Dieser Bericht umfasst ein internationales Benchmarking des deutschen Ökosystems der Künstlichen Intelligenz (KI) und diskutiert Fortschritte bei der Umsetzung der nationalen KI-Strategie. Der Bericht stützt sich auf quantitative und qualitative Daten sowie auf Erkenntnisse aus dem OECD.AI Policy Observatory und dem OECD Programme on AI in Work, Innovation, Productivity and Skills (AI-WIPS) – einem von der Bundesregierung finanzierten OECD-Forschungsprogramm – und basiert auf Ergebnissen von Interviews mit einem breiten Spektrum an Interessenvertreter:innen in Deutschland. Der Bericht diskutiert Deutschlands Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen im KI-Bereich und gibt Empfehlungen zur Gestaltung der KI-Politik in Deutschland in den kommenden Jahren ab. Die Ergebnisse werden anhand der Schwerpunkte präsentiert, die in der nationalen KI-Strategie Deutschlands definiert wurden: 1) Köpfe; 2) Forschung; 3) Transfer und Anwendungen; 4) Arbeitswelt; 5) Ordnungsrahmen; und 6) Gesellschaft. Darüber hinaus befasst sich der Bericht mit der KI-Infrastruktur und enthält drei spezielle Sektor-„Spotlights“ zu KI im öffentlichen Sektor, KI und Nachhaltigkeit sowie zum Einsatz von KI im Gesundheitswesen.
OECD-Bericht zu Künstlicher Intelligenz in Deutschland
Abstract
Executive Summary
Deutschland hat 2018 als eines der ersten Länder mit einer nationalen Strategie für künstliche Intelligenz (KI) Weitblick und Führungsstärke bewiesen. Seitdem hat die deutsche Regierung die KI-Entwicklung so gesteuert, dass sowohl die nationale als auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit im KI-Bereich gestärkt wird. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass die Verbreitung von KI menschenzentriert ist und sowohl Arbeitnehmer:innen als auch der Gesellschaft als Ganzes zugutekommt.
Sechs Jahre später hat sich das geopolitische und wirtschaftliche Umfeld drastisch verändert. Zu den Herausforderungen gehören Lieferkettenunterbrechungen aufgrund der COVID-19-Pandemie und einer durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelösten Energiekrise, die die Inflation anheizte, und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen bedrohte. Im Inland zieht der demografische Wandel hohe Kosten im Gesundheitssystem nach sich und trägt zum Arbeitskräftemangel bei.
Gleichzeitig hat sich die KI-Landschaft äußerst schnell weiterentwickelt. Der Aufstieg von Allzweck-KI-Systemen hat aufgrund deren erheblichen Potenzials, ganze Branchen zu transformieren und die Produktivität zu steigern, Ende 2022 die Welt im Sturm erobert. Diese Versprechen haben einen internationalen „Wettlauf“ im KI-Bereich angestoßen, bei dem Länder darum konkurrieren, sich wirtschaftliche und politische Vorteile zu sichern und ihre Führungsposition in der KI-Technologieentwicklung sowie -Anwendung zu behaupten. Diese rasanten Fortschritte haben zudem die Bedenken hinsichtlich der Entwicklung, Implementierung und Steuerung von KI verstärkt.
Während Deutschland mit der Umsetzung einer wirtschaftlichen und politischen „Zeitenwende“ ringt, sollte KI als wichtiges Instrument zur Bewahrung seiner internationalen Position als Wirtschaftsmacht betrachtet werden. Die Bewältigung anhaltender Herausforderungen und die Erschließung des vollen Potenzials von KI in allen Sektoren erfordern einen strategischen Wandel.
Die im Rahmen der nationalen KI-Strategie umgesetzten Initiativen legten den Grundstein dafür, dass Deutschland sich zu einem weltweit führenden Land in der KI-Forschung entwickeln konnte. Deutschland hat in der wirkungsvollen KI-Forschung deutliche Fortschritte gemacht. Seine öffentlichen und privaten Institutionen gehören zu den weltweit führenden Institutionen in Sachen KI-Forschungspublikationen.
Auch Deutschlands Bemühungen, qualifizierte KI-Fachkräfte zu gewinnen, waren erfolgreich. Es muss jedoch noch mehr getan werden, um den KI-Talentepool zu erweitern und die Arbeitnehmer:innenschaft adäquat vorzubereiten. Eine stärkere Beteiligung von Frauen an der KI‑Forschung und -Führung ist außerdem entscheidend, um den Talentepool zu erweitern und den Gender Gap zu verringern. Um die Arbeitnehmer:innenschaft auf das KI-Zeitalter vorzubereiten, sind darüber hinaus zusätzliche KI‑Studiengänge an deutschen Hochschulen erforderlich. Darüber hinaus sind proaktive Maßnahmen wie die Antizipation von KI-Fähigkeiten, die Förderung lebenslanger Weiterbildungsmöglichkeiten und Anreize für Unternehmen, KI-Schulungen am Arbeitsplatz anzubieten, unerlässlich.
KI kann die körperliche Sicherheit, die Freude an der Arbeit und die Produktivität steigern. Sie birgt aber auch Risiken, darunter Bedenken hinsichtlich Automatisierung, Datenschutz, Biases, Verantwortlichkeit, Transparenz und erhöhter Arbeitsintensität. Sozialer Dialog und Schulungen sind entscheidend für einen vertrauenswürdigen Einsatz von KI am Arbeitsplatz. Die Einbindung der Arbeitnehmer:innen bei der Einführung von KI-Tools kann die Arbeitsbedingungen und die Leistung verbessern. Allerdings sehen sich die Sozialpartner:innen mit begrenzten Fachkenntnissen und Ressourcen konfrontiert. Wie das deutsche Betriebsrätemodernisierungsgesetz zeigt, sind Ausbildung und fachliche Beratung maßgeblich für fundierte Entscheidungen über KI am Arbeitsplatz.
Die für KI notwendige Infrastruktur ist entscheidend für Fortschritte im KI-Bereich und wird voraussichtlich auch in Zukunft ein wichtiger Faktor für KI-Fähigkeiten sein. Während Deutschland über solide KI-Rechenkapazitäten, insbesondere im Forschungsbereich, verfügt, könnten durch eine umfassende Abschätzung der Kapazitäten und des Bedarfs Lücken ermittelt und Orientierungshilfe für zukünftigen Investitionen geleistet werden.
Für KI-Anwendungen werden Daten benötigt, was aber aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten und der begrenzten Verfügbarkeit industrieller Daten sowie öffentlicher Verwaltungsdaten weiterhin einen erheblichen Engpass darstellt. Die Datenqualität und -verfügbarkeit für das Trainieren von KI-Modellen könnte verbessert werden, indem staatliche Behörden verpflichtet werden, nicht sensible Daten in offenen Formaten zu veröffentlichen. Außerdem sollten Rahmenwerke zum verantwortungsvollen Austausch branchenspezifischer Daten gestärkt und regulatorische Leitlinien für die Verwendung personenbezogener Daten bereitgestellt werden.
Deutsche Unternehmen setzen zunehmend KI-Lösungen ein und zeigen diesbezüglich erhöhtes Interesse, was sich möglicherweise auf Entwicklungen auf dem Gebiet der Generativen KI sowie auf den Arbeitskräftemangel zurückführen lässt. Um diese Dynamik aufrechtzuerhalten, ist eine gezielte finanzielle Unterstützung erforderlich, die Unternehmen dabei hilft, Geschäftsfälle zu verstehen und wichtige komplementäre Ressourcen – sprich Kompetenzen, eine digitale Infrastruktur und eine breitere Digitalisierung – zu stärken. Start-ups entwickeln und bringen innovative Lösungen auf den Markt. Um die KI-Entwicklung voranzutreiben, sollte Deutschland sein unternehmerisches KI‑Ökosystem aktiver fördern und Start-up-Wachstum unterstützen.
KI kann die Effizienz und Entscheidungsfindung des öffentlichen Sektors sowie öffentliche Dienstleistungen verbessern. Deutschland ergreift diese Chance über viele Regierungsebenen hinweg, wobei die Initiativen jedoch voneinander isoliert sind. Darüber hinaus begrenzt der geringe Digitalisierungsgrad im öffentlichen Sektor das Potenzial für die Nutzung von KI. Eine verbesserte Koordinierung, eine klare Festlegung der Zuständigkeiten, die Weiterbildung von Beamt:innen und die Aktualisierung der Roadmap für Initiativen im öffentlichen Sektor könnten den Übergang zu einem innovativeren und agileren öffentlichen Sektor beschleunigen.
Deutschland setzt sich für eine solide politische und rechtliche Grundlage für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen ein. KI kann Diagnosen und die Entdeckung von Medikamenten beschleunigen und dadurch mehr Zeit für medizinische Fachkräfte schaffen, um sich auf die Patient:innenversorgung zu konzentrieren. Die Entwicklung und Skalierung von KI-Anwendungen stößt jedoch auf Herausforderungen beim Datenzugriff und bei der Interoperabilität, bei der Sicherung der Akzeptanz durch Interessenvertreter:innen, bei den menschlichen Kapazitäten sowie der KI-Rechenkapazität. Aktualisierte Leitlinien zu Datenschutzpraktiken könnten des Weiteren dazu beitragen, aus der Sekundärnutzung von Daten einen Mehrwert zu schaffen, wobei starke Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Daten von Bürger:innen zu ergreifen sind.
Angesichts finanziell solider Initiativen, weltweit führender Forscher:innen und innovativer Unternehmen ist Deutschland auf einem guten Weg, ein internationaler Vorreiter im Bereich KI und ökologische Nachhaltigkeit zu werden. KI kann beispielsweise dazu beitragen, die Dekarbonisierung in den Bereichen Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zu beschleunigen. Die Stärkung der deutschen Führungsposition erfordert allerdings interministerielle und interdisziplinäre Zusammenarbeit, Wissensaustausch zwischen Forschung und Wirtschaft, sowie eine Erweiterung des Verständnisses von Nachhaltigkeit über Energie- und Ressourceneffizienz hinaus. Gleichzeitig sind eine Erhebung und Minimierung der negativen Umweltauswirkungen bei Entwicklung und Nutzung von KI erforderlich.
Die öffentliche Wahrnehmung von KI ist in der deutschen Bevölkerung, bei spezialisierten Nutzer:innen sowie bei Arbeitnehmer:innen relativ positiv. Angesichts der sich rasch entwickelnden gesellschaftlichen Risiken – einschließlich der Bedrohungen für Menschenrechte und demokratische Werte – ist jedoch Wachsamkeit geboten. Deutschland könnte außerdem ein breiteres Spektrum von Interessenträger:innen in KI-Politikdebatten einbinden. Darüber hinaus wäre es empfehlenswert, die öffentliche Wahrnehmung regelmäßig zu messen, um so zu verstehen, wie sich die Ansichten der Bürger:innen in Anbetracht der zunehmenden Präsenz von KI im Alltag entwickeln.
Deutschland sollte die Vision und den Ansatz seiner nationalen KI-Strategie anpassen, um neue Umstände und Gegebenheiten effektiv zu meistern. Deutschland sollte KI wirksam einsetzen, um seine drängendsten Herausforderungen zu bewältigen, unter anderem die ökologische Transformation, die administrative und industrielle Effizienz und die Qualität des Gesundheitswesens. Dafür sind eine strategische Vision und Koordinierung auf höchster politischer Ebene von entscheidender Bedeutung. Zugleich erweisen sich eine solide Technologie-, Daten- und Infrastrukturgrundlage, qualifizierte Arbeitskräfte zur Verbreitung von KI in allen Sektoren sowie gesellschaftliches Vertrauen als zentrale Grundvoraussetzungen.
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