Der Vorschlag für eine nationale Finanzbildungsstrategie für Deutschland wurde im Rahmen der Initiative Finanzielle Bildung der Bundesregierung erarbeitet und stützt sich auf quantitative und qualitative Datenquellen.
Finanzkompetenz in Deutschland stärken
1. Einleitung
Copy link to 1. EinleitungInitiative Finanzielle Bildung
Copy link to Initiative Finanzielle BildungDie Strategie wird im Kontext der Initiative Finanzielle Bildung entwickelt (im Folgenden die „Initiative“1), die am 23. März 2023 bei einer nationalen Veranstaltung in Berlin vom Bundesministerium der Finanzen und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestartet wurde.
Hauptziel dieser Initiative ist es, das Finanzwissen aller Menschen in Deutschland zu erweitern. Die Finanzbildung wird dabei als ein wesentlicher Teil der Allgemeinbildung gesehen, der die Chancengerechtigkeit erhöht, und gilt als Voraussetzung für wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Die Initiative Finanzielle Bildung stützt sich auf drei große Säulen:
eine nationale Finanzbildungsstrategie, die in Zusammenarbeit mit der OECD erarbeitet wird
eine Finanzbildungsplattform2 in Form eines Online-Portals, das die Angebote zur Stärkung der Finanzbildung verschiedener Stakeholder in Deutschland bündelt und den Akteuren im Bereich der finanziellen Bildung ermöglicht, sich zu vernetzen und Informationen effektiver auszutauschen
einen Fonds zur Stärkung der Forschung zur finanziellen Bildung in Deutschland, um zu untersuchen, welche Ansätze sich für verschiedene Zielgruppen am besten eignen, und um gezielte Initiativen zur Stärkung der Finanzkompetenz zu erarbeiten
Die Initiative baut auf den unabdingbaren Beiträgen von Stakeholdern im Finanzbildungsbereich auf. Diese Stakeholder aus dem öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Sektor brachten sich maßgeblich in die Initiative ein, indem sie an einer der Bestandsaufnahme dienenden Online-Befragung teilnahmen und aktiv an drei im zweiten Halbjahr 2023 und 2024 veranstalteten nationalen Events mitwirkten.
Stakeholder-Workshops
Am 20. Oktober 2023 fand im Bundesministerium der Finanzen in Berlin ein erster Stakeholder-Workshop statt, der gemeinsam vom Bundesministerium der Finanzen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der OECD organisiert wurde. Er versammelte mehr als 100 Stakeholder aus dem öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Bereich sowie Expert*innen des OECD-Sekretariats und des Internationalen OECD-Netzwerks zur Finanziellen Bildung.
Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger leisteten wesentliche Beiträge zu diesem Workshop. Die Stakeholder sprachen über verschiedene Themen:
Warum benötigt Deutschland eine nationale Finanzbildungsstrategie?
Zwischenergebnisse der von der OECD bei Stakeholdern im Bereich Finanzbildung in Deutschland durchgeführten Befragung
Fallstudien des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen und der Financial Consumer Agency of Canada
Prioritäten der künftigen nationalen Finanzbildungsstrategie (Breakout-Sessions): wichtige Zielgruppen und Schwerpunktbereiche sowie Erwartungen und mögliche Beiträge öffentlicher, privater und zivilgesellschaftlicher Stakeholder im Hinblick auf die Umsetzung der Strategie
Am 21. Juni 2024 fand in Berlin ein zweiter Workshop statt, der Stakeholdern Gelegenheit bot, darüber zu sprechen, wie die Umsetzung der in der Vorbereitungsphase der Strategie festgelegten Schwerpunkte gefördert werden kann (OECD, 2024[1]).
Nationale Konferenz „Finanzielle Bildung für das Leben“
Am 5. und 6. Dezember 2023 veranstaltete das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit dem Bundesministerium der Finanzen in Berlin die nationale Konferenz „Finanzielle Bildung für das Leben“. Mehr als 400 Teilnehmer*innen, vornehmlich aus dem Bildungsbereich, kamen zusammen, um über die Bedeutung finanzieller Bildung und die künftige Strategie zu diskutieren.
Auch internationale Expert*innen und Fachleute aus dem OECD-Sekretariat steuerten wichtige Beiträge zu dieser zweitägigen Veranstaltung bei, bei der es um die Bedeutung der Finanzbildung für Deutschland und insbesondere folgende Themen ging:
Finanzbildung im Internet, zwischen Bildung, Beratung und Information
Verbraucherschutz und finanzielle Bildung
Finanzbildung und lebenslanges Lernen
Finanzkompetenz und Gender-Gaps
Finanzbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Sustainable Finance
Internationale Erfahrungen bei der Entwicklung einer nationalen Finanzbildungsstrategie
Datenquellen
Copy link to DatenquellenDas Projekt zur Erarbeitung einer nationalen Finanzbildungsstrategie für Deutschland stützt sich hauptsächlich auf zwei Arten von Daten: auf quantitative Daten über das Finanzkompetenzniveau der Bevölkerung in Deutschland und auf qualitative Daten der Stakeholder aus dem Finanzbildungsbereich zu ihren Initiativen und ihren Ansichten zur künftigen Strategie. Diese Datenquellen wurden durch Sekundärforschung ergänzt.
Quantitative Daten zur Finanzkompetenz
Die quantitativen Daten wurden hauptsächlich von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter Heranziehung des OECD/INFE-Toolkits zur Messung der finanziellen Bildung und finanziellen Teilhabe von 2022 erhoben (OECD, 2022[2]). Dies geschah vom 19. September bis zum 18. Oktober 2022 durch computergestützte Telefoninterviews mit einer für die deutsche Bevölkerung repräsentativen Stichprobe von 1 000 Erwachsenen (18–79 Jahre).
Die BaFin stellte die Daten dann dem OECD-Sekretariat zur Verfügung. Das OECD-Sekretariat analysierte sie, um sie in die vom Internationalen Netzwerk der OECD zur finanziellen Bildung koordinierte OECD/INFE-Erhebung zur finanziellen Bildung Erwachsener von 2023 (OECD, 2023[3]) sowie in diesen Vorschlag einfließen zu lassen.
Der Vorschlag stützt sich zudem auf quantitative Daten zum Finanzkompetenzniveau Erwachsener und junger Menschen, die von Stakeholdern in Deutschland erhoben wurden (OECD, 2024[1]).
Qualitative Daten
Die qualitativen Daten sind das Ergebnis der Teilnahme der Stakeholder an den beiden vorstehend erwähnten Workshops sowie der nationalen Erhebung zur Bestandsaufnahme. Der für die Erhebung verwendete Fragebogen wurde von der OECD in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt. Er wurde im Juli 2023 an Stakeholder aus dem öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Sektor verteilt. Die Auswahl der Teilnehmenden erfolgte durch die beiden Bundesministerien unter Einbeziehung der OECD. Außerdem wurde der Fragebogen auf der Website des Bundesministeriums der Finanzen bereitgestellt.
Insgesamt nahmen 122 Stakeholder aus dem öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Sektor (im Folgenden „Stakeholder im Finanzbildungsbereich“ oder nur „Stakeholder“) sowie 35 Privatpersonen an der Befragung teil, in der Informationen über 177 Finanzbildungsinitiativen gesammelt wurden. Im Bereich der Finanzbildung tätige Stakeholder, die nicht an der Erhebung teilnahmen, werden in der Analyse nicht berücksichtigt.
Der Fragebogen gliederte sich in folgende Abschnitte:
Relevanz der Maßnahmen und Initiativen zur Stärkung der Finanzkompetenz in Deutschland und Expertise der Stakeholder
Finanzbildungsinitiativen
Daten und Forschung
Bestehende Zusammenarbeit
Erwartungen der Stakeholder in Bezug auf die nationale Finanzbildungsstrategie
Kasten 1.1. Definitionen
Copy link to Kasten 1.1. DefinitionenFinanzielle Bildung bzw. Finanzbildung: Prozess, durch den Finanzverbraucher*innen/Anleger*innen ihr Verständnis von Finanzprodukten, -konzepten und -risiken vertiefen und dank Informationen, Anleitung und/oder objektiver Beratung die erforderliche Kompetenz und das Selbstvertrauen entwickeln, um finanzielle Risiken und Chancen besser zu verstehen, um fundierte Entscheidungen zu treffen, um zu wissen, wo sie Unterstützung finden, und um andere wirksame Maßnahmen zur Verbesserung ihres finanziellen Wohlergehens zu ergreifen.
Finanzkompetenz: Kombination aus finanziellem Problembewusstsein, Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen, die notwendig ist, um solide Finanzentscheidungen zu treffen und damit letztlich das finanzielle Wohlergehen zu sichern.
Digitale Finanzkompetenz: Kombination aus Kenntnissen, Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die Menschen benötigen, um digitale Finanzdienstleistungen und digitale Technologien zu verstehen und sicher zugunsten ihres finanziellen Wohlergehens nutzen zu können.
Finanzielle Resilienz: Die Fähigkeit von Einzelpersonen oder Haushalten, negativen finanziellen Schocks standzuhalten, sie zu bewältigen und sich von ihnen zu erholen.
Nationale Finanzbildungsstrategie: Auf nationaler Ebene koordinierter, aus einem geeigneten Rahmen oder Programm bestehender Ansatz für Finanzbildung, der
die zentrale Bedeutung der Finanzkompetenz anerkennt – und gegebenenfalls gesetzlich verankert –, ihren Rahmen auf nationaler Ebene absteckt und dabei den aufgezeigten nationalen Anforderungen und Lücken Rechnung trägt,
mit anderen Strategien zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Wohlstands vereinbar ist, z. B. mit Strategien für finanzielle Inklusion und finanziellen Verbraucherschutz,
eine Zusammenarbeit mit relevanten Stakeholdern sowie eine federführende Stelle oder ein Koordinierungsgremium auf nationaler Ebene vorsieht,
einen Fahrplan zum Erreichen bestimmter vorab festgelegter Ziele innerhalb eines festen Zeitrahmens vorgibt,
Orientierungen für die einzelnen im Rahmen der nationalen Strategie umgesetzten Programme liefert, um die Gesamtstrategie effizient und angemessen zu fördern, und
Monitoring und Evaluierungen umfasst, um die durch die Strategie erzielten Fortschritte zu prüfen und gegebenenfalls Verbesserungen vorzuschlagen.
Finanzielles Wohlergehen: Finanzielles Wohlergehen ist das eigentliche Ziel der Finanzbildung. Der Begriff berücksichtigt sowohl objektive als auch subjektive Elemente und erfasst verschiedene Aspekte, wie etwa
die Kontrolle über die eigenen Finanzen, d. h. die Fähigkeit, Rechnungen pünktlich zu bezahlen, keine untragbaren Schulden anzuhäufen und finanziell über die Runden zu kommen,
finanzielle Resilienz, um unerwartete Ausgaben und Notfälle zu bewältigen – Ersparnisse, eine Krankenversicherung und eine gute Bonität zu haben, sowie finanzielle Unterstützung durch Freunde und Familie können Verbraucher*innen helfen, einem finanziellen Schock standzuhalten –,
die Fähigkeit, finanzielle Ziele zu erreichen, wie beispielsweise Studiendarlehen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zurückzuzahlen oder einen bestimmten Betrag bis zur Rente zu sparen, sowie die Möglichkeit, die eigene Lebensqualität zu steigern, beispielsweise in den Urlaub zu fahren, hin und wieder auswärts zu essen, ein Studium zu beginnen, um einen weiterführenden Abschluss zu erwerben, oder weniger zu arbeiten, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.