2020 war ein bewegendes Jahr, ein Jahr der Rückschau und der Vorausschau, in dem uns der globale Schock der COVID-19-Pandemie Demut gelehrt hat. Es hat uns vor Augen geführt, dass die Zukunft immer Überraschungen bereithält, ganz gleich, wie gezielt wir vorausplanen. Um unsere Bildungssysteme zukunftsfähig zu machen, müssen wir sowohl die wahrscheinlichen Veränderungen, als auch unerwartete Entwicklungen in Betracht ziehen.
Es gibt eine Vielzahl von Zukunftsmöglichkeiten. Sie spiegeln sich in unseren Zukunftsvorstellungen, ‑hoffnungen und -ängsten wider, aber auch in ersten Anzeichen davon, dass bereits eine Veränderung im Gang ist. Die Publikation Zurück in die Zukunft: Vier OECD-Szenarien für Schule und Bildung versteht sich als Beitrag zum langfristigen strategischen Denken im Bildungsbereich. Diese Szenarien, die auf einer Publikation aus dem Jahr 2001 aufbauen, machen deutlich, dass nicht nur ein Weg in die Zukunft führt, sondern viele.
Die vorliegende Publikation ist ein Begleitband zur Reihe Bildung, Trends, Zukunft, in der alle drei Jahre ein neuer Bericht über die wichtigsten globalen Megatrends und ihre möglichen Auswirkungen im Bildungsbereich veröffentlicht wird. Megatrends lenken den Fokus auf frühere Entwicklungsmuster und geben Denkanstöße für die Zukunft. Szenarien dagegen bieten die Möglichkeit, neue Entwicklungsmuster und ‑möglichkeiten zu prüfen.
Wenn man über die Zukunft der Bildung nachdenkt, stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit die derzeitigen Strukturen unsere Zukunftsvision begünstigen oder behindern. Oder anders ausgedrückt: Was würden wir einem Marsmenschen raten, der eben erst auf der Erde gelandet ist, um sich Tipps für die Gestaltung des Bildungssystems auf seinem Planeten zu holen?
Würden wir ihm nahelegen, unsere Schulsysteme nachzubilden und sie anschließend zu modernisieren und zu verbessern, so wie man bei einem Haus neue Fenster und Türen einsetzt? Oder würden wir ihm empfehlen, Personal, Raum, Zeit und Technologie auf völlig andere Art und Weise zu nutzen? Wer wäre an diesen Transformationsprozessen beteiligt und welche Lebensabschnitte würde dies betreffen? Kindheit und Jugend? Die frühe Kindheit? Das Erwachsenenalter, orientiert am Arbeitsmarktbedarf? Oder das ganze Leben, einschließlich des Lernens von Senior*innen im Alter von 80 und 90+ Jahren, die bedingt durch die Bevölkerungsalterung eine immer größere Kohorte bilden?
Der Weg in die Zukunft wird wahrscheinlich auf einer Kombination beider Ansätze beruhen. Eine Neuausrichtung bzw. Transformation des Bildungssystems ist insofern ein wirkungsvoller Ansatz, als uns dies zwingt, alte Denkmuster aufzubrechen und über unseren Tellerrand hinauszuschauen. Es kann aber ebenso wirkungsvoll sein, beim Status quo anzusetzen und die Institutionen, die sich bewährt haben und im sozialen Gefüge unserer Gesellschaften einen zentralen Platz einnehmen, zu modernisieren.
Dieser Band und die vier darin entwickelten Szenarien für Schule und Bildung bieten Raum für beide Herangehensweisen. Diese Szenarien sollen Denkanstöße liefern, die Fantasie anregen und einen Wandel anstoßen. Sie können genutzt werden, um Bildungssysteme zukunftssicher zu machen und zu überprüfen, wie widerstandsfähig sie gegenüber unerwarteten Schocks sind. Vor allem aber bringen sie uns dazu, ausgetretene Pfade und einfache Lösungen hinter uns zu lassen und die unseren Systemen innewohnenden Spannungslinien zur Kenntnis zu nehmen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Viel Spaß bei der Lektüre – und bleiben Sie gesund.
Andreas Schleicher
Leiter der OECD-Direktion Bildung und Kompetenzen
Sonderberater des Generalsekretärs im Bereich Bildungspolitik