Regulatorische Entscheidungen spielen in nahezu allen Phasen der Bewältigung der Gesundheitskrise sowie ihrer sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen eine wesentliche Rolle. In der gegenwärtigen Situation ist der Bedarf an verlässlichen, evidenzbasierten, international koordinierten und effektiv durchgesetzten Rechtsvorschriften besonders akut. Auch wenn „Notstandsregelungen“ verabschiedet und nicht unabdingbare administrative Schranken aufgehoben werden, müssen die Regierungen doch an den bewährten Prinzipien guter Rechtsetzung festhalten.
In einem Kontext, in dem es schwierig ist, sich mit allen möglicherweise betroffenen Akteuren zu beraten, vertrauen politische Entscheidungsträger häufig auf Beratergruppen, in denen Fachleute aus allen einschlägigen Bereichen vertreten sind. Bei zentralen Entscheidungen können – sofern es die Zeit gestattet – aber wenigstens noch die Sozialpartner und die nachgeordneten Gebietskörperschaften konsultiert werden.
Koordinierung macht staatliche Maßnahmen zur Krisenbewältigung wirkungsvoller. Es gibt eine breite Palette von Konzepten der internationalen Zusammenarbeit im Rechtsetzungsbereich, um staatliche Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Dazu gehören die Sammlung und der Austausch von Daten auf internationaler Ebene, um die Gestaltung von Notstandsregelungen zu unterstützen, die Abstimmung von Rechtsvorschriften oder die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen, um administrative Verfahren zu beschleunigen und den Handel mit essentiellen Produkten, wie z. B. Schutzausrüstungen, zu erleichtern. Internationale Organisationen sind wichtige Plattformen zur Förderung einer solchen Zusammenarbeit.
Die Effektivität der beschlossenen Maßnahmen hängt von der Qualität der Rechtsdurchsetzung ab. Indem gewährleistet wird, dass die Durchsetzung der Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe der Risiken steht, kann unnötiger Verwaltungsaufwand für Bürger, Unternehmen und den öffentlichen Sektor vermieden werden.
Innovative Ansätze können die Politik wirkungsvoller machen. Dank digitaler Technologien wie künstliche Intelligenz und Big Data kann bei der Ausgestaltung von Rechtsvorschriften rascher auf einschlägige Informationen zugegriffen werden. Indem die verhaltensökonomischen Einflussfaktoren menschlichen Handelns erkannt und in den ergriffenen Maßnahmen berücksichtigt werden, lässt sich deren Wirksamkeit erhöhen.
In Netzindustrien wie E-Kommunikation, Energie, Verkehr und Wasser ist es wichtiger denn je, optimale Ergebnisse für Investoren, Arbeitskräfte und Verbraucher zu sichern. Durch die Beachtung von Regeln guter Verwaltungs- und Regierungsführung und belastbare Entscheidungsprozesse können die zuständigen Regulierungsbehörden die Qualität, Zuverlässigkeit und Bezahlbarkeit kritischer Dienstleistungen sichern helfen und die Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit ihrer Entscheidungsfindung erhöhen.
Rechtsetzungsqualität und COVID-19: Risiken bewältigen und den Wiederaufbau fördern
Note des Sekretariats nach Beratungen mit den Vorsitzenden und den erweiterten Führungsgremien des Ausschusses für Regulierungspolitik und des Netzwerks Ökonomische Regulierung
Rechtsetzung als Kernstück der COVID-19-Krisenbewältigung
Bei der Bewältigung der Gesundheitskrise und der durch sie entstehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme müssen in fast allen Phasen und Bereichen regulatorische Entscheidungen getroffen werden. Die Rechtsetzung hat Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Instrumenten und Produkten zur Krankheitsdiagnose und -bekämpfung (Tests, Produkte und Geräte). Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass Versorgungsunternehmen weiterhin kritische Dienstleistungen erbringen, dass Nahrungsmittel produziert und ausgeliefert werden und dass wesentliche Angebote bestehen bleiben – auch in einer Lockdown-Situation, in der weite Teile des privaten und öffentlichen Sektors nicht mehr normal arbeiten. In der gegenwärtigen Situation ist der Bedarf an verlässlichen, evidenzbasierten, international koordinierten und effektiv durchgesetzten Rechtsvorschriften besonders akut. Fehlt es daran, drohen schwerwiegende Konsequenzen, etwa ein Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung. Über die unmittelbare Krisenbewältigung hinaus ist die Rechtsetzung auch von zentraler Bedeutung, um den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau zu meistern und sicherzustellen, dass wir auf künftige Krisen besser vorbereitet sind.
Gute Rechtsetzung auch in der Krise
In einer Krise drängt die Zeit. Dies macht es schwer, die Folgen dringend zu ergreifender Maßnahmen vorherzusehen, zu analysieren und gründlich zu erörtern. Das bedeutet jedoch nicht, dass es für eilig ausgearbeitete „Notstandsregelungen“ einen Blankoschein geben darf.1 Gut durchdachte Rechtsetzungssysteme können bewährten und erprobten Empfehlungen zu Regulierungspolitik und Governance auch in Krisenzeiten gerecht werden. Dies gilt auch für die Rechtsstaatlichkeit: Die Bürger können einer Einschränkung ihrer Freiheiten (Bewegungsfreiheit, Schutz der Privatsphäre usw.) in derart schwierigen Phasen zeitweise zustimmen, auch wenn dabei weiterhin Wachsamkeit und Umsicht geboten sind (z. B. in Bezug auf die in vielen Ländern verhängten Ausgangsbeschränkungen oder das GPS-Tracking von COVID-positiven Personen).2 Das heißt allerdings nicht, dass sie über einen längeren Zeitraum ihrer Grundrechte beraubt werden dürfen. Wenn die Krise vorüber ist oder ihre Auswirkungen unter eine kritische Schwelle gesunken sind, müssen alle im Schnellverfahren verabschiedeten Rechtsvorschriften einem gründlichen Post-Implementation-Review unterzogen werden. Vielerorts ist die Geltungsdauer der verabschiedeten Notstandsregelungen von vornherein befristet; oft erhalten diese Bestimmungen auch Klauseln, die eine Überprüfung vorschreiben. Die kanadische Verkehrsbehörde hat die Änderung bestimmter Entschädigungsregelungen für Reisende beispielsweise bis zum 30. Juni befristet.
In dieser Krise ist es zudem schwierig, bei dringenden Maßnahmen alle möglicherweise betroffenen Akteure zu konsultieren. Dennoch müssen sich auch Sofortmaßnahmen auf Daten und wissenschaftlichen Sachverstand stützen, um wirksam zu sein. Um dies zu gewährleisten, können Politikverantwortliche mit Beratergruppen arbeiten, in denen Fachleute aus allen einschlägigen Bereichen vertreten sind. Im Vereinigten Königreich erfüllt diese Funktion z. B. die Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE), in der Tschechischen Republik der nationale Wirtschaftsbeirat der Regierung (NERV). Wenn es die Zeit zulässt, können bei zentralen Entscheidungen auch Blitzbesprechungen mit Vertretern der Sozialpartner, der nachgeordneten Gebietskörperschaften oder von großen Nichtregierungsorganisationen anberaumt werden. Die politische Verantwortung und Rechenschaftspflicht für diese Entscheidungen liegt jedoch weiterhin bei denen, die sie treffen: den Politikern und Politikgestaltern. Es ist allerdings wichtig, alle betroffenen Akteure hinreichend und transparent zu informieren, damit sie den Zweck und die Notwendigkeit dieser – teilweise drastischen – Maßnahmen verstehen.
Gemeinsam stärker
Mit der immer engeren Vernetzung der Welt ist auch das Risiko gestiegen, das von Infektionskrankheiten ausgeht. Pandemien wie COVID-19 kennen keine Grenzen. Daher lassen sie sich schwer mit isolierten einzelstaatlichen Maßnahmen eindämmen. Koordinierung macht staatliche Maßnahmen zur Krisenbewältigung wirkungsvoller. Im Bereich der multilateralen Zusammenarbeit wurden bereits große Fortschritte erzielt. Dennoch kann noch viel getan werden, um die Wirksamkeit der Krisenmaßnahmen zu steigern und gegenseitig besser voneinander zu lernen.
Die Arbeit des OECD-Ausschusses für Regulierungspolitik zeigt, dass gemeinsames Handeln entscheidend ist, um die Wirksamkeit und Relevanz von regulatorischen Anstrengungen weltweit zu sichern. Dabei kann eine breite Palette von Ansätzen verfolgt werden:3 von der Sammlung und dem Austausch von Daten auf internationaler Ebene (zu den Merkmalen des Virus und der Infektionsfälle, zu den Ansteckungswegen sowie zu medizinischen oder anderen Gegenmaßnahmen), um die Ausarbeitung der erforderlichen Notstandsregelungen zu erleichtern, bis hin zur Abstimmung von Rechtsvorschriften und zur gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen, um die Verfahren zu beschleunigen (z. B. indem in anderen Staaten erteilte Produktzertifizierungen und -zulassungen akzeptiert werden)4 und die regulatorischen Hindernisse für den Handel mit essentiellen Produkten5 wie Schutzausrüstungen, medizinischen Geräten und neuen Diagnosetests und Medikamenten zu begrenzen. Internationale Organisationen sind wichtige Plattformen zur Förderung der Zusammenarbeit, für den Austausch wissenschaftlicher Expertise, die Gestaltung evidenzgestützter Maßnahmen und die länderübergreifende Koordinierung.6 Zahlreiche internationale Organisationen unterstützen die Regierungen im Kampf gegen die Pandemie und bei der Bewältigung ihrer Nachwirkungen.7 Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die WHO sammelt wissenschaftliche Daten zu Krankheitsbildern,8 informiert die Öffentlichkeit mit laufenden Updates über die Situation in aller Welt9 und erarbeitet fachliche Leitlinien zur Stärkung der Reaktionsfähigkeit und der Maßnahmen gegen COVID-19.10 Die OECD stellt Echtzeitdaten und Analysen zu den vielschichtigen Auswirkungen der weltweiten Gesundheitskrise in Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Bildung, Beschäftigung und Steuern bereit und hat eine besondere Website eingerichtet, um die Länder während und nach der Krise durch bedarfsgerechte Empfehlungen zu unterstützen.11
Einhaltung von Vorschriften
Die Effektivität der beschlossenen Maßnahmen hängt von der Qualität der Rechtsdurchsetzung ab.12 Bei der Durchsetzung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften für dringend benötigte Medizinprodukte und Schutzausrüstungen kann in einer Weise vorgegangen werden, dass Verzögerungen und Hindernisse minimiert werden und die Durchsetzungsmaßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko stehen. Patienten, medizinische Fachkräfte und die Öffentlichkeit müssen vor unsicheren Produkten geschützt werden. Der Faktor Zeit spielt jedoch eine entscheidende Rolle und unnötige Belastungen oder Verzögerungen können beträchtlichen Schaden anrichten. Dies haben die in mehreren Ländern bestehenden Hindernisse für den Import und Vertrieb von Schutzmasken und Beatmungsgeräten sowie für notfallbedingte Umrüstungen von Produktionsstätten zur Breitstellung essenzieller Produkte in Mangelsituationen (Persönliche Schutzausrüstung – PSA usw.) nur allzu deutlich gezeigt. Die Behörden können unnötige Belastungen für Bürger, Unternehmen und andere betroffene Akteure vermeiden, indem sie ihnen gestatten, anstelle von Papierformularen digitale Instrumente wie mobile Anwendungen zu nutzen (wie dies z. B. von Beginn an in Griechenland gehandhabt wurde und in jüngster Zeit auch in Frankreich der Fall ist), und von Verfahren, die nicht erwiesenermaßen zur Eindämmung der Ansteckungsrisiken beitragen, absehen.13 Bei der Durchsetzung von Quarantänemaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen kann der Fokus auf die Förderung und Aufrechterhaltung einer freiwilligen Befolgung gelegt werden. Kontrollen können sich auf Verhaltensweisen konzentrieren, durch die tatsächlich Risiken entstehen (z. B. Personengruppen oder Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands usw.), statt auf „formale“ Verstöße (z. B. fehlende Dokumente). Bei den wirtschaftlichen Tätigkeiten, die nach wie vor ausgeübt werden (z. B. Nahrungsmittelproduktion), können die Kontrollen auf Situationen, die als besonders risikoreich eingestuft werden, und auf kritische Sicherheitsaspekte beschränkt werden, um die Virusexposition für Kontrolleure und Arbeitskräfte zu minimieren.
Abbau administrativer Hürden
Administrative Hürden, die in „Normalzeiten“ unter Umständen begründet sind, können – zumindest vorübergehend – beseitigt werden, um eine raschere Lieferung kritischer Produkte zu gewährleisten.14 Einschlägige Beispiele sind u. a. die Verfahren zur Einholung der Genehmigungen, die nötig sind, um Schutzmasken, Testsets, Schutzausrüstungen, Desinfektionsmittel, lebenserhaltende Geräte usw. auf den Markt zu bringen. In jüngster Zeit gab es zahlreiche Beispiele einer vorübergehenden Aufhebung oder „Lockerung“ von Anforderungen. In den Vereinigten Staaten war dies z. B. bei den Anforderungen für PSA und Beatmungsgeräte der Fall. Auch die australische Therapeutic Goods Administration (TGA) beseitigte administrative Hürden, damit Destillerien Handdesinfektionsmittel herstellen können.15 Die strengen Vorschriften zur Gewährleistung der Sicherheit und der Wirksamkeit eventueller Impfungen oder Behandlungen sollten selbstverständlich in Kraft bleiben, die Testverfahren können aber so weit wie möglich beschleunigt werden. Erreicht werden kann dies z. B., indem mehrere Tests gleichzeitig durchgeführt werden und die Ergebnisse eines Landes auch in anderen Ländern anerkannt werden. Eine Beseitigung eventuell vorhandener Etappen formeller Zulassungsverfahren für Produkte und Anbieter, die nicht maßgeblich zu einer Verringerung des Risikos beitragen (wie z. B. eine zusätzliche „Registrierung“ durch die zuständige Behörde nach einer bereits erfolgten Zertifizierung durch Dritte) oder nicht verhältnismäßig sind (z. B. eine formelle Zulassung durch die zuständige Behörde bei Produkten mit geringem Risikopotenzial) kann Zeit sparen und Leben retten. Beschränkungen im Hinblick auf die Einbindung entsprechend qualifizierter und zugelassener Testanbieter können überprüft und eventuell aufgehoben werden, wenn sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht unbedingt erforderlich sind.16 Solche Beschränkungen waren – z. B. in Frankreich und Italien – neben vereinzelt auftretenden Problemen im Hinblick auf die Logistik und die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal für die geringeren Testkapazitäten verantwortlich. Sie wurden schrittweise, aber nicht in allen Fällen vollständig aufgehoben.
Nutzung neuer Technologien für eine bessere und schnellere Rechtsetzung
Digitale Technologien, die auf künstlicher Intelligenz und Big Data basieren, eröffnen die Chance, den gravierenden Datenmangel zu beheben und die Regulierungskapazität zu erhöhen, der Schutz individueller Grundrechte darf dabei aber nicht auf der Strecke bleiben. Digitale Technologien bieten die Möglichkeit, den Ausbruch zu überwachen (z. B. die Software BlueDot in Kanada), die Symptome zu erfassen (z. B. die mobilen Anwendungen NCOVI in Vietnam, Self Diagnosis in Südkorea und C-19 COVID Symptom Tracker im Vereinigten Königreich), Kontaktpersonen aufzuspüren (z. B. TraceTogether in Singapur, StopCovid in Frankreich und das vom MIT entwickelte Private Kit) und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu begleiten (in Frankreich z. B. mit Drohnen, in Polen mit der Anwendung Home Quarantine).17 Dies wiederum kann den Politikverantwortlichen helfen, die Vorschriften entsprechend anzupassen und die Einhaltung der von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zu überwachen. Es ist u. U. schwierig, Datenschutz, individuelle Rechte und Effektivität miteinander in Einklang zu bringen. Für all diese Aspekte können Erkenntnisse aus der Regulierungspolitik und dem Regulierungsmanagement von Nutzen sein.18, 19, 20
Besonders wichtig ist, dass die verhaltensökonomischen Einflussfaktoren menschlichen Handelns erkannt und bei der Gestaltung von Maßnahmen berücksichtigt werden.21 „Rationale“ Entscheidungen22 werden u. U. in stärkerem Maße durch den gesellschaftlichen Kontext und sogenannte Behavioural Biases bzw. kognitive Verzerrungen beeinflusst, was wirksame Politikmaßnahmen erschwert. Einige Beispiele hierfür waren bereits zu beobachten. So werden die staatlichen Maßnahmen zur sozialen Distanzierung oder Quarantäne zuweilen nicht befolgt, obwohl es eindeutige Belege dafür gibt, dass dies notwendig ist. Ein weiteres Beispiel ist das „Horten“, eine Verhaltensweise, die sich allein dadurch verbreiten kann, dass sie bei anderen beobachtet wird. Die ergriffenen Maßnahmen sehen umgehende und umfassende Verhaltensänderungen vor, einschließlich bedeutender Änderungen bei Alltagsroutinen, die bei Angst oder Panik schwer umzusetzen sind. Von widersprüchlichen, verwirrenden oder übermäßig „zuversichtlichen“ Aussagen von Behörden (die später zurückgenommen oder von den Ereignissen widerlegt werden) geht u. U. eine erhöhte Gefahr wachsenden Misstrauens aus.23 Übermäßig rigide oder unverhältnismäßig strenge Durchsetzungsmaßnahmen und aufwendige Verfahren gehen in der Regel auf Kosten der Legitimität der Behörden, der freiwilligen Befolgung und der längerfristigen Unterstützung.
Aufrechterhaltung der Wirtschaft
Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und der Dienstleistungsqualität, der Verbraucherschutz und die Förderung von effizienter Ressourcennutzung und Wettbewerb zählen zu den gemeinsamen Zielen wirtschaftlicher Regulierungsbehörden weltweit. In einer Zeit, in der bei der Nutzung von Infrastrukturdiensten, wie elektronischen Kommunikationsdiensten, Energie- und Wasserversorgung oder Verkehrsdiensten, beispiellose Veränderungen zu beobachten sind und das Leben und die Arbeitsweise von Menschen weltweit beeinträchtigt werden, müssen sich die Regulierungsbehörden umfassend und schnell anpassen. Die Sofortmaßnahmen, die in den einzelnen Ländern ergriffen wurden, umfassen u. a. die Aussetzung bestimmter Verbrauchergebühren (z. B. Sofortmaßnahmen zur Stundung oder zeitlich gestaffelten Zahlung von Rechnungen für Versorgungsleistungen), die Lockerung von Compliance- oder Berichtspflichten für Normadressaten (z. B. Verlängerung der Fristen zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen) und die Bereitstellung von Leitlinien für Verbraucher zur Nutzung von Netzdiensten (z. B. Nutzung von mobilen Daten bzw. Internet während der Ausgangssperre).
Die Regulierungsbehörden benötigen mehr denn je eine solide Governance, um ihren Auftrag zu erfüllen. Die Krise verdeutlicht, wie wichtig koordinierte Maßnahmen und Informationsaustausch sind, denn es bedarf eines gemeinsamen Vorgehens einer Vielzahl staatlicher Stellen, um das Funktionieren der Märkte zu gewährleisten. Die wirtschaftlichen Regulierungsbehörden müssen für die staatlichen Stellen, die die Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen konzipieren, u. U. Daten bereitstellen, z. B. zu schutzbedürftigen Verbrauchern, Netzkapazitäten, Strukturveränderungen einzelner Märkte und den finanziellen Aussichten der Marktakteure. Die italienische Regulierungsbehörde für Energie, Netze und Umwelt (ARERA) etwa berichtet von häufigeren Kontakten zwischen der Regulierungsbehörde und Betreibern, öffentlichen Einrichtungen und lokalen Regulierungsbehörden im Rahmen formeller Koordinierungsgespräche. Die Regulierungsbehörden müssen außerdem sicherstellen, dass die Sondermaßnahmen, die sie selbst ergreifen, und die der staatlichen Stellen sinnvoll aufeinander abgestimmt sind – und sich zugleich ein ausreichendes Maß an institutioneller Autonomie bewahren und an einer unabhängigen und evidenzbasierten Entscheidungsfindung festhalten. Internationale Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung und findet bereits statt, in erster Linie im Rahmen bestehender sektorspezifischer oder regionaler Netzwerke von Regulierungsbehörden (wie z. B. die Gemeinsame Erklärung der Europäischen Kommission und des Gremiums europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation – GEREK) zum Umgang mit der höheren Nachfrage nach Konnektivität aufgrund der Covid-19-Pandemie24 zeigt). Die internen Prozesse von Regulierungsbehörden und deren Governance – die Solidität schneller Entscheidungsprozesse, die Anpassungsfähigkeit des Personals, Kapazitäten für nichtdigitale essenzielle Kontrollen usw. – sind ebenfalls wichtige Faktoren, um in dieser beispiellosen Situation eine effektive Leistung zu gewährleisten. Der Fokus liegt gegenwärtig auf prioritären Sofortmaßnahmen, dabei spielen jedoch auch mittel- und langfristige Aspekte eine wichtige Rolle. Zu nennen sind hier u. a. die Befristung der Sondermaßnahmen und Projektionen der Entwicklung von Branchen und Marktstrukturen in der Krise sowie möglicher Auswirkungen auf den Auftrag und die Ressourcenausstattung der Regulierungsbehörden selbst.
Diese Ausnahmesituation verdeutlicht die zentrale Bedeutung der Rechtsetzung als eines der wichtigsten Instrumente staatlichen Handelns neben Steuern, Ausgaben und Kommunikation, und sie veranschaulicht die Relevanz der in der OECD-Empfehlung zu Regulierungspolitik und Governance von 2012 genannten Instrumente und Verfahren, damit die Qualität der Rechtsetzung auch in Krisenzeiten gewährleistet bleibt.
Anmerkungen
← 1. Dies bekräftigt auch die jüngste G20-Erklärung zu Handel und Investitionen: „Wir vereinbaren, dass Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19, so sie für nötig erachtet werden, gezielt, angemessen, transparent und zeitlich begrenzt sein müssen und dass sie keine unnötigen Handelshindernisse oder Störungen der globalen Lieferketten entstehen lassen und mit den WTO-Regeln in Einklang stehen…” G20 Trade and Investment Ministerial Statement, 30. März, 2020, https://g20.org/en/media/documents/g20_trade%20&%20investment_ministerial_statement_en.pdf.
← 2. OECD (2020), “Tracking and tracing COVID: Protecting privacy and data while using apps and biometrics”, https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=129_129655-7db0lu7dto&title=Tracking-and-Tracing-COVID-Protecting-privacy-and-data-while-using.
← 3. OECD (2013), International Regulatory Co-operation: Addressing Global Challenges, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264200463-en.
← 4. „Mehr als Eindämmung: Antworten der OECD-Gesundheitssysteme auf COVID-19”.
← 5. Zu den Ansätzen der internationalen regulatorischen Zusammenarbeit im Hinblick auf den Abbau von Handelshindernissen, vgl. OECD (2017), International Regulatory Co-operation and Trade: Understanding the Trade Costs of Regulatory Divergence and the Remedies, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264275942-en.
← 6. OECD (2016), International Regulatory Co-operation: The Role of International Organisations in Fostering Better Rules of Globalisation, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264244047-en.
← 7. Dies wird in einer demnächst erscheinenden Studie der OECD-Abteilung Regulierungspolitik dokumentiert, die sich mit der internationalen Zusammenarbeit im Regulierungsbereich befasst: No policymaker is an island: the international regulatory co-operation response to the COVID-19 crisis.
← 10. Die Leitlinien-Website der WHO umfasst inzwischen spezielle Leitlinien für die Versendung von Laborproben an WHO-Referenzlabore, um eine Bestätigung der COVID-19-Testergebnisse zu erhalten: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/technical-guidance.
← 12. OECD (2014), Regulatory Enforcement and Inspections, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264208117-en und OECD (2018), OECD Regulatory Enforcement and Inspections Toolkit, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264303959-en.
← 13. In einer Reihe von Ländern wurde beschlossen, Fristen bzw. das Einreichen von Dokumenten in Papierform auszusetzen. Für Brasilien vgl. z. B.: http://tozzinifreire.com.br/en/boletins/covid-19life-scienceshealthcare-anvisa.
← 14. Zu diesem Abschnitt vgl. auch folgende Studie aus dem Jahr 2015: www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4355722/#bib22.
← 15. Im Vereinigten Königreich wurden die administrativen Auflagen und Beschränkungen für den Import von PSA und Handdesinfektionsmitteln gelockert. Wegen näherer Einzelheiten vgl. www.gov.uk/government/news/regulations-temporarily-suspended-to-fast-track-supplies-of-ppe-to-nhs-staff-and-protect-companies-hit-by-covid-19. In Brasilien gab die National Health Regulatory Agency (ANVISA) die Richtlinie ANVISA RDC Nr. 348/2020 heraus. Vgl. dazu: http://tozzinifreire.com.br/en/boletins/covid-19life-scienceshealthcare-anvisa. Die US-amerikanische Food and Drug Administration gab Leitlinien zur Lockerung der Anforderungen für PSA (www.fda.gov/media/136449/download) und vor Kurzem auch für die Zulassung von Beatmungsgeräten heraus (www.theregreview.org/2020/04/03/runkle-fda-relaxes-rules-ventilators-covid-19).
← 16. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sichergestellt wird, dass alle Testkapazitäten mobilisiert werden und zugleich die Professionalität und die Sicherheit gewährleistet bleiben, zumal weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass Massentests eines der wichtigsten Elemente einer erfolgreichen Bekämpfung der Pandemie sind. Vgl. z. B. www.sciencemag.org/news/2020/03/coronavirus-cases-have-dropped-sharply-south-korea-whats-secret-its-success und https://ourworldindata.org/covid-testing.
← 17. Zu diesem Ergebnis kam ein gemeinsames Expertenteam der OECD und der Weltbankgruppe, das eine Reihe von Initiativen untersuchte, die im gegenwärtigen Kontext in verschiedenen (OECD- und Nicht-OECD-)Ländern ergriffen werden. Die Arbeit wird in Kürze abgeschlossen.
← 18. OECD (2020), “Tracking and tracing COVID: Protecting privacy and data while using apps and biometrics”, https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=129_129655-7db0lu7dto&title=Tracking-and-Tracing-COVID-Protecting-privacy-and-data-while-using.
← 19. OECD (2020), “Ensuring data privacy as we battle COVID-19”, https://read.oecd-ilibrary.org/view/?ref=128_128758-vfx2g82fn3&title=Ensuring-data-privacy-as-we-battle-COVID-19.
← 20. Vgl. dazu die neuen Vorschläge zu technischen Lösungen, um Datenschutz und Track-und-Trace-Technologien miteinander zu vereinbaren, z. B. unter: https://www.pepp-pt.org and https://medium.com/@tizianolattisi/tracing-contamination-through-mobile-phone-locations-balancing-effectiveness-with-privacy-and-1ca4b6c9a7b6.
← 21. Die OECD unterstützt in der gegenwärtigen Krisensituation den Aufbau der Arbeitsgruppe „COVID-19 Behavioural Insights“ als ein Forum, in dem Politikverantwortliche und Fachleute zusammenarbeiten und sich über Ideen, Ressourcen, Erkenntnisse und Ansätze zur Bekämpfung von COVID-19 austauschen können. Die erste Sitzung Anfang April 2020 soll Lightning Talks über die Nutzung verhaltensökonomischer Erkenntnisse zur Eindämmung der Pandemie aus Frankreich, Japan, Südafrika und dem Vereinigten Königreich umfassen und eine handlungsorientierte Diskussion der politischen Entscheidungsträger ermöglichen.
← 22. Wegen näherer Informationen zum Einfluss von Kontext und Biases auf die Entscheidungsfindung und diesbezüglichen Lösungsansätzen vgl. OECD (2019), Tools and Ethics for Applied Behavioural Insights: The BASIC Toolkit, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9ea76a8f-en.
← 23. Zur Kommunikation in Krisensituationen und zur zentralen Bedeutung von Vertrauen vgl. https://aisel.aisnet.org/cgi/viewcontent.cgi?article=1166&context=ecis2016_rp.
← 24. Zur gemeinsamen Erklärung vgl. sshttps://berec.europa.eu/eng/document_register/subject_matter/berec/others/9236-joint-statement-from-the-commission-and-the-body-of-european-regulators-for-electronic-communications-berec-on-coping-with-the-increased-demand-for-network-connectivity-due-to-the-covid-19-pandemic.