Berlin ist Deutschlands Hauptstadt und größte Stadt mit fast 3 650 000 Einwohnern. Als eines von 16 Bundesländern in Deutschland verfügt Berlin in verschiedenen Politikbereichen über eine größere Autonomie als die meisten OECD-Städte, vor allem in den Bereichen Kultur, Grund-, Sekundar- und Hochschulbildung. Berlin hat mehr als 2 Millionen Erwerbstätige, ist aber aufgrund der dezentralen Wirtschaft Deutschlands weder die Finanzhauptstadt des Landes, noch die Stadt mit den meisten Hauptsitzen von Großunternehmen. Auf den Großraum Berlin, der auch die Pendlergebiete im benachbarten Land Brandenburg einschließt, entfallen 6,4 % der nationalen Bevölkerung, aber nur 5,8 % des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Deutschland ist Berlin eine der am schnellsten wachsenden und vielfältigsten Städte. Berlins Bevölkerung ist seit 2000 um mehr als 8 % gewachsen, und etwa ein Drittel der Einwohner*innen hat einen Migrationshintergrund.
Dieser OECD-Bericht fällt in eine Zeit großer Veränderungen, die die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt Berlins weiter umgestalten werden. Die Berliner Wirtschaft ist weiterhin von der COVID-19-Pandemie betroffen. Während diese hauptsächlich in der ersten Welle einen Wirtschaftsrückgang verursachte, sieht sich die Berliner Wirtschaft dennoch Unsicherheit gegenüber. Auch wenn sich der Arbeitsmarkt in Berlin von dem Schock erholt hat, der durch die Kontaktbeschränkungen und anderen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen verursacht wurde, geben neue Wellen und COVID-19-Varianten erneut Anlass zur Sorge. Während Berlin den Sturm relativ gut überstanden hat und die Arbeitslosigkeit sogar während der Pandemie zurückging, hat die Unterbeschäftigung zugenommen, da viele Unternehmen mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben und einige Arbeitnehmende in Kurzarbeit bleiben.
Vor dem Ausbruch von COVID-19 hatte Berlin zwei Jahrzehnte lang ein steigendes Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Zwischen 2000 und 2019 wuchs die Gesamtbeschäftigung in Berlin mit einer jährlichen Rate von fast 1,3 %, verglichen mit 0,7 % in Deutschland und 0,6 % in der Europäischen Union, wodurch fast 450 000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. In diesem Zeitraum konnte Berlin auch seine Arbeitsproduktivität steigern, was dazu beitrug, den Abstand zu anderen großen OECD-Metropolen zu verringern. Dennoch liegt die Arbeitsproduktivität nach wie vor 40 bis 50 % unter anderen OECD-Metropolen wie Amsterdam, Stockholm, Oslo oder Paris. Während die Unsicherheit und die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie einen Teil der Produktivitäts- und Beschäftigungsgewinne, die Berlin in den letzten zehn Jahren erzielt hat, gefährden könnten, scheint der Berliner Arbeitsmarkt in eine neue Phase einzutreten.
Der Berliner Arbeitsmarkt wird zunehmend angespannter, da das Arbeitskräfteangebot mit der steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften nicht Schritt halten kann. Für Berliner Arbeitgebende wird es immer schwieriger, ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Zwischen 2010 und 2019 verdreifachte sich die Zahl der offenen Stellen und erreichte 2019 rund 115 000. Im gleichen Zeitraum ist die Arbeitslosenquote von 13 % auf 5,5 % gesunken. Infolgedessen hat sich das Angebot an verfügbaren Arbeitskräften verringert. Während im Jahr 2010 auf jede offene Stelle etwa neun Arbeitslose kamen, sank dieses Verhältnis bis 2019 auf fast einen Arbeitslosen je offene Stelle. Mehr als 40 % der Unternehmen in Berlin und dem benachbarten Brandenburg gaben an, dass sie 2019 Schwierigkeiten hatten, einen geeigneten Kandidaten für eine offene Stelle zu finden, was einem Anstieg von 10 Prozentpunkten seit 2010 entspricht. Neben dem Mangel an verfügbaren Arbeitskräften nennt mehr als ein Viertel der Unternehmen das Fehlen ausreichender beruflicher Qualifikationen als Haupthindernis bei der Personalbeschaffung, was auf die Qualifikationsdefizite hinweist, die ihre Unternehmen und letztlich das Wirtschafts- und Produktivitätswachstum in Berlin behindern.
Die Pandemie hat nicht nur zu einer weit verbreiteten Annahme von Telearbeit geführt, sondern auch Megatrends beschleunigt, die den Berliner Arbeitsmarkt weiter verändern und den Fachkräftemangel beschleunigen könnten. Schon vor der Pandemie stand Berlin vor einer Reihe tiefgreifender Herausforderungen, da Digitalisierung und Automatisierung Arbeitsplätze und die auf dem Arbeitsmarkt benötigten Qualifikationen veränderten. Wie in früheren Wirtschaftskrisen hat COVID-19 die Einführung neuer Technologien weiter beschleunigt. Die Automatisierung könnte fast jeden zweiten Arbeitsplatz in Berlin betreffen. Betroffene Arbeitsplätze sehen sich entweder erheblichen Veränderungen von Anforderungen an Aufgaben und Qualifikationen gegenüber (32 %) oder könnten ganz verschwinden (14 %). Um betroffene Arbeitnehmende zu unterstützen, sind maßgeschneiderte Angebote der beruflichen Weiterbildung erforderlich, die eine Weiterbildung oder Umschulung ermöglichen.
Schon vor der Pandemie stand Berlin vor erheblichen Herausforderungen in Bezug auf Qualifikationsdefizite und Ungleichgewichte. Das Bildungsniveau in Berlin ist zwar gestiegen, bleibt aber hinter dem vieler anderer OECD-Metropolen zurück. Hinzu kommt, dass viele Berliner*innen ihre Fähigkeiten nicht optimal nutzen und in Berufen arbeiten, die nicht ihrem Qualifikationsniveau entsprechen. Rund 41 % der Arbeitnehmenden fallen in diese Kategorie, der zweithöchste Wert unter 13 großen OECD-Metropolen. Solche Qualifikationsunterschiede und -lücken verringern die Produktivität der Arbeitnehmende und das lokale Wirtschaftswachstum, da die Unternehmen Schwierigkeiten haben, freie Stellen mit geeigneten Mitarbeitern zu besetzen. Neben dem Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage bei den Beschäftigten steht Berlin auch vor der Herausforderung, junge Menschen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Etwa 14 % der 18- bis 24-Jährigen verlassen die Schule ohne Abschluss, ein Wert, der mehr als drei Prozentpunkte über dem deutschen Durchschnitt liegt.
Das Berliner Weiterbildungssystem spielt eine wichtige Rolle dabei, wie die Stadt den Wandel auf dem Arbeitsmarkt bewältigen kann. Ein effektiver Abgleich zwischen den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den Weiterbildungsangeboten kann dazu beitragen, die Qualifikationslücken zu schließen, die viele Arbeitgebende in Berlin erleben. Ein starkes Weiterbildungssystem mit maßgeschneiderten Lernangeboten hilft Arbeitnehmenden, den Wandel in der Produktion zu bewerkstelligen. Ebenso ist die Weiterbildung ein wichtiges Instrument zur Steigerung der sozialen Mobilität, insbesondere bei Geringqualifizierten und Jugendlichen. Darüber hinaus können ausreichende Weiterbildungsangebote die Integration von Migrant*innen und Geflüchteten fördern, welche in Berlin einen besonderen Stellenwert einnimmt. Ein Drittel der Berliner Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund.