Seit Veröffentlichung des letzten gemeinsam von der EU und der OECD herausgegebenen Berichts zu Indikatoren der Integration von Zugewanderten – Settling In 2018 – sind mehrere bedeutende Ereignisse eingetreten, die sich in den Migrationsbewegungen und der Migrationspolitik niederschlugen. Zu nennen sind hier insbesondere die Coronapandemie, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der in Europa die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg nach sich gezogen hat. Den Geflüchteten aus der Ukraine wurde eine beispiellose Solidarität zuteil. Allein die EU hat im Rahmen der Richtlinie über vorübergehenden Schutz etwa 4 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.
Die Tatsache, dass es sich bei der Migration zum überwiegenden Teil um reguläre Migration handelt, hat sich jedoch nicht verändert. In der EU erhalten jedes Jahr knapp 3 Millionen Menschen eine Aufenthaltserlaubnis. Im Jahr 2022 standen dem rd. 330 000 irreguläre Einreisen gegenüber. Im OECD-Durchschnitt belief sich die dauerhafte Zuwanderung in den letzten zehn Jahren auf knapp 5 Millionen Zuzüge jährlich. Die Migrant*innen tragen zur Schließung der Kompetenzlücken und zur Wirtschaftsleistung der Aufnahmeländer bei. Die Integration ist hierfür nach wie vor von zentraler Bedeutung. Auf EU-Ebene bietet der Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021–2027 einen Rahmen für ein gemeinsames Handeln der EU-Mitgliedstaaten und anderer Akteure.
Es ist wichtig, die bei der Integration von Zugewanderten erzielten Fortschritte zu beobachten und bevorstehende Herausforderungen aufzuzeigen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Integration von Zugewanderten in vielen Bereichen insgesamt verbessert. Dies gilt insbesondere für den Arbeitsmarkt, zumal zahlreiche OECD-Aufnahmeländer in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Berufen und Branchen mit einem beträchtlichen Arbeitskräftemangel konfrontiert waren. Gleichzeitig weisen die Neuzugewanderten im Allgemeinen ein höheres Bildungsniveau auf als bisher. Auch die besseren integrationspolitischen Maßnahmen haben zu den Fortschritten beigetragen. Die Integration hat jedoch viele Facetten und geht über die Arbeitsmarktintegration Erwachsener hinaus. Die besseren Bildungsergebnisse der Kinder von Zugewanderten sind eine weitere vielversprechende Entwicklung. Auch ihre Teilnahme an Vorschulbildung ist fast überall gestiegen. Damit besteht Grund zur Hoffnung, dass sich die Situation in Zukunft weiter verbessern wird. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer beherrschen auch immer mehr langjährig ansässige Zugewanderte die Sprache des Aufnahmelandes. Migrant*innen, die im Rahmen des Familiennachzugs oder aus humanitären Gründen Aufnahme finden, fällt der Arbeitsmarktzugang anfangs schwer, nach zehn Jahren haben sie aber fast genauso gute Arbeitsmarktchancen wie im Inland Geborene.
Es gibt jedoch nach wie vor Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Trotz der positiven Entwicklungen im Hinblick auf ihre Arbeitsmarktsituation weisen die Zugewanderten immer noch niedrigere Beschäftigungsquoten auf als die im Inland Geborenen. Wenn Zugewanderte genauso leicht Arbeit fänden wie im Inland Geborene, wären allein in der EU 2,4 Millionen Menschen mehr erwerbstätig und würden zur Wirtschaftsleistung beitragen. Lägen die Armutsquoten in der Zuwanderungsbevölkerung auf ähn-lichem Niveau wie in der im Inland geborenen Bevölkerung, würden im OECD-Raum fast 10 Millionen Menschen weniger unter der Armutsgrenze leben. Mehr als ein Sechstel der Zugewanderten in der EU lebt in überbelegten Wohnungen. Dies sind 70 % mehr als bei den im Inland Geborenen – und dieser Abstand hat sich in den letzten zehn Jahren vergrößert. Besonders besorgniserregend ist, dass sich heute mehr Migrant*innen diskriminiert fühlen als vor zehn Jahren. Diskriminierungserfahrungen beeinträchtigen die Integrationsbemühungen Zugewanderter im Aufnahmeland.
Ein Monitoring der Integrationsergebnisse kann dazu beitragen, Stereotypen entgegenzuwirken. So zeigt beispielsweise ein „Eurobarometer Spezial“, dass ein Viertel der EU-Bürger*innen meint, die Bildungsergebnisse der Kinder von Zugewanderten hätten sich in den letzten zehn Jahren verschlechtert. Fakt ist jedoch, dass im Aufnahmeland geborene Kinder von Zugewanderten im Alter von 15 Jahren heute in den meisten Ländern deutlich bessere Ergebnisse erzielen als noch vor zehn Jahren (wobei die Verbesserung im OECD-Raum etwa einem halben Schuljahr entspricht). Die Beschäftigungsergebnisse im Inland geborener junger Menschen, deren Eltern aus dem Ausland stammen, haben sich in den letzten zehn Jahren in den meisten EU-Ländern mindestens doppelt so stark verbessert wie die Gleichaltriger mit im Inland geborenen Eltern.
Der Bericht legt dar, dass die Erfolge und die nach wie vor bestehenden Herausforderungen im Zusammenhang mit Migration und Integration besser kommuniziert werden müssen und dass dies durch eine sachlich fundiertere öffentliche Debatte gefördert werden kann. Er zeigt auch, dass die Lebens-bedingungen von Migrant*innen stärker in den Blick genommen werden müssen. Hier sind die Fortschritte weniger deutlich als in den übrigen Bereichen und im OECD-Raum gibt dies zunehmend Anlass zu Besorgnis.
Es lohnt sich, in Integration und Teilhabe zu investieren. Befunde zeigen, dass Integration gelingen kann und dass Migrant*innen und deren Familien, aber auch die Wirtschaft und die Gesellschaft des Aufnahmelandes davon profitieren. Eine gescheiterte Integration ist dagegen mit hohen Kosten verbunden. Angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und beträchtlicher Arbeitskräfteengpässe in vielen Aufnahmeländern sind weitere Anstrengungen nötig, um Migrant*innen und deren Familien zu integrieren.
Dieser Bericht ist ein wichtiger Schritt hin zu einer stärker evidenzbasierten Integrationspolitik. Er kann auch die Kooperation zwischen den Ländern, den nationalen Behörden und einer Vielzahl anderer Akteure erleichtern, vor allem im EU-Kontext, wo bereits Initiativen für eine solche Zusammenarbeit vorhanden sind, wie beispielsweise das Europäische Integrationsnetzwerk. Der Bericht zeigt zudem auf, in welchen Bereichen weitere Anstrengungen besonders hilfreich wären, z. B. bei der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen, bei der Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben und bei der Bekämpfung von Diskriminierung. Er bietet einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Integrationsergebnisse und -herausforderungen und verdeutlicht die mit einer erfolgreichen Integration einhergehenden Chancen. Wir hoffen daher, dass er zu einer besseren Integrationspolitik in den EU- und OECD-Ländern beitragen wird.
Mathias Cormann,
OECD-Generalsekretär
Ylva Johansson,
EU-Kommissarin für Inneres