Deutschland ist dem Entwicklungsausschuss (Development Assistance Committee – DAC) 1960 beigetreten und wurde das letzte Mal 2015 einer Prüfung durch die anderen Mitglieder unterzogen. Im diesjährigen Prüfbericht werden die seit dem letzten Peer Review erzielten Fortschritte beurteilt, die Erfolge und Herausforderungen der letzten Zeit beleuchtet und wichtige Empfehlungen für die Zukunft formuliert. Von den 2015 gemachten Empfehlungen hat Deutschland 79 % teilweise und 21 % vollständig umgesetzt. Der Bericht enthält die wichtigsten Ergebnisse und Empfehlungen des DAC sowie die Analyse des OECD-Sekretariats. Die prüfenden Länder waren Belgien und die Niederlande. Rumänien fungierte als Beobachter. Der Bericht wurde zur Peer-Review-Tagung über Deutschland am 19. Mai 2021 bei der OECD vorgelegt. Zur Durchführung der Prüfung beriet sich das Prüfteam mit Institutionen und Partnern in Deutschland (Oktober-November 2020), Ruanda (Dezember 2020) und Tunesien (Januar 2021).
Globale Anstrengungen für nachhaltige Entwicklung. Deutschland engagiert sich stark für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz und strebt nach einer gerechten und ökologisch nachhaltigen Globalisierung. Es könnte weltweit mehr Einfluss ausüben, wenn es stärker von „Soft Power“ Gebrauch machen würde. Die Bundesrepublik setzt sich für globale öffentliche Güter ein, geht globale Herausforderungen an und trägt gemeinsam mit anderen globale Verantwortung, z. B. in den Bereichen Gesundheit sowie sichere, geordnete und reguläre Migration. Ihre Nachhaltigkeitsstrategie wird von einer starken Vision getragen, könnte aber ambitionierter sein. Deutschland verfügt über Mechanismen, um dafür zu sorgen, dass seine inländische Politik mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung im Einklang steht, und macht Fortschritte in einigen ressortübergreifenden Bereichen. Es könnte jedoch mehr tun, um Spillover-Effekte auf Entwicklungsländer zu begrenzen. Angesichts des dezentralisierten Verwaltungssystems bedarf es einer Zusammenarbeit zwischen den jeweils eigenständigen Bundesministerien und Bundesländern. Entwicklungszusammenarbeit und Hilfe für arme Länder sind den Bürger*innen Deutschlands ein wichtiges Anliegen. Es muss weiter daran gearbeitet werden, dass sich diese positive Grundeinstellung in einem größeren öffentlichen Engagement und konkreten Verhaltensänderungen niederschlägt.
Politikvision und Rahmenkonzept. Das 2018 erschienene Strategiepapier Entwicklungspolitik 2030 ist um die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen herum aufgebaut. Die Entwicklungszusammenarbeit ist zwar fest in den politischen und strategischen Prioritäten verankert und stützt sich auf eine starke Führung und finanzielle Mittel; über das zuständige Fachministerium, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), hinaus fehlt es jedoch an einer für die verschiedenen Akteure der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bindenden Gesamtvision. Mit dem Reformkonzept „BMZ 2030“, das einen langfristigen Fokus auf globale öffentliche Güter ebenso wie kurzfristigere Politikinitiativen gestattet, soll Entwicklungspolitik 2030 umgesetzt werden. Deutschland hat in jüngerer Zeit eine Neuausrichtung seiner Entwicklungsanstrengungen auf Afrika vorgenommen, die Zahl seiner Partnerländer von 85 auf 60 verringert und seine thematischen Schwerpunkte auf fünf Kernthemen konzentriert. Dies könnte ein modernes Narrativ bieten, das Deutschlands komparative Vorteile in der Entwicklungszusammenarbeit hervorhebt. Deutschland sollte weiter in eine Reihe übergreifender Qualitätsmerkmale wie die Geschlechtergleichstellung und die Verringerung von Armut und Ungleichheit investieren. Mit seiner multilateralen Strategie sucht Deutschland die multilaterale Ordnung zu stärken und politische Prioritäten zu verankern, darunter Aktionen im Klimabereich. Deutschland könnte sich stärker mit den vielen unterschiedlichen Akteuren austauschen, die an seiner Entwicklungsarbeit beteiligt sind.
Entwicklungsfinanzierung. 2020 leistete Deutschland öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Aid – ODA) in Höhe von 28,4 Mrd. USD (vorläufige Daten). Dies entspricht 0,73 % seines Bruttonationaleinkommens (BNE). Damit ist Deutschland eines von nur sechs DAC-Ländern, die den ODA-Zielwert von 0,7 % des BNE erreichen bzw. übertreffen. Seit 2016 ist Deutschland unter den DAC-Ländern das zweitgrößte Geberland, der für die Leistungen an die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) gesetzte Zielwert von 0,15 % des BNE wurde jedoch noch nicht erreicht. 23 % der bilateralen ODA-Bruttoleistungen bestehen aus Krediten, die fast alle an Länder der mittleren Einkommensgruppe gehen. Auf die Technische Zusammenarbeit, die fast ausschließlich über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH erbracht wird, entfallen 16 % der bilateralen Leistungen. Als starker Verfechter des Multilateralismus setzt sich Deutschland auch für gemeinsame Aktionen in den Bereichen Klimawandel und Fluchtursachen ein. Der stärkste Zuwachs war seit 2010 bei den ODA-Leistungen an Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas zu beobachten, wobei die deutsche ODA inzwischen allerdings größtenteils auf Afrika konzentriert ist. Die Budgethilfe in Form „politikbasierter“ Kredite (Policy-based Loans – PBL) hat ebenfalls zugenommen. Damit werden über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und deren Tochter, die Deutsche Entwicklungsgesellschaft (DEG), über die ODA hinausgehende Finanzierungsmittel bereitgestellt. Dies ist hilfreich, um eine Architektur zur Unterstützung der Partnerländer bei der Mobilisierung inländischer Mittel zu schaffen.
Strukturen und Systeme. Die Tatsache, dass es ein eigenes Fachministerium für die Entwicklungszusammenarbeit gibt, stärkt ihr Profil und ihre Ressourcenausstattung; die Sicherung eines ressortübergreifenden Ansatzes ist in Deutschlands dezentralisiertem Gesamtsystem jedoch schwierig. Das Ressortprinzip und die nicht hierarchische Beziehung zwischen den Bundesministerien führen zu einer Praxis der Nichteinmischung, die Kooperation und Koordinierung erforderlich macht. Die Arbeitsteilung zwischen dem BMZ und den vier Durchführungsorganisationen ist klar geregelt, ihre jeweiligen Aufgaben ergänzen sich und dies wird in den Partnerländern gut verstanden. Mit der Gemeinsamen Verfahrensreform und dem System der integrierten Planung und Allokation bemüht sich das BMZ, den Bürokratieaufwand zu verringern und die politische Steuerung wirksamer zu gestalten. Dank Deutschlands umfassenden und soliden Risikomanagementsystems können Risiken eingeschätzt, beobachtet und gemindert werden. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird von hochqualifizierten Mitarbeiter*innen verwaltet und erbracht, bleibt aber sehr zentralisiert. Würde die Zahl und die Kompetenz der in die Botschaften entsandten BMZ-Mitarbeiter*innen erhöht, damit sie einen größeren Beitrag zu Entscheidungen leisten und sich flexibel in die Entwicklungszusammenarbeit auf Länderebene einbringen können, könnte effektiver und effizienter gearbeitet werden. Das in den Partnerländern beschäftigte nationale Personal hilft beim Verständnis des lokalen Kontexts und hält den Dialog aufrecht. Eine stärkere Nutzung von Verkehrssprachen in nicht amtlichen Unterlagen würde es ihnen ermöglichen, sich stärker einzubringen und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbessern.
Umsetzung und Partnerschaften. Deutschland unterhält starke Partnerschaften, u. a. mit multilateralen Institutionen, staatlichen und kommunalen Akteuren, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Forschungs- und Evaluierungsinstituten und der Privatwirtschaft. Es könnte dieses vielfältige Spektrum an Partnern besser nutzen, die Mittel für zivilgesellschaftliche Organisationen, auch solche in Entwicklungsländern, aufstocken und bürokratische Hürden abbauen. Eigens dafür vorgesehene Mechanismen und Instrumente sorgen für mehr Vorhersehbarkeit und Flexibilität bei der Einbeziehung des Privatsektors, Finanzierungsfristen und Bürokratie bereiten jedoch weiterhin Schwierigkeiten. Deutschland ist ein engagierter Verfechter des Multilateralismus und des Joint Programming der EU und macht sich für Dreieckskooperation stark. Es könnte mehr tun, um Partnerschaften zwischen verschiedenen Akteuren zu fördern. Deutschland setzt sich für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit ein, das BMZ muss bei der Umsetzung seines Reformkonzepts „BMZ 2030“ aber darauf achten, dass die Eigenverantwortung der Partnerländer gewahrt bleibt. Dies ist auch eine gute Gelegenheit, Form und Inhalt seiner Länderstrategien neu zu durchdenken. Die Unterstützung für die Partnerländer ist verlässlich mit einer starken Vorausplanung. Deutschland verfügt über ein breites Spektrum an Instrumenten, um flexibel auf die Bedarfe der Partnerländer einzugehen, und seine Reformfinanzierung ist an die Erzielung von Ergebnissen gebunden, denen sie zustimmen.
Ergebnisse, Evaluierung und Lernprozess. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist auf die Prioritäten der Partnerländer abgestimmt, die übergeordneten Ziele sind jedoch nicht so formuliert, dass ihre Umsetzung gemessen und evaluiert werden könnte. Die „Outcomes“ der Projekte sind zwar mit den „Impacts“ der Portfolios verknüpft, es muss aber noch an der Verbesserung des ergebnisorientierten Managements und der Verankerung einer Ergebniskultur in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet werden. Hilfreich wären Verbesserungen des integrierten Datenmanagementsystems und ein umfassenderer Katalog an Indikatoren. Ergebnisbezogene Informationen werden zwar für Rechenschaftslegung und Kommunikation verwendet, aber nicht für strategische Ausrichtung und Management. Deutschland verfügt über starke Evaluierungskapazitäten, die großes Ansehen genießen, und wirkt international an Evaluierungsaktivitäten mit. Das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) führt strategische Evaluierungen durch, GIZ und KfW evaluieren Projekte und Portfolios. Das BMZ sollte eventuell darüber nachdenken, wie es die Evaluierungsressourcen optimal auf das gesamte EZ-System verteilen kann. Die Evaluierungsfunktionen sind unabhängig. GIZ und KfW könnten ihren Ansatz verbessern, indem sie institutionelle Evaluierungskapazität in den Partnerländern aufbauen, u. a. durch partizipative Konzepte. Es gibt Netzwerke für Wissensaustausch und Lernen innerhalb des deutschen Systems, das Wissensmanagement ist jedoch mit Herausforderungen verbunden. Ergebnisbezogene Informationen, Evaluierungsergebnisse und gewonnene Erkenntnisse müssen systematischer verbreitet werden.
Fragile Kontexte, Krisen und humanitäre Hilfe. Deutschland hat eine klare Vision mit einem Katalog an Maßnahmen für die Unterstützung von Friedensbemühungen. Seine erhöhten ODA-Leistungen sind jedoch nicht primär für fragile Kontexte bestimmt. Deutschland macht sich für Politikdialog stark, um in Krisensituationen für mehr Kohärenz zu sorgen. BMZ, GIZ und KfW haben die Modalitäten ihres Engagements in hochriskanten Kontexten gestärkt und die humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes ist bedarfsorientiert und auf humanitäre Prinzipien gegründet. BMZ und Auswärtiges Amt haben ihre Koordination deutlich verstärkt, insbesondere im Hinblick auf gemeinsame Analysen. Wenn noch gezielter bei den Überschneidungen zwischen humanitärer Hilfe und konfliktsensibler Entwicklungszusammenarbeit angesetzt würde, wäre mehr Komplementarität möglich. Würde zudem klargestellt, dass ein Nexus-Ansatz in der Programmgestaltung über die betreffenden zehn Länder der BMZ-Liste hinaus von Bedeutung ist, könnte Deutschlands Programmgestaltung in allen fragilen Kontexten verbessert werden. Deutschland hat zwar die Partnerschaften mit multilateralen Akteuren verstärkt, durch mehr Unterstützung für zivilgesellschaftliche Organisationen auf lokaler Ebene könnte aber ebenfalls eine gezieltere Wirkung und größere Granularität der Kontextanalyse für Friedensförderung und Konfliktprävention erreicht werden.