Es gibt in der gegenwärtigen Pandemie eine Vielzahl unvermeidbarer Kosten – ein Grund mehr, um Maßnahmen zu unterlassen, die die Kosten für Händler und Verbraucher weiter erhöhen. Zu allererst müssen Exportbeschränkungen auf essenzielle Güter wie Medizinprodukte und insbesondere Nahrungsmittelerzeugnisse vermieden werden. Gegenwärtig beschränken mehr als 60 Länder3 die Ausfuhren essenzieller Güter und zunehmend auch von Agrar- und Nahrungsmittelerzeugnissen.
Die Nahrungsmittelkrise von 2007-2008 hat vor Augen geführt, dass Ausfuhrbeschränkungen das eigene Land belasten und die Ernährungssicherheit aller beeinträchtigen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Ausfuhrbeschränkungen die Inlandspreise vorübergehend senken und die Verfügbarkeit verbessern; dies mindert allerdings die Anreize für die inländische Produktion, sodass ein etwaiger Nutzen im Allgemeinen nur von kurzer Dauer ist. Bedenklich ist, dass sie durch die Umleitung von Lieferungen weg von den Weltmärkten Aufwärtsdruck auf die internationalen Preise ausüben und damit anderen Ländern schaden – vor allem jenen, die am stärksten von den internationalen Lebensmittelmärkten abhängig sind. Ausfuhrbeschränkungen können das Vertrauen in die internationalen Märkte beeinträchtigen und Hamster- und Panikkäufe auslösen, was die Probleme in den importabhängigen Ländern verstärkt. Letztlich nutzt diese Situation niemandem.
Zurzeit besteht kein Angebotsproblem auf den weltweiten Agrar- und Nahrungsmittelmärkten. Vielmehr sind die Lagerbestände gegenwärtig hoch und die Preise dürften niedrig bleiben. Wenn die Regierungen jedoch Ausfuhrbeschränkungen einführen oder es auf individueller, Unternehmens- oder Landesebene zu Panik- oder Hamsterkäufen kommt, besteht das Risiko, dass ein vermeidbares Problem geschaffen wird.
Die weltweite Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist zwar nicht unmittelbar bedroht, bestimmte Nahrungsmittelketten könnten potenziell jedoch stark beeinträchtigt werden, vor allem durch den Mangel an Saisonarbeitern für die Pflanzung oder Ernte von Kulturpflanzen, logistische Engpässe sowie zusätzliche sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen. Wachsamkeit ist vonnöten, um sicherzustellen, dass keine krisen- oder politikbedingten Risikofaktoren zu Versorgungsunterbrechungen führen, vor allem, wenn die Eindämmungsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 längerfristig in Kraft bleiben.
Ganz anders stellt sich die Weltmarktlage für Medizinprodukte dar. Hier kommt es entscheidend darauf an, das weltweite Angebot an essenziellen Medizinprodukten zur Bekämpfung von COVID-19 insgesamt zu steigern, allen voran Beatmungsgeräte und Masken. Die Staaten müssen dringend in die Erhöhung der Produktionskapazitäten für die lokalen, regionalen und globalen Märkte investieren, und zwar auch in Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor.
Einige Staaten ergreifen Maßnahmen, mit denen die Versorgung der eigenen Bevölkerung gewährleistet werden soll, die jedoch die Versorgung anderer Länder beeinträchtigen. Ausfuhrbeschränkungen erfolgen häufig in Form besonderer Genehmigungsauflagen oder gänzlicher Ausfuhrverbote für bestimmte Produkte. Zu den weiteren Maßnahmen zählen Abnahmegarantien oder die Beschlagnahmung von Waren. Dies sind schwierige Themen. Der Schutz der eigenen Bevölkerung ist zwar natürlich ein berechtigtes Anliegen der Staaten, die Folgen für andere Länder – und damit für die weltweiten Bemühungen zur Eindämmung des Virus und zur Verhinderung schädlicher zweiter oder dritter Pandemiewellen – können jedoch schwerwiegend sein.
Manche Länder sind nicht in der Lage, ihre eigenen Medizinprodukte in ausreichender Menge – oder kosteneffizient – zu produzieren. Dies ist vor allem jetzt der Fall, da sich das Virus in Ländern der unteren Einkommensgruppe ausbreitet, wo die Priorität in Anbetracht der begrenzten Gesundheitsbudgets nicht darin bestehen sollte, Produktionskapazitäten im Inland aufzubauen. Für diese Länder – ebenso wie für andere, die bereits vom Virus betroffen waren – ist der Handel von grundlegender Bedeutung.
In der Tat wäre es den Gebieten, die schon aufgrund des Virus abgeriegelt wurden, schlechter ergangen, wenn sie sich auf die lokale Wirtschaft hätten stützen müssen, um die Versorgung mit Medizinprodukten, Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgütern zu gewährleisten. Selbst Länder mit vorhandenen Produktionskapazitäten für medizinische Ausrüstung hatten Schwierigkeiten, den Bedarf zu decken. Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Ausbrüche sind möglicherweise selbst Länder mit beträchtlichen Fertigungskapazitäten nicht in der Lage, diese voll auszuschöpfen, wenn es zu Arbeitskräfteengpässen oder Mobilitätsbeschränkungen kommt. Außerdem kann die Fertigung von Ausrüstungen selbst dann, wenn sie im Inland erfolgt, auf importierte Vorleistungen angewiesen sein. Die Gefahr einer Beggar-thy-Neighbour-Politik besteht darin, dass jedes Land auch selbst ein Nachbarland ist.
Um eine solche Politik zu vermeiden, benötigen die Länder die Sicherheit, dass sie die benötigten Güter tatsächlich über die Weltmärkte beziehen können. Transparenz sowie Dialog und Zusammenarbeit auf globaler Ebene sind von wesentlicher Bedeutung, um Vertrauen in die globale Versorgung aufzubauen. Sollten sich Ausfuhrbeschränkungen für Medizinprodukte im gegenwärtigen politischen Kontext nicht ganz vermeiden lassen, kommt es entscheidend darauf an, Vereinbarungen über strenge Bedingungen für ihren befristeten Einsatz zu treffen.
Um allgemein das Vertrauen in die Märkte und Zusammenarbeit auf globaler Ebene aufrechtzuerhalten, muss eine weitere Eskalation der gegenwärtigen Handelsspannungen vermieden werden. Da die Unternehmen durch den Nachfrageeinbruch und die derzeitige Unsicherheit bezüglich der Dauer und Schwere von COVID-19 und den damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen bereits beeinträchtigt sind, ist jetzt nicht die Zeit, ihre Kosten weiter in die Höhe zu treiben, insbesondere durch unnötige Unsicherheit in Bezug auf die Politik. Wenn Unternehmen und Verbrauchern zusätzliche Kosten in Form von Zöllen auferlegt werden, führt das nicht nur zu weiteren Härten für diejenigen, die infolge der Krise bereits Einkommenseinbußen hinnehmen mussten, sondern es droht auch den Umfang der staatlichen Hilfen zu vergrößern, mit dem eben diese Unternehmen und Verbraucher unterstützt werden müssen. Ein positiver Schritt, um das Vertrauen zu stärken und die Lasten zu senken, bestünde darin, dass sich die Regierungen verpflichten, keine neuen Zölle oder Handelshemmnisse einzuführen.
Auch wenn der Handel zu einem der ersten Opfer der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 zählte, war nur rd. 1 % der weltweiten Importe von neuen Handelsbeschränkungen betroffen. Damals verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der G20, von protektionistischen Maßnahmen abzusehen und das regelbasierte Handelssystem aufrechtzuerhalten. Die Handelsregeln der WTO sorgten für eine gewisse Sicherheit für die Unternehmen und stabilisierten das System durch die Festlegung einer Obergrenze für Zollmaßnahmen. Die gegenwärtige Krise weist zwar einige Unterschiede – und Gemeinsamkeiten – zur letzten Wirtschaftskrise auf (siehe Kasten), das unsichere wirtschaftliche Umfeld heute macht jedoch das Bekenntnis zu einem auf Regeln beruhenden Handel notwendiger denn je.