Die Veröffentlichung des Berichts der Kommission zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt im September 2009 war ein entscheidender Moment. Der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy formulierte es anlässlich seiner Präsentation des Berichts folgendermaßen: „Dieser Bericht ist im gegenwärtigen Kontext nicht nur fachlich, (sondern) auch politisch von großer Bedeutung. Er beschäftigt sich mit Fragen, die nicht nur für Wirtschaftswissenschaftler, Statistiker und Wirtschaftsprüfer relevant sind, sondern auch für die Politik und somit für die ganze Welt.“ Die Kernaussage des Berichts war simpel: In der Statistik muss statt der Messung des Umfangs der wirtschaftlichen Produktion, d. h. des BIP, die Messung der Lebensqualität heutiger und künftiger Generationen in den Fokus rücken. Dies ist ein Perspektivenwechsel mit weitreichenden Konsequenzen, denn, um mit den Worten des Nobelpreisträgers und Kommissionsvorsitzenden Joseph E. Stiglitz zu sprechen: „Die Wahl der Messgröße hat Auswirkungen auf unser Handeln.“
Bei der OECD, deren evidenzbasierte Politikempfehlungen auf Statistiken fußen, stieß diese Aussage auf fruchtbaren Boden. Sie hatte bereits 2004 für eine erweiterte Wohlstandsmessung plädiert, die nicht nur der gesamtwirtschaftlichen Leistung, sondern auch der Lebensqualität Rechnung trägt. Die OECD war also gut aufgestellt, um der Aufforderung Sarkozys nachzukommen und bei der Umsetzung der Empfehlungen der Kommission auf internationaler Ebene eine Schlüsselrolle zu übernehmen. Im Jahr 2011 führte die OECD ihren neuen Leitsatz „Eine bessere Politik für ein besseres Leben“ ein und rief die Better-Life-Initiative ins Leben. Letztere trug mit der Flaggschiff-Publikation How's Life? und dem Better-Life-Index maßgeblich dazu bei, die Agenda zur Wohlstandsmessung jenseits des BIP voranzutreiben.
Der Beitrag der OECD beschränkte sich jedoch nicht auf Messgrößen und Statistiken. Nach der verheerenden Krise stieß die Organisation mit der Initiative „Neue Konzepte für wirtschaftliche Herausforderungen (NAEC)“ 2012 eine interne Reflexion darüber an, warum die Warnsignale übersehen worden waren und wie das „Navigationssystem“ der Organisation (bestehend aus Daten, Modellen und Instrumenten) verbessert werden könnte, um die Grundlage für bessere Analysen wirtschaftlicher Herausforderungen zu schaffen und bessere Politikempfehlungen zu gewährleisten. Im selben Jahr wurde das OECD-Projekt „Inklusives Wachstum“ ins Leben gerufen, das darauf abzielt, „Wachstum“ und „Ungleichheit“ gleichzeitig zu untersuchen. Diese beiden Aspekte waren bis dahin getrennt voneinander betrachtet worden, was zuweilen zu widersprüchlichen Politikempfehlungen geführt hatte. Aufbauend auf diesen Arbeiten stellte die OECD dieses Jahr schließlich ihren Politikrahmen für inklusives Wachstum vor: Der OECD Framework for Policy Action on Inclusive Growth soll Politikverantwortlichen bei der Gestaltung von Politikmaßnahmen für eine gerechtere Verteilung der positiven Wachstumseffekte als Richtschnur dienen und dafür sorgen, dass Menschen eine faire Chance auf Entfaltung ihres Potenzials geboten wird. Wir haben unsere Ziele vielleicht noch nicht vollständig umgesetzt, aber wir sind heute besser gerüstet, um uns den Gegebenheiten und Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Daher habe ich den Vorschlag unserer Chefstatistikerin Martine Durand nachdrücklich unterstützt, die darauf hinwies, dass die OECD der ideale institutionelle Rahmen für die unabhängige Sachverständigengruppe wäre, die Joseph E. Stiglitz und Jean-Paul Fitoussi ins Leben gerufen hatten, um die von der Kommission im Jahr 2009 angestoßene Dynamik aufrechtzuerhalten und weitere Leitlinien für die Agenda zur Wohlstandsmessung jenseits des BIP zu erarbeiten.
In diesem Buch geben die Vorsitzenden dieser der OECD angegliederten Hochrangigen Sachverständigengruppe zur Messung von wirtschaftlicher Leistung und sozialem Fortschritt einen Überblick über die Arbeit der Gruppe im Lauf von knapp fünf Jahren. Ich möchte Joseph E. Stiglitz, Jean-Paul Fitoussi und Martine Durand an dieser Stelle für die Leitung der HLEG und allen Mitgliedern für ihr Engagement und ihre Beiträge danken.
Ich hoffe sehr, dass die Positionen, die in diesem Buch – sowie in dem von Mitgliedern der HLEG verfassten Begleitband For Good Measure: Advancing Research on Well-being Metrics Beyond GDP – vertreten werden, in der wirtschaftswissenschaftlichen und statistischen Fachwelt ebenso großen Einfluss haben werden wie jene der Stiglitz-Sen-Fitoussi Kommission von 2009. Denn nur mit besseren Messgrößen, die die Lebensbedingungen und Ziele der Menschen adäquat abbilden, wird es uns gelingen, eine „bessere Politik für ein besseres Leben“ zu gestalten und umzusetzen.
Angel Gurría
Generalsekretär der OECD