108. Im gegenwärtigen Umfeld könnten die Steuerpflichtigen zögern, mit laufenden Vorabverständigungsverfahren fortzufahren bzw. neue APA-Anträge zu stellen. Dies ist in Anbetracht der erheblichen wirtschaftlichen Unsicherheit verständlich, der sich viele Unternehmen gegenübersehen und die es manchen Steuerpflichtigen unmöglich machen könnte, heute Einigungen über künftige APA zu erzielen. Allerdings gilt es auch die Rolle anzuerkennen, die Vorabverständigungen bei der Schaffung von Steuersicherheit für die Steuerpflichtigen ebenso wie die Steuerverwaltungen sowie bei der Verhinderung künftiger Steuerstreitigkeiten spielen.
109. Stehen Steuerpflichtige und Steuerverwaltungen in Verhandlungen über Vorabverständigungen, die für das Wirtschaftsjahr 2020 gelten sollen, werden alle Beteiligten ermutigt, sich bei der Entscheidung, wie die gegenwärtige wirtschaftliche Lage berücksichtigt werden sollte, flexibel und kooperativ zu verhalten; dabei sind die verschiedenen weiter oben erörterten Optionen hinsichtlich der Änderung bestehender APA relevant. Beispielsweise könnte geprüft werden, ob eine APA mit kurzer Laufzeit für den von der COVID-19-Pandemie betroffenen Zeitraum und eine separate APA für die Zeit nach der Pandemie vereinbart werden sollten. Eine weitere Lösung könnte darin bestehen, die APA für den gesamten Zeitraum (z. B. mit einer Laufzeit 2020-2024) zu schließen, dabei aber festzulegen, dass die einschlägigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, sobald sie bekannt sind, für jedes Jahr untersucht und aufgezeichnet werden und gegebenenfalls entsprechende rückwirkende Änderungen der APA vorgenommen werden. Eine wieder andere Lösung könnte sein, die Laufzeit der APA zu verlängern, um den kurzfristigen Effekt der Pandemie abzuschwächen; dies wäre von Umfang und Dauer dieses Effekts abhängig. Zusätzlich könnte erwogen werden, einen Laufzeittest bzw. eine Gesamtevaluierung über die gesamte Dauer der APA durchzuführen. In diesem Kontext ist es wichtig, dass sich die Steuerpflichtigen transparent verhalten und alle sachdienlichen Informationen bezüglich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die unter die Vereinbarung fallenden Geschäftsvorfälle zeitnah offenlegen. Die unter Ziffer 104 dieser Leitlinien genannte Begleitdokumentation kann diesbezüglich als Referenz dienen.
110. Die COVID-19-Pandemie stellt die Steuerverwaltungen und die Steuerpflichtigen darüber hinaus vor praktische Schwierigkeiten bei der Verhandlung von APA. Solche potenziellen Herausforderungen können eine Reihe von Gründen haben, darunter Beschränkungen des inländischen und internationalen Reiseverkehrs, Arbeit im Homeoffice – sei sie vorgeschrieben oder freiwillig – oder zusätzlicher Ressourcendruck infolge der als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie unternommenen Anstrengungen.
111. Trotz dieser potenziellen Herausforderungen bleiben APA ein wertvolles Instrument, um mehr Sicherheit zu erzielen und Konflikten wirksam vorzubeugen. Eine Reihe von Steuerverwaltungen und Steuerpflichtigen haben verschiedene Möglichkeiten zur Anpassung ihrer Arbeitsweisen gefunden, um praxisrelevante Hindernisse zu überwinden, die die Arbeit an Vorabverständigungen erschwert haben. Steuerverwaltungen und Steuerpflichtige sollten anerkennen, dass das sture Festhalten an Arbeitspraktiken aus der Zeit vor COVID-19 Verhandlungen über neue Vorabverständigungen über Verrechnungspreise unverhältnismäßig in die Länge ziehen könnte. Stattdessen sollten innovative und flexible Ansätze unterstützt werden, um Verzögerungen beim Abschluss gegenwärtig verhandelter APA zu minimieren.
112. Es gibt verschiedene technologische Lösungen, um traditionelle Kommunikationsmethoden wie persönliche Treffen und den Austausch physischer Dokumentation unter Wahrung der Vertraulichkeit und der Sicherheitsanforderungen zu ersetzen und/oder zu ergänzen. Es kann zwar Situationen geben, in denen flexible Ansätze nicht unmittelbar erkennbar oder nicht angemessen sind, allerdings sollten Steuerverwaltungen und Steuerpflichtige dazu ermutigt werden, auf Einzelfallbasis alternative Methoden zur Fortsetzung der APA-Gespräche zu prüfen, statt auf Arbeitsmethoden der Vergangenheit oder Einheitskonzepte zurückzugreifen. Eine effektive Nutzung der Ressourcen von Steuerverwaltungen und Steuerpflichtigen ist während der COVID-19-Pandemie entscheidend, und die bereits in der Praxis gewonnene Erfahrung zeigt, dass folgende Verfahrensweisen in bestimmten Fällen erfolgreich eingesetzt werden können:
virtuelle Fallkonferenzen zwischen Steuerverwaltung und Steuerpflichtigen statt physischer Treffen (beispielsweise Telefon- und Videokonferenzen)
virtuelle Fachgespräche mit den Beschäftigten des Steuerpflichtigen
virtuelle anstelle von physischen Besuchen in den Räumlichkeiten des Steuerpflichtigen (sofern die angemessene Erfüllung der Sorgfaltspflichten dadurch nicht beeinträchtigt wird)
elektronische Dokumentenübermittlung (mittels verschlüsselter E-Mails oder elektronischer Datenaustauschplattformen)