Dieses Kapitel beschreibt die wirtschaftlichen Merkmale der künstlichen Intelligenz (KI) und definiert KI als eine neue Universaltechnologie, die die Vorhersagekosten senken und die Entscheidungsfindung verbessern könnte. Durch kostengünstigere und präzisere Vorhersagen, Empfehlungen und Entscheidungen verspricht KI die Produktivität zu steigern, die Lebensqualität zu erhöhen und zur Bewältigung komplexer Herausforderungen beizutragen. Die Einführung von KI erfolgt in den einzelnen Unternehmen und Branchen in unterschiedlichem Tempo, weil die Nutzung von KI zusätzliche Investitionen in Daten, Kompetenzen, die Digitalisierung von Arbeitsabläufen und die Anpassung organisatorischer Prozesse erfordert. KI ist außerdem verstärkt das Ziel von Investitionen und eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten. Die Private-Equity-Investitionen in KI-Start-ups steigen seit 2016 deutlich. Zwischen 2016 und 2017 haben sie sich auf 16 Mrd. USD verdoppelt. Im ersten Halbjahr 2018 mobilisierten im KI-Bereich tätige Start-ups 12% der weltweiten Private-Equity-Investitionen – ein beträchtlicher Anstieg gegenüber 2011, als ihr Anteil lediglich 3% betrug. Die Investitionen in KI-Technologien werden angesichts des zunehmenden Reifegrads dieser Technologien voraussichtlich ihren Aufwärtstrend fortsetzen.
Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft
2. Das wirtschaftliche Umfeld
Abstract
Die statistischen Daten für Israel wurden von den zuständigen israelischen Stellen bereitgestellt, die für sie verantwortlich zeichnen. Die Verwendung dieser Daten durch die OECD erfolgt unbeschadet des völkerrechtlichen Status der Golanhöhen, von Ost-Jerusalem und der israelischen Siedlungen im Westjordanland.
Wirtschaftliche Aspekte der künstlichen Intelligenz
Künstliche Intelligenz erleichtert Vorhersagen
Aus wirtschaftlicher Sicht sind die jüngsten Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) von Vorteil, weil sie einen Rückgang der Vorhersagekosten bzw. Anstieg der Qualität der verfügbaren Vorhersagen bei gleichen Kosten ermöglichen. Viele Aspekte der Entscheidungsfindung sind nicht mit Vorhersagen verbunden. Bessere, billigere und allgemein zugängliche KI-gestützte Vorhersagen könnten jedoch transformativ wirken, weil Vorhersagen in viele menschliche Aktivitäten einfließen.
Die sinkenden Kosten von KI-gestützten Vorhersagen haben die Möglichkeiten ihrer Nutzung erweitert, was ähnlich tiefgreifende Effekte haben dürfte wie seinerzeit die zunehmende Verbreitung der Computer. Bereits die ersten KI-Anwendungen waren auf Vorhersageprobleme ausgerichtet. Maschinelles Lernen (ML) wird beispielsweise genutzt, um Kreditausfälle und Versicherungsrisiken vorherzusagen. Da die Kosten von KI-Anwendungen sinken, werden einige menschliche Aktivitäten heute so gestaltet, dass sie als Vorhersageproblem behandelt werden können. In der medizinischen Diagnose nutzen Ärzte beispielsweise Daten über die Symptome eines Patienten, um fehlende Informationen über die Ursache dieser Symptome zu gewinnen. Wenn vorliegende Daten verwendet werden, um fehlende Informationen zu gewinnen, ist dies eine Vorhersage. Die Objekterkennung ist ebenfalls ein Vorhersageproblem: Das menschliche Auge nimmt Daten in Form von Lichtsignalen auf und das Gehirn ergänzt diese Daten um Informationen, die zur Einordnung des Konzepts erforderlich sind.
Da Vorhersagen ein wichtiger Input für die Entscheidungsfindung sind und KI die Vorhersagekosten senkt, kann sie vielfältig angewandt werden. Vorhersagen helfen, Entscheidungen zu treffen, und Entscheidungen sind etwas, das unser ganzes Leben bestimmt. Manager treffen wichtige Entscheidungen über Einstellungen, Investitionen und Strategien ebenso wie weniger wichtige Entscheidungen, beispielsweise darüber, an welchen Sitzungen sie teilnehmen und was sie dort sagen sollen. Richter treffen wichtige Entscheidungen über Schuld und Unschuld, Verfahren und Urteile genauso wie weniger wichtige Entscheidungen über einzelne Paragrafen oder Anträge. Menschen treffen ständig Entscheidungen: Große Entscheidungen, z. B. über eine Heirat, ebenso wie tagtägliche, etwa darüber, was sie essen oder welche Musik sie hören möchten. Eine große Herausforderung im Entscheidungsprozess ist der Umgang mit Unsicherheit. Da Vorhersagen die Unsicherheit verringern, können sie Entscheidungen erleichtern und neue Chancen eröffnen.
Menschliche Vorhersagen werden durch maschinelle Vorhersagen ersetzt
Ein weiteres wichtiges wirtschaftliches Konzept ist die Substitution. Wenn der Preis eines Rohstoffs (z. B. Kaffee) fällt, kaufen die Menschen nicht nur mehr davon, sondern sie kaufen u. U. auch weniger Substitutionsgüter (wie Tee). Wenn maschinelle Vorhersagen billiger werden, werden Menschen bei Vorhersageaufgaben zunehmend durch Maschinen ersetzt. Das wird einen Abbau von Arbeitsplätzen in diesem Bereich zur Folge haben.
Ebenso wie die Computer dazu geführt haben, dass heute nur noch wenige Menschen bei ihrer Arbeit Rechenaufgaben lösen müssen, wird KI dazu führen, dass weniger Menschen für Vorhersageaufgaben gebraucht werden. Die Transkription – die Übertragung gesprochener Wörter in Schriftsprache – ist beispielsweise eine Vorhersage, insofern sie fehlende Informationen über die Symbole, die den gesprochenen Wörtern entsprechen, liefert. KI erledigt Transkriptionsaufgaben heute bereits schneller und genauer als viele Menschen, in deren Tätigkeitsbereich dies bislang fiel.
Maschinelle Vorhersagen werden durch Daten, Handlungen und Beurteilungen ergänzt
Wenn der Preis eines Rohstoffs (z. B. Kaffee) sinkt, werden auch mehr Komplementärgüter gekauft (wie etwa Sahne und Zucker). Eine große Herausforderung im Hinblick auf die jüngsten Fortschritte der KI besteht also darin, festzustellen, welche Faktoren zur Ergänzung der Vorhersagen nötig sind. Vorhersagen sind ein wichtiger Input des Entscheidungsprozesses, sie sind jedoch noch keine Entscheidungen. Um zu einer Entscheidung zu gelangen, sind komplementäre Faktoren nötig: Daten, Handlungen und Beurteilungen.
Daten sind Informationen, die in eine Vorhersage einfließen. Viele in letzter Zeit entwickelte KI-Systeme benötigen große Mengen digitaler Daten, um Vorhersagen auf der Basis von Beispielen aus der Vergangenheit zu treffen. Allgemein gilt: Je mehr Beispiele aus der Vergangenheit vorliegen, desto genauer sind die Vorhersagen. KI führt also dazu, dass der Zugang zu großen Datenmengen für Unternehmen und andere Organisationen immer wertvoller wird. Der strategische Wert von Daten ist jedoch nicht eindeutig, weil er davon abhängt, ob die Daten nützlich sind, um Vorhersagen zu treffen, die für die betreffende Organisation wichtig sind. Er hängt auch davon ab, ob die Daten nur rückblickend verfügbar sind oder ob die Organisation im Zeitverlauf kontinuierlich Feedback einholen kann. Die Fähigkeit, kontinuierlich durch neue Daten zu lernen, kann einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil schaffen (Agrawal, A., J. Gans und A. Goldfarb, 2018[1]).
Aus den anderen Elementen einer Entscheidung – Handlungen und Beurteilungen – ergeben sich weitere neue Aufgaben. Einige Handlungen sind von Natur aus wertvoller, wenn sie von einem Menschen anstatt von einer Maschine durchgeführt werden (z. B. solche von Berufssportlern, Erziehern oder Verkäufern). Am wichtigsten ist wohl das Konzept der Beurteilung, d. h. des Bestimmens des Nutzens einer bestimmten Handlung in einem bestimmten Umfeld. Wenn KI für Vorhersagen genutzt wird, müssen Menschen entscheiden, was vorhergesagt werden soll und wozu die Vorhersage dienen soll.
Die Einführung von KI in einer Organisation erfordert komplementäre Investitionen und Prozessänderungen
Die künstliche Intelligenz kann ebenso wie die elektronische Datenverarbeitung, der elektrische Strom und die Dampfmaschine als Universaltechnologie angesehen werden (Bresnahan, T. und M. Trajtenberg, 1992[2]; Brynjolfsson, E., D. Rock und C. Syverson, 2017[3]). Das bedeutet, dass KI das Potenzial hat, die Produktivität in vielen Sektoren erheblich zu steigern. Zugleich macht KI Investitionen in eine Reihe komplementärer Inputs erforderlich. Das kann dazu führen, dass ein Unternehmen seine Gesamtstrategie ändert.
Organisationen müssen eine Reihe komplementärer Investitionen tätigen, bevor KI einen deutlichen Effekt auf ihre Produktivität haben kann. Dazu gehören Investitionen in die Infrastruktur für die kontinuierliche Erhebung von Daten, in Fachkräfte, die diese Daten nutzen können, sowie in Prozessänderungen, um die sich aus der reduzierten Unsicherheit ergebenden neuen Chancen zu nutzen.
In jeder Organisation gibt es viele Prozesse, die nur dazu dienen, Situationen zu bewältigen, die sich aus Unsicherheit ergeben. Die Unsicherheit selbst wird damit jedoch nicht angegangen. Flughafenlounges dienen beispielsweise dazu, den Kunden die Wartezeit so angenehm wie möglich zu machen. Wenn die Passagiere zutreffende Vorhersagen darüber hätten, wie lange es dauert, zum Flughafen und durch die Sicherheitskontrolle zu kommen, wären diese Lounges u. U. gar nicht nötig.
Bessere Vorhersagen dürften je nach Branche und Unternehmen unterschiedliche Möglichkeiten eröffnen. Google, Baidu und andere große Internetplattformen sind gut aufgestellt, um von hohen KI-Investitionen zu profitieren. Was die Angebotsseite betrifft, verfügen sie schon über die nötigen Systeme zur Datenerhebung. Auf der Nachfrageseite haben sie bereits genug Kunden, um die hohen Fixkosten von Investitionen in Technologien zu rechtfertigen, die sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden. Viele andere Unternehmen haben ihre Arbeitsabläufe hingegen noch nicht vollständig digitalisiert und sind noch nicht in der Lage, KI-Tools direkt in die bestehenden Prozesse zu integrieren. Da die Kosten jedoch im Lauf der Zeit sinken werden, dürften auch diese Unternehmen nach und nach erkennen, welche Möglichkeiten eine Reduzierung der Unsicherheit bieten kann. Unter dem Druck der Notwendigkeit werden sie den Branchenführern folgen und in KI investieren.
Private-Equity-Investitionen in KI-Start-ups
Die KI-Investitionen expandieren insgesamt schnell, und KI hat bereits erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen. Laut Schätzungen von MGI (2017[4]) waren 2016 weltweit 26-39 Mrd. USD in KI investiert. Davon entfielen rd. 70% auf interne Unternehmensinvestitionen, rd. 20% auf Investitionen in KI-Start-ups und rd. 10% auf KI-Übernahmen (Dilda, 2017[5]). Drei Viertel dieser Investitionen wurden von großen Technologieunternehmen getätigt. Außerhalb des Technologiesektors befindet sich die KI noch im Anfangsstadium; nur wenige Unternehmen haben in großem Umfang KI-Lösungen eingeführt. Großunternehmen in anderen digital reifen Sektoren, die über nutzbare Daten verfügen, insbesondere im Finanz- und Automobilsektor, greifen ebenfalls auf KI zurück.
Die großen Technologieunternehmen übernehmen in großem Umfang KI-Start-ups. Laut CBI (2018[6]) gehören Google, Apple, Baidu, Facebook, Amazon, Intel, Microsoft, Twitter und Salesforce zu den Unternehmen, die seit 2010 die meisten KI-Start-ups übernommen haben. 2017 und Anfang 2018 wurden mehrere im Bereich der Cybersicherheit tätige KI-Start-ups übernommen. So hat Amazon beispielsweise Sqrrl aufgekauft und Oracle Zenedge.
KI-Start-ups sind auch Übernahmekandidaten für Unternehmen aus traditionelleren Branchen. Dazu gehören insbesondere Automobilunternehmen, Unternehmen im Gesundheitswesen wie Roche Holding oder Athena Health sowie Versicherungs- und Einzelhandelsunternehmen.
Die Private-Equity-Investitionen in KI-Start-ups haben sich seit 2016 deutlich beschleunigt, nachdem sie in den vorangegangenen fünf Jahren bereits stetig gewachsen waren. Ihr Volumen hat sich zwischen 2016 und 2017 verdoppelt (Abbildung 2.1). Schätzungen zufolge wurden zwischen 2011 und Mitte 2018 mehr als 50 Mrd. USD in KI-Start-ups investiert (Kasten 2.1).
Derzeit entfallen mehr als 12 % der Private-Equity-Investitionen in Start-ups auf KI
Im ersten Halbjahr 2018 mobilisierten im KI-Bereich tätige Start-ups rd. 12 % der gesamten weltweiten Private-Equity-Investitionen. Dies ist ein starker Anstieg gegenüber 2011, als ihr Anteil lediglich 3 % betrug (Abbildung 2.2). Der Anteil der Investitionen in im KI-Bereich tätige Start-ups hat in allen betrachteten Ländern zugenommen. In den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China (im Folgenden „China“) gingen im ersten Halbjahr 2018 rd. 13 % der Start-up-Investitionen an KI-Start-ups. Die stärkste Zunahme war in Israel zu beobachten, dort stieg der Anteil der Investitionen in KI-Start-ups zwischen 2011 und der ersten Hälfte von 2018 von 5 % auf 25 %; 2017 entfielen 50 % der Investitionen auf autonomes Fahren.
Die meisten Investitionen in KI-Start-ups entfallen auf die Vereinigten Staaten und China
Auf Start-ups in den Vereinigten Staaten entfallen weltweit die meisten Beteiligungsinvestitionen in KI-Start-ups. Dies gilt sowohl für die Zahl der Investitionstransaktionen als auch für die investierten Beträge, die zwei Drittel der seit 2011 investierten Gesamtsumme ausmachen (Abbildung 2.1). Dies ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass technologieübergreifend 70-80 % der weltweiten Wagniskapitalinvestitionen auf die Vereinigten Staaten entfallen (Breschi, S., J. Lassébie und C. Menon, 2018[7]).
Kasten 2.1. Anmerkung zur Methodik
Die in diesem Abschnitt aufgeführten Schätzungen der Private-Equity-Investitionen in KI-Start-ups basieren auf Crunchbase-Daten (Stand Juli 2018). Crunchbase ist eine kommerzielle Datenbank über innovative Unternehmen, die 2007 eingerichtet wurde und Informationen über mehr als 500 000 Unternehmen in 199 Ländern enthält. Breschi, Lassébie und Menon (2018[7]) vergleichen Crunchbase mit anderen aggregierten Datenquellen. Sie stellen übereinstimmende Muster für einen breiten Fächer von Ländern fest, darunter die meisten OECD-Länder (mit Ausnahme Japans und Koreas). Einheitliche Muster wurden außerdem für Brasilien, die Russische Föderation, Indien, die Volksrepublik China (im Folgenden „China“) und Südafrika festgestellt. Die Unternehmen werden in Crunchbase einem oder mehreren Technologiebereichen aus einer Liste von 45 großen Kategorien zugeordnet.
Bei der Nutzung von Crunchbase-Daten müssen einige Punkte bedacht werden, beispielsweise dass der Erfassungsbereich der Datenbank relativ breit abgegrenzt ist, dass Eigenangaben u. U. nur begrenzt zuverlässig sind und dass die Stichprobenauswahl zu Verzerrungen führen kann. Neue Transaktionen dürften zudem nicht sofort in die Datenbank eingehen, wobei die Verzögerungen in den einzelnen Ländern wohl unterschiedlich lang sind. Es ist auch möglich, dass sich Start-ups angesichts des wachsenden Interesses der Investoren an KI inzwischen selbst häufiger als KI-Start-ups bezeichnen.
In diesem Bericht bezieht sich der Begriff „KI-Start-up“ auf Unternehmen, die nach 2000 gegründet wurden und bei Crunchbase dem Technologiebereich „künstliche Intelligenz“ zugeordnet werden (2 436 Unternehmen). Außerdem werden Unternehmen erfasst, die in der Kurzbeschreibung ihrer Geschäftstätigkeit Schlagworte mit KI-Bezug benutzen (weitere 689 Unternehmen). Dabei werden drei Arten von Schlagwörtern berücksichtigt. Die erste Kategorie umfasst generische Schlagwörter, insbesondere „künstliche Intelligenz“, „KI“, „maschinelles Lernen“ und „maschinelle Intelligenz“. Die zweite Kategorie umfasst Schlagwörter, die sich auf KI-Technologien beziehen, insbesondere „neuronales Netz“, „Deep Learning“ und „bestärkendes Lernen“. Die dritte Kategorie bezieht sich auf KI-Anwendungsbereiche, insbesondere „maschinelles Sehen“, „Predictive Analytics“, „maschinelle Sprachverarbeitung“, „autonomes Fahren“, „intelligente Systeme“ und „virtueller Assistent“.
Mehr als ein Viertel (26 %) der Datenbankeinträge über Investitionen in KI-Start-ups enthalten keine Informationen über Wagniskapitalgeber. In dieser Analyse werden die Beträge dieser Transaktionen geschätzt, indem die durchschnittliche Summe der kleineren Investitionen (Beträge unter 10 Mio. USD) im betreffenden Zeitraum und Land herangezogen wird. Größere Transaktionen werden dabei ausgeklammert, weil ihre Beträge mit größerer Wahrscheinlichkeit offengelegt werden. Der Betrag der nicht offengelegten Transaktionen im Zeitraum von 2011 bis Mitte 2018 wird auf rd. 6 % der Gesamtsumme geschätzt, was konservativ veranschlagt sein könnte. Die Zahlen für das erste Halbjahr 2018 sind wahrscheinlich konservativ, weil die Datenerfassung häufig mit Verzögerung erfolgt.
China verzeichnet seit 2016 einen gewaltigen Anstieg der Investitionen in KI-Start-ups. Das Land scheint heute gemessen am Wert der mobilisierten Beteiligungsinvestitionen im KI-Bereich weltweit an zweiter Stelle zu stehen. Gingen 2015 lediglich 3 % der globalen Private-Equity-Investitionen in KI an chinesische Unternehmen, waren es 2017 bereits 36 %. Von 2011 bis Mitte 2018 lag der Durchschnitt bei 21 %.
Auf die Europäische Union entfielen 2017 8 % der globalen Beteiligungsinvestitionen im KI-Bereich. Das bedeutet einen beträchtlichen Anstieg für die Region insgesamt, die 2013 einen Anteil von nur 1 % hatte. Das Investitionsniveau variierte jedoch erheblich zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Von 2011 bis Mitte 2018 mobilisierten Start-ups im Vereinigten Königreich 55 % der Gesamtinvestitionen der Europäischen Union, gefolgt von Unternehmen in Deutschland (14 %) und Frankreich (13 %). Auf die übrigen 25 Länder entfielen damit weniger als 20 % aller in der Europäischen Union im KI-Bereich mobilisierten Private-Equity-Investitionen (Abbildung 2.3).
Von 2011 bis Mitte 2018 entfielen insgesamt mehr als 93 % aller Private-Equity-Investitionen im KI-Bereich auf die Vereinigten Staaten, China und die Europäische Union. Neben diesen Marktführern spielten Israel (3 %) und Kanada (1,6 %) ebenfalls eine Rolle.
Die Zahl der KI-Transaktionen ist bis 2017 gestiegen – ebenso wie ihr Volumen
Die Zahl der Investitionstransaktionen ist weltweit gestiegen, von weniger als 200 Transaktionen im Jahr 2011 auf mehr als 1 400 im Jahr 2017. Das bedeutet für den Zeitraum von 2011 bis zur ersten Jahreshälfte 2018 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 35 % (Abbildung 2.4). Ein beträchtlicher Anteil aller Investitionstransaktionen entfiel auf Start-ups mit Sitz in den Vereinigten Staaten: Zwischen 2011 und 2017 stieg die Zahl der entsprechenden Transaktionen von 130 auf über 800. Die Europäische Union verzeichnete im gleichen Zeitraum ebenfalls einen Anstieg der Zahl der Transaktionen, von rd. 30 auf über 350.
Auf Start-ups mit Sitz in China entfiel eine geringere Zahl von Transaktionen als auf Unternehmen in den Vereinigten Staaten oder in der Europäischen Union: Bei ihnen war ein Anstieg von null im Jahr 2011 auf rd. 60 im Jahr 2017 zu beobachten. Der hohe Gesamtwert der Investitionen in China deutet jedoch darauf hin, dass das durchschnittliche Volumen dieser Transaktionen deutlich höher war als in der Europäischen Union.
Der hohe durchschnittliche Betrag der Investitionen in China entspricht einem allgemeinen Trend hin zu wertmäßig immer größeren Investitionen. 2012 und 2013 beliefen sich fast 90 % aller verzeichneten Investitionstransaktionen auf weniger als 10 Mio. USD. Nur etwa 10 % der Transaktionen betrugen zwischen 10 Mio. und 100 Mio. USD. Keine Transaktion hatte einen Wert von über 100 Mio. USD. 2017 waren mehr als 20 % aller Transaktionen größer als 10 Mio. USD und fast 3 % lagen über 100 Mio. USD. Dieser Trend verstärkte sich in der ersten Hälfte von 2018, als 40 % der verzeichneten Transaktionen mehr als 10 Mio. USD betrugen und 4,4 % 100 Mio. USD überschritten.
Auf „Mega-Deals“ (Investitionen über 100 Mio. USD) entfielen in der ersten Jahreshälfte 2018 66 % des insgesamt in KI-Start-ups investierten Betrags. Diese Zahlen erklären sich aus dem zunehmenden Reifegrad der KI-Technologien sowie aus Investitionsstrategien, bei denen größere Beträge in eine geringere Zahl von KI-Unternehmen fließen. Das chinesische Start-up Toutiao mobilisierte 2017 beispielsweise die größte Investition (3 Mrd. USD). Bei diesem Unternehmen handelt es sich um ein KI-gestütztes Empfehlungssystem, das mit Data-Mining arbeitet, um Nutzern in China durch die Analyse sozialer Netzwerke relevante personalisierte Inhalte vorzuschlagen.
Seit 2016 wurden auch in Israel (Voyager Labs), der Schweiz (Mindmaze), Kanada (LeddarTech und Element AI) und im Vereinigten Königreich (Oaknorth und Benevolent AI) Investitionen im Wert von mindestens 100 Mio. USD mobilisiert. Dies zeigt, dass sich der KI-Bereich auch außerhalb der Vereinigten Staaten und Chinas dynamisch entwickelt.
Die Investitionsmuster unterscheiden sich zwischen Ländern und Regionen
Der Gesamtbetrag und die Gesamtzahl der Transaktionen sind seit 2011 erheblich gestiegen, die Investitionsmuster unterscheiden sich jedoch stark zwischen den einzelnen Ländern und Regionen.
Die Merkmale der Investitionen in chinesische Start-ups scheinen sich besonders von denen in der übrigen Welt zu unterscheiden. Die bei Crunchbase erfassten Private-Equity-Investitionen in chinesische KI-Start-ups hatten 2017 und in der ersten Jahreshälfte 2018 einen durchschnittlichen Einzelwert von 150 Mio. USD. In den anderen Ländern belief sich das durchschnittliche Investitionsvolumen 2017 nur auf ein Zehntel dieses Betrags.
Insgesamt sind drei Muster zu beobachten. 1. Es gibt nur wenige chinesische Start-ups, die allerdings hohe Investitionen mobilisieren. 2. Die Start-ups in der EU mobilisieren eine stetig steigende Anzahl kleinerer Investitionen. Das durchschnittliche Investitionsvolumen stieg von 3,2 Mio. USD im Jahr 2016 auf 5,5 Mio. USD 2017 und 8,5 Mio. USD in der ersten Jahreshälfte 2018. 3. Die Vereinigten Staaten verzeichnen eine stetig steigende Anzahl größerer Investitionen. Das durchschnittliche Investitionsvolumen erhöhte sich von 9,5 Mio. USD im Jahr 2016 auf 13,2 Mio. USD 2017 und 32 Mio. USD in der ersten Jahreshälfte 2018. Diese Unterschiede bei den Investitionsmerkmalen bleiben auch dann beträchtlich, wenn Transaktionen über 100 Mio. USD aus der Stichprobe ausgeklammert werden (Tabelle 2.1 und Tabelle 2.2).
Die vorstehend beschriebenen Investitionsmuster sind nicht auf KI-Start-ups begrenzt. Sie sind branchenübergreifend zu beobachten. Chinesische Start-ups mobilisierten 2017 branchenübergreifend durchschnittlich 200 Mio. USD pro Investitionsrunde. In den Vereinigten Staaten und in der Europäischen Union belief sich dieser Wert auf lediglich 22 Mio. USD bzw. 10 Mio. USD.
Tabelle 2.1. Durchschnittlicher Betrag pro Transaktion, für Investitionen bis 100 Mio. USD
In Mio. US-Dollar
|
Kanada |
China |
EU |
Israel |
Japan |
Vereinigte Staaten |
---|---|---|---|---|---|---|
2015 |
2 |
12 |
2 |
4 |
4 |
6 |
2016 |
4 |
20 |
3 |
6 |
5 |
6 |
2017 |
2 |
26 |
4 |
12 |
14 |
8 |
Quelle: OECD-Schätzung auf der Basis von Crunchbase (April 2018), www.crunchbase.com.
Tabelle 2.2. Durchschnittlicher Betrag pro Transaktion, für alle KI-Investitionen
In Mio. US-Dollar
|
Kanada |
China |
EU |
Israel |
Japan |
Vereinigte Staaten |
---|---|---|---|---|---|---|
2015 |
2 |
12 |
3 |
4 |
4 |
8 |
2016 |
4 |
73 |
3 |
6 |
5 |
10 |
2017 |
8 |
147 |
6 |
12 |
14 |
14 |
Quelle: OECD-Schätzung auf der Basis von Crunchbase (April 2018), www.crunchbase.com.
Start-ups für autonomes Fahren erhalten erhebliche Finanzmittel
Die Höhe der Private-Equity-Investitionen in KI variiert stark je nach Bereich. Ein immer größerer Teil der Private-Equity-Investitionen in KI-Start-ups entfällt auf autonomes Fahren. Bis 2015 machte autonomes Fahren noch weniger als 5 % der Gesamtinvestitionen in KI-Start-ups aus. 2017 war dieser Anteil auf 23 % gestiegen, Mitte 2018 sogar auf 30 %. Der größte Teil der Wagniskapitalinvestitionen in Start-ups für autonomes Fahren ging an Start-ups mit Sitz in den USA (80 % zwischen 2017 und Mitte 2018), gefolgt von Start-ups in China (15 %), Israel (3 %) und der Europäischen Union (2 %). Dieses Wachstum ist auf einen erheblichen Anstieg der Investitionsvolumen zurückzuführen; die Zahl der Investitionen blieb weitgehend konstant (87 im Jahr 2016 und 95 im Jahr 2017). In den Vereinigten Staaten hat sich der durchschnittliche Betrag pro Investition in diesem Bereich zwischen 2016 und der ersten Jahreshälfte 2018 von 20 Mio. auf fast 200 Mio. USD verzehnfacht. Dies war zum großen Teil auf die Investition von Softbank in Cruise Automation (3,35 Mrd. USD) zurückzuführen. Dieses Unternehmen für selbstfahrende Autos, das sich im Besitz von General Motors befindet, entwickelt Autopilotsysteme für bereits existierende Fahrzeuge. 2017 investierte Ford 1 Mrd. USD in Argo AI.
Allgemeinere Trends in der Entwicklung und Verbreitung von KI
Derzeit wird an empirischen Messgrößen für KI gearbeitet, allerdings gilt es noch einige Schwierigkeiten zu überwinden, u. a. im Hinblick auf Definitionsfragen. Klare Definitionen sind für die Entwicklung genauer und vergleichbarer Messgrößen von entscheidender Bedeutung. Die OECD und das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb (MPI) haben in gemeinsamen experimentellen Arbeiten einen Ansatz entwickelt, der auf der Messung von drei Größen beruht: 1. KI-Entwicklungen in der Wissenschaft (zugrunde gelegt werden hier die wissenschaftlichen Veröffentlichungen), 2. Technologische Entwicklungen im KI-Bereich, gemessen an entsprechenden Patentanmeldungen, sowie 3. Softwareentwicklungen, insbesondere im Bereich der Open-Source-Software. Unter fachlicher Beratung werden bei diesem Ansatz Dokumente (Publikationen, Patente und Software) gesucht, die eindeutig KI-bezogen sind. Diese Dokumente werden dann als Benchmark genutzt, um den KI-Bezug anderer Dokumente zu beurteilen (Baruffaldi et al., erscheint demnächst[8]).
Wissenschaftliche Publikationen werden schon lange als Hilfsindikator zur Messung von Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Fortschritten herangezogen. Die OECD nutzt bibliometrische Daten von Scopus, einer umfangreichen Abstract- und Zitatdatenbank für begutachtete Fachliteratur und Konferenzbeiträge. Konferenzbeiträge sind in neuen Bereichen wie KI besonders wichtig. Sie bieten zeitnah einen Überblick über neue Entwicklungen, die vor der Veröffentlichung auf Fachkonferenzen erörtert werden. Bei dem von OECD und MPI entwickelten Ansatz wird mit einer von KI-Experten validierten Liste KI-bezogener Schlagwörter gearbeitet, anhand der es möglich ist, in verschiedensten wissenschaftlichen Bereichen Dokumente zu finden, die einen KI-Bezug aufweisen.
Bei der auf Patenten basierenden Komponente des Ansatzes von OECD und MPI geht es darum, KI-bezogene Erfindungen und andere technische Entwicklungen, die KI-bezogene Elemente enthalten, zu erkennen und zuzuordnen. Dabei werden mehrere Methoden herangezogen, darunter die Schlagwortsuche in Patentzusammenfassungen oder -anträgen, Analysen der Patentportfolios von KI-Start-ups sowie Analysen von Patenten, in denen KI-bezogene wissenschaftliche Dokumente zitiert werden. Dieser Ansatz wurde unter der Federführung der von der OECD geleiteten Intellectual Property (IP) Statistics Task Force verfeinert.1
Um KI-Entwicklungen im Softwarebereich zu erkennen, werden Daten von GitHub – der größten Hosting-Plattform für Open-Source-Software – genutzt. Die KI-Codes werden durch Modellanalysen thematisch in verschiedene Bereiche unterteilt, um die wichtigsten KI-Felder abzubilden. Die allgemeinen Felder umfassen ML (einschließlich Deep Learning), Statistik, Mathematik und wissenschaftliches Rechnen. Zu den Einzelbereichen und -anwendungen gehören Text-Mining, Bilderkennung und Biologie.
Literaturverzeichnis
[1] Agrawal, A., J. Gans und A. Goldfarb (2018), Prediction Machines: The Simple Economics of Artificial Intelligence, Harvard Business School Press, Brighton, MA.
[8] Baruffaldi, S. et al. (erscheint demnächst), “Identifying and measuring developments in artificial intelligence”, OECD Science, Technology and Industry Working Papers, OECD Publishing, Paris.
[7] Breschi, S., J. Lassébie und C. Menon (2018), “A portrait of innovative start-ups across countries”, OECD Science, Technology and Industry Working Papers, No. 2018/2, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/f9ff02f4-en.
[2] Bresnahan, T. und M. Trajtenberg (1992), “General purpose technologies: ‛Engines of growth?’”, NBER Working Paper, No. 4148, http://dx.doi.org/10.3386/w4148.
[3] Brynjolfsson, E., D. Rock und C. Syverson (2017), “Artificial intelligence and the modern productivity paradox: A clash of expectations and statistics”, NBER Working Paper, No. 24001, http://dx.doi.org/10.3386/w24001.
[6] CBI (2018), “The race for AI: Google, Intel, Apple in a rush to grab artificial intelligence startups”, CB Insights, 27. Februar, https://www.cbinsights.com/research/top-acquirers-ai-startups-ma-timeline/.
[5] Dilda, V. (2017), AI: Perspectives and Opportunities, Präsentation ei der OECD-Konferenz "AI: Intelligent Machines, Smart Policies", Paris, 26.-27. Oktober, http://www.oecd.org/going-digital/ai-intelligent-machines-smart-policies/conference-agenda/ai-intelligent-machines-smart-policies-dilda.pdf.
[4] MGI (2017), “Artificial Intelligence: The Next Digital Frontier?”, Discussion Paper, McKinsey Global Institute, June, https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Industries/Advanced%20Electronics/Our%20Insights/How%20artificial%20intelligence%20can%20deliver%20real%20value%20to%20companies/MGI-Artificial-Intelligence-Discussion-paper.ashx.
Anmerkung
← 1. Mitgewirkt haben dabei Experten und Patentprüfer des australischen Amts für geistiges Eigentum (Australian IP Office), des kanadischen Amts für geistiges Eigentum (Canadian Intellectual Property Office), des Europäischen Patentamts, des israelischen Patentamts (Israel Patent Office), des italienischen Patent- und Markenamts (Ufficio Italiano Brevetti e Marchi), des chilenischen Instituts für gewerbliches Eigentum (Instituto Nacional de Propiedad Industrial), des britischen Amts für geistiges Eigentum (United Kingdom Intellectual Property Office) und des US-Patent- und Markenamts (United States Patent and Trademark Office).