstehen und viele Tätigkeitsprofile werden sich verändern. Im OECD-Raum sind 20 % der Erwerbsbevölkerung in umweltorientierten Berufen beschäftigt. Dazu gehören auch Berufe, die nicht direkt zur Emissionsminderung beitragen, aber wahrscheinlich nachgefragt werden, weil sie Vorleistungen für umweltfreundliche Aktivitäten erbringen. Demgegenüber entfallen rd. 7 % der Berufe auf THG-intensive Branchen.
In Deutschland sind 21,1 % der Erwerbsbevölkerung in umweltorientierten Berufen beschäftigt, wobei die Konzentration in Sachsen-Anhalt am höchsten ist. Unter den umweltorientierten Berufen sind jedoch nur 14 % tatsächlich „neue oder neu entstehende umweltfreundliche Berufe“. Gleichzeitig sind 4,8 % der Beschäftigten in emissionsintensiven Berufen tätig, wobei die Konzentration in Mecklenburg-Vorpommern am höchsten ist. In Deutschland, wie auch im OECD-Raum, ist der Anteil von Männern sowohl in umweltorientierten als auch in THG-intensiven Berufen höher als der Anteil von Frauen. Ältere Arbeitskräfte sind in THG-intensiven Berufen stärker vertreten.
Im oberen Qualifikationssegment weisen viele emissionsintensive Berufe sehr ähnliche Kompetenzanforderungen auf wie umweltorientierte Berufe. Für hochqualifizierte Arbeitskräfte ist es folglich mit relativ geringem Umschulungsaufwand möglich, von emissionsintensiven zu klimafreundlichen Branchen zu wechseln. Dies gilt jedoch nicht für geringqualifizierte Arbeitskräfte, die eine umfangreichere Umschulung benötigen, um emissionsintensive Branchen zu verlassen.
Seit 2023 gibt es in Deutschland Arbeitsgruppen, in denen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Öffentlichkeit vertreten sind, um zu untersuchen, wie sich der Kompetenzbedarf durch die digitale und ökologische Transformation ändert. Ebenfalls 2023 wurden im Rahmen des Bürgergeld-Gesetzes eine Weiterbildungsprämie und ein monatliches Weiterbildungsgeld eingeführt, um die berufliche Weiterbildung von Menschen im Leistungsbezug zu fördern. Die Unterstützung wird auch für Qualifikationen gewährt, die für die Transformation zur THG-Neutralität besonders gefragt sind.
Arbeitsplatzverluste sind in emissionsintensiven Sektoren kostspieliger als in anderen Sektoren
Der Übergang zur THG-Neutralität führt zu einer Kontraktion der emissionsintensiven Sektoren, auf die im OECD-Raum 80 % der THG-Emissionen, aber nur 7 % der Beschäftigung entfallen. In diesen Sektoren sind die Einkommenseinbußen nach einem Arbeitsplatzverlust größer. In den ersten sechs Jahren nach dem Arbeitsplatzverlust sinken die Einkommen um durchschnittlich 36 %, gegenüber 29 % in den anderen Sektoren. Maßnahmen, die die Einkommen stützen und den Arbeitsplatzwechsel erleichtern, sind unerlässlich, um diese Verluste abzufedern und den Rückhalt für die Transformation zur THG-Neutralität in der Öffentlichkeit zu sichern.
In Deutschland, wo 6 % der Arbeitskräfte in emissionsintensiven Branchen beschäftigt sind, sind die Einkommenseinbußen in den ersten sechs Jahren nach dem Arbeitsplatzverlust in emissionsintensiven und -armen Branchen mit durchschnittlich 29 % bzw. 25 % relativ gering. Der Unterschied in Höhe von 4 Prozentpunkten zählt zu den niedrigsten in den untersuchten Ländern (Abbildung 2). Die etwas höheren Einkommenseinbußen in emissionsintensiven Branchen sind vor allem auf die regionale Clusterbildung bei den CO2-intensiven Aktivitäten und die Konzentration spezifischer Aufgaben (z. B. manueller Routinetätigkeiten) in diesen Sektoren zurückzuführen.
Die Tatsache, dass die Einkommenseinbußen nach einem Arbeitsplatzverlust im Vergleich zu anderen OECD-Ländern relativ niedrig sind, könnte auf konkrete Maßnahmen zurückzuführen sein, die Arbeitskräfte und Arbeitsplatzwechsel effektiv unterstützen. Transfergesellschaften, die im Rahmen von Sozialplänen bei Massenentlassungen gegründet werden, betreuen die Beschäftigten beispielsweise bei der beruflichen Neuorientierung und Weiterbildung. Die Entlohnung der Arbeitskräfte erfolgt durch staatliches Transferkurzarbeitergeld und Beiträge des bisherigen Arbeitgebers. Zur Vermeidung von Arbeitsplatzverlusten wird darüber hinaus die betriebsinterne Weiterbildung und Vorbereitung auf neue Aufgaben durch Programme wie das Qualifizierungsgeld gefördert.
Kontakt:
Stéphane CARCILLO (✉ stephane.carcillo@oecd.org)
Jonas FLUCHTMANN (✉jonas.fluchtmann@oecd.org)
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Dieser Text wurde vom Deutschen Übersetzungsdienst der OECD übersetzt. Der englische und der französische Text sind die einzigen amtlichen Fassungen.