In diesem Kapitel wird das Ökosystem der Fort- und Weiterbildung in Berlin analysiert. Dies erfolgt in drei Teilen. Der erste Teil gibt einen deskriptiven Überblick über die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin und setzt die Berliner Fort- und Weiterbildungsquoten in eine nationale und internationale Perspektive. Der zweite Teil bietet einen Überblick über die Berliner Fort- und Weiterbildungslandschaft, wobei der Schwerpunkt auf den institutionellen Rahmenbedingungen und den vorhandenen politischen Instrumenten zur Verbesserung der Teilnahme an Fort- und Weiterbildung gelegt wird. Ferner werden bestehende Hindernisse bei der Erbringung von Dienstleistungen beschrieben. Zudem stellt das Kapitel Best-Practice-Beispiele aus anderen deutschen Bundesländern und OECD-Städten vor. Der dritte Teil befasst sich schließlich mit vielversprechenden Initiativen, die Berlin helfen könnten, die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen vulnerabler Bevölkerungsgruppen zu erhöhen.
Zukunftssichere Weiterbildung in Berlin, Deutschland
4. Stärkung der Weiterbildung für Inklusion und soziale Mobilität
Abstract
In Kürze
Die Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin ist im Vergleich zu anderen OECD-Städten und deutschen Bundesländern gering ausgeprägt. Die Teilnahme an formalen und non-formalen Fort- und Weiterbildungsmaßnehmen außerhalb des Arbeitsplatzes ist in Berlin im Vergleich zu internationalen Vergleichsstädten im OECD-Raum gering ausgeprägt. Die Daten der Arbeitskräfteerhebung zeigen, dass etwa 10 % der 25- bis 64-Jährigen in den vier Wochen vor ihrer Befragung im Jahr 2019 an einer formalen oder non-formalen Aus- und Weiterbildungsmaßnahme außerhalb des Arbeitsplatzes teilgenommen haben. Die Daten des Mikrozensus zeigen, dass weniger als 14 % der Personen ab 15 Jahren im Jahr 2019 an einer formalen oder non-formalen berufsbezogenen Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben – der niedrigste Anteil unter den Bundesländern.
Einer der Hauptgründe für die geringere Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin ist der hohe Anteil an Kleinstunternehmen, Selbständigen und Solo-Selbständigen. In Berlin beschäftigen 83 % der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) weniger als fünf Mitarbeiter*innen. Darüber hinaus waren 2019 in Berlin 13,5 % aller Erwerbstätigen selbständig – ein deutlich höherer Anteil als in allen anderen Bundesländern. Die Mehrheit der Selbständigen ist auf eigene Rechnung tätig, es sind also Selbstständige ohne Angestellte (Solo-Selbständige). Berliner Kleinstunternehmer*innen wissen nach wie vor nur sehr wenig über existierende Maßnahmen, verfügbare Instrumente werden zudem bis heute kaum in Anspruch genommen, was darauf hindeutet, dass eine über finanzielle Anreize hinausgehende Unterstützung notwendig ist, um die Fort- und Weiterbildungsteilnahme von Mitarbeiter*innen von KMU zu verbessern. Soloselbständige in Berlin erhalten zurzeit wenig Unterstützung, um ihre finanziellen und zeitlichen Zwänge zu überwinden, um am lebenslangen Lernen teilzuhaben.
Das breite Spektrum an Beratungsangeboten zur Weiterbildung in Berlin richtet sich an viele verschiedene Gruppen, kann es den Lernenden allerdings auch erschweren, sich in den Angeboten zurechtzufinden. Neben den Angeboten der Bundesagentur für Arbeit (BA) bieten verschiedene Senatsverwaltungen Fort- und Weiterbildungsberatung für unterschiedliche Zielgruppen an, wobei es teilweise zu Überschneidungen kommt. Unter den bestehenden Online-Angeboten ließe sich die Sichtbarkeit der umfassenden Berliner Weiterbildungsdatenbank (WDB) verbessern. Die Datenbank könnte zu einem vielversprechenden Instrument werden, um die Teilnahme an Lern- und Weiterbildungsangeboten zu erleichtern. Solche Bemühungen könnten Teil einer breiteren Öffentlichkeitskampagne sein, mit dem Ziel, das Bewusstsein für die Vorteile des lebenslangen Lernens zu fördern.
Beratungsmaßnahmen zur Fort- und Weiterbildung ebenso wie Berufsberatungsmaßnahmen für Migrant*innen sind zwar vorhanden, die Angebote sind jedoch verstreut und einige Synergien bleiben in Berlin ungenutzt. Die am stärksten nachgefragten Kurse an den Berliner Volkshochschulen (VHS) sind Deutschkurse für Migrant*innen und Geflüchtete. Allerdings bieten die Berliner VHS derzeit keine institutionalisierte Berufs-, Bildungs- oder Arbeitsmarktberatung für diese Gruppen an. Bei den bestehenden nicht-institutionalisierten Maßnahmen ist nicht immer klar, warum sich einige Beratungsdienstleistungen nur an Geflüchtete richten, andere Migrant*innen, die vermutlich mit ähnlichen Hindernissen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind, aber außen vor lassen.
In der Berliner Sozialwirtschaft sind inzwischen vielversprechende Initiativen entstanden, die sich an benachteiligte Gruppen richten. In Berlin gibt es eine aktive Sozialwirtschaft, die Maßnahmen der öffentlichen Arbeitsvermittlung, der Bundes- und der Landesregierung zur Weiterbildung unterstützt und ergänzt. So richten sich die Akteure der Sozialwirtschaft beispielsweise mit Grundbildungs- und Alphabetisierungskursen an erwachsene funktionale Analphabet*innen und mit Kursen zum Erwerb von digitalen Kompetenzen, die keine Deutschkenntnisse erfordern, an Geflüchtete.
Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin: ein nationaler und internationaler Vergleich
Weiterbildung über die Erstausbildung hinaus ist für Erwachsene unerlässlich, um mit der sich schnell verändernden Arbeitswelt Schritt zu halten. Die Megatrends auf dem Arbeitsmarkt –Digitalisierung, Automatisierung von Produktionsprozessen und demografischer Wandel – wirken sich auf die für die Ausübung von bestimmten Erwerbstätigkeiten erforderlichen Qualifikationen aus. Eine Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Qualifikationen kontinuierlich auf den neuesten Stand zu bringen und zu verbessern, ist daher unerlässlich, um die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu erhalten und die Erwerbsquote zu erhöhen. Die Systeme der Weiterbildung sind daher anhand von Teilnahmemetriken und Hindernissen für die Teilnahme an der Weiterbildung zu bewerten, die manche Personen oder Gruppen davon abhalten könnten, über ihre Erstausbildung hinaus an allgemeinen und beruflichen Bildungsmaßnahmen teilzunehmen. Dieser Abschnitt bietet einen Überblick über die formale und non-formale Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin und zieht für die Teilnahmequoten den nationalen und internationalen Vergleich.
Es gibt drei Arten der Fort- und Weiterbildungsteilnahme: formale, non-formale und informelle Bildung. Verschiedene im Rahmen von Erhebungen genutzte Datenquellen berücksichtigen unterschiedliche Arten des Lernens, wenn Umfrageteilnehmer*innen danach befragt werden, ob sie in einem bestimmten Zeitraum vor der Befragung an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben. Auch der Bezugszeitraum variiert je nach Datenquelle beträchtlich. Daher muss jeder nationale und internationale Vergleich die Vergleichbarkeit gewährleisten und dazu sowohl die Art des Lernens oder der Bildung, auf die er sich bezieht, als auch den Bezugszeitraum, den er berücksichtigt, spezifizieren. Die Definitionen der drei verschiedenen Arten des Lernens und wie diese in den Erhebungsdaten dieses Berichts gemessen werden, sind in Kasten 4.1 aufgeführt.
Kasten 4.1. Unterschiede zwischen formaler, informeller und non-formaler Bildung und deren Messung in verschiedenen deutschen Datenquellen
Um die Teilnahme an Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen in verschiedenen Ländern und Regionen messen und vergleichen zu können, muss die Art der Aus- und Weiterbildung definiert werden, an der die betreffenden Personen teilnehmen. Um die Vergleichbarkeit der Datenquellen zu gewährleisten, muss der Bezugszeitraum berücksichtigt werden.
Arten der Ausbildung
In den offiziellen Datenquellen werden in der Regel drei verschiedene Arten von Bildung unterschieden (OECD, 2021[1]).
Formale Bildung und Ausbildung: Bei der formalen Bildung handelt es sich um bewusstes Lernen in staatlich anerkannten Einrichtungen, das mindestens ein Semester dauert. Beispiele für die formale Bildung sind die Sekundarstufe II und das Hochschulstudium.
Non-formale Bildung und Ausbildung: Non-formale Bildung ist bewusstes, institutionalisiertes Lernen über einen Zeitraum von unter einem Semester in staatlich anerkannten Einrichtungen oder Bildung und Ausbildung außerhalb von Bildungseinrichtungen. Die non-formale Bildung umfasst Kurse, Workshops, angeleitete betriebliche Ausbildung und Seminare.
Informelle Bildung und Ausbildung: Informelle Bildung bezieht sich auf weniger organisierte Formen des bewussten Lernens außerhalb eines institutionellen Umfelds. Informelle Bildung kann im Alltag, im familiären Umfeld oder am Arbeitsplatz stattfinden.
Wichtigste Datenquellen zur Messung der Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen
Dieser Bericht stützt sich beim Vergleich der Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin mit anderen Regionen und Städten auf drei Hauptdatenquellen.
Die erste ist die Europäische Arbeitskräfteerhebung (EU-AKE). Die EU-AKE erhebt Daten zu formalen und informellen Bildungsmaßnahmen, an der die befragten Personen innerhalb der letzten vier Wochen vor der Befragung teilgenommen haben. Wichtig ist dabei, dass die EU-AKE keine Angaben zur angeleiteten betrieblichen Ausbildung erhebt, einer der wichtigsten Formen der non-formalen Bildung und Ausbildung in den meisten EU-Mitgliedstaaten (European Centre for the Development of Vocational Training, 2015[2]). Die anhand der EU-AKE ermittelten Zahlen zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme werden berechnet als die Anzahl der 25- bis 64-Jährigen, die an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben, geteilt durch die Gesamtbevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren.
Die zweite für diese Studie genutzte Datenquelle ist der Mikrozensus Deutschland. Der Mikrozensus Deutschland erfasst berufsbezogene Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen wie Vorlesungen oder Wochenendkurse, den Besuch von Techniker- oder Meisterklassen sowie die Teilnahme an berufsbezogenen Kursen und Seminaren. Berufsbezogene Weiterbildungsmaßnahmen können im Unternehmen oder am Arbeitsplatz, in speziellen Schulungszentren von Unternehmen, bei Verbänden oder Handwerkskammern stattfinden. Ebenso können sie in Form von Fernunterricht durchgeführt werden. Damit die angeleitete betriebliche Ausbildung anerkannt werden kann, müssen die Teilnehmer*innen über eine abgeschlossene Erstausbildung oder ausreichende Berufserfahrung verfügen. Kurse, die der allgemeinen Bildung oder einer formalen Berufsausbildung dienen, zählen nicht als berufsbezogene Ausbildungsmaßnahme. In dem Bericht wird dieses Maß als grober Näherungswert für die angeleitete betriebliche Ausbildung verwendet; die Daten erfassen sowohl die Ausbildung am Arbeitsplatz als auch außerhalb des Arbeitsplatzes. Die Zahlen zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme, die auf dem Mikrozensus beruhen, werden berechnet als Anteil der Erwerbspersonen ab 15 Jahren, die in den letzten 12 Monaten an Maßnahmen der angeleiteten betrieblichen Ausbildung teilgenommen haben, geteilt durch die gesamte Erwerbsbevölkerung.
Die beiden auf der EU-AKE und dem Mikrozensus basierenden Maße ergänzen sich somit gegenseitig. Aufgrund der unterschiedlichen Bezugszeiträume, der unterschiedlichen zugrunde liegenden Bevölkerungsgruppen und der begrenzten Überschneidungen zwischen beiden lassen sie sich jedoch nicht zu einem Gesamtmaß addieren. Beide Maße sind Schätzungen anhand der Stichprobenpopulation und nicht anhand von Volkszählungen.
Eine dritte Datenquelle, auf die in diesem Bericht Bezug genommen wird, ist das IAB-Betriebspanel. Das IAB-Betriebspanel ist eine jährliche Befragung von rund 16.000 Unternehmen, die auf Bundesländerebene repräsentativ sind. Auf der Grundlage der Umfrage lassen sich Maße für Fort- und Weiterbildung berechnen: Das erste Maß ist der Anteil der Unternehmen, die Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen anbieten. Die befragten Unternehmen werden als Fort- und Weiterbildungsanbieter eingestuft, wenn sie in den ersten beiden Quartalen des jeweiligen Jahres für mindestens einen ihrer Beschäftigten entweder selbst Weiterbildungsmaßnahmen während der Arbeitszeit angeboten oder die Kosten für interne oder externe Weiterbildungsmaßnahmen (teilweise) übernommen haben. Der Nenner ist schließlich die Gesamtzahl der Unternehmen. Das zweite Maß ist der Anteil der Beschäftigten, die in den ersten beiden Quartalen des Jahres an einer berufsbezogenen Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben. Die befragten Unternehmen werden gebeten, die Anzahl der Mitarbeiter*innen, die in den letzten sechs Monaten an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben, zu schätzen (oder, wenn möglich, genau anzugeben). Diese Zahl wird dann über alle Unternehmen in einer bestimmten Region addiert und die Summe durch die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Region geteilt.
Obwohl der Mikrozensus Deutschland und das IAB-Betriebspanel im Großen und Ganzen dieselben Parameter erfassen, fallen die Zahlen zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme unter Umständen sehr unterschiedlich aus. Der Hauptgrund ist die zugrunde liegende Bevölkerungsgruppe: Die auf dem Mikrozensus basierenden Schätzungen zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme werden als Anteil an der gesamten Erwerbsbevölkerung errechnet, die sowohl die Arbeitslosen als auch die Erwerbstätigen im Alter von 15 Jahren und darüber umfasst. Zu den Erwerbstätigen im Mikrozensus gehören auch die Solo-Selbstständigen, eine Gruppe, die im IAB-Betriebspanel nicht berücksichtigt ist. In Berlin beispielsweise betrug der Anteil der Solo-Selbstständigen an allen Erwerbstätigen im Jahr 2017 11 % (Senatsverwaltung für Integration, 2019[3]).
Es sollte ferner hervorgehoben werden, dass keine der drei in dieser Studie verwendeten Maße zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme die informelle Bildung oder Ausbildung einschließt. Im Gegensatz zum Mikrozensus Deutschland und zur EU-AKE schließt das IAB-Betriebspanel das informelle Lernen nicht explizit aus. Es ist jedoch unklar, inwieweit die Arbeitgebenden in der Lage sind, informelles Lernen bei der Schätzung der Anzahl der Fort- und Weiterbildungsteilnehmer*innen in ihrem Unternehmen zu berücksichtigen. Die Einbeziehung der informellen Bildung ist zudem der Hauptgrund dafür, dass Zahlen zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Deutschland, die auf der Grundlage anderer Datenquellen berechnet werden, sich stark von den hier genannten unterscheiden können (Eisermann, Janik and Kruppe, 2014[4]).
Quelle: Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (2015[2]), Job-related adult learning and continuing vocational training in Europe a statistical picture; Senatsverwaltung für Integration (2019[3]), Solo-Selbstständige arbeiten oft prekär und schlecht bezahlt; Eisermann, Janik and Kruppe (2014[4]), Participation in adult education: The reasons for inconsistent participation rates in different sources of data.
Die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erfasst nicht die gesamte Akkumulation von Humankapital, insbesondere in den Städten. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die Basisstatistiken zur Teilnahme an formeller und informeller Fort- und Weiterbildung den vollen Umfang des Lernens und der Ausbildung, die das Humankapital erhöhen, wahrscheinlich unterschätzen. Von den unter Kasten 4.1 beschriebenen Lerntypen wurde das informelle Lernen in der für diese Studie durchgeführten Datenanalyse nicht berücksichtigt. Wissenschaftliche Forschungen zum Lernen in Großstädten zeigen, dass die relativ zahlreichen sozialen und geschäftlichen Kontakte in Städten das informelle Lernen erleichtern. Kasten 4.2 beschreibt den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und informellem Lernen. Die Daten zur Fort- und Weiterbildungsteilnahme in Berlin stehen daher unter dem Vorbehalt, dass sie möglicherweise ein unvollständiges Bild vermitteln. Um dieses Problem zu entschärfen, wird Berlin in diesem Abschnitt auch mit anderen großen OECD-Metropolregionen verglichen, in denen ähnliche Muster des informellen Lernens zu erwarten sind.
Kasten 4.2. Der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und informellem Lernen
Eine Studie von de la Roca und Puga (2017[5]) kommt zu dem Schluss, dass höhere Löhne in Städten sich weder durch die räumliche Verteilung produktiverer Arbeitskräfte auf Großstädte noch durch statische Agglomerationsvorteile von Großstädten erklären lassen. Stattdessen erhalten Arbeitnehmende, die in die Städte ziehen, einen sofortigen statischen Bonus und sammeln schon bald nach ihrer Ankunft wertvolle Berufserfahrungen. Weitere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich diese Ergebnisse in noch größerem Maße verallgemeinern lassen: Die Größe des Arbeitsmarktes, auf dem die Berufserfahrung erworben wurde, erklärt teilweise die Unterschiede bei den künftigen Löhnen (Peters, 2020[6]).
Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Studien ist, dass das Lernen in Großstädten – oder im dicht besiedelten städtischen Umfeld – oft außerhalb der Klassenzimmer stattfindet.
Die Teilnahme an formalen und non-formalen Fort- und Weiterbildungsmaßnehmen außerhalb des Arbeitsplatzes fällt in Berlin gegenüber internationalen Vergleichsregionen im OECD-Raum gering aus. Abbildung 4.1 zeigt den Anteil der Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren, die in den vier Wochen vor der Befragung zwischen 2010 und 2020 an formalen oder non-formalen Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen (außer am Arbeitsplatz) teilgenommen haben. Das Diagramm vergleicht Berlin mit anderen OECD-Städten. Die Quote der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin lag im Beobachtungszeitraum auch weiterhin konstant bei rund 10 %. Im internationalen Vergleich weisen Brüssel (Belgien) und Warschau (Polen) ähnliche Quoten einer Teilnahme an der formalen und non-formalen Bildung und Ausbildung (außer am Arbeitsplatz) auf. Andere OECD-Städte wie Helsinki (Finnland), Stockholm (Schweden) oder Zürich (Schweiz) haben wesentlich höhere Teilnahmequoten als Berlin. Im Jahr 2020 lagen die Teilnahmequoten in diesen Städten bei 30,8 %, 30,1 % bzw. 32,9 %. In London (Vereinigtes Königreich) und Paris (Frankreich), den Hauptstadtregionen ähnlich großer europäischer Länder, lagen die zuletzt gemeldeten Teilnahmequoten bei 16 % bzw. 13 % und damit deutlich über dem Niveau von Berlin.
In Deutschland liegt die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen der formalen und nicht-formalen Bildung in Berlin auf dem Niveau der anderen Stadtstaaten und über dem der Flächenbundesländer. Abbildung 4.2 zeigt den Anteil der Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren, die in den vier Wochen vor der Befragung zwischen 2010 und 2020 an formalen oder non-formalen Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen (außer angeleitete betriebliche Ausbildung) teilgenommen haben. Die Grafik vergleicht Berlin mit den anderen deutschen Bundesländern. Der nationale Vergleich zeigt, dass Berlins Teilnahmequote an formaler oder non-formaler (ohne betriebliche Ausbildung) Bildung und Ausbildung auf dem gleichen Niveau liegt wie die der anderen deutschen Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Im Jahr 2020 lag die Teilnahmequoten in diesen Städten bei 10,0 % bzw. 9,4 %. Alle Flächenbundesländer melden eine etwas geringere Teilnahme, die im Saarland 2020 bei 5,3 % lag. Zwischen 2019 und 2020 stieg die Teilnahme nur in Berlin und Nordrhein-Westfalen an. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Teilnahmequoten unbereinigt sind und Unterschiede in Alter und Bildung der jeweiligen Bevölkerung in den verschiedenen Bundesländern nicht berücksichtigen.
Berlin liegt bei der beruflichen Fort- und Weiterbildung hinter allen anderen Bundesländern zurück. Während Berlin eine relativ hohe Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen außerhalb des Arbeitsplatzes aufweist, ergibt sich bei der arbeitsbezogenen formalen und non-formalen Fort- und Weiterbildung ein deutlich ungünstigeres Bild. Den Daten des jüngsten Mikrozensus zufolge nahmen 2019 weniger als 14 % der Personen ab 15 Jahren an einer formalen oder non-formalen berufsbezogenen Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme teil. In Sachsen und Thüringen, den beiden Bundesländern mit den höchsten Teilnahmequoten, nahmen rund 21 % bzw. 20 % der Erwerbstätigen an solchen Weiterbildungsangeboten teil (Abbildung 4.3).
Geringe Teilnahme an berufsbezogenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin ist kein neues Phänomen. Für den Zeitraum seit 2014, für den vergleichbare Statistiken auf Basis des Mikrozensus Deutschland vorliegen, lag die Teilnahmequote bei berufsbezogenen Fort- und Weiterbildungsmaßnehmen konstant bei rund 14 % der Erwerbspersonen (Abbildung 4.4, Bild B). Die geschätzte Gesamtzahl der Teilnehmer*innen stieg von 253.000 im Jahr 2014 auf 272.000 im Jahr 2019, was dem Zuwachs der Erwerbsbevölkerung in Berlin entspricht (Bild A). Folglich haben berufsbezogene Fort- und Weiterbildungen in Berlin nicht zugenommen, obwohl sie in einem sich rasch verändernden Arbeitsmarktumfeld immer wichtiger werden (siehe Kapitel 2). In den Daten von 2019 sind die Auswirkungen der Pandemie nicht berücksichtigt. Da infolge von COVID-19 verschiedene Abstandsregeln eingeführt wurden und viele Unternehmen finanziell unter Druck gerieten, dürften berufsbezogene Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen noch weiter eingeschränkt worden sein.
Demographische, soziale und wirtschaftliche Besonderheiten allein können die niedrige Teilnahmequote an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin nicht erklären. Eine Studie des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) aus dem Jahr 2018 errechnet die zu erwartenden Teilnahmequoten für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in allen Bundesländern unter Berücksichtigung struktureller regionaler Unterschiede, wie der lokalen Altersstruktur, des durchschnittlichen Bildungsstandes und der Unterschiede im Durchschnittseinkommen. Unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede in diesen Variablen, zeigt die Studie, dass Berlin im Jahr 2015 nur 77,4 % seines Weiterbildungspotenzials ausschöpfen konnte – der zweitniedrigste Wert in Deutschland. Nur das Saarland hat noch weniger seines Weiterbildungspotenzials ausgeschöpft (75,4 %). Andererseits konnten einige Bundesländer wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit 119,7 % bzw. 117,3 % eine Teilnahmequoten für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen erreichen, die noch über ihrem Potenzial liegen (DIE and Bertelsmann Stiftung, 2018[7]).
Mithilfe lokaler demographischer, sozialer und wirtschaftlicher Merkmale lässt sich nur ein Drittel der Unterschiede bei der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen in Deutschland erklären. So dürften auch andere Faktoren wie die Qualität der Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die Sichtbarkeit der verschiedenen Weiterbildungsangebote, die Kooperation zwischen verschiedenen lokalen Fort- und Weiterbildungsakteuren und die Beratungsinfrastruktur für Weiterbildungsmaßnahmen eine wichtige Rolle spielen (DIE and Bertelsmann Stiftung, 2018[7]).
Das Fort- und Weiterbildungsangebot der Berliner Unternehmen ist stark von der Unternehmensgröße abhängig. Tabelle 4.1 zeigt den Anteil der Unternehmen, die ihren Beschäftigten Aus- und Weiterbildungskurse anbieten, nach Unternehmensgröße. Die erste Spalte zeigt die Größe des Unternehmens gemessen an der Zahl der Beschäftigten. Die zweite Spalte zeigt den Anteil der Unternehmen in der jeweiligen Größenklasse, die ihren Mitarbeiter*innen im Jahr 2019, dem Jahr vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie, Aus- und Weiterbildungskurse angeboten haben. Im Jahr 2019 boten leidglich 49 % der Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten ihren Mitarbeiter*innen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten an. Dieser Anteil nimmt mit der Größe des Unternehmens stark zu: Bei den Unternehmen, die 2019 10 bis 49 Mitarbeiter*innen beschäftigten, lag der Anteil bei 70 %, während fast alle größeren Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten ihren Mitarbeiter*innen irgendeine Form von beruflicher Weiterbildung anbieten konnten.
Der Anteil der Unternehmen, die Aus- und Weiterbildungskurse anbieten, ist während der COVID-19-Pandemie deutlich zurückgegangen, vor allem bei sehr kleinen Unternehmen. Ein Vergleich der zweiten und dritten Spalte von Tabelle 4.1 zeigt, dass der Anteil der Unternehmen, die ihren Beschäftigten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, in Berlin stark zurückgegangen ist. Im Jahr 2019 boten noch 57 % aller Unternehmen mit Sitz in Berlin ihren Beschäftigten irgendeine Form der Aus- oder Weiterbildung an. Im Jahr 2020 sank dieser Anteil auf 33 %. Während zwar Unternehmen aller Größen ihr Fort- und Weiterbildungsangebot zurückfuhren, verzeichneten sehr kleine Unternehmen (weniger als 10 Beschäftigte) den größten relativen Rückgang (-42 %), gefolgt von Unternehmen mit 10 bis 49 Beschäftigten (-40 %).
Tabelle 4.1. Das Fort- und Weiterbildungsangebot von Unternehmen aller Größenordnungen ging während der COVID-19-Pandemie stark zurück
Bildungs- und Ausbildungsangebot nach Unternehmensgröße in Berlin, 2019 und 2020
Größe des Unternehmens nach Anzahl der Beschäftigten |
Anteil der Unternehmen, die 2019 Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anboten |
Anteil der Unternehmen, die 2020 Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen anboten |
---|---|---|
<10 |
49 % |
28 % |
10 - 49 |
70 % |
42 % |
50 - 249 |
91 % |
65 % |
250+ |
97 % |
76 % |
Insgesamt |
57 % |
33 % |
Quelle: IAB-Betriebspanel, Wellen 2019 und 2020.
Die Art der Bildungsmaßnahme in den Berliner Betrieben hängt auch von der Betriebsgröße ab. Daten einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK Berlin) aus dem Jahr 2019 zeigen, dass kleinere Unternehmen bei der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter*innen häufiger fast ausschließlich auf Selbstlerninstrumente setzen. Abbildung 4.5 zeigt, dass 53 % bzw. 60 % der Berliner Unternehmen (die der IHK Berlin angehören) ein Selbststudium mit digitalen Medien bzw. ein Selbststudium mit nicht-digitalen Medien anbieten, wobei es kaum Unterschiede zwischen den Unternehmen unterschiedlicher Größe gibt. Unternehmen mit einer größeren Zahl von Beschäftigten bieten jedoch häufiger Weiterbildungsinstrumente an, die nicht zum Selbststudium gedacht sind. So bieten nur 37 % der Unternehmen, die weniger als 10 Mitarbeiter*innen beschäftigen, Seminare zur betrieblichen Fortbildung an, gegenüber 94 % der Unternehmen mit 200 bis 499 Angestellten. Ähnliche Tendenzen lassen sich beim Coaching und Mentoring, bei der Schulung von Führungskräften und bei der Möglichkeit, neben dem Beruf ein formales Studium zu absolvieren, feststellen. Der Unterschied zwischen dem Anteil der kleinsten Unternehmen und dem Anteil der Unternehmen mit 200 bis 499 Beschäftigten, die diese Art von Maßnahmen im Jahr 2019 anbieten konnten, betrug 26 Prozentpunkte, 32 Prozentpunkte bzw. 36 Prozentpunkte.
KMU und vor allem auch Kleinstunternehmen neigen dazu, aufgrund mangelnder Ressourcen und unzureichender Investitionsanreize zu wenig in die Weiterbildung zu investieren. Das Problem der geringen Investitionen in die Fort- und Weiterbildung in kleinen Unternehmen ist nicht etwa spezifisch für Berlin und ergibt sich vor allem aus zwei Gründen: Erstens fehlen den KMU möglicherweise die finanziellen und personellen Ressourcen, um berufsbezogene Schulungen anzubieten. Zweitens fehlen ihnen möglicherweise die Anreize, in ihr Personal zu investieren, da qualifizierteres Personal höhere Löhne verlangen kann. Wenn KMU nicht bereit sind, Arbeitnehmende entsprechend ihrer zusätzlichen (Grenz-)Produktivität zu bezahlen, nachdem sie neue Fähigkeiten erworben haben, kann es passieren, dass diese Beschäftigten das Unternehmen verlassen und die Kleinunternehmen einen Nettoverlust durch die Investitionen in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter*innen erleiden (Brunello et al., 2020[8]).
Das fehlende Bewusstsein für den Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen, die mangelnde Fähigkeit zur Bewertung des Qualifikationsbedarfs und Wissensdefizite zu bestehenden Weiterbildungsmöglichkeiten können jedoch ebenfalls eine Rolle bei zu geringen KMU-Investitionen in die Weiterbildung spielen. Jüngste Untersuchungen der OECD zeigen, dass insbesondere sehr kleine KMU oft keine eigene Personalabteilung haben und nur selten Fachkräfte für die Entwicklung von Kompetenzen beschäftigen. Die Ermittlung des Qualifikationsbedarfs, die Entwicklung gezielter Ausbildungsmaßnahmen und die Einwerbung externer Mittel sind oft zeitaufwändige Aufgaben, die Mitarbeiter*innen mit speziellen Kenntnissen erfordern (OECD, 2021[9]).
Die Investitionen in die Fort- und Weiterbildung in kleinen Unternehmen in Berlin genügen daher möglicherweise nicht. Zusätzliche Investitionen in die Weiterbildung führen zu einer Höherqualifizierung der Arbeitnehmenden, die es ihnen ermöglicht, in höherwertige Arbeitsplätze zu wechseln, höhere Gehälter und zusätzliches Steuereinkommen zu erzielen. Anreize für KMU, durch finanzielle und logistische Unterstützung mehr in die Fort- und Weiterbildung der eigenen Beschäftigten zu investieren, können daher wünschenswert sein, wenn es Hinweise darauf gibt, dass solche Maßnahmen zu einem Anstieg des strukturierten Aus- und Weiterbildungsangebots in dem oder durch das kleine Unternehmen führen könnten.
Der Anteil der Kleinstunternehmen an den KMU ist in Berlin etwas höher als in anderen deutschen Regionen, was das Problem der mangelnden Investitionen in die Fort- und Weiterbildung zusätzlich verschärft. In Berlin beschäftigen 83 % der KMU weniger als fünf Mitarbeiter*innen, gegenüber 81 % in gesamtdeutschen Schnitt. Insgesamt waren im Jahr 2018 58 % der Berliner Erwerbstätigen in KMU beschäftigt (KfW Research, 2018[10]). Selbst kleine Unterschiede in der Unternehmensgröße von KMU können große Unterschied im Weiterbildungsangebot bewirken. Tabelle 4.2 und Abbildung 4.5 verdeutlichen, dass das Ausbildungsangebot in Kleinstunternehmen im Vergleich zu KMU mit 20 oder mehr Beschäftigten deutlich geringer ausfällt.
Ein weiterer Faktor, der die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin hemmen könnte, ist die Selbstständigkeit. Der Anteil der Selbstständigen an allen Erwerbstätigen ist in Berlin deutlich höher als in anderen Bundesländern. Abbildung 2.11 zeigt, dass 2019 in Berlin 13,5 % aller Erwerbstätigen selbständig waren – ein deutlich höherer Anteil als in allen anderen Bundesländern. Neben der großen Zahl der Selbstständigen in Berlin machten Solo-Selbstständige 11 % aller Erwerbstätigen aus, was einem Anteil von 74 % aller Selbstständigen entspricht (Senatsverwaltung für Integration, 2019[3]). In Deutschland insgesamt waren im Jahr 2019 54,4 % aller Selbstständigen als Solo-Selbstständige tätig. So ist der Anteil der Solo-Selbständigen an den selbstständig Beschäftigten in Berlin deutlich höher als in anderen deutschen Städten und Regionen.
Solo-Selbstständige nehmen in der Regel nur in sehr geringem Maße an Weiterbildungsmaßnahmen teil, auch im Vergleich zu anderen Selbstständigen. In der gesamten OECD ist die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen von Solo-Selbstständigen im Vergleich zu allen anderen Beschäftigten sehr niedrig. OECD-Analysen verdeutlichen, dass – je nach Alter, Geschlecht und Bildung – nur Erwachsene außerhalb der Erwerbsbevölkerung und Arbeitslose noch seltener an Fort- und Weiterbildungskursen teilnehmen. Im Vergleich zu Arbeitnehmenden ist die Wahrscheinlichkeit, an Bildungs- oder Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen, bei Solo-Selbstständigen um 11 % geringer. Andererseits ist ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ähnlich hoch wie bei Arbeitnehmenden in Vollzeit (OECD, 2019[11]).
Die geringe Beteiligung von Solo-Selbstständigen an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erklärt sich zum Teil durch ihre relativ strengen finanziellen und zeitlichen Zwänge. Solo-Selbständige arbeiten oft länger, weil sie mehr Zeit für die Suche nach künftigen Aufträgen benötigen. Die Weiterbildungskosten sind ein weiteres großes Hindernis für die Teilnahme von Solo-Selbstständigen an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Öffentliche Förderprogramme richten sich in der Regel an Arbeitnehmende oder Arbeitslose, so dass sowohl die direkten als auch die indirekten Weiterbildungskosten von den Solo-Selbstständigen selbst getragen werden müssen. Solo-Selbstständige haben in der Regel auch weniger Rechte auf Weiterbildung, da sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind (OECD, 2019[11]).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die im internationalen Vergleich niedrige Quote der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin und die im nationalen Vergleich sehr niedrigen Werte für berufsbezogene Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wahrscheinlich auf eine Kombination mehrerer Faktoren zurückzuführen ist. Die größte Herausforderung ist der hohe Anteil an Kleinstunternehmen, Selbstständigen und Solo-Selbständigen. Die Hindernisse, denen sich diese Gruppen gegenübersehen, wenn sie in größerer Zahl an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen wollen, haben sich durch die COVID-19-Pandemie wahrscheinlich noch verschärft. Die Pandemie hat zusätzlichen finanziellen Druck erzeugt und neue Herausforderungen, wie z. B. die für Unternehmen geltenden Abstandsregeln, nach sich gezogen. Bereits bestehende Trends zur Automatisierung von Produktionsprozessen und der Bedarf an digitalen Kompetenzen haben sich weiter beschleunigt. Es bedarf daher politischer Maßnahmen, um die Fort- und Weiterbildung in Berlin wieder zu beleben. Im nächsten Abschnitt nehmen wir die Berliner Fort- und Weiterbildungslandschaft genauer in den Blick.
Die Fort- und Weiterbildungslandschaft Berlins: Finanzierung und Dienstleistungsangebote
Da Fort- und Weiterbildung letztlich den Lernenden zugutekommt, stellt sich die Frage, wann und wie öffentliche Mittel eingesetzt werden sollten, um die Teilnahme an Fort- und Weiterbildung zu erhöhen. Weiterbildung ist wichtig, bereitet sie doch Erwachsene auf ihre künftige berufliche Laufbahn vor und stellt sicher, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, indem ihren Mitarbeiter*innen Kompetenzen vermittelt werden, die auf Veränderungen in den Produktionsprozessen reagieren. Der Hauptanreiz für Investitionen in die Fort- und Weiterbildung liegt daher bei Einzelpersonen und Unternehmen. Dennoch bestehen für einige Personen und Unternehmen Hindernisse für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die sich mit richtig ausgerichteten politischen Instrumenten überwinden lassen. Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die Berliner Fort- und Weiterbildungslandschaft. Er stellt die wichtigsten Akteure in Berlin vor, unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Instrumenten und analysiert, inwieweit sich die von der Bundesregierung und vom Berliner Senat angebotene Leistungen ergänzen.
Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen werden in Deutschland überwiegend von Einzelpersonen und Unternehmen finanziert. Abbildung 4.6 illustriert die Finanzierung der Weiterbildung jenseits der Erstausbildung in Deutschland aus verschiedenen Quellen. Im Jahr 2015 – dem letzten Jahr, für das eine detaillierte Aufschlüsselung der Finanzierung verfügbar ist – waren Privatpersonen und Unternehmen für 38 % bzw. 43 % der Gesamtfinanzierung verantwortlich. Die restlichen 19 % entfielen auf öffentliche Mittel. Die öffentlichen Mittel stammen zu etwa gleichen Anteilen von der BA und direkt vom Bund, den Ländern und Gemeinden. Die BA finanziert sich hauptsächlich aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.
Die Fort- und Weiterbildungslandschaft in Deutschland ist durch einen hohen Grad an Dezentralisierung gekennzeichnet. Privatpersonen und Unternehmen sind in der Regel diejenigen, die Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen vor allem nutzen und auch Schulungsmaßnahmen durchführen. Im Rahmen der jeweiligen Governance-Struktur sind Unternehmen, Sozial- und Wirtschaftspartner, Anbieter von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Behörden auf Bundes- und Landesebene an der Ausgestaltung von Weiterbildungsangeboten und Lehrplänen beteiligt (OECD, 2021[1]). Einerseits ist ein solches dezentralisiertes System weithin dafür geeignet, dass es auf den regionalen Kontext zugeschnittene Ausbildungsangebote ermöglicht. Andererseits stellt die Koordinierung zwischen verschiedenen Akteuren, die für die effiziente Ausgestaltung eines solchen Systems erforderlich ist, eine große Herausforderung dar.
Die wichtigsten Akteure der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Berlin
Grundsätzlich lassen sich drei verschiedene Arten der Fort- und Weiterbildung in Berlin nach ihrer jeweiligen Zielgruppe unterscheiden. Die erste ist die Fort- und Weiterbildung für Arbeitslose in Form von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (AAMP). Vorrangiges Ziel dieser Maßnahmen ist es, Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren und auf diese Weise sicherzustellen, dass die Qualifikationen der betreffenden Personen den auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten Kompetenzen entsprechen und die Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht zu lang werden. Die zweite Art ist die Fort- und Weiterbildung, die Erwerbstätigen zum Ausbau ihrer bereits vorhandenen Kompetenzen angeboten wird. Vorrangiges Ziel solcher Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ist es, die Arbeitsmarktposition der Teilnehmer zu verbessern und sicherzustellen, dass sie sich an die sich ändernden beruflichen Qualifikationsanforderungen anpassen können. Die dritte Art ist die allgemeine Erwachsenenbildung, die ein breites Spektrum an Bildungs- und Ausbildungsgängen anbietet. Sie steht allen Menschen in der Bevölkerung offen, unabhängig von deren Alter und Beschäftigungsstatus. Ihr Ziel ist nicht in erster Linie arbeitsmarktbezogen.
In der Berliner Fort- und Weiterbildungslandschaft sind je nach Zielgruppe unterschiedliche Akteure für die Fort- und Weiterbildungsberatung sowie für Bildung und Ausbildung zuständig. Ähnlich wie auch in anderen Bundesländern sind verschiedene Akteure in die Beratung und Durchführung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen eingebunden:
Die Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Berlin-Brandenburg – Die BA ist in Deutschland die öffentliche Arbeitsverwaltung und konzentriert sich in erster Linie auf die Umsetzung von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die sich an Arbeitslose richten. Zu den wichtigsten Dienstleistungen gehören die Vermittlung von Arbeitsplätzen und Berufsausbildungen, die Berufsberatung, die Beratung von Arbeitgebenden, die Unterstützung berufsbezogener Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie die Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. In jüngster Zeit übernimmt die BA auch Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung von Arbeitnehmenden. Die BA hat 10 Regionaldirektionen, wobei die Direktion Berlin-Brandenburg für Berlin zuständig ist.
Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (SenIAS) – Die SenIAS ergänzt einige Maßnahmen der BA durch zusätzliche Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die sich an bestimmte Gruppen von Beschäftigten und Arbeitslosen richten.
Die Jobcenter, die gemeinsam von der BA und der SenIAS verwaltet werden, bieten arbeitslosen Sozialhilfeempfänger*innen („Hartz 4“-Empfänger*innen) Arbeitsmarktberatung und Schulungen an.
Die Volkshochschulen (VHS), die von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) koordiniert werden, bieten allgemeine Erwachsenenbildungsmaßahmen für jede und jeden an, wobei die Kurse in der Regel nicht darauf ausgerichtet sind, die Arbeitsmarktchancen der Teilnehmer*innen zu verbessern.
Die Landeszentrale für politische Bildung Berlin (LPBB) ist eine überparteiliche Einrichtung für politische Bildung unter der Aufsicht der SenBJF.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung (SenGPG) – Die SenGPG bietet Beratung zu berufsbezogenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen speziell für Frauen an.
Unternehmen des privaten Sektors – Unternehmen des privaten Sektors bilden ihre Mitarbeiter*innen nach eigenem Ermessen am Arbeitsplatz aus.
Sozialpartner – Sozialpartner wie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und Wirtschaftspartner wie Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern spielen eine wichtige Rolle bei der Beratung von Gesetzgebungsverfahren auf Landesebene, bei der Ausgestaltung von Regelwerken zur aktiven Arbeitsmarktpolitik und zur formalen beruflichen Fort- und Weiterbildung. Ebenso wirken Sozialpartner bei der Aushandlung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, die auch Weiterbildungsangebote betreffen, mit (OECD, 2021[1]).
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und andere Akteure der Sozialwirtschaft – NGOs und andere Akteure der Sozialwirtschaft richten sich an bestimmte gefährdete Bevölkerungsgruppen und bieten Schulungs- und Ausbildungsdienste an, die die gesellschaftliche und arbeitsmarktliche Integration fördern.
Vor Ort werden die von der BA, den Jobcentern und der SenIAS finanzierten berufsbezogenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie die Weiterbildungsberatung überwiegend von zertifizierten privaten Bildungsträgern durchgeführt. Eine Zertifizierung als Anbieter von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen kann über eine fachkundige Stelle erfolgen, die in der Datenbank der Deutschen Akkreditierungsstelle gelistet ist. Eine Zertifizierung ist für alle von der BA, den Jobcentern und der SenIAS geförderten Maßnahmen erforderlich und gilt in der Regel für drei Jahre. Arbeitgebende, die eine Ausbildung am Arbeitsplatz anbieten, müssen im Allgemeinen nicht zertifiziert sein.
Ein besonderes Merkmal der Berliner Fort- und Weiterbildungslandschaft ist die strikt institutionalisierte Trennung zwischen berufsbezogener Fort- und Weiterbildung und allgemeiner Erwachsenenbildung. Berufsbezogene Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in Berlin liegen in der gemeinsamen Verantwortung der BA Berlin-Brandenburg und der SenIAS und werden von zertifizierten Weiterbildungsanbietern durchgeführt. Die allgemeine Erwachsenenbildung ist von diesen arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen getrennt. Sie wird in erster Linie von den 12 VHS durchgeführt, die Einrichtungen der Berliner Bezirke sind und von diesen in eigener Verantwortung nach dem Berliner Schulgesetz (§ 123) betrieben und ausgestattet werden. Die SenBJF nimmt regulatorische Aufgaben wahr, die für die gesamte Stadt relevant sind. Dazu gehört die regelmäßige Veröffentlichung eines vergleichenden Leistungs- und Qualitätsentwicklungsberichts und der Ausgabe der für die Berliner VHS geltenden Gebühren- und Entgeltordnungen. Die Unabhängigkeit der VHS bedeutet, dass sie bei der Gestaltung ihrer Lehrpläne nahezu freie Hand haben.
Mit der Verabschiedung des neuen Berliner Erwachsenenbildungsgesetzes haben sich die VHS als integraler Bestandteil des Berliner Fort- und Weiterbildungssystems noch fester etabliert. Das Gesetz trat im August 2021 in Kraft. Es leistet drei wichtige Beiträge zur allgemeinen Erwachsenenbildung in Berlin: Erstens bietet es den VHS und der Berliner LPBB Rechtssicherheit. Zweitens können Anbieter von Erwachsenenbildungsmaßnahmen eine offizielle Anerkennung als Anbieter von Erwachsenenbildung beantragen und aufgrund ihres Status‘ auch öffentliche Gelder beantragen. Drittens erhöht sich die Sichtbarkeit der Erwachsenenbildung durch regelmäßige Berichte über die Erwachsenenbildung in Berlin und die Einrichtung eines Erwachsenenbildungsbeirats. Das neue Gesetz wird im Kasten 4.3 ausführlicher beschrieben.
Dieses Gesetz ist zwar positiv für die allgemeine Erwachsenenbildung, unterstreicht aber auch die deutliche Trennung zwischen allgemeiner Erwachsenenbildung und arbeitsmarktspezifischer Weiterbildung in Berlin. So gehört dem Beirat, wie aus Kasten 4.3 hervorgeht, nur ein Mitglied an, das von der Industrie- und Handelskammer, der Berliner Handwerkskammer oder der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg gemeinsam benannt wird. Abgesehen davon ist die Mitgliedschaft stark auf die Vertretung vulnerabler Minderheitengruppen ausgerichtet. Eine Verbindung zum Berliner Arbeitsmarkt und zur lokalen Wirtschaft im weiteren Sinne fehlt fast vollständig. Andere Städte im OECD-Raum, wie etwa London, unterscheiden nicht so strikt zwischen politischer Bildung und berufsbezogener Aus- und Weiterbildung, sondern erkennen vielmehr an, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Ziele miteinander verflochten sind. Kasten 4.4 beschreibt den Ansatz Londons zur Erwachsenenbildung ausführlicher.
Kasten 4.3. Das neue Gesetz zur „Erwachsenenbildung in Berlin“
Das neue Berliner Erwachsenenbildungsgesetz wurde unter Federführung der SenBJF erarbeitet. Es wurde im Mai 2021 verabschiedet und trat im August 2021 in Kraft. Das Gesetzt leistet drei wichtige Beiträge zur allgemeinen Erwachsenenbildung in Berlin.
Zum einen werden die bestehenden öffentlichen Erwachsenenbildungseinrichtungen in Berlin, die zwölf kommunalen Volkshochschulen (VHS) in Berlin und die Berliner Landeszentrale für politische Bildung rechtlich abgesichert. Für die VHS bedeutet dies, dass wichtige Bestimmungen zu Kursangeboten, Ausstattung, digitaler Infrastruktur, Qualitätsstandards für Kursleitende und Teilnehmende nun gesetzlich verankert sind. Für die Berliner Landeszentrale für politische Bildung existiert erstmals eine Rechtsgrundlage. Auch eine stabile Finanzierung der Bildungs- und Berufsberatung ist Teil des neuen Gesetzes.
Zweitens kann nun jede Einrichtung in Berlin, die Erwachsenenbildungsmaßnahmen anbietet, den Status einer „anerkannten Einrichtung der Erwachsenenbildung in Berlin“ beantragen. Mit diesem Status können sich Institutionen und Organisationen um neu geschaffene Finanzierungsmöglichkeiten für wichtige und innovative Projekte und Programme bewerben. Die Fördermittel werden von der SenBJF verwaltet.
Drittens zielt das Gesetz darauf ab, die Sichtbarkeit der Erwachsenenbildung in der Öffentlichkeit zu verbessern, indem es eine öffentliche Debatte auslöst und die Werbung für bestehende Angebote ankurbelt. Zu diesem Zweck wird ein Erwachsenenbildungsbeirat eingerichtet und ein regelmäßiger Bericht über den Stand der Erwachsenenbildung in Berlin veröffentlicht.
Im neuen Erwachsenenbildungsbeirat kommen Expert*innen für Erwachsenenbildung aus verschiedenen politischen, sozialen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen, Verbänden und Institutionen zusammen. Von den 31 Vorstandsmitgliedern werden die meisten aufgrund ihrer Funktion innerhalb des VHS-Systems oder direkt und indirekt aufgrund ihrer politischen und administrativen Rolle innerhalb der Berliner Erwachsenenbildungslandschaft berufen. Eine große Anzahl von Sitzen in diesem Beirat ist außerdem Vertreter*innen von Minderheitengruppen vorbehalten. So wird je ein Mitglied vom Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen, vom Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen, vom Frauenpolitischen Beirat und von einer Organisation, die die Interessen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen vertritt, benannt. Dem Beirat gehört dagegen nur ein Mitglied an, das gemeinsam von der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer Berlin und dem Allgemeinen Verband der Wirtschaft für Berlin und Brandenburg berufen wird. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund benennt in der derzeitigen Zusammensetzung nur ein Beiratsmitglied.
Quelle: Senatsverwaltung für Bildung (2021[13]), Erwachsenenbildungsgesetz vom Parlament beschlossen: Historischer Tag für Lebenslanges Lernen in Berlin; EBiG, § 16 - § 18 Teil 6 - Berliner Erwachsenenbildungsbeirat
Kasten 4.4. Bündelung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ziele in der Weiterbildung in London, Vereinigtes Königreich
Seit 2019 ist die Greater London Authority (GLA) für Londons Jahresbudget für die Erwachsenenbildung (AEB) in Höhe von 320 Millionen Pfund zuständig und hat seitdem mehrere Kompetenzstrategien entwickelt, die das Ziel verfolgen, die erwachsene Bevölkerung Londons weiterzubilden und umzuschulen. Die Skills Roadmap for London ist die jüngste Kompetenzstrategie, die 2022 vom Londoner Bürgermeister eingeführt wird. Hauptziel der Roadmap ist es, „positive Auswirkungen für die Londoner Bevölkerung im Hinblick auf wirtschaftliche und soziale Ergebnisse, einschließlich Gesundheit und Wohlbefinden, zu erzielen“ (Greater London Authority, 2022, p. 13[14]). Die Strategie wird daher anhand von wirtschaftlichen Schlüsselindikatoren wie der Verbesserung der Beschäftigungsquote und des Einkommensniveaus in London bewertet, aber auch anhand von Messwerten zum Wohlbefinden, die sich auf die Lebenszufriedenheit der Londoner beziehen. Zu diesem Zweck werden in London neue Daten aus Umfragen erhoben.
Das Hauptziel der Londoner Kompetenzstrategie besteht darin, einkommensschwache Einzelpersonen und Haushalte bei der Suche nach besseren Arbeitsplätzen zu unterstützen; der Ansatz mit dem Titel „keine falsche Tür“ steht dabei im Mittelpunkt der Bemühungen: Sogenannte Integration Hubs sollen dafür sorgen, dass verschiedene Arten von Dienstleistungen kooperieren und Lernmöglichkeiten angeboten werden, unabhängig davon, an welche Stelle sich der Einzelne zuerst wendet. Zu diesen Diensten gehören die Londoner Arbeitsämter und der National Career Service des Vereinigten Königreichs; aber auch Einrichtungen im Gesundheitswesen oder Dienstleistungen, die sich an behinderte Menschen und Jugendliche richten, sind mit Weiterbildungsangeboten verbunden.
Die Kompetenzstrategie in London umfasst sowohl die allgemeine Erwachsenenbildung als auch die berufliche Weiterbildung mit dem Schwerpunkt auf einer verbesserten Arbeitsmarktintegration. Die über das AEB angebotenen Dienstleistungen in der Weiterbildung decken ein breites Spektrum an berufsbezogenen Ausbildungsmaßnahmen ab, bieten aber auch Schulungen in den Bereichen Grundfertigkeiten in Lesen und Schreiben, Rechnen, digitale Fähigkeiten und Kernkompetenzen für die Beschäftigungsfähigkeit an. Englischkurse richten sich an Londons große Migrant*innengemeinde.
Quelle: Greater London Authority (2022[14]), Skills Roadmap for London.
Verschiedene Arten von Fort- und Weiterbildungsinstrumenten werden vom Bund und dem Land Berlin angeboten
Es lassen sich vier politische Instrumente zur Förderung der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen unterscheiden: Fort- und Weiterbildungsberatung, finanzielle Anreize für Einzelpersonen, Bildungs- und Ausbildungsurlaub und finanzielle Anreize für Unternehmen. Die allgemeine Idee aller Maßnahmen besteht darin, die Teilnahmequote an Fort- und Weiterbildungsmaßnehmen von Personen zu steigern, für die der (langfristige) Nutzen von Bildung und Ausbildung größer ist als die direkten oder indirekten (kurzfristigen) Kosten. Je nachdem, welches Hindernis der einzelnen Person eine Teilnahme an solchen Maßnahmen erschwert, können unterschiedliche Instrumente eingesetzt werden. Die Fort- und Weiterbildungsberatung wird genutzt, um für Fort- und Weiterbildungsangebote zu sensibilisieren und mehr Personen teilnehmen zu lassen, die entweder nicht von bestehenden Angeboten wussten oder nicht in der Lage waren, sich selbständig in diesen Angeboten zurechtzufinden. Bildungsurlaub verbessert die Bedingungen für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, indem er arbeitsbedingte zeitliche Zwänge aufhebt, die einer Teilnahme im Wege stehen. Finanzielle Anreize lockern die finanziellen Zwänge von Einzelpersonen oder Unternehmen oder schaffen Anreize für die Teilnahme von Personen, die sich der Vorteile solcher Maßnahmen möglicherweise gar nicht bewusst sind.
Leitlinien für Bildung und Ausbildung
In Berlin gibt es zahlreiche Anbieter im Bereich der Fort- und Weiterbildungsberatung. Tabelle 4.2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Angebote im Bereich der Weiterbildungsberatung in Berlin, geordnet nach den beteiligten Akteuren und ihren jeweiligen Zielgruppen. Die wichtigsten Beratungsanbieter sind die SenIAS mit ihrem Netzwerk Berliner Beratung zu Bildung und Beruf (BBB) und die Lebensbegleitende Berufsberatung im Erwerbsleben (LBBiE) der BA. Es gibt kleinere Beratungsangebote, die zum Teil das bestehende Angebot der großen Anbieter ergänzen (IQ-Netzwerk, Grundbildungszentrum Berlin) und zum Teil aus historischen Gründen bestehen (Berufsperspektiven für Frauen). Angebote im Bereich der Fort- und Weiterbildungsberatung an den Berliner VHS gibt es ebenfalls, allerdings derzeit nur in begrenztem Umfang, worauf in Abschnitt 4.2 näher eingegangen wird. Die BA und die Jobcenter bieten zudem Fort- und Weiterbildungsberatung speziell für Arbeitslose an.
Die Fort- und Weiterbildungsberatung der BA steht allen Menschen offen, während die SenIAS sich darüber hinaus eigens an bestimmte Bevölkerungsgruppen richtet. Die SenIAS betreibt ein Netz von Beratungsstellen. Dieses Netz besteht aus sieben Berufsberatungszentren, die allen Personen offenstehen, sowie drei weiteren spezialisierten Zentren. Die spezialisierten Zentren richten sich an Personen, die eine berufliche Höherqualifizierung anstreben (Fachberatung berufliche Qualifizierung), an KMU (Qualifizierungsberatung in KMU), an Migrant*innen, die eine Sprachausbildung wünschen (Erfolg mit Sprache und Abschluss) und an Geflüchtete, die eine allgemeine Berufsberatung benötigen (Mobile Beratung zu Bildung und Beruf für geflüchtete Menschen; MoBiBe). Geografisch sind die Beratungsstellen gleichmäßig über die Berliner Bezirke verteilt (OECD, 2022[15]).
Tabelle 4.2. Fort- und Weiterbildungsberatung in Berlin
Überblick über die Fort- und Weiterbildungsberatung in Berlin nach Anbietern und Zielgruppen
Ursprünglicher Name |
Beteiligte Akteure (einschließlich Förderer) |
Zielgruppe |
---|---|---|
Berliner Beratung zu Bildung und Beruf, BBB |
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, SenIAS |
Alle Personen |
Fachberatung berufliche Qualifizierung, FbQu |
SANQ e. V. |
Personen, die über Teilqualifikationen einen formalen Abschluss anstreben |
Erfolg mit Sprache und Abschluss, EMSA |
Arbeit und Bildung e. V. |
Migrant*innen |
Qualifizierungsberatung in KMU |
GesBiT mbH |
KMU |
Mobile Beratung zu Bildung und Beruf für geflüchtete Menschen, MoBiBe |
KOBRA (Berliner Frauenbund 1945 e.V.), Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung |
Geflüchtete |
Lebensbegleitende Berufsberatung im Erwerbsleben, LBBiE |
BA |
Alle Personen |
Volkshochschulen, VHS |
VHS |
Alle Personen |
IQ-Netzwerk |
BMAS, ESF, BAMF, BMBF, BA |
Migrant*innen |
Berufsperspektiven für Frauen |
Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung |
Frauen |
Grund-Bildungs-Zentrum Berlin, GBZ |
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, VHS |
Gering qualifizierte Erwachsene |
Quelle: OECD (2022[15])
Alle Zentren bieten ein breites Spektrum an Fort- und Weiterbildungsberatung an, wobei es teilweise zu Überschneidungen zwischen den Angeboten der SenIAS und der BA kommt. Diese Angebote umfassen Beratung zu formaler Bildung und Ausbildung, beruflicher (Neu-)Orientierung, Verfassen von Lebensläufen, Zugang zu Beschäftigung, Karriereentwicklung, Bewerbungsverfahren, berufsbegleitender Fort- und Weiterbildung, Lernstrategien und Finanzierungsquellen für Fort- und Weiterbildung. Zu den zusätzlichen internen Dienstleistungen gehören visuelle Darstellung von Fähigkeiten (Skills Mapping) und formaler Bildung, die Bereitstellung eines Computers, um das Durchsuchen von Online-Datenbanken zu erleichtern, und die Unterstützung bei administrativen Schritten im Rahmen von Bewerbungen um Arbeitsplätze und die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen (OECD, 2022[15]). Obwohl sowohl die SenIAS als auch die BA umfassende Fort- und Weiterbildungsberatungsangebote bieten, ist es nicht immer einfach, sich in verschiedenen, teils sehr ähnlichen Angebote zurechtzufinden, und könnte einige Personen möglicherweise abschrecken.
Eine Übersicht über die Erwachsenenbildungs- und Weiterbildungsangebote ist online über nationale Datenbanken wie Kursnet verfügbar. Kursnet ist die zentrale bundesweite Online-Plattform der BA, die als Suchmaschine für Fort- und Weiterbildungsangebote dient. Weitere bundesweite Online-Tools der BA sind Karriere und Weiterbildung, Erkundungstool Check-U, Berufsentwicklungsnavigator, berufe.tv, berufsfeld-info.de, Typisch ich und Lernbörse. Verschiedene Websites richten sich an unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, etwa an junge Menschen, an Personen, die sich für eine Berufsausbildung oder bestimmte Berufe interessieren, an Arbeitnehmende, die sich weiterbilden möchten, sowie an die breite Öffentlichkeit (OECD, 2021[1]).
Die SenIAS betreibt zudem die Berliner Weiterbildungsdatenbank (WDB). Die Datenbank enthält rund 40.000 Einträge von etwa 1.100 Anbietern von Weiterbildungsmaßnahmen. Sie wird täglich aktualisiert. Die Benutzeroberfläche ist leicht zu bedienen und erfordert von den Nutzer*innen lediglich die Eingabe einer Postleitzahl und des Bereichs, in dem eine Fort- oder Weiterbildung angestrebt wird. Die Nutzer*innen können außerdem den geografischen Suchradius eingrenzen, um sich Angebote in ihrer Nähe anzeigen zu lassen. Der Schwerpunkt der WDB liegt zwar auf Kursen zur beruflichen Weiterbildung, sie umfasst jedoch auch eine breite Palette von Kursen, die von den VHS zu Themen in den Bereichen Zivilgesellschaft, Politik und Kultur angeboten werden. Es besteht eine Kooperation zwischen der WDB und Weiterbildung Brandenburg, einer vergleichbaren, allerdings auf Brandenburg zugeschnittenen Datenbank. Im Hauptsuchportal der WDB werden die Angebote beider Datenbanken angezeigt. Die WDB bietet für jeden Kurs in der Datenbank auch generische Links zu allgemeinen Finanzierungsmöglichkeiten für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Um diese Finanzierungsinstrumente jedoch umfangreicher nutzen zu können, besteht auch die Möglichkeit, die angezeigten Finanzierungsmöglichkeiten genauer auf die individuellen Bedürfnisse zuzuschneiden und sich Links zu den erforderlichen Dokumenten einblenden zu lassen.
Die WDB bietet zudem weitere integrierte Dienstleistungen für Unternehmen und Anbieter von Weiterbildung an. Unternehmen können die interaktiven Tools der WDB nutzen, um den Qualifizierungsbedarf in der eigenen Firma zu analysieren. Darüber hinaus können sie Anfragen an Anbieter von Weiterbildung senden, um passende Angebote einzuholen. Informationen über Fördermöglichkeiten für Fort- und Weiterbildungsangebote für Unternehmen sind ebenfalls der WDB zu entnehmen. Die Rückmeldungen der Sozialpartner, die von der OECD für die Zwecke dieses Berichts eingeholt wurden, haben allerdings auch deutlich gemacht, dass Arbeitgebende oft Schwierigkeiten damit haben, sich in der WDB zurechtzufinden. Künftige Aktualisierungen der Datenbank könnten auf der Homepage der WDB Informationen speziell für Arbeitgebende bieten. Anbieter von Weiterbildung nutzen die Plattform vor allem, um dort ihre Angebote zu veröffentlichen, die sie dann auch in andere Weiterbildungsdatenbanken wie das bundesweite Kursnet einstellen können.
Finanzielle Anreize für Einzelpersonen
Finanzielle Anreize für Einzelpersonen können unterschiedliche Formen annehmen, zielen aber zumeist darauf ab, finanzielle Beschränkungen aufzuheben, die einer Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Wege stehen. Die wichtigsten Formen finanzieller Anreize für Einzelpersonen sind Bildungsbeihilfen, zinsgünstige Darlehen, Weiterbildungsprämien, Stipendien, Weiterbildungszuschüsse, steuerliche Anreize und Bildungsgutscheine (OECD, 2021[1]).
Im Jahr 2020 bot die Bundesregierung 10 solcher finanzieller Anreizmechanismen an. Die verschiedenen von der Bundesregierung finanzierten Programme sind in Tabelle 4.3 zusammengefasst. Auf höchster Ebene lassen sich diese nach der Art des politischen Instruments, der jeweiligen Zielgruppe und dem Umfang der Maßnahme unterscheiden. Die Zielgruppen sind häufig eng definiert, und die Förderfähigkeit hängt von mehreren sozioökonomischen Merkmalen wie Bildungsstand, Alter, Beschäftigungsstatus und Einkommen ab. Der Anwendungsbereich der jeweiligen Maßnahme bezieht sich auf die Art der Ausbildung, die das Programm unterstützt.
Tabelle 4.3. Verschiedene Arten finanzieller Anreizmechanismen, die von der Bundesregierung angeboten werden
Name des Programms |
Art des Instruments |
Zielgruppe |
Umfang der Fort- und Weiterbildung |
---|---|---|---|
Aufwendungen für die Aus- und Fortbildung |
Steuerlicher Anreiz |
An der Fort- und Weiterbildung teilnehmende Steuerzahler*innen |
Berufsbezogene Ausbildung |
Bildungskredit |
Darlehen |
18-35-Jährige |
Berufliche und höhere Fort- und Weiterbildung, Praktika |
Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein |
Gutschein |
Kurse zur beruflichen Eingliederung und Aktivierung |
Berufsbezogene Ausbildung |
Bildungsgutschein |
Gutschein |
Arbeitslose, Personen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder Geringqualifizierte |
Berufsbezogene Ausbildung |
Bildungsprämie |
Gutschein |
Beschäftigte mit niedrigem Einkommen |
Berufsbezogene Fach-kurse, interdisziplinäre Schulungen (non-formal) |
Aufstiegs-BAföG |
Zulage |
Erwachsene mit einem IVET-Abschluss |
Formale Fort- und Weiterbildung |
Zukunftsstarter |
Zulage |
25-35-Jährige ohne IVET-Abschluss und/oder auf gering qualifizierten Arbeitsplätzen |
IVET |
Aufstiegsstipendium |
Stipendium |
Erwachsene mit beruflicher Erstausbildung und Berufserfahrung |
Wissenschaftliche Studien |
Weiterbildungsstipendium |
Stipendium |
Absolvent*innen einer beruflichen Erstausbildung; <25 Jahre alt |
Fachkurse, interdisziplinäre Schulungen, Hochschul-kurse |
Weiterbildungsprämie |
Prämie |
Arbeitslose Personen |
Formale Fort- und Weiterbildungskurse von >2 Jahren |
Quelle: Zusammenfassende Tabelle anhand von (OECD, 2021[1])
Dank dem breiten Spektrum der finanziellen Anreizinstrumente lassen sich bestimmte Bevölkerungssegmente gezielt ansprechen, was jedoch das Risiko birgt, dass die Angebote nur eingeschränkt genutzt werden. Das erste potenzielle Problem besteht darin, dass es für den Einzelnen schwierig sein kann, sich in den verschiedenen Angeboten zurechtzufinden, und dass damit wahrscheinlich nicht alle verschiedenen Förderoptionen bekannt werden. Das zweite Risiko ergibt sich aus den eng definierten Zielgruppen und der Art der Fort- und Weiterbildung. Ohne übergreifenden Rahmen kann eine derart gezielte Ausrichtung dazu führen, dass einige Personen „durch das Raster fallen“. So wird etwa in früheren OECD-Arbeiten festgestellt, dass Personen, die bemerken, dass ihre Fähigkeiten und Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt an Bedeutung verlieren, keine Möglichkeiten haben, ihre Kompetenzen auf eigene Initiative zu verbessern, sondern dabei auf staatliche Maßnahmen angewiesen sind, die sich an Arbeitgebende richten (OECD, 2021[1]). Kasten 4.6 beschreibt die beiden neuen Gesetze, die diese finanziellen Förderoptionen für Arbeitgebende regeln, ausführlich: das Qualifizierungschancengesetz und das Arbeit-von-morgen-Gesetz.
Die Bundesländer ergänzen diese finanziellen Anreize je nach regionalem Bedarf, Berlin hatte vor Beginn der COVID-19-Pandemie jedoch keine zusätzlichen finanziellen Anreize für Einzelpersonen im Angebot. Im Jahr 2019 boten 10 von 16 Bundesländern zusätzliche Gutscheine, über die direkte Kosten beruflicher Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gedeckt werden konnten. Die Zielgruppe dieser zusätzlichen Angebote waren vor allem Personen mit niedrigem Bildungsstand und geringem Einkommen sowie Arbeitnehmende und Eigentümer*innen von Klein- und Kleinstunternehmen (OECD, 2021[1]). Einige Maßnahmen zielen jedoch auch auf die Ausbildung spezifischer Kompetenzen ab. Ein Beispiel ist der „Bayerische Bildungsscheck“, ein Programm, das bis Juli 2021 lief. Es wurde vom Europäischen Sozialfonds gefördert und zahlte 500 EUR an Arbeitnehmende, die ihre digitalen Kompetenzen in Schulungskursen von mindestens 8 Stunden Dauer ausbauen wollten (Bayerisches Staatsministeriums für Familie, 2021[16]). Zusätzlich zu den Bildungsgutscheinen boten 8 von 16 Bundesländern 2019 Weiterbildungsprämien für formale berufliche Weiterqualifizierungsmaßnahmen an (OECD, 2021[1]).
Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie führte die Berliner SenIAS eine Weiterbildungsprämie für Arbeitnehmende ein, die während der Pandemie ihre Arbeitszeit reduzieren mussten. Wie andere OECD-Länder hat auch Deutschland ein System zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in Form von Kurzarbeit eingeführt, um die Beschäftigungsverluste infolge der COVID-19-Pandemie einzudämmen. Seit März 2020 können Unternehmen finanzielle Unterstützung beim Bund beantragen, wenn 10 % ihrer Belegschaft von Arbeitszeitverkürzungen betroffen sind. Die öffentlichen Arbeitsämter erstatten den Arbeitgebenden die Kosten für diese Arbeitszeitverkürzungen, während die Beschäftigten für nicht geleistete Stunden auch weiterhin einen Teil ihres Gehalts erhalten (OECD, 2021[17]). Um die Inanspruchnahme von Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen durch die betroffenen Beschäftigten zu fördern, hat die SenIAS eine zusätzliche Prämie eingeführt. Beschäftigte in Kurzarbeit erhalten monatlich 250 Euro, wenn sie an jedem Tag des Monats an Bildungs- oder Ausbildungsmaßnahme teilnehmen. Längere oder kürzere Ausbildungskurse werden proportional zu diesem Wert gefördert. Förderfähig sind nur Kurse, die von der BA Berlin-Brandenburg angeboten werden (Senatsverwaltung für Integration Arbeit und Soziales, 2021[18]).
Aufgrund des hohen Anteils an Solo-Selbstständigen in Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Regionen und Städten bilden diese eine natürliche Zielgruppe für Initiativen auf kommunaler Ebene. Wie oben bereits ausgeführt, sind sowohl der Anteil der Selbständigen an der Gesamtbeschäftigung als auch der Anteil der Solo-Selbständigen an den Selbständigen in Berlin höher als in anderen deutschen Städten und Regionen. Im OECD-Raum wird die Fort- und Weiterbildung von Solo-Selbstständigen durch fünf Hauptinstrumente gefördert: Steuerabzüge, Subventionen, finanzielle Anreize, Lohnersatzsysteme und Arbeitslosenversicherungspläne (OECD, 2019[11]). Kasten 4.5 liefert ein Beispiel aus Wien, Österreich, wo für einige Solo-Selbständige Ausbildungsmaßnahmen finanziert werden.
Kasten 4.5. Das Waff-Bildungskonto – Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Solo-Selbstständige in Wien, Österreich
Während Unterstützungsprogramme normalerweise von den nationalen Regierungen umgesetzt werden, gibt es auch einige Initiativen auf kommunaler Ebene, die sich an Solo-Selbständige richten. In Wien, Österreich, bietet das Waff-Bildungskonto Ausbildungsbeihilfen für bestimmte Solo-Selbständige, die ihre Geschäftserlaubnis oder ihren Hauptwohnsitz in Wien haben, im Besitz eines gültigen Gewerbescheins sind, nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz versichert sind und keine Arbeitnehmenden beschäftigen.
Der Waff finanziert Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Ausbau der unternehmerischen Kompetenzen und zur Verbesserung der kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten. Letztere umfassen Kurse in den Bereichen Rechnungswesen, Controlling, Büroorganisation oder Zeitmanagement. Gefördert werden aber auch Kurse zum Erwerb und zur Verbesserung digitaler Kompetenzen. Dazu gehören Kurse in den Bereichen Social Media, Photoshop, ICDL oder e-Billing. Schließlich finanziert der Waff auch Sprachkurse, etwa in Wirtschaftsenglisch oder Wirtschaftsdeutsch. Formale Ausbildungen, die zu Abschlüssen führen, sind nicht vorgesehen.
Der Waff übernimmt 80 % der gesamten Ausbildungskosten bis zu einem Höchstbetrag von 2.000 EUR. Die Anzahl der Kurse, die man besuchen kann, bis der Höchstbetrag erreicht ist, ist nicht gedeckelt. Zur Vereinfachung des Verfahrens können Bewerbungen vor Kursbeginn bis zu vier Wochen nach dem Starttermin eingereicht werden.
Quelle: OECD (2019[11]), OECD Employment Outlook 2019: The Future of Work; Waff (2021[19]) , Weiterbildungsförderung für Ein-Personen-Unternehmen (EPU).
Bildungsurlaubsgesetz
Das Bildungsurlaubsgesetz in Berlin bietet im Vergleich zu anderen Bundesländern großzügige Bestimmungen. Die Bildungsurlaubsgesetze fallen in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer und ermöglichen es Beschäftigten, sich für Bildungszwecke von ihrer Arbeit freistellen zu lassen. Bis auf zwei Bundesländer verfügen alle Bundesländer in Deutschland über solche Bildungsurlaubsgesetze. Tabelle 4.4 macht deutlich, wie großzügig die Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern sind. Die meisten Bundesländer bieten ihren Beschäftigten fünf Tage Bildungsurlaub pro Jahr. Das Berliner Modell, das alle zwei Jahre 10 Tage anbietet, ermöglicht im Vergleich zum herkömmlichen Modell eine gewisse Flexibilität. Das Gesetz sieht vor, dass Bildungsurlaub für berufliche Weiterbildung und politische Bildung gewährt wird. Politische Bildung wird dabei weit gefasst und umfasst die allgemeine Erwachsenenbildung zu breiteren gesellschaftlichen Themen.
Tabelle 4.4. Die Großzügigkeit der Bildungsurlaubsgesetze in den deutschen Bundesländern
Bundesland |
Bildungsurlaubsgesetz |
Bezahlter Urlaub |
Erstattung der Löhne und Gehälter für Arbeitgebende |
Dauer des Urlaubs |
---|---|---|---|---|
Baden-Württemberg |
Ja |
Ja |
Nein |
5 Tage pro Jahr, nicht kumulierbar |
Bayern |
Nein |
– |
– |
– |
Berlin |
Ja |
Ja |
Nein |
10 Tage pro 2 Jahre |
Brandenburg |
Ja |
Ja |
Nein |
10 Tage pro 2 Jahre; Kumulierung von Urlaubsansprüchen auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden möglich |
Bremen |
Ja |
Ja |
Nein |
10 Tage pro 2 Jahre |
Hamburg |
Ja |
Ja |
Nein |
10 Tage pro 2 Jahre |
Hessen |
Ja |
Ja |
Unternehmen mit <20 Beschäftigten können einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von 50 % des Arbeitsentgelts für berufliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und politische Bildung beantragen; alle Unternehmen können einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von 100 % für Lehrgänge zum Zwecke der ehrenamtlichen Tätigkeit (Ehrenamt) beantragen |
5 Tage pro Jahr, kann über zwei Jahre kumuliert werden |
Mecklenburg-Vorpommern |
Ja |
Ja |
Unternehmen können 55-110 EUR Lohnkostenzuschuss pro Tag beantragen |
5 Tage pro Jahr, nicht kumulierbar |
Niedersachsen |
Ja |
Ja |
Nein |
5 Tage pro Jahr, kann über zwei Jahre kumuliert werden |
Nordrhein-Westfalen |
Ja |
Ja |
Nein |
5 Tage pro Jahr, kann über zwei Jahre kumuliert werden |
Rheinland-Pfalz |
Ja |
Ja |
Unternehmen mit <50 Beschäftigten können einen Lohnkostenzuschuss in Höhe von 50 % des Durchschnittslohns im Bundesland beantragen |
10 Tage pro 2 Jahre |
Saarland |
Ja |
Ja |
2 Tage + 4 halbe Tage pro Jahr |
|
Sachsen |
Nein |
– |
– |
– |
Schleswig-Holstein |
Ja |
Ja |
5 Tage pro Jahr, kann über zwei Jahre kumuliert werden |
|
Sachsen-Anhalt |
Ja |
Ja |
5 Tage pro Jahr, kann über zwei Jahre kumuliert werden |
|
Thüringen |
Ja |
Ja |
5 Tage pro Jahr, kann bei Ablehnung über zwei Jahre kumuliert werden |
Anmerkung: Am 1. September 2021 trat das neue Berliner Bildungszeitgesetz in Kraft.
Quelle: Übersicht für Bundesländer anhand von OECD (2021, p. 129[1]) mit Ergänzungen aus dem Berliner Bildungszeitgesetz (BiZeitG, Fassung vom 5. Juli 2021).
Bildungsurlaub wird in Berlin nach wie vor relativ wenig genutzt, allerdings ließ sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts bereits ein leichter Aufwärtstrend beobachten. Im Jahr 2018, dem letzten Jahr, für das vollständige Daten vorliegen, nahmen 16.520 Beschäftigte in Berlin Bildungsurlaub. Dies entspricht ca. 1 % der zugrunde liegenden förderfähigen Bevölkerung. In absoluten Zahlen hat sich die Zahl der Personen, die Bildungsurlaub nehmen, damit im Vergleich zum Jahr 2010, als 9.834 Personen diese Möglichkeit in Anspruch nahmen, deutlich erhöht. Da die Zahl der Erwerbspersonen im selben Zeitraum jedoch ebenfalls gestiegen ist, fiel der Zuwachs bei der relativen Anzahl der Teilnehmer nur geringfügig aus (Abbildung 4.7).
Die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmenden, die Bildungsurlaub nahmen, wollten sich damit beruflich weiterbilden. Im Jahr 2018 nahmen 85 % der Personen, die Bildungsurlaub in Anspruch nahmen, an einer berufsbezogenen Weiterbildung teil. Etwa 10 % der Befragten nahmen sich eine Auszeit von ihrer Arbeit, um Kurse zur politischen Bildung zu besuchen. Weitere 5 % der Personen, die Bildungsurlaub nahmen, entschieden sich für eine Kombination aus beiden Arten der Fort- und Weiterbildung.
Frauen nehmen in Berlin häufiger Bildungsurlaub als Männer. Die in Abbildung 4.7 aufgeführten Daten lassen sich weiter nach Geschlecht und Bildungsstand aufschlüsseln. Im Jahr 2018 waren 57 % der Personen, die Bildungsurlaub in Anspruch nahmen, weiblich, womit sich ein historischer Trend fortsetzt. Seit 1991 kommen Frauen in jedem der gemeldeten Jahre auf mehr als 50 % der Personen, die Bildungsurlaub nahmen.
Personen ohne Berufsabschluss bilden nur einen verschwindend geringen Anteil der Personen, die Bildungsurlaub nehmen. Nur 7 % der Arbeitnehmenden, die zu Bildungszwecken von der Arbeit freigestellt wurden, verfügten nicht über einen beruflichen Abschluss. Die Daten der EU-AKE machen deutlich, dass der Anteil der Berliner Erwerbspersonen ohne Berufsabschluss (ein Bildungsstand unterhalb von Sekundarstufe II) bei den 25- bis 64-Jährigen im Jahr 2018 bei 12,9 % lag. Personen mit niedrigem Bildungsstand sind damit unter denjenigen, die Bildungsurlaub in Anspruch nehmen, unterrepräsentiert, obwohl sie eigentlich zu den Gruppen gehören, die am meisten von einer zusätzlichen Aus- oder Weiterbildung profitieren sollten.
Finanzielle Anreize für Unternehmen
Berliner Unternehmen unterstreichen, wie wichtig finanzielle Anreize für den Ausbau ihres Weiterbildungsangebots sind. Abbildung 4.8 zeigt, dass 73 % der von der IHK befragten Berliner Unternehmen finanzielle Unterstützung als sinnvollste Form der Förderung für den Ausbau der betrieblichen Fort- und Weiterbildung angeben. 52 % der Unternehmen geben an, dass eine höhere Flexibilität bei der finanziellen Unterstützung durch die Regierung nützlich wäre. Zugang zu Informationen über Fort- und Weiterbildungsangebote und Unterstützung bei der Planung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sind weitere Gründe, die von 30 % bzw. 29 % der befragten Unternehmen angegeben werden.
Die Bundesregierung bietet großzügige finanzielle Anreize für mehr Weiterbildung in kleinen Unternehmen. Die Bundesregierung hat unlängst zwei neue Gesetze verabschiedet, das Qualifizierungschancengesetz und das Arbeit-von-morgen-Gesetz, die Unternehmen in ihren Bemühungen, ihren Beschäftigten Weiterbildungsmaßnahmen anzubieten, unterstützen. Die Höhe des Zuschusses hängt von mehreren Parametern ab, wie z. B. der Größe des Unternehmens, dem Anteil der Arbeitnehmenden im Unternehmen, die eine Weiterbildung benötigen, der Art der angebotenen Fort- und Weiterbildung sowie dem Bildungsstand und der Berufserfahrung der Teilnehmer*innen. Sehr kleine Unternehmen können bis zu 100 % der ihnen entstandenen direkten und indirekten Kosten erstattet bekommen. In Kasten 4.6 werden diese Gesetze ausführlicher beschrieben.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern bietet Berlin den Unternehmen keine zusätzlichen finanziellen Anreize zur Verbesserung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. In Deutschland ergänzen 13 von 16 Bundesländern die vom Bund bereitgestellten Instrumente (OECD, 2021[1]). Einige dieser Maßnahmen sind älter als die neuen, im Qualifizierungschancengesetz und im Arbeit-von-morgen-Gesetz vorgesehenen Instrumente und dürften daher auslaufen. Einige dieser ergänzenden Initiativen schließen jedoch wichtige Lücken: So unterstützen die Bundesländer in der Regel Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen ohne Untergrenze bezüglich der Dauer der Maßnahme. Die Maßnahmen, die im Rahmen des bundesweiten Qualifizierungschancengesetzes und des Arbeit-von-morgen-Gesetzes finanziert werden, wo die Mindestkursdauer drei Wochen beträgt, um für eine Finanzierung in Frage zu kommen, erhalten auf diese Weise zusätzliche Flexibilität. Maßnahmen auf Landesebene werden häufig aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) kofinanziert (OECD, 2021[1]).
Kasten 4.6. In Deutschland wurden vor Kurzem zwei neue Gesetze eingeführt, die die finanzielle Förderung für Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen von KMU stärken
Qualifizierungschancengesetz
Das Qualifizierungschancengesetz trat im Januar 2019 in Kraft. Es gehört zur nationalen Ausbildungsstrategie Deutschlands und ersetzt das WeGebAU-Programm 2006-2019, in dessen Rahmen KMU Zuschüsse gewährt wurden. Das WeGebAU-Programm richtete sich speziell an ältere Arbeitnehmende sowie an Erwachsene mit niedrigem Bildungsstand. Das neue Qualifizierungschancengesetz verfolgt vorrangig das Ziel, den Zugang zu geförderten Bildungsangeboten für alle Arbeitnehmenden auszubauen, wenn diese vom Strukturwandel betroffen sind oder in Berufen arbeiten, die durch einen Fachkräftemangel gekennzeichnet sind (Engpassberuf). Nach dem neuen Gesetz können Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bezuschusst werden, wenn die Schulung mindestens vier Wochen dauert und der oder die teilnehmende Beschäftigte über mindestens drei Jahre Berufserfahrung verfügt.
Die Höhe des Zuschusses hängt von der Größe des Unternehmens, dem Anteil der Arbeitnehmenden im Unternehmen, die eine Weiterbildung benötigen, der Art der angebotenen Fort- und Weiterbildung sowie dem Bildungsstand und der Berufserfahrung der Teilnehmer*innen ab. Es werden sowohl Teilzeit- als auch Vollzeitausbildungsmöglichkeiten unterstützt, sofern die Mindestausbildungsdauer eingehalten wird.
Direkte Kosten für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in KMU mit weniger als 10 Beschäftigten, Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte über 45 Jahren und Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte mit niedrigem Bildungsstand werden vollständig übernommen. Großunternehmen mit mehr als 2.500 Beschäftigten können nur bis zu 20 % der Ausbildungskosten geltend machen, was ihre größere Fähigkeit und Bereitschaft widerspiegelt, Ausbildungsmaßnahmen im eigenen Unternehmen anzubieten.
Indirekte Ausbildungskosten, d. h. Lohnkosten, die dem Arbeitgebenden in der Zeit entstehen, in der die Arbeitnehmenden eine Bildungsmaßnahme absolvieren, werden ebenfalls übernommen. Der jeweilige Kostendeckungsgrad hängt wiederum von mehreren Parametern ab, die denen der direkten Ausbildungskosten ähneln. In KMU mit weniger als 10 Beschäftigten können zwischen 75 % (Basiswert) und 100 % der Lohnkosten geltend gemacht werden, je nach Bildungsstand der teilnehmenden Beschäftigten. In größeren KMU mit bis zu 250 Beschäftigten werden zwischen 50 % (Basiswert) und 100 % der Lohnkosten übernommen, je nach Bildungsstand der teilnehmenden Beschäftigten.
Gesetz über die Arbeit von morgen
Das Arbeit-von-morgen-Gesetz baut auf dem Qualifizierungschancengesetz auf und erweitert es in einigen Details. Das Gesetz trat im August 2020 in Kraft. Es erhöht einige der Subventionen für Unternehmen, die vom Strukturwandel betroffen sind. Vor allem aber wird die Mindestdauer der förderfähigen Ausbildungsmaßnahmen von vier auf drei Wochen reduziert. Hinzu kommt, dass die Mittel für die Weiterbildung um zehn Prozentpunkte angehoben werden, sofern mindestens jeder fünfte Beschäftigte in einem Unternehmen eine Weiterbildungsmaßnahme benötigt. Bei KMU, die mehr als 10 und weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen, erfordert die Erhöhung um zehn Prozentpunkte nur, dass 10 % der Mitarbeiter einen Ausbildungsbedarf haben.
Quelle: OECD (2021[1]), Continuing Education and Training in Germany.
Die ersten Daten für ganz Deutschland zeigen jedoch, dass diese neuen Maßnahmen nach wie vor nur in geringem Umfang in Anspruch genommen werden, insbesondere von den kleinsten KMU. Eine Befragung der BA vom Oktober/November 2020 ergab, dass nur jedes zehnte deutsche Unternehmen die neuen Finanzierungsinstrumente zur Förderung der Fort- und Weiterbildung nutzt. Von den befragten Unternehmen, die weniger als 10 Mitarbeiter*innen beschäftigen, kannten nur 26 % die neuen Instrumente, gegenüber 67 % der Unternehmen, die mehr als 250 Mitarbeiter*innen beschäftigen. Nur 6 % der kleinsten Unternehmen hatten die finanziellen Fördermaßnahmen bereits in Anspruch genommen, während es bei den großen Unternehmen 35 % waren. Unternehmen, die zwischen 11 und 250 Mitarbeiter beschäftigen, liegen bei beiden Kennzahlen zwischen diesen Extremen (Institute for Employment Research, 2021[20]).
Von Arbeitgeberseite wurden fünf Gründe für die geringe Inanspruchnahme der finanziellen Förderung zur Erhöhung des Weiterbildungsangebots angegeben. 53 Prozent der deutschen Unternehmen, die die finanziellen Fördermöglichkeiten der Weiterbildung kannten, aber nicht in Anspruch nahmen, gaben an, keine geeigneten Fort- und Weiterbildungsangebote für ihre Beschäftigten gefunden zu haben. 37 % der Befragten gaben an, dass der Verwaltungsaufwand zu hoch sei, 34 % lehnten eine Zusammenarbeit mit der BA ab, 30 % der befragten Unternehmen gaben an, dass ihre Mitarbeiter nicht an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen interessiert seien, und 27 % gaben an, dass die vorgeschriebene Mindestdauer, um finanzielle Förderung zu erhalten, zu lang sei (Institute for Employment Research, 2021[20]). Zusammengenommen scheinen mangelndes Wissen vor allem bei kleineren Arbeitgebenden und der Mangel an (personellen) Ressourcen, um sich in den Angeboten zurechtzufinden, die größten Hindernisse zu sein, die einer Inanspruchnahme der Angebote im Weg stehen.
Obwohl die finanziellen Fördermaßnahmen nur in geringem Umfang genutzt werden, legen Berliner Arbeitgebende auch weiterhin Wert auf Fort- und Weiterbildung und melden einen steigenden Bedarf am Ausbau digitaler Kompetenzen. Abbildung 4.9 zeigt, dass die Bedeutung der Weiterbildung für die Arbeitgebenden insgesamt in etwa konstant geblieben ist. Einige Weiterbildungsinhalte haben bei den Arbeitgebenden allerdings an Bedeutung gewonnen, während die Entwicklung einiger anderer Fähigkeiten inzwischen weniger relevant ist. So ist beispielsweise der Anteil der Arbeitgebenden, die digitale Kompetenzen und die Fähigkeit zur Anpassung an die Digitalisierung angeben, zwischen 2016 (2017) und 2019 um 16 bzw. 13 Prozentpunkte gestiegen. Auf der anderen Seite ist der Anteil der Arbeitgebenden, die unternehmensspezifische Kenntnisse als besonders wichtiges Fort- und Weiterbildungsthema nennen, im selben Zeitraum um 16 Prozentpunkte zurückgegangen. Die Werte für die Entwicklung anderer Kompetenzen, wie Projektmanagement und Fremdsprachenkenntnisse, sind konstant geblieben. Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass Berliner Arbeitgebende die zunehmende Bedeutung von Qualifikationen anerkennen, die es den Beschäftigten ermöglichen, sich an einen sich verändernden Arbeitsmarkt anzupassen.
Um die Berliner KMU in die lokale Kompetenzentwicklung einzubeziehen, sind innovative Lösungen erforderlich. Die Analyse in diesem Kapitel legt nahe, dass finanzielle Förderung zwar wichtig ist, allein aber oft nicht ausreicht, um das Bildungs- und Ausbildungsangebot in KMU auszubauen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Qualifikationen der Beschäftigten in den KMU im Einklang mit den strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt aktualisiert und verbessert werden müssen. Andere Städte im OECD-Raum sehen daher inzwischen allmählich die Notwendigkeit, über finanzielle Anreize hinauszugehen. Die Stadt Vantaa, Finnland, sucht inzwischen beispielsweise proaktiv den Kontakt mit den KMU. Die Ausbildungsprogramme werden dann gemeinsam mit den KMU entwickelt. In Kasten 4.7 wird der von der Stadt Vantaa verfolgte Ansatz ausführlicher beschrieben.
Kasten 4.7. Förderung von Wachstum und sozialen Investitionen in KMU durch Kompetenzentwicklung in Vantaa, Finnland
Die Stadt Vantaa, die viertgrößte Stadt Finnlands, hat die Notwendigkeit erkannt, ein neues Modell zur Förderung von Bildung und Ausbildung in KMU zu entwickeln.
Das Projekt Urban Growth Vantaa bringt relevante städtische Abteilungen, Bildungsanbieter, Forschungsinstitute und Unternehmen in Vantaa zusammen, um ein lokales Ökosystem für Arbeitsplätze und Qualifikationen zu entwickeln, mit dem Ziel, sowohl lokale KMU als auch deren Mitarbeiter*innen bei Beschäftigung, Weiterbildung und Digitalisierung zu unterstützen. Die Hauptzielgruppe der Initiativen sind Erwachsene mit niedrigem Bildungsstand, die in KMU beschäftigt sind und traditionell nicht in die Kategorie der kontinuierlichen Lernenden fallen. Diese spezielle Gruppe ist häufig von Arbeitsplatzverlusten aufgrund der Automatisierung von Produktionsprozessen bedroht. Eine zweite Zielgruppe sind Führungskräfte von KMU, die ein verantwortungsvolles Wachstum ihres Unternehmens anstreben.
Arbeitnehmende in KMU werden in der Regel durch ein gemeinsam entwickeltes Ausbildungsprogramm gefördert. Diese Ausbildungsprogramme richten sich an Einzelpersonen und bieten ihnen die Chance, einen Berufsabschluss zu erwerben. Die Lösung von Urban Growth Vantaa besteht darin, mit Unternehmen in Kontakt zu treten, um KMU-Entscheidungsträger*innen und Arbeitnehmenden gleichzeitig Ideen für Ausbildungsmaßnahmen und deren Vorteile vorzustellen. In einem ersten Schritt werden KMU mit 10-200 Beschäftigten von den Projektkoordinator*innen angesprochen. Anschließend werden die KMU einer Bedarfsanalyse unterzogen, um den Qualifikationsbedarf im Rahmen von Umfragen zu ermitteln. Die KMU werden dann über die verschiedenen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten informiert, mithilfe derer sich diese relevanten Kompetenzen entwickeln ließen. Anschließend wird ein Gespräch mit den einzelnen Arbeitnehmenden geführt und eine geeignete Ausbildungsmaßnahme für sie ermittelt. Die Ausbildungsmaßnahmen sind für die Beschäftigten kostenlos, und die KMU zahlen ihnen weiterhin ihr volles Gehalt. Wenn die Kürzung der Arbeitszeit bei Fortzahlung des vollen Gehalts von den KMU nicht getragen werden kann, gibt es finanzielle Unterstützungsprogramme.
Alternativ können die Mitarbeiter*innen von KMU in einem so genannten Wachstumscoaching-Programm geschult werden. Das Programm ist ähnlich aufgebaut, verfolgt aber einen zukunftsorientierten Ansatz. Der Bedarf an Unternehmensentwicklung wird in Absprache mit den Führungskräften der KMU ermittelt, und die Beschäftigten durchlaufen dann die entsprechenden Schulungen, um diesen Bedarf zu decken.
Das Projekt Urban Growth Vantaa trägt den Ressourcenbeschränkungen von KMU Rechnung und führt die Idee einer „zentralen Anlaufstelle“ ein. Zu diesem Zweck wird jedem KMU ein/eine Projektkontoverantwortliche*r zugewiesen, der die Fort- und Weiterbildungsbemühungen mit einem/einer Vertreter*in des Unternehmens koordiniert.
Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) fördert das Projekt mit rund 4 Millionen Euro. Das Projekt hat bisher 70 KMU erreicht und 714 Erwachsene geschult oder gefördert. Es läuft zunächst von Januar 2019 bis April 2022.
Quelle: Urban Innovative Actions Initiative (2021[21]), Urban Growth-GSIP Vantaa - Growth and Social investment Pacts for Local Companies in the City of Vantaa.
Als Reaktion auf die knappen Ressourcen von KMU entstehen in Berlin in letzter Zeit sogenannte Weiterbildungsverbünde. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS) 2021 initiierten Arbeitgebernetzwerke Weiterbildung verfolgen das Ziel, lokale Unternehmen, Akteure der Weiterbildungslandschaft sowie regionale Arbeitsmarktakteure zusammenzubringen. Sie zielen darauf ab, gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen zu entwickeln und zu organisieren, die sich ressourcenschonend über Unternehmensgrenzen hinweg umsetzen lassen. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem der Austausch zwischen den Partnern eines Netzwerks, die Identifizierung von Weiterbildungsbedarfen in den beteiligten Unternehmen sowie die Beratung zu und Recherche nach geeigneten Weiterbildungsangeboten. Vier solcher Arbeitgebernetzwerke in Berlin erhalten bereits eine erste Förderung vom BMAS. Tabelle 4.5 stellt die Netzwerke im Überblick dar. Die Finanzierung deckt bis zu 70 % der Kosten, die diesen Netzen entstehen, bis zu einem Höchstbetrag von 1 Mio. EUR für 36 Monate (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2021[22]).
Zwei dieser Weiterbildungsnetzwerke für Arbeitgebende konzentrieren sich ausdrücklich auf die Entwicklung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die digitalen Kompetenzen verbessern und neu entstehende Qualifikationsbedarfe im Zusammenhang mit der Automatisierung von Produktionsprozessen berücksichtigen sollen. Sowohl das Netzwerk Großbeerenstraße als auch das R-Learning Kollektiv planen, ihren Schwerpunkt auf die Entwicklung von Kursen zu legen, die ihren Mitglieder*innen helfen, die digitalen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Der Erfolg der Arbeitgebernetzwerke für Fort- und Weiterbildung wird davon abhängen, wie gut es ihnen gelingt, KMU einzubinden, die ihren Beschäftigten bisher keine Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen angeboten haben. Zu diesem Zweck könnte die Stadt Berlin die Teilnahme von Kleinstunternehmen an den Netzwerken fördern. Die SenIAS könnte die Entwicklungen in Netzwerken wie dem Netzwerk Großbeerenstraße, für das sie als Partner fungiert, genau verfolgen. Zur Weiterentwicklung der Netzwerke über den ersten Förderzeitraum hinaus könnte die Stadt Berlin die Vorschläge der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) aufgreifen. Die BDA schlägt vor, große Unternehmen in solche Netzwerke einzubinden. Diese könnten ihre Ausbildungskurse und Werkstätten außerhalb der regulären Betriebszeiten öffnen und mit ihrem Fachwissen Fortbildungen zu neuen Maschinen und Technologien für Mitarbeiter*innen von KMU anbieten (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, 2021[23]). Langfristig könnte die SenIAS die Koordination dieser Bemühungen übernehmen.
Tabelle 4.5. Fort- und Weiterbildungsnetzwerke für Arbeitgebende in Berlin
Ursprünglicher Name |
Beteiligte Akteure |
Schwerpunkt |
---|---|---|
Modellhafte Etablierung einer Koordinierungsstelle für den Aufbau eines Weiterbildungsverbundes im Automotive-Cluster Berlin-Brandenburg (MEKA-BB) |
Institut für berufliche Bildungsforschung e.V. (IBBF); Gesellschaft zur Förderung von Bildungsforschung und Qualifizierung GmbH (GEBIFO); Zentrum Aus- und Weiterbildung GmbH Ludwigsfelde-Luckenwalde |
Automobilindustrie |
HOGA.Co |
bildungsmarkt e.v., Dehoga, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG, IHK |
Gastgewerbe |
R-Learning Kollektiv |
GFBM Akademie gGmbH; ITS mobility GmbH; ABB Ausbildungszentrum Berlin; Berufsbildungsverein Prenzlau |
Steuerungstechnik, Digitalisierung und Automatisierung |
Weiterbildungsverbund der Berlin-Brandenburger Unternehmensnetzwerke (WBV) |
Netzwerk Großbeerenstraße e.V. |
Digitalisierung, Nachhaltigkeit, künstliche Intelligenz, Ausbildungsqualität und interkulturelle Organisationsentwicklung |
Quelle: OECD (2022[15]).
Erhöhung der Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gefährdeter Bevölkerungsgruppen für eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt
Eine bessere Integration der starken Berliner Volkshochschulen als Ort der Weiterbildung und Berufsberatung in das lokale Weiterbildungsökosystem könnte vor allem Migrant*innen zugutekommen
Gemessen an der Zahl der angebotenen Unterrichtsstunden pro Kopf hat Berlin eines der bundesweit stärksten VHS-Systeme. Abbildung 4.10 zeigt die Anzahl der VHS-Kurse pro 1.000 Einwohner*innen in Berlin (Bild A) und die in der Berliner VHS angebotenen Bildungs- und Ausbildungsstunden pro 1.000 Einwohner*innen (Bild B) im Jahr 2019. Während die Zahl der angebotenen VHS-Kurse im Bundesländervergleich im Mittelfeld liegt, kommt das Berliner VHS-Angebot mit 243 Stunden Bildung und Ausbildung pro 1.000 Einwohner*innen nach Niedersachsen und Baden-Württemberg mit 282 bzw. 262 Stunden pro 1.000 Einwohner*innen auf Platz 3. Beide Kennzahlen zusammengenommen deuten darauf hin, dass die VHS in Berlin gegenüber anderen Bundesländern vor allem Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen von relativ längerer Dauer anbieten.
Ein auffälliges Merkmal des Fort- und Weiterbildungsangebots der VHS in Berlin ist die große Anzahl an Sprachkursen Abbildung 4.11 zeigt, dass die Erklärung für die relativ lange Dauer der Kurse an der Berliner VHS in dem relativ großen Anteil von Sprachkursen am gesamten Kursangebot zu suchen ist. Im Jahr 2019 waren 50,4 % der Kurse an den Berliner VHS Sprachkurse, gegenüber 32,3 % im Durchschnitt aller Bundesländer. Sprachkurse erfordern relativ mehr Unterrichtsstunden als Kurse zu anderen häufig vermittelten Themen wie Gesundheit oder Kultur. Kurse zu Gesundheit und Kultur kamen auf 18,1 % bzw. 16,3 % des gesamten Kursangebots in Berlin im Jahr 2019, gegenüber 34,7 % bzw. 15,9 % für Deutschland insgesamt. Im selben Jahr betrug der Anteil der berufsbezogenen Ausbildungsmaßnahmen in den Bereichen IT und Management an der Gesamtzahl der Kurse in Berlin nur 9,2 % (Deutschland insgesamt: 8,1 %).
Die meisten dieser von den VHS angebotenen Sprachkurse sind Deutschkurse. Zwar gibt es keine Daten speziell für Berlin, aber 68 % der von den VHS in Deutschland insgesamt angebotenen Sprachkurse im Jahr 2019 waren Deutschkurse. Davon wurden 53 % im Rahmen von Integrationskursen angeboten, die vom Bundesamt für Migration und Geflüchtete finanziert werden. Diese Integrationskurse sind für Migrant*innen, die keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache haben, bisweilen obligatorisch. Sowohl die Jobcenter (falls Migrant*innen Sozialhilfe erhalten) als auch das Landesamt für Einwanderung können Migrant*innen zur Teilnahme an diesen Kursen verpflichten.
Während jedoch viele Migrant*innen die Deutschkurse der VHS zur Integration in die deutsche Gesellschaft nutzen, bieten die VHS in Berlin derzeit keine Beratung zur Integration in den Arbeitsmarkt an. Eine der auffälligen Beobachtungen in Abbildung 4.12 ist die von den VHS in Hessen angebotene Arbeitsmarktberatung im Vergleich zu anderen deutschen Bundesländern, wobei Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt überhaupt keine Arbeitsmarktberatung anbieten. Auch in anderen Bundesländern existieren solche Angebote in den VHS, wenn auch in begrenztem Umfang. Besonders erwähnenswert ist, dass in Hessen mehr als 35.000 Menschen in den VHS eine Arbeitsmarktberatung erhielten. Finanziert werden diese Beratungsleistungen in Hessen unter anderem aus dem Hessischen Weiterbildungspakt, einer Initiative des Landes Hessen zur Stärkung des Fort- und Weiterbildungssystems. Die VHS in Frankfurt am Main, Wiesbaden und Groß-Gerau haben auf der Grundlage bestehender Projekte einen Best-Practice-Leitfaden zu Fort- und Weiterbildung und Berufsorientierung entwickelt. Ein Beispiel für die Arbeitsmarktberatung für Migrant*innen wird im Kasten 4.8 ausführlicher beschrieben.
Kasten 4.8. Arbeitsmarktberatung für Migrant*innen bei der VHS Wiesbaden, Hessen
Im Jahr 2020 haben drei VHS aus Frankfurt am Main, Wiesbaden und Groß-Gerau einen Best-Practice-Leitfaden erarbeitet, um Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem vom Hessischen Weiterbildungspakt geförderten Projekt „VHS – Ort für Bildung und Beratung“ zusammenzutragen. Ziel des Leitfadens ist es, Handlungsempfehlungen für alle VHS in Hessen und Deutschland abzuleiten, die ihre Beratungsangebote weiterentwickeln möchten.
Eines dieser Best-Practice-Beispiele der VHS Wiesbaden beschreibt detailliert, wie Migrant*innen, die an Deutschkursen der VHS teilnehmen, von Beratungsangeboten profitieren können, ohne dass eine Konkurrenzeinrichtung ins Leben gerufen werden muss. Zwei wichtige Säulen bilden die Grundlage des Konzepts.
Die erste Säule besteht darin, die bestehenden VHS-Strukturen zu nutzen und auf ihnen aufzubauen. In Wiesbaden bot der HESSENCAMPUS Wiesbaden, der institutionell dem Fachbereich Berufe und Karriere der VHS angegliedert ist, bereits Berufsberatung im Rahmen der Weiterbildungsberatung an. Diese allgemeine, für jedermann zugängliche Beratung umfasst Hinweise zur beruflichen Entwicklung, zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nach einer Karrierepause, zur Fort- und Weiterbildung, zur Erstausbildung, zu Qualifikationsanalysen, zur Hochschulbildung, zu Bildungsförderungsprogrammen und zum Verfassen von Bewerbungen. Die neue Initiative erweiterte diese allgemeine Berufsberatung um eine migrant*innenspezifische Beratung zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, allgemeine Informationen zum deutschen Bildungssystem, zur Berufsausbildung in Deutschland und zum Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt, zum Zusammenhang zwischen Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsmarkt sowie um eine Beratung zur Bedeutung von Sprachkenntnissen.
Die zweite Säule besteht darin, auf bestehende Netzwerke zurückzugreifen und neue Partnerschaften aufzubauen, um institutionsübergreifende Synergien zu gewährleisten. Der entscheidende Vorteil der VHS ist, dass ihre Zielgruppe, nämlich Migrant*innen, die entweder freiwillig an Deutschkursen teilnehmen oder dazu verpflichtet sind, bereits vorhanden ist. Die in der VHS angebotene Beratung doppelt bestehende Angebote jedoch nicht. Der HESSENCAMPUS Wiesbaden bietet eine erste Anlaufstelle zur Bedarfsermittlung und vermittelt die Teilnehmer*innen an relevante Institutionen wie Schulen, Jobcenter oder die BA. Zu diesen Netzwerken gehören auch migrant*innenspezifische institutionelle Anlaufstellen, die Migrant*innen in Fragen wie der Anerkennung ausländischer Abschlüsse unterstützen können.
Quelle: OECD-Zusammenfassung auf anhand der Volkshochschule Frankfurt am Main (2020[25]), Praxisordner Beratung - Themen, Vorgehensweisen, Erfahrungen.
Es gibt zwei Hauptgründe, warum Berlin in seinen VHS keine arbeitsmarktbezogene Beratung anbietet. Erstens wird in Berlin strikt zwischen allgemeiner Erwachsenenbildung und arbeitsmarktbezogener Bildung und Ausbildung unterschieden, die jeweils in die Zuständigkeit verschiedener Ministerien fallen. Zweitens gibt es in der Weiterbildungsberatungslandschaft in Berlin, wie aus Tabelle 4.2 hervorgeht, bereits zahlreiche und weit gestreute Anbieter.
Die Initiative MoBiBe („Mobile Bildungsberatung für Geflüchtete“) hat damit begonnen, diese Lücke zu schließen, indem sie neu angekommene Geflüchtete an strategischen Orten anspricht. MoBiBe wurde 2015 von der SenIAS als Reaktion auf die Ankunft zahlreicher Asylbewerber*innen initiiert und positioniert seine mobilen Einheiten strategisch in der Nähe von Einrichtungen, die Geflüchtete aufnehmen oder unterrichten, darunter auch die VHS. Um mehr Menschen auf die mobilen Einheiten aufmerksam zu machen, stellen MoBiBe-Mitarbeiter*innen ihr Beratungsangebot auch in Deutschkursen vor (Senatsverwaltung für Integration, 2015[26]).
Die Aktivitäten der MoBiBe sind zwar vielversprechend, aber noch relativ begrenzt und könnten ausgeweitet werden, um alle Migrant*innen einzubeziehen. Insgesamt führte MoBiBe im Jahr 2019 8.447 Beratungsgespräche durch, wobei 5.552 Personen beraten wurden. Im Vergleich dazu erreichte die Arbeitsmarktberatung der VHS in Hessen im selben Jahr 35.077 Personen (Abbildung 4.12). Die Gesamtbevölkerung Hessens lag 2019 bei 6,3 Millionen, Berlin kam auf 3,6 Millionen Einwohner*innen. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt in beiden Bundesländern auf einem ähnlichen Niveau (Berlin: 33,1 % im Jahr 2019; Hessen: 34,4 % im Jahr 2019). Obwohl MoBiBe generell auch für andere Migrant*innengruppen offen ist, richtet sich das Beratungsangebot derzeit hauptsächlich an Geflüchtete. Dies spiegelt sich in den Herkunftsländern der Personen wider, die die Beratungsangebote wahrnehmen. Im Jahr 2019 waren die meisten der beratenen Personen Syrer (20,4 %), Iraner (12,4 %) und Afghanen (9,6 %) (Senatsverwaltung für Integration Arbeit und Soziales, 2020[27]). Eine natürliche Option zur Ausweitung der vielversprechenden Arbeit von MoBiBe ist die Ausweitung auf Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht erst in letzter Zeit als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.
Vielversprechende innovative Initiativen, die auf vulnerable Bevölkerungsgruppen abzielen, beziehen sozialwirtschaftliche Akteure ein
In Berlin gibt es eine aktive Sozialwirtschaft, die Maßnahmen der Weiterbildung der Arbeitsämter sowie der Bundes- und der Landesregierung unterstützt und ergänzt. Die OECD definiert die Sozialwirtschaft als Gesamtheit der Organisationen und Vereinigungen, die von „Werten wie Solidarität und dem Vorrang der Menschen vor dem Kapital sowie demokratischen und partizipativen Prinzipien“ geleitet werden (OECD, 2021[28]). Erfahrungen aus der gesamten OECD zeigen, dass sozialwirtschaftliche Initiativen die lokalen Entwicklungsansätze nationaler, regionaler und lokaler Regierungen verstärken können (OECD, 2020[29]). In Berlin ergänzen einige Initiativen im Bereich der Fort- und Weiterbildung die in den vorangegangenen Abschnitten dieses Kapitels behandelten staatlichen Maßnahmen. Zwei von ihnen, das Grundbildungszentrum Berlin und die ReDI School of Digital Integration, werden im Folgenden eingehender behandelt.
Das Grundbildungszentrum Berlin richtet sich an erwachsene funktionale Analphabet*innen. Eine Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018 ergab, dass 12,1 % aller Erwachsenen in Deutschland Schwierigkeiten haben, den Sinn eines einfachen Textes zu erfassen, und/oder nicht imstande sind, solche Texte zu schreiben. Von diesen Erwachsenen waren 62 % erwerbstätig, 53 % waren deutsche Muttersprachler*innen und 78 % hatten mindestens die schulische Pflichtausbildung abgeschlossen. Zwar gibt es für Berlin keine expliziten Statistiken zum Analphabetismus bei Erwachsenen, doch lassen die relativ niedrige Erwerbsquote, der hohe Anteil an im Ausland geborenen Personen und der relativ hohe Anteil an Schulabbrecher*innen in Berlin vermuten, dass der Anteil der Erwachsenen, die in die Kategorie der funktionalen Analphabeten fallen, sogar noch höher sein könnte als im deutschen Durchschnitt. Das Grundbildungszentrum Berlin richtet sich an diese funktionalen Analphabet*innen, indem es als erste Anlaufstelle dient und Informationsveranstaltungen und individuelle Beratung anbietet. Der Grundbildungs-Atlas ist eine Zusammenstellung aller Berliner Lern- und Beratungsangebote und ist sowohl offline als auch online verfügbar (Berlin Centre for Basic Education, 2019[30]). Das Grundbildungszentrum Berlin ist ein Zusammenschluss zweier NGOs, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Grundbildung und Alphabetisierung von Erwachsenen legen. Die SenBJF bietet finanzielle Förderung.
Die vielversprechende Initiative „Alpha-Siegel“ des Grundbildungszentrums Berlin sensibilisiert für das Thema des (funktionalen) Analphabetismus bei Erwachsenen und könnte auf ganz Berlin ausgeweitet werden. Das Alpha-Siegel ist ein Label für Institutionen und Organisationen in Berlin. Es signalisiert, dass die in einem bestimmten Gebäude oder einer bestimmten Einrichtung angebotenen Dienstleistungen auch für Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten zugänglich sind. Um diese Kennzeichnung zu erhalten, müssen Mitarbeiter*innen geschult und die Gebäude und Einrichtungen mit leicht lesbaren Schildern ausgestattet werden. Kasten 4.9 beschreibt das Alpha-Siegel ausführlicher. Das Alpha-Siegel verringert das Stigma des Analphabetismus, indem es das Personal von öffentlichen Einrichtungen und Organisationen der Sozialwirtschaft darin schult, Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten auf bestehende Bildungs- und Ausbildungsangebote hinzuweisen. Es fördert damit die Grundbildung in Berlin und dient als wertvolles Instrument, um auch schwer erreichbare Bevölkerungssegmente anzusprechen.
Kasten 4.9. Das Berliner „Alpha-Siegel“ soll Grundbildung und soziale Inklusion erleichtern
Seit 2016 gibt es ein spezielles Qualitätssiegel für Einrichtungen und Organisationen, die ihre Dienstleistungen so anbieten, dass sie auch für Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten leicht zugänglich sind. Um das Siegel zu erhalten, müssen mindestens 20 % der Mitarbeiter*innen einer Einrichtung oder Organisation an einem halbtägigen Sensibilisierungsworkshop teilnehmen, und alle Kommunikationskanäle, wie z. B. Websites, müssen auch für Leser*innen mit geringer Lesekompetenz barrierefrei sein. In den physischen Räumen einer Organisation oder Einrichtung, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, müssen leicht lesbare Schilder gut erkennbar vorhanden sein. Die Entwicklung des Siegels sowie die Unterstützung der Anbieter während der Anpassungsphase werden vom Grundbildungszentrums Berlin und der SenBJF gefördert.
Im Jahr 2019 waren rund 70 Berliner Einrichtungen und Organisationen dabei, das Siegel zu erwerben, und mehr als 30 Organisationen hatten es bereits erhalten. Dazu gehören alle Anbieter von Grundbildungs- und Alphabetisierungsberatung sowie die Berliner Landeszentrale für politische Bildung, die Berliner Jobcenter und mehrere Gesundheitsdienstleister.
Quelle: OECD (2022[15]), Career guidance for low-qualified workers in Germany (forthcoming); Berlin Centre for Basic Education (2019[30]), Das Berliner Grund-Bildungs-Zentrum: Fortschritt und Stand.
Die ReDI School of Digital Integration richtet sich an Geflüchtete und vermittelt den Kursteilnehmer*innen fortgeschrittene Kenntnisse in Coding und Programmierung. Die ReDI-School bietet Geflüchteten kostenlos eine Reihe von Kursen zum Coding und Programmieren an. Zu diesen Kursen gehören Kurse zu Frontend-Webentwicklung, Data Science, Softwareentwicklung sowie weitere softwarespezifische Kurse mit Salesforce oder Azure. Die Angebote sind offen für ein breites Spektrum von Geflüchteten. Im Rahmen des digital women programme richtet die Schule sich mit einigen ihrer Coding-Angebote speziell an Frauen. Sie bietet Kinderbetreuung für die Dauer des Kurses und Dolmetschleistungen im Unterricht an, um die Teilnahme von Frauen zu fördern, die weder Englisch noch Deutsch sprechen. Frauen machen daher 60 % der Kursteilnehmer aus. Weitere Angebote umfassen auch Programme für Kinder ab 9 Jahren und Jugendliche ab 17 Jahren. 75 Prozent der Absolvent*innen des ReDI Digital Career Program und seines Kernmoduls haben derzeit einen bezahlten Arbeitsplatz, zumeist in der Technologiebranche. In Kasten 4.10 finden Sie weitere Informationen über das Geschäftsmodell der ReDI School.
Kasten 4.10. Unterricht für Migrant*innen in Coding und Programmierung: Die ReDI School of Digital Integration
Seit 2016 bietet die ReDI School of Digital Integration Geflüchteten eine kostenlose technische Ausbildung in Codierung und grundlegendem Computertraining an, die von Expert*innen durchgeführt wird. Die ReDI School verfolgt dabei vor allem das Ziel, den Lernenden durch die Vermittlung digitaler Kompetenzen zu mehr Unabhängigkeit zu verhelfen. Ein Netzwerk aus führenden Technologieakteuren, Student*innen und Ehemaligen hilft bei der Schaffung von Arbeitsmarktchancen für Absolvierende der Programme.
Die ReDI School vermittelt Geflüchteten neueste IT-Kenntnisse für den Einstieg in den Technologiesektor. Das aktuelle Wissen wird von einem Netzwerk aus mehr als 500 IT- und Start-up-Freiwilligen aus mehr als 180 Unternehmen vermittelt. Neben den normalen Tageskursen werden auch Kurse am Abend und am Wochenende angeboten, was sowohl für die Lehrkräfte als auch für die potenziellen Studierenden mehr Flexibilität bedeutet. Die an dem Projekt beteiligten Expert*innen fungieren zudem als „Türöffner“, indem sie Verbindungen zwischen Studierenden und Unternehmen herstellen. Dank ihrer Funktion als Lehrkräfte lernen sie die Studierenden gut kennen und ihre unterschiedlichen Motivationen, Interessen und Lernkurven verstehen. Auf der Grundlage ihrer Branchenkenntnisse fungieren die Lehrkräfte dann als Vermittler*innen, indem sie die Studierenden an Unternehmen weiterempfehlen, die ihrem jeweiligen Profil entsprechen.
Stand 2021 ist die Zahl der Bewerbungen mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der verfügbaren Plätze. Rund 70 % der Studierenden, die an den Kursen der ReDI School teilnehmen, wurden von Freunden oder Verwandten empfohlen, was den hohen Stellenwert der ReDI School in den Berliner Migrant*innen-Communities verdeutlicht. Nach ihrem Erfolg in Berlin hat die ReDI School inzwischen in München und Nordrhein-Westfalen sowie in Kopenhagen und Aarhus in Dänemark Schulen gegründet. Auch Fernstudienmöglichkeiten werden angeboten.
Die Berliner Regierung könnte dafür sorgen, dass das Kerngeschäft der ReDI School auf alle Migrant*innen ausgeweitet wird. Bislang konzentriert sich die ReDI School ausdrücklich auf Migrantinnen und Migrant*innen, die aus humanitären Gründen nach Berlin gekommen sind und den Status von Geflüchteten haben. Der Hauptgrund für die eingeschränkte Ausrichtung sind Kapazitäts- und finanzielle Beschränkungen. Die Berliner SenIAS könnte dafür sorgen, dass das Kerngeschäft der ReDI School, das ReDI Digital Career Program, ausreichend finanziert wird, damit auch Migrantinnen und Migrant*innen, die aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen nach Deutschland gekommen sind, an den Kursen teilnehmen können.
Die Tatsache, dass für die Teilnahme keine Deutschkenntnisse erforderlich sind, ist einer der Gründe für den Erfolg der ReDI School. Abgesehen von dem minimalen bürokratischen Aufwand, der für die Teilnahme an den Kursen der ReDI School erforderlich ist, sind Deutschkenntnisse keine zwingende Voraussetzung für das Training digitaler Kompetenzen. Die ReDI School verweist ihre Studierenden außerdem auf die BA für Deutschkurse, die sie parallel dazu belegen können.
Ähnliche Projekte im OECD-Raum kombinieren Berufsausbildung mit Sprachunterricht. Insbesondere Städte und Regionen in Schweden haben mit der Umsetzung von Programmen begonnen, die Berufs- und Sprachausbildung für Migrant*innen verbinden. Kasten 4.11 gibt einen Überblick über zwei vielversprechende Initiativen.
Kasten 4.11. Kombinierte Sprach- und Berufsausbildung für Migrant*innen – lokale Initiativen in Schweden
Yrkesväg Värmland
Das Yrkesväg-Värmland-Projekt zielt darauf ab, die Schwierigkeiten von Migrant*innen und ihren Familien bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu beheben. In der schwedischen Region Värmland verfügt ein großer Teil der Migrant*innen nicht über die für den regionalen Arbeitsmarkt erforderliche Ausbildung. Das Hauptziel von Yrkesväg Värmland besteht darin, die Berufsausbildung mit der Sprachausbildung zu verbinden.
Das Projekt bietet maßgeschneiderte Kurse für Migrant*innen an und berücksichtigt dabei den Bildungsstand der einzelnen Personen. Es wird zwischen zwei Zielgruppen unterschieden. Die erste Gruppe sind neu zugewanderte und langzeitarbeitslose Erwachsene, die im Ausland geboren wurden und keinen Sekundarschulabschluss haben. Die zweite Gruppe sind im Ausland geborene Personen mit einem Bildungsstand, der über dem Sekundarbereich liegt. Beide Gruppen erhalten zunächst einen Kurs zu Gesundheit und Menschenrechten in Schweden. Für die erste Gruppe bietet das Programm dann zwei verschiedene Kursoptionen an, die beide parallel zum Schwedischunterricht laufen. Die erste ist eine grundlegende Einführung in die Berufsausbildung, wozu auch ein Praktikum in einem Partnerunternehmen gehört. Die zweite ist ein vertieftes Berufsausbildungsprogramm, das sich an eine Bewertung der Kompetenzen anschließt. Für die zweite Gruppe, die bereits über einen höheren Bildungsstand verfügt, werden arbeitsplatzbezogene Lernmöglichkeiten angeboten. Das Yrkesväg-Värmland-Projekt wird vom Europäischen Sozialfonds zunächst für eine Dauer von zwei Jahren bis Juni 2022 gefördert.
Die Programme YFI unnd SFX in Stockholm, Schweden
Die Stadt Stockholm hat zwei Programme eingeführt, um Migrant*innen bei der Arbeitssuche zu helfen: Das Programm YFI (Integrierte schwedische Sprach- und Berufsausbildung für Migrant*innen) und das Programm SFX (Schwedischer Sprachkurs für Fachkräfte). Beide Programme sollen neu angekommenen Migrant*innen Schwedischunterricht geben, um ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das SFX-Programm richtet sich an Migrant*innen, die bereits einen beruflichen Hintergrund haben, während das YFI-Programm Migrant*innen ohne diesen Hintergrund eine kombinierte Berufs- und Sprachausbildung bietet.
Im Rahmen des YFI-Programms absolvieren die Teilnehmenden zunächst fünf bis sechs Monate lang einen beruflichen Einführungskurs und Schwedischunterricht, wobei der Schwerpunkt auf dem Vokabular liegt, das in den Bereichen ihrer Ausbildung im Gastgewerbe, in der Baubranche oder in der Krankenpflege benötigt wird. Nach dem Einführungskurs besuchen die Migrant*innen einen Berufsbildungskurs der Sekundarstufe, während der Schwedischunterricht gleichzeitig fortgesetzt wird. Die Zusammenarbeit zwischen Sprachlehrer*innen und Berufsausbilder*innen ist dabei der Schlüssel, um ein hohes Maß an Integration in diesen Kursen zu erreichen. Dank einer Partnerschaft mit dem schwedischen Arbeitsamt können die Teilnehmer*innen Berufs- und Betriebspraktika in der Region Stockholm absolvieren.
Das SFX-Programm richtet sich an Migrant*innen, die bereits über Berufserfahrung verfügen. Die Ausbildungsangebote unterteilen sich in 10 Berufsbereiche (Busfahrer*innen, Lkw-Fahrer*innen, Unternehmer*innen, Handwerker*innen, Ingenieur*innen, Architekt*innen, medizinisches Personal, Lehrer*innen, Programmierer*innen und Gesundheitsfachkräfte). Für die verschiedenen Ausbildungsgänge gelten unterschiedliche Zulassungskriterien, die sich auf das Alter, die bisherige Berufserfahrung und den bisherigen Bildungsabschluss stützen. Je nachdem, in welche Kategorie potenzielle Studierende gehören, werden ihnen Kurse zugewiesen, die sich im Umfang (Voll- oder Teilzeitstudium und hinsichtlich der geschätzten Anzahl von lehrergeleiteten Stunden und Stunden im Selbststudium) sowie nach ihrem Inhalt unterscheiden. Berufs- und Betriebspraktika sind Teil des Lehrplans. Die Schüler belegen zudem Schwedischkurse auf verschiedenen Niveaus.
Die Programme werden von der Stadt Stockholm, dem Europäischen Sozialfonds und dem EU-Programm für Beschäftigung und soziale Innovation kofinanziert.
Quelle: Yrkesväg Värmland (2021[31]), Project presentation on Yrkesväg Värmland; OECD (2021[32]), STOCKHOLM, Sweden – The YFI and SFX Programmes to Support Migrants - Key facts: Content and mode of delivery.
Die Berliner VHS könnte solche dualen Bildungsansätze umsetzen, müssten aber offener dafür sein, berufsbezogene Kurse in ihre Lehrpläne zu integrieren. Aufgrund ihrer Bedeutung bei der Vermittlung von Deutschkenntnissen sind die VHS in einer guten Position, ihr Angebot zu erweitern und die Sprachkurse mit beruflicher Bildung für Migrant*innen und Geflüchtete zu verbinden. Die Umsetzung solcher neuen Programme würde ausdrücklich eine verstärkte Zusammenarbeit mit der BA bei der Suche nach geeigneten Berufsausbildungsmöglichkeiten und mit den Arbeitgeberverbänden bei der Vermittlung von Berufs- und Betriebspraktika erfordern.
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