Als größte Volkswirtschaft in Europa verfügt Deutschland über einen der größten öffentlichen Beschaffungsmärkte, der ca. 15% des Bruttoinlandsprodukts (500 Milliarden Euro) umfasst und sich zudem in vielfältiger Weise auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirkt. Diese Studie analysiert den Einfluss von öffentlicher Vergabe auf das Wohl der Bevölkerung, mit einem Fokus auf sechs Gebiete: wirtschaftliche Auswirkungen der öffentlichen Beschaffung, rechtliches Rahmenwerk und Steuerung von Vergabe, Zentralisierung, elektronische Vergabe, strategische Beschaffung und Humankapital. Außerdem enthält diese Studie eine Analyse der öffentlichen Beschaffung zum einen auf Bundesebene - vor allem aber auf der Ebene der Länder und Kommunen. Denn fast 80% des Gesamtvolumens der öffentlichen Beschaffung entfällt auf Ländern und Kommunen.
Öffentliche Vergabe in Deutschland
Abstract
Executive Summary
Als größte Volkswirtschaft Europas verfügt Deutschland über einen der größten Beschaffungsmärkte der Region. Das öffentliche Auftragswesen macht schätzungsweise 15% des deutschen BIP aus, was einer immensen Summe von 500 Milliarden Euro pro Jahr entspricht. Das öffentliche Auftragswesen hat erhebliche Auswirkungen auf alle Bereiche des Wohlergehens. Öffentliche Aufträge sind der Schlüssel zur Erbringung öffentlicher Leistungen, sei es in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur oder öffentliche Sicherheit. Indirekt wirkt sich öffentliche Beschaffung auch auf Umwelt, Arbeitsplätze und viele andere Bereiche aus.
Die vorliegende Studie nimmt sechs Aspekte öffentlicher Beschaffung in den Blick, die für den deutschen Kontext besonders relevant sind: 1) der große wirtschaftliche Einfluss öffentlicher Beschaffung auf die deutsche Wirtschaft; 2) Rechtsrahmen und Steuerungsstruktur für öffentliche Beschaffung und wie beide die Grundlage für die Beschaffung bilden; 3) Zentralisierung und das Ausmaß, in dem die öffentliche Beschaffung Skaleneffekte und andere Vorteile gebündelter Beschaffung zu nutzen vermag; 4) elektronische Vergabe als Voraussetzung für Leistungsstärke und Rechenschaftspflicht; 5) strategische Beschaffung und wie die vielfältigen Auswirkungen öffentlicher Beschaffung sorgfältig abgewogen werden; 6) Humankapital und wie Beschaffer ihre Tätigkeit mit Zusammenspiel mit strategischen, rechtlichen und institutionellen Vorgaben ausführen.
In Deutschland führen öffentliche Auftraggeber auf subzentraler Ebene (größtenteils Länder und Kommunen) rund 78% aller öffentlichen Aufträge durch. Dieser Anteil liegt über dem OECD Durchschnitt: In OECD Ländern findet durchschnittlich etwas mehr als 63% der Beschaffung auf subzentraler Ebene statt (Government at a Glance, 2017). Daher ist eine Analyse dieser Ebene notwendig, um den Einfluss öffentlicher Beschaffung in Deutschland vollständig zu erfassen. In der vorliegenden Studie werden Ansätze aller staatlichen Ebenen untersucht. Jedes Kapitel enthält eine Analyse zur öffentlichen Beschaffung in den Bundesländern und präsentiert dabei Fallstudien zu bewährten Herangehensweisen.
Wichtigste Ergebnisse
In Deutschland entfallen auf die öffentliche Beschaffung 35% der gesamtstaatlichen Ausgaben. Die Auswirkungen dieser Ausgaben sind komplex und gehen über wirtschaftliche Einflüsse hinaus. Das öffentliche Auftragswesen beeinflusst Umwelt, Gesellschaft und Menschen, sowie andere Aspekte, die im OECD Well-Being Framework hervorgehoben werden.
Deutschlands Vergaberechtsreform 2016 hat die rechtlichen Rahmenbedingungen für öffentliche Beschaffung deutlich verbessert und das deutsche Beschaffungssystem an die neuen EU-Richtlinien für das öffentliche Auftragswesen angepasst. In einem stark dezentralen und segmentierten Beschaffungssystem könnten weitere Verbesserungen auf verstärkte Koordination und weitere Angleichung der Systeme auf verschiedenen staatlichen Ebenen abzielen.
In Deutschland gibt es mehrere Initiativen, Beschaffung zu zentralisieren und dadurch zu bündeln. Eine Analyse der Nutzung zentraler Beschaffungsinstrumente in Deutschland zeigt ungenutztes Potenzial. Das bestätigt eine Ausgabenüberprüfung („Spending Review“), die 2017 unter der Leitung vom Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat durchgeführt wurde. Relevante Interessengruppen könnten besser über die Vorteile von gebündelter oder zentralisierter Beschaffung informiert werden. Vorgaben könnten außerdem stärker am Bedarf der Vergabestellen ausgerichtet werden.
Digitalisierung trägt dazu bei, die Produktivität von Beschaffern und Unternehmen gleichermaßen zu steigern. Deutschland könnte seine Nutzung von E-Vergabe-Systemen ausbauen. Ein marktorientierter Ansatz in Deutschland hat zur Verbreitung privater E-Vergabe-Systeme geführt und ein zunehmend komplexeres Umfeld für Auftragnehmer geschaffen. Die systematische Erfassung und Analyse von Daten durch modernste Systeme ist entscheidend für das Monitoring von Leistung im gesamten öffentlichen Auftragswesen in Deutschland.
Im Bereich der strategischen Beschaffung hat Deutschland einige Initiativen umgesetzt, wie beispielsweise spezialisierte Kompetenzzentren zur Unterstützung von Auftraggebern und Auftragnehmern. Erste Erkenntnisse zeigen die Wirkung dieser Initiativen. Um politische Vorgaben effektiver umzusetzen, könnten methodische Datenerhebung und evidenzbasierte Beobachtung gestärkt werden.
Deutschlands Beschaffer sind Teil des öffentlichen Dienstes. Aus- und Weiterbildung, kombiniert mit spezialisierten Kompetenzzentren, bilden eine solide Grundlage für die Erbringung allgemeiner öffentlicher Leistungen. Eine umfassende Strategie zum Kapazitätsaufbau spezifisch für öffentliche Beschaffer könnte dem zunehmenden Bedarf an Spezialisierung, hin zu gebündelter und strategischer öffentlicher Beschaffung, entsprechen.
Wichtigste Empfehlungen
Öffentliche Beschaffung hat erheblichen Einfluss auf das Wohlergehen der Bürger. Um diesen Einfluss zu verstehen und Politik anzupassen, könnte Deutschland Datenerfassung und Analysen verstärken. Ein erster Schritt könnte sich auf Schlüsselaspekte wie zentrale Beschaffung konzentrieren. Der nuancierte Nutzen einzelner Beschaffungsmaßnahmen könnte durch die Datenerfassung auf einer detaillierteren Ebene verfolgt werden. Eine effektive und effiziente Umsetzung erfordert ein zentral entwickeltes Rahmenkonzept, das Vergleiche ermöglicht. Dabei ließen sich Analysen durch eine einheitliche Methodik für die freiwillige Anwendung auf subnationaler Ebene unterstützen.
Der deutsche Rechtsrahmen bildet die Grundlage für ein bürgernahes öffentliches Auftragswesen. Deutschland könnte auf den Erfolgen seiner jüngsten Vergaberechtsreform aufbauen und auf eine weitere Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen hinarbeiten. Darüber hinaus könnte es die Umsetzung der neuen Vorgaben durch strukturiertere Koordinierungsmechanismen auf allen staatlichen Ebenen unterstützen. Um die Umsetzung von Vergabepolitik weiter zu erleichtern und zu harmonisieren, könnten Möglichkeiten zum Austausch zwischen Institutionen auf allen Ebenen gestärkt werden.
Konsolidierung ist ein bewährtes Instrument zur Steigerung der Effektivität und Effizienz der öffentlichen Beschaffung. Deutschland könnte die Vorteile gebündelter oder zentralisierter Beschaffung durch mehrere Maßnahmen maximieren: zum einen durch eine bessere Vernetzung der Nutzer, der zentralen Vergabestellen und der elektronischen Plattform. Dadurch könnten alle Teilnehmer die Auswirkungen von Zentralisierungsinitiativen besser verstehen. Zweitens könnten gebündelte und konsequent evaluierte Beschaffungsprozesse konkrete Hinweise darauf liefern, wie verschiedene Beschaffungsinstrumente funktionieren.
Elektronische Vergabe potenziert Effekte öffentlicher Beschaffung. In einer fragmentierten E-Vergabe-Landschaft sind strukturierte Zusammenarbeit, Change Management, verstärkte Kommunikation und Anreize entscheidend, um die Nutzung der E-Vergabe-Lösungen auf verschiedenen staatlichen Ebenen und in den Phasen des Beschaffungszyklus zu verbessern. Deutschland könnte einen Akzent auf die Verbesserung von Datenerhebungssystemen konzentrieren, beispielsweise durch deren Erweiterung auf den gesamten Beschaffungsvorgang und die Integration .mit anderen Informationssystemen.
eine strategische Steuerung ist unerlässlich, um strategische Beschaffungsziele zu erreichen. Deutschland könnte die Datenerhebung verbessern, indem es strukturiertes Monitoring strategischer Beschaffungsziele einführt. Es könnte ein einheitlicher Rahmen geschaffen werden, der Institutionen auf allen Ebenen bei der Erhebung von Erkenntnissen über deren Umsetzung leitet. Nationale Strategien zur Nachhaltigkeit könnten strategische Beschaffung als wichtiges Instrument zur Implementierung von Nachhaltigkeit einbeziehen. Der Aufbau von Kapazitäten könnte Beschaffer mit den erforderlichen Fähigkeiten ausstatten, um die immer komplexer werdenden strategische Beschaffungsprozesse durchzuführen.
Eine effektive Umsetzung ohne gute Personalressourcen ist nicht möglich. Deutschland könnte eine Strategie zum Aufbau von Kapazitäten im Bereich der öffentlichen Beschaffung mit Schwerpunkt auf Spezialisierung entwickeln. Diese Strategie könnte in der deutschen Verwaltung „Vergabe-Champions“ etablieren, um bewährte Praktiken zu fördern. Deutschland könnte interessierte öffentliche Auftraggeber auf allen staatlichen Ebenen durch Bereitstellung von Kompetenzrahmen, Leitlinien und Helpdesks unterstützen.
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