Der Corporate-Governance-Rahmen sollte die Aktionärsrechte schützen, deren Ausübung erleichtern und die Gleichbehandlung aller Aktionäre, einschließlich Minderheits- und ausländischer Aktionäre, sicherstellen.
Alle Aktionäre sollten bei Verletzung ihrer Rechte die Möglichkeit haben, effektive Entschädigung zu vertretbaren Kosten und ohne übermäßige Verzögerung zu erhalten.
Aktienanlegern stehen bestimmte Vermögensrechte zu. Eine Aktie eines börsennotierten Unternehmens kann beispielsweise gekauft, verkauft oder übertragen werden. Eine Aktie berechtigt den Anleger auch zur Beteiligung an den Unternehmensgewinnen, während seine Haftung auf die Höhe seiner Anlage beschränkt ist. Außerdem verleiht der Besitz von Aktien ein Recht auf Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft sowie ein Recht zur Einflussnahme auf das Unternehmen, hauptsächlich über die Teilnahme an den Hauptversammlungen und die Ausübung des Stimmrechts.
In der Praxis kann eine Gesellschaft aber nicht im Wege von Aktionärsabstimmungen geführt werden. Die Aktionärsschaft setzt sich aus natürlichen und juristischen Personen zusammen, deren Interessen, Ziele, Anlagehorizonte und Kapazitäten divergieren. Darüber hinaus muss die Unternehmensleitung in der Lage sein, geschäftliche Entscheidungen rasch zu treffen. Angesichts dieser Gegebenheiten und der Komplexität der Führung der Unternehmensgeschäfte auf Märkten, die sich schnell weiterentwickeln und ständig verändern, wird von den Aktionären nicht erwartet, dass sie Verantwortung für die Geschäftsführung übernehmen. Vielmehr liegt die Verantwortung für die Unternehmensstrategie und das operative Geschäft normalerweise in den Händen des Boards sowie eines Führungsorgans, das vom Board ausgewählt, mit Weisungen versehen und gegebenenfalls ersetzt wird.
Die Aktionärsrechte hinsichtlich der Einflussnahme auf die Gesellschaft konzentrieren sich auf bestimmte fundamentale Fragen, wie beispielsweise die Wahl der Board-Mitglieder oder andere Mittel zur Beeinflussung der Zusammensetzung des Boards, Änderungen der Unternehmenssatzung, Genehmigung außerordentlicher Transaktionen sowie andere grundlegende Fragen, die im Gesellschaftsrecht und in internen Regelungen des Unternehmens verankert sind. Es handelt sich hierbei um die grundlegenden Rechte der Aktionäre, die in den meisten Staaten gesetzlich verankert sind. In einigen Staaten sind die Aktionäre mit zusätzlichen Rechten ausgestattet, wie beispielsweise dem Recht, Einzelkandidat*innen oder Listen für die Wahl der Board-Mitglieder vorzuschlagen, dem Recht auf Verpfändung von Aktien, auf Genehmigung von Gewinnausschüttungen, auf Abstimmung über die Vergütungen der Mitglieder des Boards und/oder der Geschäftsführung, auf Genehmigung wesentlicher Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen usw.
Das Vertrauen der Anleger darauf, dass das von ihnen eingebrachte Kapital vor Missbrauch oder Veruntreuung durch Führungskräfte des Unternehmens, Board-Mitglieder oder kontrollierende Aktionäre geschützt ist, spielt für die Entwicklung der Kapitalmärkte und deren reibungsloses Funktionieren eine wichtige Rolle. Ein ineffizienter Corporate-Governance-Mechanismus hingegen könnte Board, Führungskräften oder kontrollierenden Aktionären die Möglichkeit bieten, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die in ihrem eigenen Interesse liegen, jedoch zulasten der Minderheitsaktionäre gehen. Bei der Gewährleistung von Anlegerschutz sollte sinnvollerweise zwischen Ex-ante- und Ex-post-Aktionärsrechten unterschieden werden. Zu den Ex-ante-Rechten zählen beispielsweise Bezugsrechte und das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten für bestimmte Entscheidungen. Die Ex-post-Rechte ermöglichen es, bei Rechtsverletzungen Entschädigung zu beanspruchen. In Staaten, in denen die Durchsetzung des gesetzlichen und regulatorischen Rahmens nicht hinreichend gesichert ist, kann es sich empfehlen, die Ex-ante-Rechte der Aktionäre zu stärken, indem z. B. die für eine Ergänzung der Tagesordnung der Aktionärshauptversammlung erforderliche Kapitalbeteiligung niedrig angesetzt wird oder bestimmte wichtige Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden müssen. Die Grundsätze zielen auf die Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Aktionäre im Rahmen der Corporate Governance ab. Sie setzen sich nicht mit der staatlichen Politik im Hinblick auf die Regulierung ausländischer Direktinvestitionen auseinander.
Ein Weg zur Durchsetzung ihrer Rechte bietet sich Aktionären mit der Möglichkeit, rechtliche und administrative Schritte gegen Geschäftsführung und Board-Mitglieder einzuleiten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Grad des Schutzes der Aktionärsrechte entscheidend davon abhängt, ob wirksame Methoden existieren, um im Falle einer gerechtfertigten Beschwerde Entschädigung zu vertretbaren Kosten und ohne übermäßige Verzögerung zu erhalten. Das Vertrauen der Minderheitsaktionäre wird gestärkt, wenn das Rechtssystem Mechanismen für die Minderheitsaktionäre vorsieht, damit diese Klage erheben können, wenn sie hinreichende Gründe zu der Annahme haben, dass ihre Rechte verletzt wurden. Einige Länder haben erkannt, dass von Minderheitsaktionären im Namen des Unternehmens eingereichte Klagen ein effizientes zusätzliches Instrument zur Durchsetzung der treuhänderischen Pflichten des Boards darstellen, wenn die Verteilung der Prozesskosten in angemessener Weise festgelegt ist. Die Gewährleistung derartiger Durchsetzungsmechanismen ist eine wesentliche Aufgabe der Gesetzgeber und Regulierungsinstanzen. Kapazität und Qualität der Gerichte sind dabei ebenfalls von entscheidender Bedeutung.
In Rechtssystemen, die jedem Anleger die Möglichkeit geben, Handlungen eines Unternehmens gerichtlich anzufechten, besteht allerdings ein gewisses Risiko von Klagemissbrauch. Daher verfügen viele Rechtssysteme über Bestimmungen zum Schutz von Geschäftsführung und Board-Mitgliedern vor missbräuchlichen Klagen in Form von Prüfungsmechanismen, wie vorgerichtliche Verfahren zur Beurteilung der Zulässigkeit von Klagen, haftungsfreie Handlungsspielräume (Safe Harbours) für Geschäftsführung und Board-Mitglieder (wie die Business Judgement Rule) sowie Schutzklauseln im Zusammenhang mit der Offenlegung von Informationen. Im Endeffekt geht es darum, das richtige Gleichgewicht herzustellen zwischen der Möglichkeit der Anleger, gegen Verletzungen ihrer Rechte als wirtschaftlich Berechtigte gerichtlich vorzugehen, und der Vermeidung von Klagemissbrauch.
In vielen Staaten ist man zu dem Schluss gekommen, dass außergerichtliche Verfahren, wie etwa von den Wertpapieraufsichtsbehörden oder anderen Stellen anberaumte Verwaltungsanhörungen oder Schiedsverfahren, zumindest in der ersten Instanz eine wirksame Alternative zu Gerichtsverfahren darstellen, um Aktionärsrechte zu schützen. Fachgerichtliche Verfahren können ebenfalls ein zweckmäßiges Instrument sein, um zeitnah einstweilige Verfügungen zu erwirken und Beweise für einen mutmaßlichen Rechtsverstoß zu sammeln und so letztlich die effektive Entschädigung bei Verletzung der Aktionärsrechte zu erleichtern.
II.A. Zu den grundlegenden Rechten der Aktionäre sollte das Recht gehören auf 1. verlässliche Verfahren für die Registrierung ihrer Kapitalbeteiligungen, 2. Veräußerung oder Übertragung von Aktien, 3. rechtzeitige und regelmäßige Offenlegung relevanter, wesentlicher Informationen über das Unternehmen, 4. stimmberechtigte Teilnahme an den Hauptversammlungen, 5. Wahl und Absetzung von Board-Mitgliedern, 6. Beteiligung an den Unternehmensgewinnen sowie 7. Wahl, Bestellung oder Bestätigung des*der externen Abschlussprüfenden.
II.B. Bei Entscheidungen über grundlegende Veränderungen im Unternehmen sollten die Aktionäre hinreichend informiert werden sowie ein Zustimmungs- oder Mitwirkungsrecht haben; dies betrifft namentlich: 1. Änderungen der Satzung, des Gesellschaftsvertrags oder ähnlicher für die Unternehmensorganisation maßgeblicher Dokumente, 2. Genehmigung von Aktienemissionen sowie 3. außerordentliche Transaktionen, einschließlich der Übertragung des Gesellschaftsvermögens, die im Ergebnis einem Verkauf des Unternehmens gleichkommen.
Die Fähigkeit der Unternehmen, Partnerschaften zu bilden und Ausgründungen vorzunehmen und den entsprechenden Unternehmenseinheiten Betriebsvermögen, Cashflow-Rechte und sonstige Rechte und Pflichten zu übertragen, ist wichtig für die geschäftliche Flexibilität und die Übertragung von Befugnissen in komplexen Organisationen. Sie ermöglicht es den Unternehmen auch, Betriebsvermögen zu veräußern und sich in Holding-Gesellschaften zu verwandeln. Ohne geeignete Kontrollmechanismen können solche Möglichkeiten aber auch missbraucht werden.
II.C. Die Aktionäre sollten die Möglichkeit haben, effektiv an den Hauptversammlungen teilzunehmen und dort ihr Stimmrecht auszuüben, und sie sollten über die dabei geltenden Regeln, insbesondere die Abstimmungsverfahren, informiert werden.
II.C.1. Die Aktionäre sollten rechtzeitig mit hinreichenden Informationen über Datum, Format, Ort und Tagesordnung der Hauptversammlung sowie mit vollständigen Informationen über die auf der Hauptversammlung anstehenden Entscheidungen versorgt werden.
II.C.2. Modalitäten, Format und Verfahren der Hauptversammlung sollten die Gleichbehandlung aller Aktionäre gewährleisten. Die unternehmensinternen Verfahren sollten die Ausübung des Stimmrechts nicht unangemessen erschweren oder verteuern.
Das Recht zur Teilnahme an Hauptversammlungen ist ein grundlegendes Recht der Aktionäre. Geschäftsleitung und kontrollierende Aktionäre versuchen bisweilen, Minderheitsaktionäre oder ausländische Investoren davon abzuhalten, Einfluss auf die Unternehmensführung zu nehmen. Einige Unternehmen haben Gebühren für die Stimmrechtsausübung erhoben. Weitere mögliche Hindernisse sind das Verbot von Stimmrechtsvollmachten, die Auflage der persönlichen Anwesenheit bei der Hauptversammlung als Voraussetzung für die Ausübung des Stimmrechts, die Bündelung voneinander unabhängiger Beschlussgegenstände, die Abhaltung der Versammlung an einem entlegenen Ort und die Beschränkung der Stimmabgabe auf die Handabstimmung. Wieder andere Methoden machen die Ausübung der Rechte wirtschaftlich Berechtigter praktisch unmöglich. Beispielsweise können die Abstimmungsunterlagen so kurz vor dem Termin der Hauptversammlung verschickt werden, dass dem Aktionär nicht genügend Zeit für Meinungsbildung und Konsultation bleibt. Viele Unternehmen sind indessen bestrebt, die Kanäle für Kommunikation und Entscheidungsfindung mit den Aktionären zu verbessern. Bemühungen der Unternehmen zum Abbau künstlicher Hindernisse für die Teilnahme an Hauptversammlungen sind zu begrüßen, und der Corporate-Governance-Rahmen sollte den Einsatz elektronischer Mittel für die Stimmabgabe in Abwesenheit, einschließlich der elektronischen Versendung von Vollmachtsunterlagen sowie verlässlicher Systeme zur Bestätigung der Stimmabgabe, erleichtern. In Staaten, in denen die private Rechtsdurchsetzung nicht hinreichend gesichert ist, sollten die Regulierungsinstanzen in der Lage sein, unfaire Abstimmungsverfahren zu verhindern.
II.C.3. Die Staaten sollten die Online-Teilnahme an den Hauptversammlungen gestatten, um die Mitwirkung der Aktionäre und das Shareholder Engagement zu erleichtern und die Kosten dafür zu senken. Die Hauptversammlungen sollten in einer Art und Weise abgehalten werden, die allen Aktionären gleichen Zugang zu Informationen und gleiche Mitwirkungsmöglichkeiten gewährleistet.
Die Durchführung von Hauptversammlungen im virtuellen Format oder auch in hybrider Form (d. h., manche Aktionäre nehmen in Präsenz und andere virtuell teil) kann das Shareholder Engagement verstärken, indem Zeitaufwand und Kosten für die Teilnahme verringert werden. Die Nutzung von Online-Plattformen kann den Unternehmen zwar zusätzliche Kosten verursachen, aber auch den Zugang der Aktionäre zu Tagesordnungen und damit verbundenen Informationen erleichtern und eine sichere Infrastruktur sowie effizientere Möglichkeiten zur Prüfung und Beantwortung von Kommentaren und Fragen der Aktionäre bieten. Dennoch muss sichergestellt sein, dass die Aktionäre bei Online-Hauptversammlungen nicht weniger Gelegenheit haben als bei Präsenz-Hauptversammlungen, mit Board und Geschäftsführung in Dialog zu treten und Auskünfte zu verlangen. Einige Staaten haben insbesondere für die Behandlung von Aktionärsfragen, deren Beantwortung und Offenlegung Leitlinien erstellt, um das Abhalten von Online-Hauptversammlungen zu erleichtern. Diese Leitlinien sollen eine transparente Vorgehensweise bei der Prüfung der Fragen durch Board und Geschäftsführung gewährleisten, einschließlich der Art und Weise, wie Fragen gesammelt, kombiniert, beantwortet und offengelegt werden. Sie können sich auch darauf beziehen, wie mit technischen Störungen umzugehen ist, die die Online-Zuschaltung zu Hauptversammlungen behindern.
Viele Unternehmen beauftragen Technologieanbieter, die sich um die elektronische Zuschaltungsmöglichkeit kümmern. Bei der Auswahl der Dienstleister ist darauf zu achten, dass sie über die Professionalität und Kapazitäten in den Bereichen Datenverarbeitung und digitale Sicherheit verfügen, die zur Unterstützung fairer und transparenter Aktionärsversammlungen erforderlich sind, und dass sie für jeden Verarbeitungsvorgang im Rahmen der Dienstleistung technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen treffen, insbesondere im Hinblick auf personenbezogene Daten, die strengere Sicherheitsmaßnahmen erfordern. Derartige Prozesse sollten die Überprüfung der Identität der Aktionäre durch eine sichere Authentifizierung der Teilnehmer*innen ermöglichen und eine gleichberechtigte Mitwirkung sowie Vertraulichkeit und Sicherheit der vor der Versammlung abgegebenen Stimmen gewährleisten.
II.C.4. Die Aktionäre sollten die Möglichkeit haben, in vertretbarem Rahmen Auskünfte vom Board, einschließlich Auskünften über die Jahresabschlussprüfung, zu verlangen, bestimmte Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzen zu lassen und Beschlussvorschläge einzureichen.
Um die Teilnahme der Aktionäre an den Hauptversammlungen zu fördern, haben zahlreiche Staaten einfache und klare Verfahren für die Einreichung von Änderungs- und Beschlussvorschlägen eingeführt, die es den Aktionären erleichtern, bestimmte Punkte auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Außerdem wurden ihre Möglichkeiten verbessert, Fragen bereits vorab einzureichen und entsprechende Auskünfte von Geschäftsführung und Board in einer Weise zu erhalten, die deren Transparenz gewährleistet. Die Aktionäre sollten ferner auch die Möglichkeit haben, Fragen zum Bericht der Abschlussprüfenden zu stellen. Die Unternehmen werden berechtigterweise versuchen, einem Missbrauch dieser Möglichkeiten entgegenzuwirken. Beispielsweise ist es sinnvoll zu verlangen, dass Beschlussvorschläge der Aktionäre nur dann zur Abstimmung auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn sie von Aktionären unterstützt werden, die einen bestimmten Marktwert oder Anteil von Aktien oder Stimmrechten halten. Der entsprechende Schwellenwert sollte unter Berücksichtigung des Grads der Kapitalkonzentration bestimmt werden, um sicherzustellen, dass Minderheitsaktionäre nicht in der Praxis daran gehindert werden, Punkte auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Von Aktionären vorgeschlagene Beschlüsse, die zur Vorlage angenommen werden und in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen, sollten vom Board behandelt werden.
II.C.5. Die effektive Beteiligung der Aktionäre an grundlegenden Corporate-Governance-Entscheidungen, wie Vorschlag und Wahl von Board-Mitgliedern, sollte erleichtert werden. Die Aktionäre sollten – u. a. im Wege der Abstimmung bei den Hauptversammlungen – die Möglichkeit haben, ihre Ansichten zu den Vergütungen der Board-Mitglieder und/oder der Geschäftsführung zu äußern. Die Aktienkomponente der Vergütungen von Board-Mitgliedern und Mitarbeitenden sollte der Zustimmung der Aktionäre unterliegen.
Die Bestellung der Board-Mitglieder gehört zu den grundlegenden Rechten der Aktionäre. Um ein effektives Verfahren zu gewährleisten, sollten die Aktionäre die Möglichkeit erhalten, an der Nominierung der Kandidat*innen für einen Sitz im Board teilzunehmen und über einzelne Kandidat*innen oder Kandidatenlisten abzustimmen. Zu diesem Zweck haben die Aktionäre in einer Reihe von Staaten Zugang zu den entsprechenden Unterlagen des Unternehmens, die den Aktionären vorbehaltlich bestimmter Bedingungen zur Verhinderung von Missbrauch zur Verfügung gestellt werden. Zur Nominierung der Kandidat*innen haben die Boards vieler Unternehmen Ausschüsse eingerichtet, die über die Einhaltung und die Transparenz der entsprechenden Verfahren wachen und die Bemühungen um Bestellung eines ausgewogenen, vielfältig zusammengesetzten und qualifizierten Boards unterstützen und koordinieren sollen. Es gilt als gute Praxis, unabhängigen Board-Mitgliedern in diesen Ausschüssen eine Schlüsselrolle zuzuweisen. Um den Auswahlprozess weiter zu verbessern, fordern die Grundsätze die vollständige und zeitnahe Offenlegung von Informationen über die Erfahrung und den Hintergrund der Board-Kandidat*innen sowie über das Bestellungsverfahren, um eine fundierte Beurteilung der Fähigkeiten und Eignung sämtlicher Kandidat*innen zu ermöglichen. In einigen Staaten ist es vorgeschrieben bzw. wird es als gute Praxis angesehen, ferner Informationen über andere Mandate der Kandidat*innen in Boards oder Ausschüssen offenzulegen, was sich in einigen Staaten auch auf andere Mandate erstrecken kann, für die sie kandidieren.
Die Grundsätze enthalten die Aufforderung, die Vergütungen der Board-Mitglieder und der Geschäftsführung offenzulegen. Für die Aktionäre ist es insbesondere wichtig, die Vergütungspolitik sowie den Gesamtwert und die Struktur der entsprechend dieser Politik getroffenen Vergütungsvereinbarungen zu kennen. Um die Kompetenz des Boards zu beurteilen und um abzuwägen, welche Fähigkeiten Board-Kandidat*innen haben sollten, ist es für die Aktionäre auch von Interesse zu wissen, auf welche Weise die Vergütungen mit den Unternehmensergebnissen zusammenhängen. Die verschiedenen Formen des „Say on Pay“, d. h. der Mitsprache über die Vergütungen (bindende oder konsultative Abstimmungen, Ex-post- und/oder Ex-ante-Abstimmungen, Abstimmung über die Vergütungen der Board-Mitglieder und/oder der Geschäftsführung, über die Einzel- und/oder die Gesamtvergütungen, über die Vergütungspolitik und/oder über die tatsächlichen Vergütungen), sind wichtig, damit die Aktionäre ihren Standpunkt dem Board gegenüber mit dem nötigen Nachdruck geltend machen können. Im Falle eines auf Aktien basierenden Vergütungssystems sollte aufgrund der damit gegebenen Möglichkeit der Kapitalverwässerung und der starken Beeinflussung der Managementanreize die Zustimmung der Aktionäre erforderlich sein, sei es in Bezug auf einzelne Personen oder auf die mit diesem System insgesamt verfolgte Politik. Die Zustimmung der Aktionäre sollte auch bei allen wesentlichen Änderungen bestehender Vergütungssysteme erforderlich sein.
II.C.6. Die Aktionäre sollten die Möglichkeit haben, ihr Stimmrecht entweder persönlich oder in Abwesenheit auszuüben, wobei die abgegebenen Stimmen in beiden Fällen das gleiche Gewicht haben sollten.
Angesichts des Ziels einer leichteren Identifizierung und stärkeren Mitwirkung der Aktionäre sollten die Staaten und/oder die Unternehmen einen vermehrten Einsatz von Informationstechnologien bei Abstimmungen fördern, u. a. die sichere elektronische Stimmabgabe in allen börsennotierten Unternehmen sowohl bei Online- als auch bei Präsenz-Hauptversammlungen. In den Grundsätzen wird empfohlen, die Stimmrechtsausübung durch (bevollmächtigte) Vertreter*innen generell zuzulassen. Für die Förderung und den Schutz der Aktionärsrechte ist es in der Tat wichtig, dass den Anlegern die Möglichkeit einer ihren Weisungen entsprechenden Stimmrechtsausübung durch bevollmächtigte Vertreter*innen offensteht. Der Corporate-Governance-Rahmen sollte gewährleisten, dass die Bevollmächtigten die Vollmachten weisungsgemäß ausüben. In Staaten, in denen eine Stimmrechtsvertretung durch die Gesellschaft zulässig ist, ist es wichtig, dass offengelegt wird, wie der*die Vorsitzende der Hauptversammlung (der*die üblicherweise der*die Empfänger*in derartiger Vollmachten ist) die Stimmrechte ausüben wird, für die Vollmachten ohne Weisung vorliegen. Wenn dem Board oder der Geschäftsleitung Vollmachten für betriebliche Pensionsfonds oder Mitarbeiterbeteiligungsprogramme übertragen wurden, sollten die Abstimmungsanweisungen offengelegt werden. In vielen Staaten ist es vorgeschrieben bzw. wird es als gute Praxis angesehen, dass eigene Aktien und Aktien des Unternehmens, die sich im Besitz von Tochtergesellschaften befinden, nicht stimmberechtigt sind und für die Erfüllung des Quorums nicht berücksichtigt werden.
II.C.7. Hindernisse, die einer grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung entgegenstehen, sollten beseitigt werden.
Ausländische Anleger halten ihre Aktien häufig über eine Kette von Finanzintermediären. Die Aktien werden in der Regel auf Konten bei Wertpapierinstituten verwahrt, die wiederum Konten bei anderen Intermediären und zentralen Wertpapierverwahrstellen in anderen Staaten unterhalten, während das börsennotierte Unternehmen selbst in einem dritten Staat ansässig ist. Solche grenzüberschreitenden Verflechtungen führen zu besonderen Herausforderungen im Hinblick darauf, wie die Frage der Ausübung der Stimmrechte ausländischer Investoren geregelt und wie mit diesen Anlegern kommuniziert werden kann. Dies kann in Verbindung mit Geschäftspraktiken, die nur eine sehr kurze Einberufungsfrist vorsehen, häufig dazu führen, dass den Aktionären sehr wenig Zeit bleibt, um auf die Einladung eines Unternehmens zur Aktionärshauptversammlung zu reagieren und mit fundierter Sachkenntnis über die zur Beschlussfassung anstehenden Punkte zu entscheiden. Das macht die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung schwierig. Der gesetzliche und regulatorische Rahmen sollte klar präzisieren, wer in einem grenzüberschreitenden Kontext berechtigt ist, die Stimmrechte zu kontrollieren, und gegebenenfalls die Verfahren im Hinblick auf das verzweigte Verwahrsystem vereinfachen. Außerdem sollten die Mitteilungsfristen lang genug sein, um zu gewährleisten, dass ausländische Anleger effektiv über die gleichen Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Eigentümerfunktion verfügen wie inländische Anleger. Um die Stimmrechtsausübung ausländischer Anleger weiter zu erleichtern, sollten die Gesetze, Bestimmungen und Unternehmenspraktiken eine elektronische Stimmabgabe diskriminierungsfrei gestatten.
II.D. Die Aktionäre, einschließlich der institutionellen Anleger, sollten – außer im Falle von Missbrauchsgefahr – das Recht haben, sich miteinander in Fragen betreffend ihre in den Grundsätzen definierten grundlegenden Aktionärsrechte zu beraten.
Man ist sich seit Langem darüber im Klaren, dass die Kapitalbeteiligung einzelner Aktionäre von Unternehmen mit Streubesitz möglicherweise zu gering ist, um die Kosten für die Anstrengung einer Klage bzw. für Maßnahmen zur Gewährleistung einer Ergebniskontrolle zu rechtfertigen. Wenn Kleinanleger*innen dennoch in solche Aktivitäten investieren, würde dies außerdem auch anderen zugutekommen, die selbst keinen Beitrag zu den Kosten geleistet haben (Trittbrettfahrereffekte). Institutionelle Anleger beschränken ihre Kapitalbeteiligung an einzelnen Unternehmen vielfach, weil sie nicht über die nötigen Kapazitäten für eine höhere Beteiligung verfügen oder weil die Investition eines größeren Teils ihres Vermögens in ein einziges Unternehmen nicht mit ihrer Sorgfaltspflicht zu vereinbaren bzw. unzulässig wäre. Um dieser Asymmetrie, die letztlich die Diversifizierung begünstigt, entgegenzuwirken, sollten die Anleger berechtigt sein bzw. sogar ermutigt werden, zu kooperieren und ihre Initiativen in Bezug auf Vorschlag und Wahl der Board-Mitglieder, die Ergänzung der Tagesordnung um weitere Gegenstände bzw. den direkten Dialog mit dem jeweiligen Unternehmen zwecks Verbesserung der Corporate Governance zu koordinieren, solange sie dabei die geltenden Gesetze wie beispielsweise die Pflicht zur Meldung der wirtschaftlich Berechtigten einhalten. Einige große institutionelle Anleger haben Initiativen zur besseren Koordinierung ihres Engagements ergriffen, z. B. um Klimabelange zu adressieren. Im Fall von börsennotierten Unternehmen mit kontrollierenden Aktionären schützen diese Initiativen auch die Interessen von Minderheitsaktionären und stärken zugleich deren Mitspracherecht in Unternehmensangelegenheiten. Generell sollte es den Aktionären gestattet sein, miteinander in Verbindung zu treten, ohne sich den für die Einwerbung von Stimmrechtsvollmachten notwendigen Formalitäten unterziehen zu müssen.
Die Kooperation der Anleger kann allerdings auch dazu dienen, die Märkte zu manipulieren und die Kontrolle über ein Unternehmen zu erlangen, indem versucht wird, die ansonsten geltenden Übernahme- oder Offenlegungsbestimmungen zu umgehen. Zudem kann eine solche Kooperation u. U. auch zur Umgehung kartellrechtlicher Bestimmungen genutzt werden. Schutzmechanismen können erforderlich sein, um wettbewerbswidriges Verhalten und missbräuchliche Handlungen zu verhindern, insbesondere in Staaten, in denen institutionelle Anleger Großaktionäre börsennotierter Unternehmen sind und ihr abgestimmtes Vorgehen einen stärkeren Einfluss auf die Entscheidungen der Unternehmen haben könnte. Die Offenlegung von Informationen über den Koordinationsansatz, den die Anleger verfolgen, könnte dem Markt Klarheit über den Umfang solcher Abstimmungen verschaffen. Wenn die Kooperation jedoch weder eindeutig auf die Unternehmenskontrolle abzielt noch mit Erwägungen hinsichtlich der Markteffizienz und Fairness in Konflikt steht, kann ein solches Vorgehen gleichwohl eine wirksamere Wahrnehmung der Aktionärsrechte gestatten. Um den Aktionären hier Klarheit und Sicherheit zu verschaffen, können die Regulierungsinstanzen Leitlinien darüber aufstellen, welche Koordinationsformen und Übereinkünfte ein abgestimmtes Verhalten im Sinne der Übernahme-, Wettbewerbs- und sonstigen Bestimmungen darstellen bzw. welche nicht.
II.E. Alle Aktionäre derselben Serie einer Aktiengattung sollten gleichbehandelt werden. Alle Anleger sollten die Möglichkeit haben, vor dem Aktienerwerb Informationen über die mit den einzelnen Aktienserien und Aktiengattungen verbundenen Rechte einzuholen. Jede Änderung der wirtschaftlichen Ansprüche und Stimmrechte sollte der Zustimmung durch die Aktionäre jener Gattungen unterliegen, für die die betreffende Änderung negative Auswirkungen hat.
Die Entscheidung über die optimale Kapitalstruktur des Unternehmens sollte am besten von der Geschäftsführung und dem Board, vorbehaltlich der Zustimmung der Aktionäre, getroffen werden. Einige Unternehmen geben Vorzugsaktien aus, die mit einem Dividendenvorzug ausgestattet sind, aber gewöhnlich nur mit begrenzten Stimmrechten verbunden sind bzw. kein Stimmrecht haben. Unternehmen können auch Genussscheine oder Aktien mit begrenztem oder ohne Stimmrecht ausgeben, die normalerweise zu anderen Kursen gehandelt werden als voll stimmberechtigte Aktien. All diese Strukturen können effektiv für eine sowohl im Hinblick auf die Unternehmensinteressen als auch auf das Ziel einer kostengünstigen Finanzierung als optimal erachtete Verteilung von Risiken und Gewinnen sorgen.
Innerhalb jeder Serie einer Aktiengattung sollten alle Aktien mit denselben Rechten verknüpft sein. Die Anleger können erwarten, vor einer Anlageentscheidung über ihre Stimmrechte informiert zu werden. Nach erfolgter Investition sollten diese Rechte nicht mehr geändert werden, es sei denn, die Inhaber stimmberechtigter Aktien hatten ein Mitspracherecht bei der betreffenden Entscheidung. Vorschläge zur Änderung der mit den verschiedenen Aktienserien und Aktiengattungen verbundenen Stimmrechte sind in der Regel auf der Hauptversammlung einzubringen, wo sie mit der in diesem Fall erforderlichen (normalerweise höheren) Mehrheit der stimmberechtigten Aktien der jeweiligen Kategorie genehmigt werden müssen.
II.F. Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen sollten einer Genehmigung unterliegen und in solcher Weise durchgeführt werden, dass ein angemessener Umgang mit Interessenkonflikten sichergestellt ist und die Interessen des Unternehmens und seiner Aktionäre gewahrt werden.
II.F.1. Interessenkonflikte, die bei Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen auftreten, sollten angemessen berücksichtigt werden.
Die Frage der potenziell missbräuchlichen Nutzung von Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen stellt sich auf allen Märkten, vor allem aber auf solchen, auf denen die Eigentumsstrukturen konzentriert sind und Konzerne vorherrschen. Ein Verbot solcher Geschäfte ist normalerweise keine Lösung, da an ihnen an sich nichts auszusetzen ist, vorausgesetzt die mit ihnen verbundenen Interessenkonflikte werden in geeigneter Weise gehandhabt, indem sie z. B. entsprechend überwacht und offengelegt werden. Dies ist besonders wichtig, wenn ein großer Teil der Einnahmen und/oder Kosten aus Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen herrührt.
Die Staaten sollten einen effektiven Rahmen schaffen, der gewährleistet, dass solche Geschäfte eindeutig ausgewiesen werden. Dazu sollten umfassende, aber genaue Definitionen dessen gehören, was unter nahestehenden Unternehmen und Personen zu verstehen ist, sowie Regeln, die die Nichtberücksichtigung solcher Geschäfte vorsehen, wenn sie nicht wesentlich sind, weil sie bestimmte Ex-ante-Schwellenwerte nicht überschreiten, oder wenn sie als wiederkehrende Geschäfte betrachtet werden können, die zu nachweislich marktüblichen Bedingungen stattfinden, oder wenn sie mit Tochtergesellschaften getätigt werden, ohne dass ein konkretes Interesse einer nahestehenden Person vorliegt. Für die Genehmigung entsprechend identifizierter Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen legen die Staaten Verfahren fest, mit denen ihre potenziell negativen Konsequenzen möglichst gering gehalten werden können. In vielen Staaten wird großes Gewicht auf die Zustimmung des Boards gelegt, die durch die Prüfung des Prüfungsausschusses gestützt wird. Dabei kommt unabhängigen Board-Mitgliedern häufig eine besondere Rolle zu. Die Staaten können auch vorsehen, dass das Board das Interesse des Unternehmens an dem fraglichen Geschäft und die Angemessenheit der Bedingungen rechtfertigt. In vielen Staaten ist es vorgeschrieben bzw. gilt es als empfehlenswerte Praxis, dass sich interessierte Board-Mitglieder bei Board-Entscheidungen über Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen bzw. Personen der Stimme enthalten.
Alternativ oder ergänzend zur Zustimmung des Boards kann den Aktionären ein Mitspracherecht bei der Genehmigung bestimmter Geschäfte eingeräumt werden, was in manchen Staaten die Zustimmung der nicht interessierten Aktionäre erfordert. Dies gilt insbesondere für große oder außerordentliche Transaktionen oder solche, an denen Board-Mitglieder ein Interesse haben. In einigen Staaten ist darüber hinaus ein Gutachten oder eine Bewertung zur Angemessenheit des vorgeschlagenen Preises oder Werts der Transaktion durch externe Prüfende oder unabhängige Sachverständige erforderlich, was mitunter eine Vorbedingung für die Zustimmung der Aktionäre ist.
II.F.2. Die Mitglieder von Board und Geschäftsführung sollten verpflichtet sein, dem Board offenzulegen, ob sie unmittelbar oder mittelbar bzw. im Namen Dritter ein wesentliches Interesse an Transaktionen oder Angelegenheiten haben, die das Unternehmen direkt betreffen.
Die Mitglieder des Boards, die Geschäftsführung und – in manchen Staaten – auch die kontrollierenden Aktionäre sind verpflichtet, das Board zu informieren, wenn sie besondere geschäftliche, familiäre oder sonstige Beziehungen außerhalb des Unternehmens unterhalten, die ihre Einstellung zu bestimmten Geschäften oder Angelegenheiten, die das Unternehmen betreffen, beeinflussen könnten. Eine Beziehung dieser Art ist beispielsweise gegeben, wenn Mitglieder der Geschäftsführung oder des Boards durch ihre Assoziierung mit einem Aktionär, der einen beherrschenden Einfluss ausüben kann, in einer besonderen Beziehung zum Unternehmen stehen. Bei Feststellung eines wesentlichen Interesses ist es in vielen Staaten Auflage bzw. gilt es als empfehlenswerte Praxis, die betreffende Person nicht an Entscheidungen über die jeweilige Transaktion oder Angelegenheit zu beteiligen und eine Beeinflussung der Entscheidung des Boards durch das Vorliegen dieses Interesses konkret auszuschließen und/oder das Interesse des Unternehmens an der fraglichen Transaktion zu rechtfertigen, insbesondere durch Nennung der Bedingungen der Transaktion.
II.G. Minderheitsaktionäre sollten vor missbräuchlichen Handlungen geschützt werden, die von direkt oder indirekt agierenden kontrollierenden Aktionären ausgehen bzw. die im Interesse dieser Aktionäre durchgeführt werden, und sie sollten über effektive Entschädigungsmöglichkeiten verfügen. Missbräuchliche Insichgeschäfte sollten untersagt sein.
Viele börsennotierte Unternehmen haben kontrollierende Aktionäre. Die Präsenz von kontrollierenden Aktionären kann das Principal-Agent-Problem durch eine engere Überwachung der Geschäftsführung verringern, bei Schwachstellen im Gesetzes- und Regulierungsrahmen aber auch zu einem Missbrauch der Rechte anderer Aktionäre des Unternehmens führen. Ein missbräuchliches Insichgeschäft liegt vor, wenn Personen mit engen Verbindungen zu dem betreffenden Unternehmen, einschließlich kontrollierender Aktionäre, diese zum Nachteil des Unternehmens und der Anleger ausnutzen.
Besonders groß ist das Missbrauchspotenzial dort, wo es nach dem Rechtssystem zulässig ist und vom Markt akzeptiert wird, dass kontrollierende Aktionäre einen beherrschenden Einfluss ausüben, der nicht dem von ihnen als Kapitaleigner getragenen Risiko entspricht, indem sie sich rechtliche Möglichkeiten zur Trennung von Kapitalbeteiligung und Kontrolle zunutze machen. Ein Missbrauch dieser Art kann verschiedene Formen annehmen; dazu zählen z. B. die gezielte Verschaffung von direkten persönlichen Vorteilen mittels hoher Vergütungen und Zuwendungen für beschäftigte Familienmitglieder oder Geschäftspartner, unangemessene Geschäfte mit nahestehenden Personen, die systematische Beeinflussung von Geschäftsentscheidungen im eigenen Interesse sowie Veränderungen der Kapitalstruktur mittels Sonderaktienemissionen, die den kontrollierenden Aktionär begünstigen. Neben den Offenlegungspflichten ist eine klar artikulierte Loyalitätspflicht der Board-Mitglieder dem Unternehmen und allen Aktionären gegenüber ein wesentliches Element, um diesem Missbrauchspotenzial zu begegnen. In der Tat ist der Missbrauch von Rechten der Minderheitsaktionäre in jenen Staaten besonders ausgeprägt, wo der gesetzliche und regulatorische Rahmen in dieser Hinsicht Schwachstellen aufweist. Ein besonderes Problem stellt sich in Staaten, in denen Unternehmenskonzerne dominieren und die Loyalitätspflicht der Board-Mitglieder nicht klar definiert ist und sich möglicherweise sogar auf den Konzern insgesamt bezieht. Für derartige Fälle haben einige Staaten Regelkataloge aufgestellt, um negative Auswirkungen zu verhindern, u. a. durch die Auflage, dass Transaktionen zugunsten eines zum gleichen Konzern zählenden Unternehmens durch entsprechende Gegenleistungen anderer Unternehmen des Konzerns kompensiert werden müssen. Ein Kerngrundsatz für innerhalb einer Konzernstruktur tätige Board-Mitglieder lautet: Selbst wenn ihr Unternehmen von einem anderen Unternehmen beherrscht wird, sind die Board-Mitglieder nicht dem beherrschenden Unternehmen, sondern ihrem Unternehmen und der Gesamtheit seiner Aktionäre gegenüber zu Loyalität verpflichtet.
Andere gängige Vorkehrungen zum Schutz von Minderheitsaktionären, die sich als effektiv erwiesen haben, umfassen Bezugsrechte auf neue Aktien, qualifizierte Mehrheiten für bestimmte Aktionärsentscheidungen sowie die Möglichkeit, bei der Wahl der Board-Mitglieder von kumulativen Stimmrechten Gebrauch zu machen. In Anbetracht der Tatsache, dass bestimmte Konzernstrukturen zu einer unverhältnismäßigen und undurchsichtigen Kontrolle führen können, und der Risiken, die sich daraus in Bezug auf die Rechte nicht kontrollierender Aktionäre ergeben können, sehen einige Staaten Beschränkungen für bestimmte Konzernstrukturen, wie z. B. Überkreuzbeteiligungen vor. Unter bestimmten Umständen wird es kontrollierenden Aktionären in einigen Staaten zur Auflage gemacht bzw. gestattet, die Anteile der übrigen Aktionäre zu einem durch ein unabhängiges Gutachten festgelegten Kurs aufzukaufen. Besonders wichtig ist dies, wenn kontrollierende Aktionäre den Rückzug eines Unternehmens von der Börse beschließen. Der Schutz von Minderheitsaktionären kann ferner auch durch die Möglichkeit von Einzel- oder Sammelklagen verbessert werden. Die meisten Regulierungsbehörden haben Mechanismen eingerichtet, um Beschwerden von Aktionären entgegenzunehmen und zu untersuchen, und manche haben die Möglichkeit, Klagen durch Offenlegung relevanter Informationen (einschließlich Whistleblowing-Mechanismen) und/oder finanzielle Mittel zu unterstützen. Wenn das Ziel auch in allen Fällen gleichermaßen darin besteht, die Glaubwürdigkeit am Markt zu verbessern, hängen Wahl und Ausgestaltung der verschiedenen Bestimmungen zum Schutz der Minderheitsaktionäre doch letztlich vom Regulierungsrahmen insgesamt sowie vom nationalen Rechtssystem ab.
II.H. Es sollten die Voraussetzungen für ein effizientes und transparentes Funktionieren der Märkte für Unternehmenskontrolle geschaffen werden.
II.H.1. Die Regeln und Verfahren für den Erwerb von Kontrollbeteiligungen an Unternehmen auf den Finanzmärkten, für außerordentliche Transaktionen wie Fusionen sowie für Veräußerungen großer Anteile des Gesellschaftsvermögens sollten klar formuliert und offengelegt werden, damit die Investoren ihre Rechte und die ihnen gegebenenfalls zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel kennen. Die Transaktionen sollten zu transparenten Preisen und fairen Bedingungen abgewickelt werden, sodass die den jeweiligen Aktiengattungen entsprechenden Rechte aller Aktionäre geschützt werden.
II.H.2. Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmen sollten nicht dazu benutzt werden, Geschäftsführung und Board von ihrer Rechenschaftspflicht zu entbinden.
In einigen Staaten treffen die Unternehmen Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmen. Jedoch ist sowohl vonseiten der Anleger als auch der Börsen Besorgnis darüber laut geworden, der immer stärkere Einsatz derartiger Maßnahmen könne sich zu einem ernsthaften Problem für das gute Funktionieren des Markts für Unternehmenskontrolle entwickeln. In manchen Fällen können Abwehrmaßnahmen lediglich ein Mittel sein, mit dessen Hilfe sich Geschäftsführung oder Board gegen die Kontrolle durch die Aktionäre abzuschirmen suchen. Bei der Umsetzung von Abwehrmaßnahmen gegen Übernahmen und im Umgang mit Übernahmeangeboten müssen die treuhänderischen Pflichten des Boards gegenüber den Aktionären und der Gesellschaft absoluten Vorrang haben. In einigen Staaten bestehen für Aktionäre, die mit den betreffenden Vorgängen nicht einverstanden sind, Ausstiegsmöglichkeiten zu einem fairen und angemessenen Marktpreis im Fall erheblicher Änderungen der Unternehmensstruktur wie z. B. bei Fusionen und Zusammenschlüssen.