Die gute Governance von Wirtschaftsregulierungsbehörden ist ein wichtiger Bestandteil einer soliden und sachdienlichen Regulierungspolitik. Gute Governance begünstigt eine bessere Rechtsetzung sowie Stabilität und Vorhersehbarkeit in regulatorischen Entscheidungsprozessen. In einem sich rasch wandelnden Umfeld, in dem Netzindustrien, wie Energie, Wasser, elektronische Kommunikation und Verkehr, starke Veränderungen erfahren, kann eine gute Governance das nötige Vertrauen schaffen, dass Entscheidungen gemäß dem Gebot der Integrität getroffen werden. In diesem Kapitel wird die Governance von Regulierungsbehörden anhand von Datenmaterial aus den OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden erörtert. Der Schwerpunkt liegt auf Governance-Strukturen, die die Unabhängigkeit von Regulierungsstellen in OECD- und Nicht-OECD-Mitgliedsländern wahren und ihre Rechenschaftspflicht stärken.
OECD-Ausblick Regulierungspolitik 2021 (Kurzfassung)
5. Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden
Abstract
Wichtigste Erkenntnisse
Wirtschaftsregulierungsbehörden spielen eine wichtige Rolle für die Erbringung grundlegender Dienstleistungen, und ihre Governance wirkt sich auf die Leistung kritischer Netzindustrien aus. Ihre Arbeit hat häufig Auswirkungen auf die großen sozialen, wirtschaftlichen, technologischen und ökologischen Herausforderungen, die in Kapitel 1 erörtert werden. Regulierungsbehörden befinden sich in einer einzigartigen Position, in der sie mit Verbraucher*innen, Unternehmen und staatlichen Stellen in Kontakt stehen. Ihre Governance und Leistung beeinflussen die Qualität der Dienstleistungen sowie die Stabilität und Vorhersehbarkeit regulatorischer Entscheidungsprozesse.
Aus OECD-Daten geht hervor, dass viele Regulierungsstellen Kernfunktionen ausüben, um die Funktionsweise der Märkte und die Marktergebnisse zu verbessern. Dabei geht es um Maßnahmen wie Preisregulierung, die Zulassung von Unternehmen zur Ausübung regulierter Tätigkeiten und endgültige Entscheidungen bei Streitigkeiten. Eine Minderheit von Regulierungsbehörden erlässt unabhängig Industrie- und Verbraucherstandards, während viele für die Durchsetzung solcher Standards zuständig sind. Im Durchschnitt haben Regulierungsbehörden in den Sektoren Energie und elektronische Kommunikation einen größeren Handlungsspielraum als in anderen Branchen. Damit das Regulierungssystem insgesamt wirksam funktioniert, muss klar gewährleistet sein, dass die zuständigen Agenturen über ausreichende Durchsetzungs- und Aufsichtsbefugnisse verfügen.
Die meisten OECD-Länder haben die ökonomische Regulierung von Netzindustrien an unabhängige Regulierungsstellen übertragen. Diese formelle Regelung signalisiert, dass sich die Länder über die politischen Zyklen hinaus zu langfristigen Zielen bekennen. Bei den befragten Regulierungsbehörden handelt es sich größtenteils um gesetzlich unabhängige Stellen. In den OECD-Ländern ist die Mehrzahl der Regulierungsbehörden in den Branchen Energie (87 %), elektronische Kommunikation (84 %), Schienenverkehr (83 %) und Wasser (76 %) unabhängig. Unter den Regulierungsbehörden für Luftverkehr sind es im OECD-Raum dagegen nur 50 %. In den Mitgliedsländern der Europäischen Union sind die EU-Richtlinien für die Einrichtung unabhängiger Regulierungsstellen in den Sektoren Energie und Schienenverkehr ausschlaggebend. Die Regulierungsbehörden können ungeachtet der Frage, ob sie rechtlich unabhängig operieren oder einem Ministerium unterstehen, verschiedene GovernanceStrukturen aufweisen, die ihre Unabhängigkeit garantieren.
Die meisten Regulierungsbehörden verfügen über rechtliche Garantien hinsichtlich der Ernennung, Entlassung und Anschlussbeschäftigung der Führungskräfte, um eine unabhängige Entscheidungsfindung zu gewährleisten. In der Mehrzahl der Stichprobenländer ist ein einziges Regierungsorgan für die Nominierung der Leitung der Regulierungsbehörden zuständig, wenngleich die Einbeziehung des Parlaments (bei der endgültigen Benennung oder zur Stellungnahme) nicht ungewöhnlich ist. In den meisten Fällen kann die Leitung der Regulierungsbehörden durch staatliche Entscheidungen entlassen werden, durch begrenzte und gesetzlich festgelegte Kündigungskriterien wird die Möglichkeit willkürlicher Vertragsbeendigungen in den meisten Ländern jedoch begrenzt. Einschränkungen für die Beschäftigung der Behördenleitung nach ihrer Amtszeit, einschließlich Karenzzeiten, sind eine gängige Methode, um das Risiko des Drehtür-Phänomens auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Auch wenn die meisten Regulierungsbehörden ein gewisses Maß an Entscheidungsbefugnis und finanzieller Unabhängigkeit aufweisen, könnten die Strukturen zur Wahrung ihrer Haushalts- und Finanzautonomie weiter gestärkt werden. In den meisten Fällen ist die Exekutive nur begrenzt an den Arbeitsprogrammen der Regulierungsbehörden sowie den Einzelfallentscheidungen und Rechtsmittelverfahren beteiligt. Die Mehrzahl der Regulierungsbehörden hat bei der Festlegung der Regulierungsgebühren ein gewisses Maß an Autonomie. Dabei legt etwa die Hälfte der über Gebühren finanzierten Instanzen die Höhe dieser Gebühren selbst fest. Viele andere unterbreiten dem Parlament, dem Kongress oder der Exekutive Gebührenvorschläge zur Genehmigung. Die Mittelbewilligungen erfolgen in der Regel auf Jahresbasis, obwohl mehrjährige Finanzierungsvereinbarungen die Regulierungsbehörden vor politisch motivierten Kursänderungen bewahren können.
Regulierungsbehörden mit einem stärkeren Grad an Unabhängigkeit setzen generell mehr bewährte Mechanismen zur Rechenschaftslegung ein, was das Vertrauen erhöht. Eine positive und statistisch signifikante Korrelation zwischen Unabhängigkeit und Rechenschaftslegung lässt darauf schließen, dass unabhängigere Regulierungsbehörden auch strengere Rechenschaftspraktiken anwenden.
Viele Regulierungsbehörden erfüllen grundlegende Berichtspflichten zur Förderung der Rechenschaftspflicht, was ein entscheidendes Gegengewicht zur Unabhängigkeit darstellt. Ihre Berichterstattung kann aber noch verbessert werden. Die meisten Regulierungsbehörden wenden bei der Akteursbeteiligung bewährte Methoden an. Die Mehrzahl veröffentlicht in der Regel Entscheidungsentwürfe zur Konsultation und beantwortet Stellungnahmen beteiligter Akteure. Es gibt aber noch Potenzial, die Datenerfassung und Berichterstattung über die Leistung der Regulierungsbehörden zu erweitern, was für die Beurteilung und Verbesserung von Regulierungsverfahren von entscheidender Bedeutung ist. Mindestens 20 % der von der Stichprobe erfassten Regulierungsbehörden sammeln keine Informationen über die Qualität ihrer Regulierungsverfahren, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und ihre organisatorische Governance.
Erste Befunde deuten auf eine Korrelation zwischen der Governance von Regulierungsbehörden und bestimmten Marktindikatoren in den Branchen Energieversorgung und elektronische Kommunikation hin. Künftige Forschungsarbeiten über den Zusammenhang zwischen Governance und Marktleistung können Aufschluss darüber geben, ob zwischen der Leistung eines Sektors und der Governance der sektorspezifischen Regulierungsbehörde ein Kausalzusammenhang besteht.
Einleitung
Wirtschaftsregulierungsbehörden spielen in Netzindustrien, wie Energie, elektronische Kommunikation, Verkehr und Wasser eine entscheidende Rolle. Bei der Bewältigung einiger der in Kapitel 1 erörterten Herausforderungen werden sie häufig mit den großen aktuellen gesellschaftlichen, sozialen, ökologischen, technologischen und wirtschaftlichen Anliegen konfrontiert. Sie fungieren sowohl als Regelsetzer als auch als Schiedsrichter des Marktes und gewährleisten so zugleich die Markteffizienz und die Qualität, Verlässlichkeit und Bezahlbarkeit von Dienstleistungen. In einigen Fällen üben Regulierungsbehörden auch andere Funktionen aus, wie z. B. die Förderung des Wettbewerbs auf den Märkten. Sie stärken das Vertrauen von Marktakteuren, wie Netzbetreibern und Dienstleistern, indem sie stabile regulatorische Entscheidungsprozesse gewährleisten. Dieses Vertrauen begünstigt notwendige Investitionen in den betroffenen Sektoren, da die Akteure davon ausgehen, dass sie eine angemessene Rendite erhalten. Die gute Governance dieser wichtigen Akteure fördert eine bessere Rechtsetzung sowie Stabilität und Vorhersehbarkeit bei regulatorischen Entscheidungsprozessen.
Die Governance von Wirtschaftsregulierungsbehörden ist eine wichtige Komponente starker Regulierungsrahmen, die Vertrauen schaffen und Veränderungen standhalten können. Eine solide Governance, die das Vertrauen in die Regulierungsbehörden stärken hilft, spielt im Kontext des schwindenden Vertrauens in öffentliche Institutionen in einigen Ländern eine immer wichtigere Rolle. OECD-Daten deuten darauf hin, dass sich das Vertrauen der Bevölkerung in öffentliche Institutionen noch nicht in allen OECD-Ländern vollständig von der Finanzkrise von 2009 (OECD, 2019[1]) erholt hat. Regulierungsbehörden spielen bei der Vertrauensbildung zwischen und mit den Akteuren eines Sektors eine entscheidende Rolle, da sie die Perspektive von Staat, Wirtschaft und Verbraucher*innen berücksichtigen. Mangelndes Vertrauen in Regulierungsbehörden könnte das Vertrauen in ihre Arbeit, die Stabilität, die sie sichern, und die Investitionen in die Sektoren, die sie überwachen, untergraben. In einem Umfeld, in dem Märkte einem stetigen Wandel unterworfen sind und das Misstrauen gegenüber öffentlichen Behörden steigen kann, gewinnt ein solider Rechenschaftsrahmen daher zunehmend an Relevanz. Die Einbindung der betroffenen Akteure ist im Kontext sich verändernder Märkte und des Marktzutritts neuer Akteure von entscheidender Bedeutung.
Governance-Strukturen, die die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden sichern, stärken das Vertrauen darin, dass Entscheidungen gemäß dem Gebot der Integrität getroffen werden, ohne unzulässige Einflussnahme seitens der Regierung, der regulierten Wirtschaftssektoren oder anderer Akteure. Mit größerer Unabhängigkeit steigt zugleich auch die Verantwortung, rechenschaftspflichtig zu bleiben. Instrumente zur Förderung der Rechenschaftspflicht ermöglichen es der Regierung, der Legislative, den Normadressaten und der Öffentlichkeit, die Leistung der Regulierungsbehörden im Hinblick auf ihre Ziele zu beurteilen. Diese Governance-Strukturen sind kein Selbstzweck, sondern entscheidende Faktoren für die Leistungsfähigkeit von Regulierungsbehörden, die fachlich fundierte, objektive und vorhersehbare Entscheidungen treffen müssen, um die Leistungen der einzelnen Sektoren zu steigern und die Ergebnisse für die Verbraucher*innen zu verbessern.
Regulierungsbehörden operieren an Märkten, die sich rasch verändern und an denen neue Entwicklungen und Ungewissheit ihre Ziele unmittelbar beeinflussen (OECD, 2018[2]). Eine gute Governance fördert Stabilität und Vorhersehbarkeit, auch in Zeiten des Wandels und der Krise. Angesichts der raschen Veränderungen in regulierten Sektoren, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft spielt das Vertrauen in regulatorische Entscheidungsprozesse eine noch entscheidendere Rolle. Technologische Innovationen verändern die regulierten Märkte grundlegend. Sie verlagern die Rolle der Regulierungsbehörden wie auch anderer Akteure und stellen neue Instrumente für die Regulierungspolitik zur Verfügung (vgl. Kapitel 1). Fallstudien von Regulierungsbehörden aus dem OECD-Netzwerk Ökonomische Regulierung zeigen, dass einige Regulierungsbehörden ihre Strukturen und Ansätze anpassen, um neue Technologien besser zu regulieren und die Regulierung durch den Einsatz dieser Technologien zu verbessern (OECD, 2020[3]). Rasche Veränderungen treten auch auf, wenn Krisen, wie die Covid-19-Pandemie, aber auch Wirtschaftskrisen, mit abrupten Schocks für den Status quo verbunden sind. Durch die Reaktionen der Regulierungsstellen auf die Covid-19-Pandemie wird dieser Aspekt der Unsicherheit unter einem neuen Blickwinkel beleuchtet. Es wird deutlich, dass die Regulierungsbehörden die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Sektoren stärken müssen (OECD, 2020[4]). Im Wandel begriffene Sektoren erfordern agilere Regulierungsinstanzen, die in der Lage sind, sich anzupassen, gleichzeitig aber vorhersehbar und rechenschaftspflichtig bleiben.
In diesem Kapitel werden Daten aus den OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden verwendet, um die Governance-Strukturen von 163 Wirtschaftsregulierungsbehörden in den Bereichen Energie, elektronische Kommunikation, Schienenverkehr, Luftverkehr und Wasser in 47 Ländern zu beschreiben.1 Die zweite Ausgabe der Indikatoren aus dem Jahr 2018 baut auf den Erfahrungen mit den Indikatoren von 2013 auf, die im Ausblick Regulierungspolitik von 2015 dargelegt sind. In den Indikatoren kommen Governance-Strukturen zum Ausdruck, die die Unabhängigkeit der Behörden (in Bezug auf Budget, Personal und Entscheidungsfindung) garantieren und ihre Rechenschaftspflicht (gegenüber Regierung, Parlament und Öffentlichkeit) stärken sollen. Sie messen auch den Handlungsspielraum der Regulierungsbehörden, d. h. das Spektrum der von der zuständigen Stelle ausgeübten Funktionen. Erstellt wurden die Indikatoren von der OECD, die auch die Daten in Konsultation mit Mitgliedern des Netzwerks Ökonomische Regulierung erhoben und überprüft hat (weitere Informationen finden sich in Kasten 5.1).
Ziel dieses Kapitels ist es, auf der Basis empirischer Daten in den Indikatoren und der normativen Grundlagen einen Überblick über die Trends in der Governance von Regulierungsbehörden zu schaffen. Die Ergebnisse geben einen allgemeinen Überblick über die Governance der Wirtschaftsregulierungsbehörden, der Vergleiche zwischen Ländern und Sektoren ermöglicht. Das Kapitel bietet den Leser*innen eine empirische und normative Grundlage, um die Governance-Strukturen der Regulierungsbehörden in OECD- und Nicht-OECD-Ländern zu bewerten und zu verfolgen und Bereiche zu identifizieren, in denen künftig Verbesserungen möglich sind.
Aus den Daten geht hervor, dass die Regulierungsbehörden unterschiedliche Konstellationen von Governance-Strukturen aufweisen, um die Unabhängigkeit zu wahren und die Rechenschaftspflicht zu stärken. Einige Bereiche mit Handlungsbedarf werden dabei besonders hervorgehoben. In vielen Stichprobenländern werden Maßnahmen ergriffen, um die Unabhängigkeit der zuständigen Regulierungsstellen zu formalisieren, wie beispielsweise die gesetzliche Verankerung dieser Unabhängigkeit. Die meisten Regulierungsstellen haben Vorkehrungen getroffen, um willkürliche Entlassungen von Führungskräften zu verhindern und das Risiko des Drehtür-Phänomens für Direktoriumsmitglieder und Behördenleiter*innen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Finanzierungs- und Haushaltsregelungen enthalten in der Regel Schutzmechanismen, um bei Finanzierung und Haushaltsvollzug ein gewisses Maß an Autonomie zu wahren. Die meisten Regulierungsbehörden sind auch bei der Entscheidungsfindung unabhängig. Sie folgen in den meisten Fällen den Regeln guter Praxis, um Rechenschaftspflicht und Transparenz zu fördern. Hierzu zählt beispielsweise die Veröffentlichung eines Jahresberichts. Dennoch ist Spielraum für Verbesserungen in der Leistungsberichterstattung vorhanden, insbesondere was die Leistungen der Regulierungsbehörde selbst betrifft. Die meisten Regulierungsinstanzen bieten beteiligten Akteuren die Möglichkeit, zu Entscheidungsentwürfen Stellung zu nehmen. Im Verkehrssektor ist jedoch der Anteil der Regulierungsbehörden größer, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Indikatoren zeichnen ein Bild mit unterschiedlichen Gruppen von Regulierungsbehörden. In einigen Bereichen ist eine Konvergenz zu bewährten Praktiken festzustellen, während in anderen noch Verbesserungspotenzial besteht.
Kasten 5.1. OECD-Arbeiten zur Governance von Regulierungsbehörden
Die OECD unterstützt Regulierungsbehörden bei ihren Bemühungen, Governance und Leistung zu verbessern, durch ihr Netzwerk Ökonomische Regulierung (NER), normative Leitlinien, Datenerhebungen und -analysen sowie eingehende Peer Reviews.
Das von der OECD 2013 eingerichtete Netzwerk bietet Regulierungsinstanzen aus verschiedenen regulierten Branchen, wie elektronische Kommunikation, Energie, Verkehr und Wasser in aller Welt (d. h. Regulierungsinstanzen in OECD- und Nicht-OECD-Ländern) ein einzigartiges Forum. Das Netzwerk ermöglicht es den Teilnehmern, Erfahrungen und empfehlenswerte Praktiken aus erster Hand auszutauschen, Herausforderungen zu erörtern und innovative Lösungen zu ermitteln.
Den normativen Rahmen für die Governance von Regulierungsbehörden, an dem sich die OECD-Arbeiten in diesem Bereich orientieren, bilden zentrale Dokumente. In der Empfehlung des Rates zu Regulierungspolitik und Governance von 2012 werden die hochrangigen Politikmaßnahmen definiert, die Regierungen ergreifen können, um eine gute Regulierungspolitik und Governance zu fördern. Der siebte Grundsatz bezieht sich direkt auf die Regulierungsbehörden – „Die Mitgliedsländer sollten eine konsistente Politik in Bezug auf die Rolle und die Funktionen der Regulierungsbehörden entwickeln, um das Vertrauen darin zu stärken, dass Regulierungsentscheidungen auf objektiver, unparteiischer und konsistenter Basis sowie frei von Interessenkonflikten, Befangenheit oder unzulässiger Einflussnahme getroffen werden“ (OECD, 2012[5]).
Das NER und der Ausschuss für Regulierungspolitik erarbeiteten 2014 die Best-Practice-Grundsätze für die Governance von Regulierungsstellen. Die sieben Grundsätze bieten den Regulierungsbehörden Orientierungen zu institutionellen Strukturen, Verfahren und Praktiken (OECD, 2014[6]). Andere Publikationen befassen sich eingehender mit der Governance von Regulierungsbehörden. In den Publikationen Being an Independent Regulator und Creating a Culture of Independence: Practical Guidance against Undue Influence werden beispielsweise Faktoren analysiert, die die Unabhängigkeit de facto und de jure sichern, und in der Publikation Governance of Regulators’ Practices: Accountability, Transparency and Co-ordination werden Rechenschaftsrahmen und Koordinierungsmechanismen untersucht (OECD, 2016[7]; 2017[8]; 2016[9]). Die Grundsätze bildeten die Grundlage für die Konzipierung der Indikatoren zur Governance sektorbezogener Regulierungsstellen, auf denen dieses Kapitel basiert.
Im Rahmen des Netzwerks Ökonomische Regulierung führt die OECD eingehende Peer Reviews durch, die die Rahmenkonzepte für die Leistungsbewertung und Governance von Regulierungsbehörden evaluieren und stärken. Der Evaluierungsrahmen für staatliche Wirtschaftsregulierung (Performance Assessment Framework for Economic Regulators – PAFER) enthält die Methode für die Durchführung dieser Prüfungen. Er stützt sich auf den oben stehenden normativen Rahmen und baut auf Erfahrungen des NER auf.
Quelle: OECD (o. J.), Performance of Regulators, www.oecd.org/gov/regulatory-policy/performance-of-regulators.htm (Abruf: 10. Juni 2020); OECD (o. J.), Publications of the Network of Economic Regulators, www.oecd.org/gov/regulatory-policy/publications-of-the-network-of-economic-regulators.htm (Abruf: 10. Juni 2020).
Die OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden
Die Indikatoren für die Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden von 2018 erfassen die Governance-Strukturen der Wirtschaftsregulierungsbehörden in 47 Ländern und 5 Netzindustrien (Energie, elektronische Kommunikationsdienste, Schienen- und Luftverkehr sowie Wasser). Die Datenbank enthält Daten von 163 unterschiedlichen Regulierungsbehörden. Die in den Indikatoren erfassten Governance-Strukturen umfassen drei Komponenten: Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht und Handlungsspielraum, wie nachstehend beschrieben.
Unter der Komponente Unabhängigkeit werden Governance-Strukturen aufgezeigt, die gewährleisten, dass Regulierungsbehörden unabhängig und ohne unzulässige Einflussnahme operieren können. Anhand von Fragen wird die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde in Bezug auf ihre Haushaltsaufstellung, Personalausstattung und Beziehungen zur Exekutive gemessen.
Die Komponente Rechenschaftspflicht misst die Rechenschaftslegung der Regulierungsbehörde gegenüber der Regierung, dem Parlament, den beteiligten Akteuren und der breiten Öffentlichkeit. Sie umfasst den Einsatz bestimmter Aspekte der Akteursbeteiligung und die Sammlung, Verwendung, Veröffentlichung und Meldung von Ergebnisdaten.
Die Komponente Handlungsspielraum entspricht den Befugnissen der Regulierungsbehörden. Anhand von Fragen zu den Aufgaben der Regulierungsbehörden – von der Preisfestsetzung bis zu endgültigen Entscheidungen in Streitfällen – wird ermittelt, ob die Regulierungsbehörde ihre Funktionen unabhängig oder zusammen mit anderen Stellen ausübt.
Ein von den Regulierungsbehörden und staatlichen Stellen ausgefüllter und danach vom OECD-Sekretariat begutachteter Fragebogen bildet die Grundlage für die Indikatorwerte. Berechnet werden diese anhand des Mittelwerts gleichgewichteter Fragen und Teilfragen in einem Standardfragebogen. Die Gleichgewichtung in der Methodik soll verhindern, dass die Bedeutung jeder einzelnen Komponente der zusammengesetzten Indikatoren evaluiert werden muss. Dies darf aber nicht so verstanden werden, als seien alle Komponenten völlig gleichgewichtig. Die Indikatoren spiegeln zwar nicht die relative Bedeutung ihrer Komponenten wider, geben aber Aufschluss darüber, bis zu welchem Grad die Governance-Strukturen einer Regulierungsbehörde empfehlenswerten Praktiken entsprechen. Diese Erkenntnisse können durch die bei den zugrunde liegenden Daten beobachteten Unterschiede ergänzt werden. Andere Methoden erfassen die Bedeutung der einzelnen Komponenten des zusammengesetzten Indikators. Im OECD Handbook on Constructing Composite Indicators werden Gleichgewichtung und alternative Methoden zur Gewichtung von Elementen zusammengesetzter Indikatoren untersucht. Bei dieser Methodik werden die Antworten auf einer Skala von null (effektivste Governance-Struktur) bis sechs (am wenigsten effektive Governance-Struktur) bewertet. Ein Wert gegen null bei den Komponenten Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht deutet darauf hin, dass die Regulierungsbehörde über Governance-Strukturen verfügt, die bewährten Praktiken stärker Rechnung tragen. Bei der Komponente Handlungsspielraum bedeutet ein gegen null tendierender Punktwert, dass die Regulierungsbehörde ein breiteres Aufgabenspektrum abdeckt.
Die Indikatoren von 2018 wurden auf der Basis der Indikatoren von 2013 erstellt, die im Ausblick Regulierungspolitik von 2015 dargelegt sind. Der Fragebogen wurde zwischen den beiden Ausgaben geändert. Die Indikatoren von 2013 erfassten Wirtschaftsregulierungsbehörden in sechs Netzindustrien – Strom, Gas, Telekommunikation, Schienenverkehrsinfrastruktur, Flughäfen und Häfen. 2018 wurde der sektorale Erfassungsbereich der Indikatoren verändert, um die neue Regulierungslandschaft besser widerzuspiegeln. Die Indikatoren von 2018 beziehen sich nun auf folgende Sektoren: Energie (früher Strom und Gas), elektronische Kommunikation (zuvor Telekommunikation), Schienenverkehr, Luftverkehr (zuvor nur Flughäfen) und Wasser (neu). Auch die Fragebogen wurden inhaltlich verändert. Vor allem wurde der Abschnitt über die Unabhängigkeit aktualisiert, um praktische Regelungen sowie formale Mechanismen zu erfassen. Schließlich hat sich auch der Prozess der Datenvalidierung zwischen beiden Erhebungen verändert. So haben die Datenprüfer*innen in der Erhebung von 2018 sichergestellt, dass jede Frage beantwortet wurde (Casullo, Durand und Cavassini, 2019[10]).
Die Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden ergänzen die OECD-Erhebung zur Produktmarktregulierung. Weitere Informationen zur Methodik der Indikatoren und den im Fragebogen enthaltenen Fragen finden sich unter Casullo, Durand und Cavassini (2019[10]).
Die Entwicklung der Wirtschaftsregulierung
In den vergangenen vierzig Jahren wurden viele neue moderne Wirtschaftsregulierungsbehörden geschaffen, um Marktreformen und Umstrukturierungen zu flankieren. Um die Leistung monopolisierter Infrastruktursektoren zu verbessern und den Wettbewerb in diesen Sektoren zu fördern, haben viele Länder Regulierungsreformen und Umstrukturierungsprogramme vorangetrieben. Diese Entwicklung war in den 1970er und 1980er Jahren in vielen Ländern zu beobachten. Dabei zielten diese Programme darauf ab, einige Sektorsegmente für den Wettbewerb zu öffnen, um die Preis- und Marktzugangsregulierung zu verringern. Dadurch wurde die Verantwortung für die Versorgung häufig auf private Unternehmen übertragen. Die Wirtschaftsregulierung ist ein wesentlicher Bestandteil des Liberalisierungsprozesses. Die Regulierungsbehörden haben u. a. die Aufgabe, bestimmte Sektorsegmente, die natürliche und/oder rechtliche Monopole bleiben, weiter zu regulieren und die Öffnung von Netzindustrien für den Wettbewerb zu überwachen (Joskow, Killiam und Killiam, 2000[11]).
Die 1887 in den Vereinigten Staaten eingerichtete Interstate Commerce Commission, die u. a. zur Korrektur von Monopolmissbrauch im Eisenbahnsektor eingesetzt wurde, ist eine Vorläuferinstitution der heutigen unabhängigen Wirtschaftsregulierungsbehörden (Gilligan, Marshall und Weingast, 1989[12]). Das Vereinigte Königreich rief in den 1980er und 1990er Jahren mit der Gründung autonomer, sektorspezifischer Regulierungsbehörden, die für die Aufsicht über neu privatisierte Branchen zuständig waren, eine neue Art der Wirtschaftsregulierung ins Leben (Select Committee on Regulators, 2007[13]). Inspiriert durch die Pionierarbeit von Stephen Littlechild verbreitete sich das britische Modell der Anreizregulierung und separaten sektorspezifischen Regulierungsbehörden rasch (Littlechild, 1983[14]). Der Trend zur Einrichtung von Wirtschaftsregulierungsbehörden gewann außerhalb von Westeuropa und den Vereinigten Staaten an Dynamik. Das gilt insbesondere für lateinamerikanische Länder seit den 1980er Jahren (Kasten 5.2) und Südasien, Ostasien und den Nahen Osten in den 2000er Jahren (Jordana, Levi-Faur und Marin, 2011[15]; Gassner und Pushak, 2014[16]).
Die den Regulierungsbehörden übertragenen Funktionen und ihr Handlungsspielraum variieren in den Stichprobenländern. Bei der Komponente „Handlungsspielraum“ der Indikatoren für die Governance von Regulierungsbehörden werden diese gefragt, ob sie einige der nachstehenden Funktionen ausüben: Preissetzung, Überprüfung von Vertragsbedingungen, Erhebung von Informationen, Festlegung von Industrie- und Verbraucherstandards, Veröffentlichung von Leitlinien/Verhaltenskodizes, Durchsetzung, Mediation usw.2 Auch wenn die von den Indikatoren abgedeckten Funktionen nicht alle Funktionen einer Regulierungsbehörde erfassen, zeigen die Ergebnisse der an der Erhebung teilnehmenden Behörden dennoch das breite Spektrum der von ihnen (unabhängig und mit anderen Stellen) durchgeführten Aktivitäten. Die Regulierungsbehörden im Verkehrs- und Wassersektor haben in der Regel einen geringeren Handlungsspielraum, in den Bereichen elektronische Kommunikation und Energie ist der Handlungsspielraum dagegen im Durchschnitt am größten (Abbildung 5.1).
Wirtschaftsregulierungsbehörden haben die Möglichkeit, ihre Aktivitäten unabhängig oder zusammen mit anderen Akteuren durchzuführen. Generell ist die Zahl der Regulierungsbehörden, die ihre Funktionen unabhängig ausüben, im Bereich der Energie und elektronischen Kommunikation größer als in anderen Sektoren (Abbildung 5.2). Sektorübergreifend haben die meisten Regulierungsstellen die Befugnis Preise zu regulieren, wie z. B. Netznutzungs- und Anschlussgebühren. In den Bereichen elektronische Kommunikation und Energie erfolgt die Preisfestlegung überwiegend unabhängig (89 % bzw. 83 %). Am geringsten ist der Anteil der Regulierungsbehörden, die Preise entweder unabhängig oder zusammen mit anderen Stellen bestimmen, mit 60 % im Schienenverkehrssektor. Im Wassersektor regulieren die zuständigen Stellen die Preise häufig in Zusammenarbeit mit anderen Behörden oder Institutionen wie der Regierung (29 %). Die meisten Regulierungsbehörden veröffentlichen oder widerrufen auch Lizenzen und schlichten bei Streitigkeiten. Global betrachtet legt nur eine Minderheit der Regulierungsbehörden unabhängig Industrie- und Verbrauchernormen fest, während viele Behörden für die Durchsetzung dieser Standards zuständig sind. In den Fällen, in denen eine Regulierungsbehörde ihre Funktionen zusammen mit anderen Akteuren ausübt, kommt es entscheidend darauf an, die Aufgaben klar zu verteilen und die Erwartungen der beteiligten Akteure in Bezug auf die Reichweite der Regulierungsbehörde zu steuern.
In vielen Ländern sind Regulierungsbehörden für mehr als einen Sektor zuständig. Die Datenbank enthält Daten von 21 für mehrere Sektoren zuständige Behörden (Casullo, Durand und Cavassini, 2019[10]). Dreizehn dieser Behörden sind für zwei Sektoren zuständig, die in der Erhebung erfasst sind. Bestimmte Sektoren, insbesondere Verkehr, Energie und Wasser, unterstehen in der Regel ein und derselben Regulierungsbehörde. Die meisten für zwei Sektoren zuständigen Regulierungsbehörden erfassen entweder die Sektoren Schienen- und Luftverkehr oder die Sektoren Energie und Wasser. Einige sektorübergreifende Behörden waren von Beginn an für mehrere Sektoren zuständig. Ein Beispiel für eine solche Behörde ist die Lettische Kommission für öffentliche Versorgungsunternehmen (Public Utilities Commission – PUC), die Befugnisse in den Sektoren elektronische Kommunikation, Energie und Wasser erhielt. Einige Regulierungsbehörden haben nach ihrer Einrichtung neue Sektoren übernommen. So wurde der kroatischen Regulierungsbehörde HAKOM 2014 beispielsweise die für die Regulierung des Bahndienstleistungsmarkts zuständige Behörde angeschlossen. 2019 hat Finnland die finnische Behörde für Verkehrssicherheit, die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und bestimmte Funktionen der Verkehrsbehörde in einer einzigen Behörde zusammengeschlossen. Andere Regulierungsbehörden fungieren auch als Wettbewerbsbehörden, wie die Australian Competition and Consumer Commission und die Behörde für Verbraucher*innen und Märkte in den Niederlanden.
Angesichts ihrer Nähe zu den Märkten und der von ihnen zur Marktleistung erfassten Daten können Regulierungsbehörden staatliche Stellen bei der Politikgestaltung unterstützen. Ihr Mandat ermöglicht es ihnen, die Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf sektorspezifische Akteure und Marktstrukturen genau zu beobachten. Regulierungsbehörden können neue staatliche Maßnahmen verbessern, indem sie Empfehlungen formulieren oder Stellungnahmen zu wichtigen Gesetzesänderungen in regulierten Wirtschaftszweigen abgeben. Die Politikgestaltung liegt zwar in der Verantwortung der Exekutive, die Regulierungsbehörde kann jedoch Daten und Fakten zu den Problemen liefern, die es zu lösen gilt (OECD, 2016[9]). In vielen Fällen verfügen Regulierungsbehörden über branchenspezifische Kenntnisse und Daten, die einen wichtigen Beitrag zum politischen Entscheidungsprozess und zur staatlichen Planung für den regulierten Sektor leisten können. Durch Stellungnahmen und Empfehlungen können Regulierungsbehörden darüber hinaus auf mögliche Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf ihre Governance und Ergebnisse hinweisen. Die meisten Regulierungsbehörden geben Empfehlungen oder Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen ab, die von der Exekutive eingebracht werden. Obwohl dies nicht in allen Fällen im Rahmen eines formellen Prozesses erfolgt, gilt dies in den Sektoren Energie, elektronische Kommunikation, Wasser und Schienenverkehr für 90 % der Regulierungsbehörden. Anders ist die Situation im Luftverkehr. Weniger als die Hälfte der Regulierungsbehörden veröffentlicht Empfehlungen oder Stellungnahmen im Rahmen eines formellen Prozesses, und etwa ein Viertel äußert sich gar nicht (Abbildung 5.3).
Kasten 5.2. Fokus auf eine Region: Wirtschaftsregulierungsbehörden in lateinamerikanischen Ländern
Die Reformen in den Infrastruktursektoren Lateinamerikas haben die Regulierungslandschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Die OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden umfassen Daten von 30 Regulierungsbehörden aus 7 Ländern in der Region: Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Kolumbien, Mexiko und Peru. Chile, Costa Rica, Kolumbien und Mexiko sind OECD-Mitgliedsländer.
In diesen Ländern sind die Regulierungsbehörden in der Regel unabhängig (wenngleich es zwischen den Sektoren Unterschiede gibt) und für einen einzigen Sektor zuständig. Die in fünf Netzindustrien untersuchten Governance-Strukturen sind im Vergleich zum OECD-Durchschnitt generell robust.3 Die Governance-Strukturen, die darauf abzielen, die Unabhängigkeit der Regulierung im Energiesektor und die Rechenschaftspflicht der Behörden im Luftverkehr zu sichern, sind in dieser Region besonders stark. Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden kann in den Sektoren Schienenverkehr, Luftverkehr und Wasser allerdings noch verbessert werden, ebenso wie die Rechenschaftspflicht der für Wasser zuständigen Behörden. Aus den Daten zum Handlungsspielraum geht hervor, dass die für elektronische Kommunikation, Schienenverkehr und Wasser zuständigen Behörden in Lateinamerika ähnlich viele Aufgaben wahrnehmen wie in den OECD-Ländern. Im Luftverkehrssektor ist ihr Aktionsradius aber enger, im Energiesektor dagegen breiter.
Eine Kultur der Unabhängigkeit fördert die Integrität von Regulierungsentscheidungen
Die Unabhängigkeit regulatorischer Entscheidungsprozesse ist das Ergebnis vieler Faktoren und Schutzmechanismen. Die formale oder De-jure-Unabhängigkeit gibt an, bis zu welchem Grad die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde durch Rechtsvorschriften geschützt wird. Allerdings reicht die gesetzlich verankerte Unabhängigkeit nicht aus, um eine unparteiische Regulierungsstelle zu garantieren, die keiner unzulässigen Einflussnahme ausgesetzt ist (OECD, 2017[8]). Die praktischen Auswirkungen formeller Regelungen sowie das Verhalten der Mitarbeiter*innen und die institutionelle Kultur bestimmen die De-facto-Unabhängigkeit, die Regulierungsbehörden in der Praxis besitzen. Eine Kultur der Unabhängigkeit stärkt das Vertrauen der beteiligten Akteure in die Integrität der Entscheidungen, weil sie sich darauf verlassen können, dass langfristige Ziele auch dann eingehalten werden, wenn sich die Umstände ändern.
Veränderungen im Umfeld der Regulierungsbehörde können ihre Unabhängigkeit in der Praxis beeinflussen und folglich ihre Rolle und Befugnisse infrage stellen. Im Lauf der Zeit können „Angriffspunkte“ entstehen, die eine unzulässige Einflussnahme begünstigen (OECD, 2017[8]). In anderen Fällen können Veränderungen eine Diskrepanz zwischen Regulierungsrahmen und Regulierungspraxis herbeiführen. Ein aktuelles Beispiel ist die Covid-19-Pandemie, die in den regulierten Sektoren weltweit rasche Veränderungen nach sich zieht, die die Rolle der Regulierungsbehörden beeinflussen. Als Reaktion auf die Pandemie haben zahlreiche Regulierungsbehörden die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch mit der Exekutive verstärkt und die Kontakte mit der Exekutive und anderen Akteuren intensiviert (OECD, 2020[4]). Systemische Schocks können die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in einem bestimmten Sektor beeinträchtigen – Elemente, die für gut funktionierende Märkte von entscheidender Bedeutung sind. Daher müssen Regulierungsbehörden, insbesondere in Zeiten des Wandels, einen engen und kontinuierlichen Dialog mit der Exekutive und anderen betroffenen Akteuren führen. So können sie ihre Rolle klarer definieren und beurteilen, ob ihre Governance-Strukturen und rechtlichen Kompetenzen weiterhin ausreichen, um ihre Ziele unabhängig und effizient zu erreichen.
Abbildung 5.5 veranschaulicht, inwieweit die Unabhängigkeit der Wirtschaftsregulierungsbehörden in den einzelnen Sektoren sichergestellt ist. Unter den in der Stichprobe berücksichtigten Regulierungsbehörden entsprechen die Vorkehrungen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit in den Sektoren Energie und elektronische Kommunikation am ehesten guter Praxis.
Die Regulierungsbehörden der Netzindustrien sind in den OECD-Ländern überwiegend rechtlich unabhängige Instanzen
Die De-jure-Unabhängigkeit lässt sich grundsätzlich am Rechtsstatus der Behörde gegenüber der Exekutive messen. Eine Regulierungsbehörde kann per Gesetz als unabhängige Instanz außerhalb der Ressortstrukturen oder als Verwaltungseinheit innerhalb eines Ministeriums definiert sein. In der Empfehlung des Rates zur Regulierungspolitik und Governance von 2012 heißt es: „In den folgenden Fällen sollten unabhängige Regulierungsbehörden erwogen werden:
Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde ist erforderlich, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu sichern;
staatliche Stellen und private Einrichtungen werden durch dasselbe Gesetzeswerk geregelt, weshalb Wettbewerbsneutralität erforderlich ist; und
die Entscheidungen der Regulierungsbehörden können beträchtliche wirtschaftliche Auswirkungen auf die betroffenen Parteien haben, weshalb die Unparteilichkeit der Behörde zu schützen ist“ (OECD, 2012[5]).
Die meisten von der Stichprobe erfassten Behörden sind per Gesetz als unabhängige Stellen mit Befugnissen zum Treffen rechtlicher Entscheidungen, zur Rechtsetzung oder zur Durchsetzung von Rechtsvorschriften definiert. Ein Grund hierfür könnten die EU-Richtlinien in den Bereichen Energie und Schienenverkehr sein, die die Einrichtung unabhängiger nationaler Regulierungsbehörden in den EU-Mitgliedstaaten vorschreiben (Europäische Union, 2009[17]; 2009[18]; 2012[19]).4 Angesichts des hohen Anteils von EU-Ländern in der OECD-Stichprobe und in anderen weiter gefassten Länderstichproben können die Stichprobenbeobachtungen durch Trends in den EU-Ländern beeinflusst werden.5 In der Stichprobe der Regulierungsbehörden, die OECD- und Nicht-OECD-Länder außerhalb der EU umfasst, haben die meisten Behörden aber ebenfalls den Rechtsstatus einer unabhängigen Stelle.6 Unter den OECD-Ländern beträgt der Anteil der rechtlich unabhängigen Regulierungsbehörden im Energiesektor 87 %, im Sektor der elektronischen Kommunikation 84 % und im Schienensektor 83 %. Im Luftverkehrs- und Wassersektor ist der Anteil der unabhängigen Regulierungsstellen geringer. Er liegt bei 50 % im Luftverkehrssektor und bei 76 % im Wassersektor. Diese Prozentsätze sind in der größeren Stichprobe der OECD- und Nicht-OECD-Länder in etwa identisch (Abbildung 5.6).
Sowohl unabhängige als auch einem Ministerium unterstellte Regulierungsbehörden können Governance-Strukturen aufweisen, die ihre Unabhängigkeit sichern. Neben der Frage, ob die Behörden per Gesetz als unabhängige oder ministerielle Instanzen definiert sind, erfasst der Fragebogen, der den Indikatoren für die Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden zugrunde liegt, auch eine Reihe von De-jure- und De-facto-Merkmalen, die die Unabhängigkeit der Behörden in der Praxis erhöhen. In den folgenden Unterabschnitten werden die Merkmale dargelegt, die die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden generell fördern.
In den meisten Ländern wird die De-jure-Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden durch Beschränkungen auf der Führungsebene ergänzt, um unzulässige Einflussnahme zu verhindern
Da die Führungsgremien bzw. Behördenleiter*innen die Verantwortung für die Entscheidungen tragen, können sie von staatlichen Stellen und Wirtschaftsverbänden stärker unter Druck gesetzt werden als das Fachpersonal (OECD, 2016[7]). Solide Führungsstrukturen können Interessenkonflikte verhindern und so die Unabhängigkeit der Führungsgremien bzw. Behördenleiter*innen stärken.
Die Regulierungsbehörden haben unterschiedliche Führungsmodelle. Als erstes ist zu beobachten, dass die meisten Behörden von einem Führungsgremium geleitet werden. Nur der Luftverkehrssektor bildet eine Ausnahme. Hier werden die Behörden in den meisten Fällen von nur einer Person geführt. Ein Führungsgremium wird im Allgemeinen als zuverlässiger eingeschätzt, da davon ausgegangen wird, dass ein kollegiales Beschlussorgan ein höheres Maß an Unabhängigkeit und Integrität gewährleistet (OECD, 2010[20]). Der Mehrwert eines aus mehreren Personen bestehenden Beschlussgremiums hängt jedoch von mehreren Faktoren ab. Hierzu zählen beispielsweise die möglichen Folgen von regulatorischen Entscheidungen für Wirtschaft, Sicherheit, Gesellschaft und Umwelt oder das Urteilsvermögen, das bei prinzipienbasierten oder besonders komplexen Entscheidungen notwendig ist (OECD, 2014[6]).
Zweitens gibt es nur in wenigen Fällen Einschränkungen in Bezug auf die frühere Beschäftigung der Führungskräfte. Es wird jedoch generell gesetzlich festgelegt, über welche Kompetenzen die Mitglieder der Behördenleitung verfügen müssen. Außerdem sind Einschränkungen für externe Tätigkeiten während der Amtszeit und unmittelbar danach allgemein üblich. In den meisten von der Stichprobe erfassten Behörden gelten für die Führungskräfte nach ihrer Amtszeit Einschränkungen, die den unmittelbaren Wechsel in den öffentlichen Dienst oder den regulierten Sektor unterbinden, wie beispielsweise Karenzzeiten (Abbildung 5.7).
Drittens wird die Behördenleitung in den meisten Fällen von einer Regierungsstelle oder einem Ministerium ernannt (Abbildung 5.8). Die Ergebnisse stützen sich auf Auswertungen des OECD-Ausblicks Regulierungspolitik von 2018 und zeigen, dass in allen Sektoren in den meisten Fällen ein Regierungsorgan oder ein Ministerium über die rechtliche Befugnis verfügt, die Leitung der Behörde zu ernennen (OECD, 2018[2]). Bei der Auswahl der neuen Leitung muss das Nominierungs- und Ernennungsverfahren transparent sein (OECD, 2017[8]). In 44 % der von der Stichprobe erfassten Regulierungsbehörden werden die Leiter*innen bzw. Mitglieder des Führungsgremiums durch ein unabhängiges Auswahlgremium gewählt (Abbildung 5.9). Unter den OECD-Ländern ist dieser Anteil mit 47 % etwas größer.
Viertens hat die Regierung zumeist die Befugnis, die Mitglieder des Führungsgremiums zu entlassen. In den meisten Fällen gelten dafür jedoch strenge Kriterien. Dies bietet Schutz vor willkürlichen Entlassungen von Führungskräften, die die Unabhängigkeit von Regulierungsbehörden gefährden könnten.
Die Finanzierung der Regulierungsbehörden kann verbessert werden, um ihre Unabhängigkeit zu erhöhen
Die Finanzierungsmodalitäten können die Fähigkeit der Behörden beeinflussen, ihr Mandat unabhängig auszuüben. Eine Regulierungsbehörde benötigt nicht nur ausreichende Mittel, um ihre Ziele zu erreichen, vielmehr sollte die Finanzierung darüber hinaus auch so konzipiert sein, dass unzulässige Einflussnahme verhindert wird. Die Finanzierung erfolgt generell durch Abgaben der Industrie, den Staatshaushalt oder eine Kombination aus beidem (Abbildung 5.10). Der Anteil der Behörden, die ausschließlich aus dem Staatshaushalt finanziert werden, ist im Wassersektor am größten. Im Energiesektor überwiegt dagegen der Anteil der Behörden, die ausschließlich durch Abgaben finanziert werden. In den Sektoren Elektronische Kommunikation und Verkehr erfolgt die Finanzierung überwiegend durch einen Mix aus Abgaben und Mitteln aus dem Staatshaushalt.
Wenn die Finanzierung durch Abgaben erfolgt, können die Normadressaten den Betrag als Prozentsatz ihres Nettoumsatzes oder -gewinns oder auf der Basis des Outputs (wie z. B. die bereitgestellten Kubikmeter Wasser im Fall eines Wasserversorgungsunternehmens) bezahlen. Ein geeigneter Kostendeckungsmechanismus ist von entscheidender Bedeutung, um die richtige Abgabenhöhe festzulegen und sicherzustellen, dass die Behörden über ausreichend Finanzmittel verfügen (OECD, 2016[7]). Regulierungsinstanzen, die durch Abgaben finanziert werden, genießen dort eine größere Freiheit, wo sie die Höhe der Abgaben innerhalb gesetzlich festgelegter Kriterien selbst festlegen können. Von den in der Stichprobe erfassten Behörden, die durch Abgaben finanziert werden, legt etwa die Hälfte die Abgabenhöhe selbst fest. In den meisten anderen Fällen schlägt die Behörde eine Abgabe zur Genehmigung durch das Parlament, den Kongress oder die Exekutive vor.
Wenn die Exekutive den Haushalt der Regulierungsbehörde vorlegt und verabschiedet, oder die Abgabenhöhe festlegt, kann sie möglicherweise unzulässigen Einfluss auf die Tätigkeiten der Regulierungsbehörde ausüben, indem sie die Ressourcen und den Handlungsspielraum der Behörde einschränkt. Bestimmte Schutzmechanismen können dies verhindern. Eine mehrjährige Haushaltsplanung im Rahmen eines transparenten und klar definierten Verfahrens ist beispielsweise weniger abhängig von kurzfristigen politischen oder wahltaktischen Erwägungen (OECD, 2017[8]). Für die Regulierungsbehörden in der Stichprobe erfolgen die Haushaltsbewilligungen aber in der Regel auf Jahresbasis.
Anleitungen erhalten die Regulierungsbehörden generell nur in Bezug auf ihre langfristige Strategie, was ihre Unabhängigkeit erhöht
Regulierungsbehörden müssen unparteiische, objektive und auf Fakten beruhende Entscheidungen treffen und umsetzen, die Vertrauen in die öffentlichen Institutionen schaffen und Investitionen fördern. Die Rolle der Behörden sollte per Gesetz klar definiert werden. Staatliche Anleitungen außerhalb des Gesetzgebungsprozesses zu Rolle und Aktionen der Regulierungsbehörde sollten vermieden werden (OECD, 2017[8]). Staatliche Leitlinien bezüglich der langfristigen Strategie der Regulierungsbehörde können sicherstellen, dass diese mit den allgemeinen Politikzielen in Einklang steht. Eine direktere Beteiligung der Regierung am Arbeitsprogramm der Behörde, an individuellen Regulierungsentscheidungen und Rechtsmittelverfahren schränkt ihre Unabhängigkeit jedoch ein.
Die meisten Behörden erhalten keine staatlichen Leitlinien in Bezug auf Einzelfälle, Regulierungsentscheidungen oder den Einsatz von Rechtsmitteln. Der Anteil der Behörden, die Anleitungen für diese Bereiche erhalten, ist im Luftverkehrssektor am größten; etwa 40 % der Behörden geben an, in Einzelfällen, bei Regulierungsentscheidungen und beim Einsatz von Rechtsmitteln staatliche Leitlinien zu erhalten (Abbildung 5.11).
Im Fragebogen werden die Regulierungsbehörden gefragt, ob sie staatliche Anleitungen für ihre langfristige Strategie erhalten. Hierunter sind Dokumente und/oder Stellungnahmen zu verstehen, in denen die längerfristigen Prioritäten und Ziele der Behörde (z. B. drei oder fünf Jahre) dargelegt sind. In allen Sektoren mit Ausnahme des Schienenverkehrs erhalten die meisten Regulierungsbehörden staatliche Anleitungen für ihre langfristige Strategie (Abbildung 5.13).
Dadurch, dass die Regulierungsbehörden staatliche Anleitungen für ihre langfristige Strategie erhalten, sind sie in der Lage, bei der Festlegung ihrer strategischen Ziele langfristige Politikziele der Regierung zu berücksichtigen, ohne bei der Ausübung ihrer Aufgaben vom aktuellen politischen Umfeld beeinflusst zu werden.
Die Rechenschaftslegung der Regulierungsbehörden variiert in den einzelnen Sektoren
Sachdienliche Regelungen zur Stärkung der Rechenschaftspflicht, wie sie auch in den Kapiteln 2 und 3 erörtert werden, fördern den Informationsfluss und die Akteursbeteiligung. Eine Stärkung der Transparenz trägt auch dazu bei, dass Beiträge von außen in die Arbeit der Regulierungsbehörden einfließen. Um die Rechenschaftspflicht zu sichern, müssen Maßnahmen, die die Unabhängigkeit der Behörden garantieren und einen gewissen Ermessensspielraum sichern, durch Maßnahmen ausgeglichen werden, die eine angemessene Aufsicht durch die Exekutive, Legislative und Judikative sowie die Normadressaten und die Öffentlichkeit ermöglichen. Aus diesem Grund kann die Rechenschaftspflicht als das Gegenstück zur Unabhängigkeit betrachtet werden (OECD, 2014[6]). Die Daten zur Governance von Regulierungsbehörden bestätigen, dass Rechenschaftspflicht und Unabhängigkeit in der Praxis Hand in Hand gehen (Abbildung 5.14).
Niedrigere Punktzahlen in den Sektoren Energie und elektronische Kommunikation zeigen, dass die Regulierungsbehörden in diesen Sektoren im Durchschnitt mehr empfehlenswerte Regelungen zur Sicherung der Rechenschaftspflicht eingeführt haben (Abbildung 5.15). Im Wasser- und Verkehrssektor sind diese Regelungen weniger üblich. Eine eingehendere Analyse würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, es ist jedoch wichtig auf die Bedeutung der Marktmerkmale regulierter Sektoren hinzuweisen. Neben politischen, kulturellen und praktischen Erwägungen gehören sie zu den Bestimmungsfaktoren für eine angemessene institutionelle Struktur von Regulierungsbehörden, insbesondere die Vorkehrungen zur Wahrung der Rechenschaftspflicht und Unabhängigkeit.
Regulierungsbehörden sind der Regierung oder dem Parlament gegenüber direkt rechenschaftspflichtig
Die Einrichtung formeller Rechenschaftsmechanismen ist von entscheidender Bedeutung, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine direkte Rechenschaftspflicht gegenüber dem Gesetzgeber, der Regierung oder Vertretern der regulierten Branche handelt. Die meisten Regulierungsbehörden in der Stichprobe sind der Regierung oder Vertretern der regulierten Branche gegenüber rechenschaftspflichtig (Abbildung 5.16). Die empfehlenswerten Praktiken variieren je nach Unabhängigkeitsgrad der Behörde und je nachdem, ob die Behörde der Exekutive oder der Legislative gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Genau definierte Verfahren und Mechanismen für die Berichterstattung sind für unabhängige Regulierungsbehörden, die der Regierung gegenüber rechenschaftspflichtig sind, besonders wichtig, um zu verhindern, dass die tatsächliche oder wahrgenommene Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung beeinträchtigt wird (OECD, 2014[6]).
Unabhängig davon, ob die Behörden der Regierung oder dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sind, sollte die Berichterstattung unabhängiger Regulierungsstellen über klare und systematische Kanäle erfolgen. Regelmäßige Tätigkeitsberichte sind ein solcher Kanal. Die Daten zeigen, dass die meisten Regulierungsbehörden verpflichtet sind, regelmäßig einen Tätigkeitsbericht zu erstellen (86 % in allen Sektoren). Mit der regelmäßigen Vorlage von Berichten im Parlament wird ein weiterer Zweck erfüllt: Sie schärft das Bewusstsein für den Wert der Behörden. Stellen Regulierungsbehörden ihren Bericht persönlich im Parlament vor, haben sie die Möglichkeit, mit den Gesetzgebern zu diskutieren und etwaige Fragen zu beantworten. Aus den Daten geht hervor, dass nur wenige Regulierungsstellen ihren Tätigkeitsbericht im Parlament persönlich vorstellen. Dabei ist zwischen den Behörden, die dem Parlament, der Regierung oder der regulierten Branche gegenüber rechenschaftspflichtig sind, kein Unterschied festzustellen. Die meisten Regulierungsbehörden, die direkt dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sind, stellen ihren Tätigkeitsbericht nicht im Parlament, sondern in Parlamentsausschüssen vor. Unter den Behörden, die der Regierung oder der regulierten Branche gegenüber rechenschaftspflichtig sind, legt weniger als ein Drittel dem Gesetzgeber einen Tätigkeitsbericht vor.
Bei der Leistungsberichterstattung besteht Raum für Verbesserungen
Für den Entscheidungsprozess ist es unabdingbar, sowohl die Leistung des Sektors als auch die der Regulierungsbehörde zu messen. Die Messung der Sektorleistung hilft den Regulierungsbehörden, Schwierigkeiten zu erkennen und zu verstehen, wie die Rechtsvorschriften wirken. Die Berichterstattung über die Leistung der Behörden ist wichtig, um ihre Wirksamkeit nachzuweisen und Verbesserungen voranzutreiben (OECD, 2014[21]). Die Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden geben Aufschluss darüber, ob die Behörde bestimmte Informationen über die Leistung des Sektors erhebt und veröffentlicht. Hierunter fallen insbesondere die Marktleistung (wie beispielsweise die Anzahl der Netzstörungen, das Investitionsniveau und die Qualität des Kundenservice) und die Wirtschaftsleistung (wie beispielsweise das Wettbewerbsniveau und die Investitionsergebnisse) des regulierten Sektors. Sie erfassen auch, ob Regulierungsbehörden Informationen zu ihren eigenen Ergebnissen sammeln und veröffentlichen, u. a. in den folgenden Bereichen:
operative Leistung: Informationen zur Umsetzung der behördlichen Funktionen und Zuständigkeiten (z. B. Anzahl der Inspektionen, Gewährung von Lizenzen/Genehmigungen)
Leistung der Organisation/Corporate-Governance: Informationen zur internen Funktionsweise der Regulierungsbehörde (z. B. Termintreue geplanter Aktivitäten, Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen und Informationen zur Führungsleistung)
Qualität des Regulierungsprozesses: Informationen zu den Ergebnissen der in den Entscheidungsprozessen eingesetzten Instrumente und Verfahren, insbesondere Gesetzesfolgenabschätzung, Akteursbeteiligung und Ex-post-Evaluierung
Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen: Informationen zur Einhaltung gesetzlicher Auflagen (wie beispielsweise die Erfüllung der Informationspflichten oder der Prozentsatz der effektiv eingehaltenen Entscheidungen)
Finanzen: Informationen zu den Betriebskosten, Ausgabenprioritäten, Einnahmen sowie direkten und indirekten Kosten der Behörde
Abbildung 5.17 zeigt, dass die meisten Regulierungsbehörden Informationen über die Ergebnisse der von ihnen regulierten Sektoren sammeln und veröffentlichen. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Wirtschaftsleistung des Sektors und der Branche sowie die Marktleistung des Sektors. Regulierungsbehörden erheben und veröffentlichen in der Regel auch Informationen über ihre Finanzergebnisse, wobei 93 % diese Informationen erfassen und 76 % sie auch veröffentlichen.
In anderen Kategorien werden ergebnisbezogene Daten seltener erhoben und veröffentlicht. Mindestens 20 % der von der Stichprobe erfassten Behörden sammeln keine Informationen über die Qualität ihrer Regulierungsverfahren, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und ihre organisatorische Governance. Weniger als 60 % veröffentlichen diese Informationen auf ihrer Website. 86 % der Regulierungsbehörden tragen zwar Informationen über ihre operative Leistung zusammen, doch werden diese nur von 69 % der Behörden veröffentlicht. Da die Leistungsevaluierung in die Tätigkeiten der zuständigen Behörden einfließt, sind weitere Arbeiten in diesem Bereich gerechtfertigt (Kapitel 2).
Die Regulierungsbehörden können die Leistung einzelner Sektoren besser verstehen und kommunizieren, indem sie traditionelle Instrumente stärker nutzen oder weiterentwickeln. Im OECD-Arbeitspapier „Shaping the Future of Regulators: The Impact of Emerging Technologies on Economic Regulators“ werden Beispiele von Wirtschaftsregulierungsbehörden aufgeführt, die das Potenzial der Daten ausschöpfen, um die Transparenz zu erhöhen und Anreize für eine Verbesserung der Funktionsweise des Markts zu schaffen. Ein datengestützter Ansatz bietet den Behörden die Möglichkeit, die betroffenen Akteure gezielt zu informieren, insbesondere über die Dienstleistungsqualität, um den Verbraucher*innen fundierte Entscheidungen zu ermöglichen. So veröffentlicht die französische Regulierungsbehörde für elektronische Kommunikation und Post (Autorité de régulation des communications électroniques et des postes – ARCEP) beispielsweise Karten mit Daten und Informationen zur landesweiten Abdeckung und Servicequalität der Netzbetreiber. Dieser Ansatz der „Sunshine-Regulierung“ dürfte Anreize schaffen, die Funktionsweise des Gesamtmarkts zu verbessern (OECD, 2020[3]).
Die meisten Regulierungsbehörden veröffentlichen ihre Entscheidungsentwürfe und holen Feedback von den betroffenen Akteuren ein
Die Akteursbeteiligung ist ein wichtiger Aspekt der Rechenschaftspflicht und der Transparenz. Sie ermöglicht es den Behörden außerdem, Beiträge von außen in ihre Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Die Behörden können die betroffenen Akteure in Regulierungsentscheidungen sowie andere Aspekte ihrer Arbeit, wie beispielsweise die Geschäftspraktiken, einbeziehen (OECD, 2014[6]). Die meisten Behörden veröffentlichen ihre Entscheidungsentwürfe und holen Feedback von betroffenen Akteuren ein, auch wenn sie hierzu formal nicht verpflichtet sind (Abbildung 5.18). Im Verkehrssektor ist der Anteil der Behörden, die keine Entscheidungsentwürfe veröffentlichen, größer als in anderen Sektoren. Kasten 5.3, in dem die Beurteilung von zwölf Energieregulierungsbehörden in französischsprachigen Ländern Afrikas anhand dieser Indikatoren zusammengefasst ist, zeigt, dass die Akteursbeteiligung in dieser Gruppe verbessert werden kann.
Viele Regulierungsbehörden veröffentlichen die Antworten auf Stellungnahmen, um die Transparenz der Entscheidungsfindung zu erhöhen und nachzuweisen, dass sie die Beiträge der Stakeholder angemessen berücksichtigen. Die verfügbaren Daten zeigen, dass die meisten Behörden, die ihre Entscheidungsentwürfe zur Stellungnahme veröffentlichen, auch Feedback zu den Stellungnahmen der betroffenen Akteure geben (nur 6 % unter ihnen reagieren nicht darauf).
Kasten 5.3. Fokus auf eine Region: Energieregulierungsbehörden in französischsprachigen Ländern Afrikas
Die OECD hat die Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden zur Beurteilung von zwölf Energieregulierungsbehörden in französischsprachigen Ländern Afrikas herangezogen (diese Daten sind in den Abbildungen im übrigen Teil des Kapitels nicht berücksichtigt). Hierbei handelt es sich um zwölf Behörden in Algerien, Benin, Burkina Faso, Burundi, Côte d’Ivoire, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal, Togo und der Zentralafrikanischen Republik. Viele in dieser Stichprobe erfassten Behörden haben Eigenangaben zufolge teilweise die gleichen formalen Governance-Strukturen zur Sicherung der Unabhängigkeit wie die schon länger bestehenden Behörden in den OECD-Ländern. Die größten Unterschiede zwischen den Energieregulierungsbehörden in dieser Stichprobe und in den OECD-Ländern betreffen den Handlungsspielraum, wobei die Behörden im OECD-Raum tendenziell weitreichendere Befugnisse haben.
Die meisten befragten Regulierungsstellen sind unabhängige Behörden (83 %). Viele wenden bewährte Verfahren an, um ihre Unabhängigkeit in der Personal- und Haushaltsplanung zu sichern. Einigen Behörden fehlt es jedoch an geeigneten Schutzmechanismen gegen staatliche Eingriffe in regulatorische Entscheidungsprozesse. So kann über die Hälfte der befragten Behörden Eigenangaben zufolge in unabhängigen Fällen oder Entscheidungen Anweisungen von der Regierung erhalten. Zudem sind bei den Auswahl-, Ernennungs- und Kündigungsverfahren von Behördenleitungen Unterschiede zwischen der Praxis in der Stichprobe und der Praxis in den OECD-Ländern zu beobachten. Die Kompetenzen, über die Behördenleitungen verfügen müssen, sind in der Stichprobe nur in etwa einem Viertel der Fälle gesetzlich definiert, gegenüber 58 % in der OECD-Stichprobe. Die Behördenleitung wird in der Stichprobe in der Mehrzahl der Fälle (75 %) von einer einzigen Regierungsstelle ernannt (im Vergleich zu rd. 62 % in der OECD-Stichprobe). In den meisten von der Stichprobe erfassten Behörden (85 %, gegenüber etwa 78 % in den OECD-Ländern) kann die Leitung nur durch die Regierung entlassen werden, auch wenn dies in den meisten Fällen anhand eines festgelegten Kriterienkatalogs erfolgen muss.
Aus den Daten geht hervor, dass die Rechenschaftspflicht der von dieser Stichprobe erfassten Behörden verbessert werden kann, insbesondere durch eine Ausweitung der Akteursbeteiligung. Mehr als die Hälfte dieser Behörden veröffentlicht keine Entscheidungsentwürfe zur Stellungnahme durch die betroffenen Akteure. Zwei Drittel der Behörden sind verpflichtet, einen Tätigkeitsbericht zu veröffentlichen, dem Parlament werden diese Berichte jedoch in keinem Fall vorgelegt.
Quelle: 2018 OECD Indicators on the Governance of Sector Regulators.
Eine sorgfältige und strategische Planung kann helfen, die betroffenen Akteure zeitnah und konstruktiv einzubeziehen. Es können aber dennoch Situationen entstehen, in denen die Konsultationsverfahren angepasst werden müssen. Die Covid-19-Krise ist eine solche Situation. Da sie unvorhergesehen kam, mussten die öffentlichen Konsultationsverfahren in der Anfangsphase der Pandemie angepasst werden. Einige öffentliche Konsultationen wurden verschoben oder fanden angesichts der Einschränkungen online statt. In anderen Fällen wurden Konsultationen in Bezug auf Coronamaßnahmen beschleunigt, um bei dringenden Entscheidungen die Meinung der betroffenen Akteure einzubeziehen. So führte die britische Financial Conduct Authority beispielsweise eine 72-stündige Konsultation im Hinblick auf Maßnahmen zur Minderung der finanziellen Belastung von Privatkreditnehmern durch. In diesem sich rasch wandelnden Umfeld stehen die Regulierungsbehörden vor einem Zielkonflikt zwischen ausführlichen, zeitnahen Konsultationen und raschem Handeln (OECD, 2020[4]).
Der Zusammenhang zwischen der Governance von Regulierungsbehörden und der Sektorleistung wird wissenschaftlich untersucht
Unser Bewusstsein für den Wert der Wirtschaftsregulierung kann geschärft werden, wenn wir die Zusammenhänge zwischen der Governance der Regulierungsbehörden und der Leistung der regulierten Sektoren besser verstehen. Dieser Forschungsbereich ist komplex. Untersucht wird u. a., wie die Sektorleistungen definiert werden, wie die Verzögerungen zwischen den Entscheidungen und ihren Effekten auf die nachgelagerten und vorgelagerten Märkte berücksichtigt werden, und wie die Auswirkungen der Governance der Regulierungsbehörden auf die Sektorleistungen isoliert werden können, da in der Regel keine kontrafaktische Analyse vorliegt.
In einer vor Kurzem durchgeführten Primärerhebung der Université Paris Dauphine (die in Kasten 5.4 vorgestellt wird) werden Daten aus den Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden zu den europäischen OECD-Ländern verwendet, um die Zusammenhänge zwischen der Governance von Wirtschaftsregulierungsbehörden und Sektorleistungen zu analysieren.
Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf Korrelationen zwischen Governance-Strukturen und Sektorergebnissen, wie Preisniveau und Investitionen, hin. Um zu verstehen, welche Faktoren den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Governance-Strukturen und den Veränderungen bei den sektorspezifischen Ergebnissen beeinflussen, und mögliche Kausalitäten zu erkennen, sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich. Die vorläufigen Ergebnisse liefern aber bereits interessante Erkenntnisse und vielversprechende Perspektiven, um die Zusammenhänge zwischen der Governance der Behörden und den Ergebnissen der von ihnen regulierten Sektoren besser zu verstehen.
Kasten 5.4. Neue Forschungsarbeiten auf der Basis der OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden
Wissenschaftler*innen der Université Paris Dauphine haben die Zusammenhänge zwischen der Governance von Wirtschaftsregulierungsbehörden und Sektorleistungen anhand von Daten aus den Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden untersucht (Brousseau und Gonzalez-Regalado, erscheint demnächst[22]). Sie analysieren die den Indikatoren zugrunde liegende Datenbank anhand von Textmodellierung und Algorithmen. Diese Methoden ermöglichen es den Wissenschaftler*innen, Kategorien auf der Basis ihres Korrelationsgrads zu identifizieren. Dieser Ansatz unterscheidet sich von der Methode, die bei den OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden verwendet wurde und zusammengesetzte Indikatoren auf der Basis gleich gewichteter Komponenten liefert. Während die Daten bei den Indikatoren anhand von Ex-ante-Annahmen eingeordnet werden, wird die Bedeutung der verschiedenen Komponenten bei dieser Methode auf der Basis einer statistischen Analyse der Beobachtungen festgelegt.
Die Wissenschaftler*innen definieren vier Kategorien, um die Governance der Regulierungsbehörden in der Teilstichprobe zu beschreiben. Für diese Kategorien werden zwar die gleichen Begriffe verwendet wie für die Indikatorkomponenten (Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht), die beiden Kategorisierungen unterscheiden sich jedoch. Die vier Kategorien lauten: Unabhängigkeit von der Regierung, Überprüfung der Regulierungsbehörden („Checks and Balances"), Marktüberwachungskapazitäten der Behörden sowie Verwaltungskapazität zur Überwachung der Normadressaten. Während die ersten beiden voneinander unabhängigen Kategorien zusammen den Grad der Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der Regulierungsbehörden angeben, erfassen die beiden letztgenannten Kategorien den Umfang und die Vektoren ihrer Befugnis über die Normadressaten in den verschiedenen Sektoren.
Die Studie vergleicht die Erhebungen von 2013 und 2018, um die Entwicklung der Governance-Strukturen im Zeitverlauf zu erfassen. Dabei werden die Korrelationen zwischen diesen Entwicklungen und der Sektorleistung untersucht. Bei der Überprüfung dieser Korrelationen wurden andere Erklärungsfaktoren berücksichtigt, wie beispielsweise das Nationaleinkommen, die geografische Lage, die Qualität der Institutionen oder das Ausmaß der Marktregulierung.
Die Methode stößt aber an ihre Grenzen. Veränderungen bei den Ergebnissen einer Kategorie können im Jahresvergleich auch auf Veränderungen in anderen Kategorien zurückzuführen sein. Da die Indikatoren jedoch mit den OECD- und Weltbank-Indikatoren zur Governance korrelieren, ist davon auszugehen, dass sie mit den alternativen Messgrößen in Einklang stehen.
Ein Beispiel aus dem Energiesektor
In Bezug auf den Energiesektor kommt die Analyse zu dem Schluss, dass die Ergebnisse für die vier Kategorien sowie ihre Entwicklung im Zeitverlauf mit sektorspezifischen Ergebnisvariablen, wie Preisen, korrelieren. Verbesserungen bei den Kontrollmechanismen („Checks and Balances“) korrelieren beispielsweise mit niedrigeren nominalen Energiepreisen für die Verbraucher*innen. Zwischen 2013 und 2018 ging der durchschnittliche Strompreis in der Europäischen Union zurück. In Ländern, in denen sich die Kontrollmechanismen dank einer verstärkten Kontrolle der Regulierungsbehörde durch das Parlament, die Gerichte und die Öffentlichkeit verbessert haben, fiel der Preisrückgang stärker aus.
Schlussbetrachtungen
Effektive Governance-Strukturen werden angesichts der Veränderungen und Schocks, mit denen die einzelnen Sektoren konfrontiert sind, immer wichtiger. Die Regulierungsbehörden müssen deshalb in der Lage sein, sich anzupassen und gleichzeitig Stabilität und Vorausplanbarkeit zu gewährleisten. Die OECD-Indikatoren zur Governance sektorspezifischer Regulierungsbehörden von 2018 bieten einen Überblick über die komplexen und mehrdimensionalen Governance-Strukturen der Wirtschaftsregulierungsbehörden. Sie ermöglichen einen direkten Vergleich zwischen Sektoren und ein Benchmarking zwischen Ländern und sind die Basis für eine empirische Untersuchung der Governance der zuständigen Behörden.
Die Governance-Strukturen der einzelnen Behörden sind zwar unterschiedlich und ihre Eignung und Wirkung hängen stark vom jeweiligen Kontext ab, es lassen sich jedoch Muster erkennen. Die Vorkehrungen zur Wahrung der Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht entsprechen in den Bereichen Energie und Elektronische Kommunikation im Durchschnitt am ehesten der bewährten Praxis. In diesen Sektoren verfügen die Regulierungsbehörden außerdem über den größten Handlungsspielraum. Die zuständigen Behörden weisen sektor- und länderübergreifend gemeinsame Merkmale auf. Die meisten wurden als unabhängige Instanzen eingerichtet, mit Einschränkungen für die Anschlussbeschäftigung der Führungskräfte. Die Regulierungsbehörden beteiligen sich in der Regel am politischen Entscheidungsprozess, indem sie Empfehlungen oder Stellungnahmen abgeben und die Normadressaten bei ihren Entscheidungen konsultieren. Außerdem erhalten sie in den meisten Sektoren von der Exekutive in der Regel nur Anleitungen für ihre langfristige Strategie, nicht aber für ihr Arbeitsprogramm und ihre laufenden Tätigkeiten und Entscheidungen.
Allerdings lassen sich nicht in allen Bereichen klare Trends erkennen, und es gibt immer noch Lücken. Die Regulierungsbehörden unterscheiden sich deutlich in Bezug auf ihren Handlungsspielraum, ihre Finanzierungsmodalitäten sowie die Instanz, gegenüber der sie direkt rechenschaftspflichtig sind. Bei der Erfassung und Veröffentlichung von Informationen zur Qualität der Regulierungsprozesse und Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ist noch Verbesserungsspielraum vorhanden. Außerdem befinden sich die Studien über die Zusammenhänge zwischen den Governance-Strukturen der Behörden und der Sektorleistung noch in der Anfangsphase. Die vorläufigen Ergebnisse deuten zwar auf einen positiven Zusammenhang hin, es bedarf jedoch weiterer Analysen, um die Kausalität zwischen den beiden Faktoren belastbar zu bestimmen.
Literaturverzeichnis
[22] Brousseau, E. und C. Gonzalez-Regalado (erscheint demnächst), Comparative analysis of regulatory governance regimes in the OECD, Université Dauphine, Paris.
[10] Casullo, L., A. Durand und F. Cavassini (2019), „The 2018 Indicators on the Governance of Sector Regulators – Part of the Product Market Regulation (PMR) Survey“, OECD Economics Department Working Papers, No. 1564, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/a0a28908-en.
[19] Europäische Union (2012), Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums, Amtsblatt der Europäischen Union, L343, S. 32-77, http://data.europa.eu/eli/dir/2012/34/oj.
[17] Europäische Union (2009), Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, Amtsblatt der Europäischen Union, L211, S. 55-93, http://data.europa.eu/eli/dir/2009/72/oj.
[18] Europäische Union (2009), Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, Amtsblatt der Europäischen Union, L211, S. 94-136, http://data.europa.eu/eli/dir/2009/73/oj.
[16] Gassner, K. und N. Pushak (2014), „30 years of British utility regulation: Developing country experience and outlook“, Utilities Policy, Vol. 31, S. 44-51, https://doi.org/10.1016/j.jup.2014.09.003.
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[15] Jordana, J., D. Levi-Faur und X. Marin (2011), „The Global Diffusion of Regulatory Agencies: Channels of Transfer and Stages of Diffusion“, Comparative Political Studies, Vol. 44/10, S. 1343-1369, https://doi.org/10.1177/0010414011407466.
[11] Joskow, P., E. Killiam und J. Killiam (Hrsg.) (2000), „Introduction“, in Economic Regulation, Edward Elgar Publishing.
[14] Littlechild, S. (1983), Regulation of British Telecommunications’ profitability – Report to the Secretary of State, Department of Industry, London, https://www.eprg.group.cam.ac.uk/wp-content/uploads/2019/10/S.-Littlechild_1983-report.pdf.
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[4] OECD (2020), „When the going gets tough, the tough get going: How economic regulators bolster the resilience of network industries in response to the COVID-19 crisis“, OECD Policy Responses to Coronavirus (COVID-19), OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/cd8915b1-en.
[1] OECD (2019), Government at a Glance 2019, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/8ccf5c38-en.
[2] OECD (2018), OECD-Ausblick Regulierungspolitik 2018 (Auszugsweise Übersetzung), OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264307988-de.
[8] OECD (2017), Creating a Culture of Independence: Practical Guidance against Undue Influence, The Governance of Regulators, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264274198-en.
[7] OECD (2016), Being an Independent Regulator, The Governance of Regulators, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264255401-en.
[9] OECD (2016), Governance of Regulators’ Practices: Accountability, Transparency and Co-ordination, The Governance of Regulators, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264255388-en.
[6] OECD (2014), „The Governance of Regulators“, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/9789264209015-en.pdf?expires=1591541331&id=id&accname=ocid84004878&checksum=652E5C50B55160A562809D73A4F1899C (Abruf: 7 Juni 2020).
[21] OECD (2014), The Governance of Regulators, OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264209015-en.
[5] OECD (2012), Empfehlung des Rates zu Regulierungspolitik und Governance, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264209053-de.
[20] OECD (2010), Making Reform Happen: Lessons from OECD Countries, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264086296-en.
[13] Select Committee on Regulators (2007), 1st Report of Session 2006-07: UK Economic Regulators, House of Lords, London, https://publications.parliament.uk/pa/ld200607/ldselect/ldrgltrs/189/18902.
Anmerkungen
← 1. Die Datenbank enthält Daten von Regulierungsbehörden in Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, Costa Rica, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Mexiko, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, der Schweiz, der Slowakischen Republik, Slowenien, Spanien, Südafrika, der Tschechischen Republik, der Türkei, Ungarn, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und Zypern.
Im Fragebogen werden der Strom- und Gassektor zusammengelegt, da die Gas- und Stromregulierungsbehörden in den meisten Ländern nicht getrennt sind. Zwei Länder mit separaten Regulierungsbehörden für den Gassektor (Argentinien und Brasilien) haben an zwei Erhebungen teilgenommen, eine je Regulierungsbehörde. Anhand des Durchschnitts der resultierenden Indikatorwerte wurde ein einziger Länderwert für den Energiesektor ermittelt.
Die Angaben für den Wassersektor in den Vereinigten Staaten enthalten Daten von zwei staatlichen Regulierungsbehörden – der New York Public Service Commission und der Public Utility Commission of Texas –, da die ökonomische Regulierung dieses Sektors auf Ebene der Bundesstaaten erfolgt.
← 2. Die vollständige Liste ist in den Schemata für den Fragebogen in Casullo, Durand und Cavassini (2019[10]) verfügbar.
← 3. Die lateinamerikanische Stichprobe überschneidet sich teilweise mit der OECD-Stichprobe, da Chile, Costa Rica, Kolumbien und Mexiko OECD-Mitgliedsländer sind. Obwohl die beiden Stichproben wegen der teilweisen Überschneidung nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, bezieht sich dieser Kasten auf den OECD-Durchschnitt.
← 4. In den EU-Ländern werden 100 % der Energie- und Eisenbahnregulierungsbehörden als unabhängige Stellen mit Entscheidungs-, Rechtsetzungs- und Durchsetzungsbefugnissen eingestuft.
← 5. Von den 38 OECD-Ländern in der Stichprobe sind 22 EU-Länder, was einem Anteil von 58 % entspricht. In der breiteren Stichprobe liegt der Anteil der EU-Länder mit 27 von 47 Ländern leicht darunter (57 %).
← 6. Unter den Nicht-EU-Ländern der Stichprobe beträgt der Anteil rechtlich unabhängiger Regulierungsbehörden 66 %, unter den nicht der EU angehörenden OECD-Ländern 62 %. Der Anteil der rechtlich unabhängigen Regulierungsbehörden ist außerhalb der EU im Luftverkehrssektor besonders niedrig; nur 47 % der von der Stichprobe erfassten Behörden sind unabhängig.