Die Auseinandersetzung mit aktuellen und sich abzeichnenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen erfordert neue Ideen, innovative Ansätze und eine stärkere multilaterale Zusammenarbeit. Innovation und Digitalisierung gewinnen in praktisch allen Sektoren an Bedeutung und spielen auch im Alltag der Menschen überall auf der Welt eine immer wichtigere Rolle. Daher stellen die Politikverantwortlichen den „Innovationsimperativ“ in den Mittelpunkt ihrer Agenda.
Die Gestaltung, Entwicklung und Umsetzung von Politikmaßnahmen ist jedoch herausfordernd, insbesondere wenn internationale Koordinierung erforderlich ist. Innovation galt häufig als ein zu vages Konzept, als dass sie gemessen und ausgewiesen werden könnte. Das Frascati-Handbuch der OECD hat den Weg für die Messung einer Schlüsseldimension von Wissenschaft, Technologie und Innovation geebnet. Seither werden Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) weltweit systematisch gefördert und erfasst. Allerdings konzentriert sich die Politikgestaltung nach wie vor weitgehend auf die leichter messbaren Aspekte. Es ist deshalb dringend notwendig zu verstehen, wie Ideen entwickelt werden und wie sie zu Instrumenten werden können, die Organisationen, lokale Märkte, einzelne Länder, die Weltwirtschaft und das gesellschaftliche Gefüge selbst verändern.
1991 erzielten Expert*innen der OECD-Arbeitsgruppe NESTI (National Experts on Science and Technology Indicators – Nationale Expert*innen zu Wissenschafts- und Technologieindikatoren) in Oslo eine erste Einigung darüber, wie Innovationen im Unternehmenssektor konzeptualisiert und gemessen werden können. Die erarbeiteten Leitlinien wurden als Oslo-Handbuch bekannt, das mit Unterstützung der Europäischen Union veröffentlicht und in der Praxis erprobt wurde. Die rasche Umsetzung und Verbreitung der im Handbuch enthaltenen Vorschläge sowohl innerhalb als auch außerhalb des OECD-Raums und der EU sind ein klarer Hinweis für den Erfolg dieser Initiative. Auch die Tatsache, dass bisher in mehr als 80 Ländern Innovationserhebungen durchgeführt wurden, spricht dafür.
Darüber hinaus haben die OECD und Eurostat das Oslo-Handbuch mehrfach gemeinsam überarbeitet, um den Erfassungsbereich zu erweitern und die Robustheit der gemäß den Leitlinien erhobenen Daten zu erhöhen. Diese Revisionen beruhen auf den Erfahrungen, die bei der Erhebung von Innovationsdaten in OECD-Mitglieds- und Partnerländern gesammelt wurden.
Diese vierte Ausgabe des Oslo-Handbuchs trägt großen Trends und Entwicklungen Rechnung, wie der Verbreitung globaler Wertschöpfungsketten, dem Aufkommen neuer Informationstechnologien und ihrem Einfluss auf neue Geschäftsmodelle, der wachsenden Bedeutung von wissensbasiertem Kapital sowie dem besseren Verständnis von Innovationsprozessen und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen. Die in diesem Handbuch enthaltenen Leitlinien sollen dazu beitragen, den Prozess der digitalen Transformation zu messen, und unterstützen damit die Umsetzung der Ziele der OECD-Initiative „Going Digital“.
Das Oslo-Handbuch ist im wahrsten Sinne des Wortes eine internationale Referenz, zu der die UNESCO, die Weltbank und eine Reihe regionaler Entwicklungsbanken Beiträge geleistet haben. Diese Organisationen sind, ebenso wie die OECD, bestrebt, eine Evidenzbasis zur Stärkung der Investitionen in Innovationen und zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu schaffen. Die Ausgabe von 2018 richtet sich an Volkswirtschaften auf der ganzen Welt, unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Entwicklungsstand. Außerdem ist sie hilfreich, um den Umsetzungsstand der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) zu bewerten. Das Oslo-Handbuch stellt sich einer doppelten Herausforderung: Es soll nicht nur global relevant sein – wie auf dem G20-Gipfel in Hangzhou (China) 2016 formuliert –, sondern auch die Messsysteme weiter verfeinern, um die wichtigsten Merkmale von Wissenschaft, Technologie und Innovation besser zu erfassen – wie in der 2015 in Daejeon (Korea) verabschiedeten Erklärung zur Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik dargelegt.
Das Oslo-Handbuch bietet erstmals einen gemeinsamen Rahmen für eine umfassendere Messung von Innovationen in der Wirtschaft sowie im Bereich des Staates, in privaten Organisationen ohne Erwerbszweck und in privaten Haushalten. Damit ebnet es den Weg für die Umsetzung vieler der auf dem OECD Blue Sky Forum 2016 in Gent (Belgien) unterbreiteten Vorschläge. Dazu zählt beispielsweise die Aufnahme eines neuen Kapitels in das Handbuch, das sich mit der Nutzung von Innovationsdaten für die Erstellung von Indikatoren sowie die Durchführung von Analysen und Evaluierungen befasst.
Das Oslo-Handbuch ist ein zentraler Bestandteil der Reihe der sich ständig weiterentwickelnden Instrumente geworden, die der Definition, Erfassung, Analyse und Nutzung von Daten in Bezug auf Wissenschaft, Technologie und Innovation gewidmet sind. Als statistisches Handbuch bildet es eine Schnittstelle zwischen den Bedürfnissen der Nutzer an praktischen Konzepten, Definitionen und empirischen Befunden zum Innovationsgeschehen und dem Konsens der Expert*innen in der Frage, was zuverlässig gemessen werden kann. Das als offener, freiwilliger Standard konzipierte Oslo-Handbuch soll zum Dialog anregen und zu neuen Anstrengungen bei Datenerhebungen und experimentellen Ansätzen bewegen.
Wie in der OECD-Innovationsstrategie erläutert, ist eine bessere Messung von Innovationen und deren Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum, Nachhaltigkeit und Teilhabe entscheidend, um das Versprechen einer besser koordinierten Innovationspolitik im digitalen Zeitalter erfüllen zu können. Die OECD plädiert seit Langem für einen gesamtstaatlichen Ansatz in der Innovationspolitik und betont, wie wichtig es ist, das komplexe Geflecht von Faktoren zu verstehen, die die Innovationstätigkeit und die Art und Weise, wie sich Innovationen auf unsere Gesellschaften auswirken, beeinflussen, indem die unbeabsichtigten Ergebnisse antizipiert und adressiert werden. Das Oslo-Handbuch ist ein äußerst wertvolles, komplementäres Instrument für ein breites Spektrum von Innovationsexpert*innen und politischen Entscheidungsträger*innen weltweit.
Angel Gurría
Generalsekretär der OECD