Der Corporate-Governance-Rahmen sollte transparente und faire Märkte sowie eine effiziente Ressourcenallokation fördern. Er sollte mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Einklang stehen und eine wirksame Aufsicht und Durchsetzung ermöglichen.
Effektive Corporate Governance erfordert einen tragfähigen rechtlichen, regulatorischen und institutionellen Rahmen, auf den sich die Marktteilnehmer stützen können, wenn sie privatwirtschaftliche Vertragsbeziehungen eingehen. Indem dieser Rahmen transparente und faire Märkte fördert, trägt er auch maßgeblich zur Stärkung des Marktvertrauens bei, das notwendig ist, um allgemeinere wirtschaftliche Zielsetzungen zu erreichen. Der Corporate-Governance-Rahmen setzt sich in der Regel aus gesetzlichen und regulatorischen Elementen, Börsenzulassungsregeln, Selbstregulierungsmechanismen, vertraglichen Vereinbarungen, freiwilligen Verpflichtungen und Geschäftspraktiken zusammen, die sich aus den Rahmenbedingungen, der Geschichte und der Tradition der jeweiligen Länder ergeben. Die optimale Kombination dieser Bestandteile ist daher von Land zu Land unterschiedlich.
Die gesetzlichen und regulatorischen Elemente des Corporate-Governance-Rahmens können durch „Soft Law“-Elemente, wie z. B. Corporate-Governance-Kodizes, sinnvoll ergänzt werden. Diese basieren oft auf dem „Comply or Explain“-Prinzip, um Flexibilität zuzulassen und den individuellen Gegebenheiten einzelner Unternehmen Rechnung zu tragen. Was für ein bestimmtes Unternehmen, einen bestimmten Anleger oder einen bestimmten Stakeholder gut funktioniert, eignet sich nicht zwangsläufig auch für andere Unternehmen, Anleger und Stakeholder, die in einem anderen Kontext und unter anderen Bedingungen tätig sind. Folglich sind möglicherweise nicht alle Elemente eines spezifischen Corporate-Governance-Rahmens in allen Situationen geeignet, ein bestimmtes Governance-Problem zu adressieren. Vielmehr sollten die Methoden, mit denen die Unternehmen zu guten Corporate-Governance-Praktiken motiviert oder verpflichtet werden, den jeweiligen Umständen angepasst werden, um die gewünschten Resultate zu erreichen. In Märkten, in denen institutionelle Investoren eine tragende Rolle dabei spielen, Corporate-Governance-Praktiken anhand von „Soft Law“-Empfehlungen zu verbessern, kann beispielsweise die wirksame Umsetzung solcher Praktiken durch „Soft Law“ der effizientere Ansatz sein. In Märkten dagegen, in denen sich Investoren passiver verhalten, könnten die Aufsichtsbehörden eher dazu tendieren, die Umsetzung bestimmter Corporate-Governance-Standards vorzuschreiben und durchzusetzen. Um neue Erfahrungen und Veränderungen des Geschäftsumfelds zu berücksichtigen, sollten die verschiedenen Bestimmungen des Corporate-Governance-Rahmens regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Staaten, die eine Umsetzung der Grundsätze anstreben, sollten ihren Corporate-Governance-Rahmen überprüfen, um seinen Beitrag zur Marktintegrität, zum Kapitalmarktzugang, zur Wirtschaftsleistung und zu transparenten und gut funktionierenden Märkten zu wahren und zu stärken. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu untersuchen, inwieweit sich die verschiedenen Bestandteile des Corporate-Governance-Rahmens verzahnen, ergänzen und generell für die Förderung ethischer, verantwortungsbewusster und transparenter Corporate-Governance-Praktiken eignen. Diese Analyse ist ein wichtiges Instrument für die Entwicklung eines effektiven Corporate-Governance-Rahmens. Eine wesentliche Voraussetzung hierfür sind effektive und zeitnahe Konsultationen der Öffentlichkeit. In manchen Staaten muss dies möglicherweise durch Initiativen ergänzt werden, um Unternehmen und ihre Stakeholder über die Vorteile der Umsetzung einer soliden Corporate Governance zu informieren.
Darüber hinaus sollten die nationalen gesetzgeberischen Organe und Regulierungsstellen bei der Ausarbeitung eines Corporate-Governance-Rahmens die Notwendigkeit – und die Ergebnisse – effektiver internationaler Dialog- und Kooperationsmechanismen berücksichtigen. Unter diesen Voraussetzungen dürfte es eher gelingen, mit dem Corporate-Governance-Rahmen eine Überregulierung zu vermeiden, unternehmerische Tätigkeit zu fördern und die Risiken schädlicher Interessenkonflikte sowohl im privaten Sektor als auch in öffentlichen Institutionen zu begrenzen.
I.A. Bei der Ausgestaltung des Corporate-Governance-Rahmens sollte darauf geachtet werden, welche Auswirkungen er auf den Zugang der Unternehmen zu Finanzierung, die allgemeine Wirtschaftsentwicklung und Finanzstabilität, die Nachhaltigkeit und Resilienz von Unternehmen und die Marktintegrität hat, welche Anreize er für die Marktteilnehmer schafft und inwiefern er zur Förderung transparenter und gut funktionierender Märkte beiträgt.
Die Kapitalmärkte spielen eine entscheidende Rolle für die Unternehmensfinanzierung. Unternehmen nutzen die Kapitalmärkte zur Beschaffung von Mitteln, mit denen sie Innovationen finanzieren, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und ihre Finanzierungsquellen effizient diversifizieren können. Die Finanzierung über Aktien und Anleihen stärkt auch die Resilienz der Unternehmen, da sie ihnen hilft, vorübergehende Schwächephasen zu bewältigen und zugleich ihre Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitenden, Gläubigern und Lieferanten zu erfüllen. Die Politikverantwortlichen und Aufsichtsbehörden müssen berücksichtigen, inwiefern der Corporate-Governance-Rahmen den Zugang der Unternehmen zu Kapitalmarktfinanzierung fördern bzw. beeinflussen könnte.
Das Unternehmen als Organisationsform der Wirtschaftstätigkeit ist ein wesentlicher Wachstumsfaktor. Das regulatorische und rechtliche Umfeld der Unternehmenstätigkeit ist daher von entscheidender Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der Corporate-Governance-Rahmen den Anforderungen von Unternehmen mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen gerecht wird und es ihnen erleichtert, neue Möglichkeiten der Wertschöpfung zu erschließen und die effizientesten Formen des Ressourceneinsatzes zu bestimmen. Der Corporate-Governance-Rahmen sollte daher gegebenenfalls Verhältnismäßigkeit wahren, insbesondere im Hinblick auf die Größe börsennotierter Unternehmen. Weitere Faktoren, die Flexibilität erforderlich machen könnten, sind die Eigentums- und Kontrollstruktur, die geografische Aufstellung, die Tätigkeitsbereiche und das Entwicklungsstadium der Unternehmen. Die Politikverantwortlichen sollten vorrangig die angestrebten wirtschaftlichen Ergebnisse im Blick behalten und bei der Abwägung verschiedener Politikoptionen deren Auswirkungen auf die entscheidenden Einflussfaktoren für das Funktionieren der Märkte analysieren. Dazu zählen beispielsweise Anreizstrukturen, die Effizienz von Selbstregulierungssystemen und der Umgang mit systemischen Interessenkonflikten. Transparente und gut funktionierende Märkte disziplinieren die Marktteilnehmer und fördern die Rechenschaftspflicht.
I.B. Die rechtlichen und regulatorischen Anforderungen, die sich auf die Corporate-Governance-Praxis auswirken, sollten mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Einklang stehen und transparent sowie durchsetzbar sein. Corporate-Governance-Kodizes können einen ergänzenden Mechanismus darstellen, um die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Best Practices in den Unternehmen zu fördern, sofern ihr Status klar definiert ist.
Wenn neue Gesetze und Vorschriften erforderlich sind, z. B. in klaren Fällen von Marktunvollkommenheiten, sollten sie so gestaltet werden, dass sie bei allen Beteiligten effizient und gerecht angewandt und durchgesetzt werden können. Dies kann insbesondere durch Konsultationen staatlicher und anderer Regulierungsstellen mit den Unternehmen selbst oder mit deren Verbänden, Aktionären oder Stakeholdern erreicht werden. Ferner sollten Mechanismen geschaffen werden, mit denen die verschiedenen Parteien ihre Rechte verteidigen können. Um Überregulierung, nicht durchsetzbare Regelungen und unbeabsichtigte Folgen zu vermeiden, die die Geschäftsdynamik behindern oder verzerren könnten, sollten bei der Konzipierung der Maßnahmen alle damit verbundenen Kosten und Nutzeffekte berücksichtigt werden.
Die staatlichen Instanzen sollten über wirksame Durchsetzungs- und Sanktionsbefugnisse verfügen, um von unlauterem Verhalten abzuschrecken und für verantwortungsvolle Corporate-Governance-Praktiken zu sorgen. Zusätzlich kann die Durchsetzung auch durch Privatklagen erwirkt werden, wobei sich das effektive Verhältnis zwischen öffentlicher und privater Rechtsdurchsetzung je nach den konkreten Gegebenheiten der einzelnen Staaten unterscheiden dürfte.
Corporate-Governance-Ziele sind auch in Verhaltenskodizes und Standards verankert, die im Allgemeinen nicht den Status von Gesetzen oder regulatorischen Vorschriften haben. Die Umsetzung der in diesen Kodizes empfohlenen guten Praxis wird in der Regel durch Auskunftsmechanismen nach dem „Comply or Explain“-Prinzip oder andere Varianten wie z. B. „Apply and/or Explain“ gefördert. So wichtig solche Kodizes für die Verbesserung der Corporate-Governance-Strukturen und -Praxis auch sein mögen, kann bei Aktionären und Stakeholdern doch Unsicherheit bezüglich ihres Status und ihrer Umsetzung aufkommen. Wenn Kodizes und Grundsätze als nationale Standards oder als Ergänzung zu rechtlichen und regulatorischen Vorschriften eingesetzt werden, ist es für ihre Glaubwürdigkeit am Markt unerlässlich, dass ihr Status in Bezug auf Geltungsbereich, Umsetzung, Einhaltung und Sanktionen klar definiert ist.
I.C. Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen verschiedenen amtlichen Stellen und Selbstregulierungsorganen sollte klar geregelt sein und dem öffentlichen Interesse dienen.
Corporate-Governance-Auflagen und -Praktiken unterliegen in der Regel dem Einfluss vieler unterschiedlicher Rechtsbereiche wie Gesellschaftsrecht, Wertpapierrecht, Rechnungslegungs- und Rechnungsprüfungsgrundsätze, Börsenzulassungsregeln, Insolvenz-, Vertrags-, Arbeits- und Steuerrecht sowie möglicherweise internationales Recht. Die Corporate-Governance-Praktiken der einzelnen Unternehmen werden häufig auch von Menschenrechten und Umweltgesetzen sowie zunehmend Gesetzen im Zusammenhang mit digitaler Sicherheit, informationeller Selbstbestimmung und dem Schutz personenbezogener Daten beeinflusst. Es besteht daher die Gefahr, dass diese unterschiedlichen Rechtseinflüsse zu unbeabsichtigten Überschneidungen oder sogar Konflikten führen, die sich nachteilig auf die Verwirklichung zentraler Corporate-Governance-Ziele auswirken können. Die Politikverantwortlichen sollten sich dieses Risikos bewusst sein und Maßnahmen ergreifen, um einen kohärenten und stabilen institutionellen und regulatorischen Rahmen zu gewährleisten. Für eine wirkungsvolle Durchsetzung bedarf es auch einer klaren Definition und Formalisierung der verschiedenen amtlichen Zuständigkeiten für Aufsicht, Umsetzung und Durchsetzung, damit die Befugnisse komplementärer Organe und Behörden respektiert und optimal genutzt werden. Potenzielle Zielkonflikte, z. B. wenn eine Instanz zugleich mit der Anwerbung von Unternehmen und der Ahndung von Verstößen betraut ist, sollten vermieden oder durch klare Governance-Bestimmungen geregelt werden. Auch Überschneidungen und mögliche Widersprüche zwischen den Bestimmungen verschiedener Staaten gilt es im Auge zu behalten, um Regulierungsarbitrage und die Entstehung eines Regulierungsvakuums (d. h. von Bereichen, für die keine staatliche Stelle ausdrücklich zuständig ist) zu vermeiden sowie die durch die Einhaltung der Regeln verschiedener Systeme entstehenden Kosten möglichst gering zu halten.
Wenn die Regulierungsverantwortung bzw. -aufsicht nichtstaatlichen Organen – insbesondere Börsen – übertragen wird, sollte gezielt untersucht werden, warum und unter welchen Umständen eine solche Übertragung von Befugnissen wünschenswert ist. Außerdem sollten die öffentlichen Instanzen für wirksame Schutzmechanismen sorgen, um zu gewährleisten, dass die übertragenen Befugnisse fair, kohärent und nach geltendem Recht ausgeübt werden. Ferner ist darauf zu achten, dass die Governance-Struktur einer solchen bevollmächtigten Institution transparent ist und dem öffentlichen Interesse Rechnung trägt, u. a. durch geeignete Schutzmechanismen, um potenziellen Interessenkonflikten zu begegnen.
I.D. Die Regulierung der Aktienmärkte sollte eine effektive Corporate Governance unterstützen.
Die Aktienmärkte können einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Corporate Governance leisten, indem sie Vorschriften aufstellen und durchsetzen, die eine effektive Corporate Governance der börsennotierten Unternehmen fördern. Außerdem bieten die Aktienmärkte den Anlegern die Möglichkeit, ihre Haltung zur Unternehmensführung eines bestimmten Emittenten auszudrücken, indem sie dessen Aktien kaufen oder verkaufen. Die Qualität der Zulassungs- und Handelsregeln von Börsen ist daher ein wichtiges Element des Corporate-Governance-Rahmens.
Was traditionell als „Börsenhandel“ bezeichnet wird, findet heute auf einer Vielzahl von Plattformen statt. Die meisten großen Börsen sind heute auf Gewinnmaximierung ausgerichtete, ihrerseits börsengehandelte Aktiengesellschaften, die mit anderen auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Börsen und Handelsplätzen in Konkurrenz stehen. Unabhängig von der konkreten Struktur des Aktienmarkts sollten die Politikverantwortlichen und Regulierungsinstanzen evaluieren, welche Rolle Börsen und anderen Handelsplätzen bei Standardsetzung, Aufsicht und Durchsetzung von Corporate-Governance-Regeln zukommen sollte. Dazu muss analysiert werden, wie sich die konkreten Geschäftsmodelle der Börsen auf die Anreize und Möglichkeiten zur Ausübung dieser Funktionen auswirken.
I.E. Aufsichts-, Regulierungs- und Durchsetzungsorgane sollten über die notwendige Autorität, Autonomie und Integrität sowie über die erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten verfügen, um ihren Pflichten mit der nötigen Professionalität und Objektivität nachkommen zu können. Außerdem sollten ihre Entscheidungen zeitnah und transparent sein und umfassend erläutert werden.
Mit Aufsicht, Regulierung und Durchsetzung sollten Organe betraut werden, die bei der Ausübung ihrer Funktionen und Pflichten operationell unabhängig und rechenschaftspflichtig sind und über die notwendigen Befugnisse und Ressourcen sowie die Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Ausübung ihrer Befugnisse, insbesondere in Bezug auf Corporate Governance, verfügen. Viele Staaten haben die Frage der politischen Unabhängigkeit der Wertpapieraufsicht durch die Einrichtung eines formellen Leitungsgremiums (Direktorium, Rat oder Komitee) gelöst, dessen Mitglieder für einen befristeten Zeitraum ernannt werden. In einigen Staaten werden die Ernennungen auch zeitlich gestaffelt und vom politischen Kalender abgekoppelt, um die Unabhängigkeit der Aufsichtsorgane weiter zu stärken. Einige Staaten versuchen potenziellen Interessenkonflikten entgegenzuwirken, indem sie einen Wechsel in die Wirtschaft nach Ende der Amtszeit durch Sperrfristen oder Karenzzeiten einschränken. Dabei sollte jedoch die Fähigkeit der Aufsichtsbehörden, weiterhin hochkarätige Kandidat*innen mit einschlägiger Erfahrung für diese Positionen gewinnen zu können, berücksichtigt werden. Die betreffenden Gremien sollten in der Lage sein, ihre Funktionen ohne Interessenkonflikte wahrzunehmen, und ihre Entscheidungen sollten einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Prüfung unterliegen. Zugleich sollten Mitarbeitende von Aufsichtsorganen hinreichend vor den Kosten geschützt sein, die für die Verteidigung ihrer Handlungen und/oder Unterlassungen während der Ausübung ihrer Pflichten nach Treu und Glauben anfallen könnten.
Um Interessenkonflikten vorzubeugen (einschließlich einer potenziellen Einmischung der Politik oder Wirtschaft in die Aufsicht und Durchsetzung), könnte die operationelle Unabhängigkeit durch Budgetautonomie und Autonomie bei Personalmanagemententscheidungen gestärkt werden. Diese Autonomie sollte an hohe ethische Standards und Rechenschaftsmechanismen geknüpft sein. Dazu gehören zeitnahe, transparente und umfassend erläuterte Entscheidungen, die der Kontrolle durch die Öffentlichkeit und Justiz unterliegen. Wenn die Unternehmenstransaktionen und der Umfang der Offenlegungen zunehmen, kann es zu einer Überlastung der Aufsichts-, Regulierungs- und Vollzugsbehörden kommen. Den betreffenden Instanzen entsteht dadurch ein erheblicher Bedarf an qualifiziertem Personal, um wirksame Aufsichts- und Ermittlungskapazitäten zu gewährleisten. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Finanzausstattung. Viele Staaten decken die notwendige Finanzierung entweder ganz oder teilweise über Gebühren, die von den beaufsichtigten Unternehmen erhoben werden. Dadurch können diese Organe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben möglicherweise finanziell unabhängiger von der Regierung agieren. Zugleich müssen aber die Gebühren so gestaltet werden, dass die Unabhängigkeit der Aufsichtsorgane von den regulierten Unternehmen gewahrt bleibt, und die Kriterien für die Erhebung der Gebühren müssen hinreichend transparent sein. Die Fähigkeit dieser Instanzen, durch attraktive Bedingungen qualifiziertes Personal zu gewinnen, ist ebenfalls wichtig, um die Qualität und Unabhängigkeit der Aufsicht und Durchsetzung zu erhöhen.
I.F. Digitale Technologien können die Aufsicht und Umsetzung von Corporate-Governance-Anforderungen erleichtern. Die Aufsichts- und Regulierungsbehörden sollten jedoch der Steuerung der damit verbundenen Risiken gebührende Aufmerksamkeit widmen.
In vielen Staaten werden digitale Technologien eingesetzt, um die Effizienz und Effektivität der Aufsicht und Durchsetzung im Corporate-Governance-Bereich zu verbessern. Dies wirkt sich u. a. positiv auf die Marktintegrität aus. Diese Technologien können auch den Erfüllungsaufwand der regulierten Unternehmen verringern, die digitale Tools nutzen können, um ihre Befolgungskosten zu senken und ihre Risikomanagementkapazitäten zu verbessern. Digitale Technologien können zudem eingesetzt werden, um durch Verbesserungen der Funktionsweise des bestehenden Corporate-Governance-Rahmens die Einhaltung von Vorschriften zu erleichtern, ohne Abstriche bei der Stringenz und Reichweite der Corporate-Governance-Regeln und der Offenlegungspflichten der Unternehmen zu machen.
Der Einsatz digitaler Lösungen in Regulierungs- und Aufsichtsprozessen geht jedoch auch mit Herausforderungen und Risiken einher. Wichtig ist u. a., die Qualität der Daten und die fachliche Kompetenz der Beschäftigten sicherzustellen, die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen bei der Entwicklung von Berichtsformaten zu berücksichtigen und Abhängigkeiten von Dritten sowie digitale Sicherheitsrisiken zu adressieren. Wenn in Aufsichtsprozessen künstliche Intelligenz und algorithmische Entscheidungsverfahren eingesetzt werden, ist es von wesentlicher Bedeutung, weiterhin Menschen in diese Prozesse einzubinden. Dadurch werden die Risiken eingedämmt, die durch Verzerrungen in algorithmischen Modellen und allzu großes Vertrauen auf Modelle und digitale Technologien entstehen können.
Zugleich treten die Regulierungsbehörden in den meisten Staaten für einen technologieneutralen Ansatz ein, damit Innovationen und der Einsatz alternativer technologischer Lösungen nicht blockiert werden. Angesichts der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Technologien, die zur Stärkung der Corporate-Governance-Praxis beitragen könnten, muss der Regulierungsrahmen möglicherweise beizeiten überprüft und angepasst werden, um den Einsatz dieser Technologien zu erleichtern.
I.G. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sollte verbessert werden, insbesondere durch bilaterale und multilaterale Vereinbarungen über den Austausch von Informationen.
Umfangreiche grenzüberschreitende Eigentumsverflechtungen und Handelsaktivitäten erfordern eine enge internationale Zusammenarbeit zwischen den Regulierungsstellen, insbesondere durch bilaterale und multilaterale Vereinbarungen über den Informationsaustausch oder gemeinsame aufsichtliche Maßnahmen. Die internationale Zusammenarbeit wird im Bereich der Corporate Governance immer wichtiger, vor allem wenn Unternehmen oder Unternehmensgruppen (Konzerne) in zahlreichen Staaten über börsennotierte und nicht börsennotierte Gesellschaften tätig sind und die Zulassung an mehreren Börsen in verschiedenen Staaten beantragen.
I.H. Klare regulatorische Rahmen sollten eine wirksame Aufsicht über börsennotierte Konzerngesellschaften sicherstellen.
Gut geführte Unternehmensgruppen, deren Tätigkeit einem geeigneten Corporate-Governance-Rahmen unterliegt, können durch Skaleneffekte, Synergien und anderweitige Effizienzgewinne Vorteile erzielen. In einigen Fällen kann aber bei Unternehmensgruppen das Risiko einer Ungleichbehandlung von Aktionären und Stakeholdern bestehen. Angesichts der großen Zahl an Konzernen in vielen Staaten müssen die Regulierungsbehörden daher mehr als je zuvor dafür sorgen, dass der Corporate-Governance-Rahmen Instrumente für eine wirksame Überwachung von Konzernen vorsieht. Andernfalls könnten weitverzweigte und komplexe Konzernstrukturen Risiken für Aktionäre und Stakeholder börsennotierter Mutter- oder Tochtergesellschaften bergen, u. a. durch missbräuchliche Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen oder Personen. Einige Konzerngesellschaften könnten auch genutzt werden, um im Rahmen von Steuerplanungsstrategien Finanzmittel innerhalb des Konzerns zu verlagern, oder sie könnten die Finanzmittel für die Vergütung des Boards oder der Geschäftsführung oder für Dividendenzahlungen nutzen.
Konzerne, die in mehreren Sektoren und grenzüberschreitend tätig sind, erfordern Zusammenarbeit zwischen inländischen Regulierungsbehörden und zwischen den betreffenden Staaten, um die Wirksamkeit und Kohärenz der Regulierungsaufsicht zu stärken. Dies kann u. a. den Austausch von Informationen über die Aktivitäten von Konzernen zu Aufsichts- und Durchsetzungszwecken umfassen. Um dies zu erleichtern, sind die Staaten angehalten, eine praxistaugliche Definition und Kriterien für die Konzernaufsicht zu entwickeln. Im Mittelpunkt sollten dabei Aspekte wie die Beherrschungsverhältnisse zwischen Konzerngesellschaften und ihrer Muttergesellschaft, der Gesellschaftssitz und die Angemessenheit der Einbeziehung in die Konzernberichterstattung stehen. In einigen Staaten haben die Unternehmen Verhaltensregeln und Governance-Leitlinien auf Konzernebene als Instrument zur Selbstregulierung von Konzernaktivitäten eingeführt.