Dieses Kapitel beschreibt den Berliner Arbeitsmarkt und das sozialökonomische Profil der Bevölkerung der Stadt. Der erste Teil beschreibt sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite des Arbeitsmarktes, mit einem Schwerpunkt auf langfristigen Trends bei Schlüsselindikatoren, wie etwa Veränderungen bei der Arbeitskräftenachfrage in bestimmten Berufen, der lokalen Arbeitslosenquote und der Erwerbsquote. Der zweite Teil befasst sich mit dem Bildungsprofil der Berliner Bevölkerung. Im gesamten Kapitel dienen Städte aus dem OECD-Raum und die deutschen Bundesländer als Vergleichsmaßstab, um die Situation in Berlin in den Kontext setzen zu können.
Zukunftssichere Weiterbildung in Berlin, Deutschland
2. Der Berliner Arbeitsmarkt: Positive Langzeittrends, doch sozialökonomische Ungleichheiten bleiben bestehen
Abstract
In Kürze
Die wichtigsten Arbeitsmarktindikatoren für Berlin haben sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts stetig verbessert. Die Arbeitslosenquote in Berlin sank von 13,0 % im Jahr 2010 auf 5,5 % im Jahr 2019. Der Erwerbsquote stieg von 76,0 % im Jahr 2010 auf 79,2 % im Jahr 2019. Beide Arbeitsmarktindikatoren liegen nun auf dem Niveau anderer OECD-Hauptstädte. Der gleichzeitige Rückgang der Arbeitslosenquote und der Anstieg der Erwerbsquote in derselben Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen in Berlin zeigen, dass die positiven Arbeitsmarkttrends tatsächlich auf den lokalen Beschäftigungszuwachs zurückzuführen sind.
Der Beschäftigungszuwachs in Berlin wird fast ausschließlich vom Dienstleistungssektor getragen. Zwischen 2000 und 2019 stieg die Gesamtbeschäftigung in Berlin jährlich um fast 1,3 % gegenüber 0,7 % in Deutschland und 0,6 % in der Europäischen Union. Dies entspricht fast 450.000 neuen Arbeitsplätzen, die in Berlin seit 2000 geschaffen wurden. Handel, Verkehr, Hotel- und Gastgewerbe sowie Gastronomie (Jahreszuwachs von 2,4 %), aber auch Finanz-, Versicherungs-, Immobilien- und Unternehmensdienstleistungen (Jahreszuwachs von 1,6 %) konnten die stärksten Beschäftigungszuwächse verbuchen. Dagegen ging die Beschäftigung in der Industrie und im Baugewerbe um 37.000 bzw. 22.000 zurück.
Die Arbeitsproduktivität Berlins schneidet im Vergleich zu anderen Städten im OECD-Raum weiterhin unterdurchschnittlich ab. Seit der Finanzkrise konnte die Arbeitsproduktivität in Berlin im Vergleich zu anderen OECD-Metropolregionen nur geringfügig gesteigert werden. Während viele OECD-Städte zwischen 2008 und 2018 einen Anstieg der Arbeitsproduktivität von über 10 % verzeichneten, wuchs die Arbeitsproduktivität in Berlin lediglich um 6 %. Da die Arbeitsproduktivität vor der Finanzkrise relativ niedrig war, ist der Abstand bei der Bruttowertschöpfung pro Arbeitnehmende zwischen Berlin und anderen OECD-Städten nach wie vor groß.
Die Lage auf dem Berliner Arbeitsmarkt hat sich inzwischen deutlich angespannt, und Arbeitgebende haben zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Bewerber*innen für offene Stellen zu finden. Das Verhältnis zwischen der Zahl der Arbeitslosen und der Anzahl der offenen Stellen sank von etwa neun im Jahr 2010 auf etwas über eins im Jahr 2019, bevor es im Jahr 2020, dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie, wieder auf zwei anstieg. Infolgedessen verweisen Berliner Unternehmen zunehmend auf eine unzureichende Anzahl von Bewerber*innen und die ungenügende fachliche Qualifikation der Bewerber*innen als Hauptursachen für die Schwierigkeiten bei der Besetzung von Vakanzen.
Hinter dem relativ hohen Anteil an Hochschulabsolvent*innen in Berlin verbergen sich soziale Ungleichheiten. Im Jahr 2020 konnten 42 % der 25- bis 64-Jährigen in Berlin einen Hochschulabschluss vorweisen und gelten somit als hochgebildet – ein Anteil, der über dem Durchschnitt in anderen deutschen Regionen und leicht unter dem Wert anderer Großstädte im OECD-Raum liegt. Die Bildungsindikatoren für Menschen mit niedrigem Bildungsstand ergeben jedoch ein anderes Bild. So lag der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die sich nicht in Ausbildung befinden und arbeitslos oder inaktiv sind (NEET), im Jahr 2019 bei 10,2 % und damit deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 7,7 %.
Die Arbeitsmarktbeteiligung der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist in allen Bezirken Berlins gering. Migrant*innen leben zumeist in den ehemaligen Westteilen Berlins, wo der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bis zu 54 % beträgt (Berlin-Mitte). 72 % der Personen im erwerbsfähigen Alter mit Migrationshintergrund waren 2019 erwerbstätig, bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund waren es 83 %. Entsprechend lag die Arbeitslosenquote bei Deutschen ohne Migrationshintergrund in Berlin bei 4 % – gegenüber 9 % bei den Deutschen mit Migrationshintergrund.
Einführung
Berlin ist die größte deutsche Stadt, eines der 16 deutschen Bundesländer und die Hauptstadt der Bundesrepublik. Berlin war 2019 mit 3.644.830 Einwohner*innen die größte deutsche Stadt und Metropolregion. Die Stadt Berlin ist, neben Hamburg und Bremen, der einzige Stadtstaat Deutschlands. Berlin liegt etwa 70 Kilometer westlich der polnischen Grenze, umgeben vom deutlich weniger dicht besiedelten Bundesland Brandenburg (Abbildung 2.1, Bild A). Teile Brandenburgs, vor allem die Landeshauptstadt Potsdam (178.000 Einwohner*innen, Stand 2019), liegen im Pendlereinzugsgebiet Berlins. Berlin umfasst 12 Bezirke, dabei handelt es sich um Verwaltungseinheiten ohne autonome Zuständigkeiten sind (Abbildung 2.1, Bild B).
Wie andere deutsche Bundesländer auch hat Berlin in einigen Bereichen eigene Gesetzgebungsbefugnisse, z. B. im Bildungswesen, jedoch keine Finanzautonomie. Die deutschen Bundesländer erheben keine eigenen Steuern, sondern ziehen sie nur ein. Die öffentlichen Einnahmen werden den Bundesländern anhand eines Schlüssels zugewiesen, der die Gesamtbevölkerung und das regionale Bruttoinlandsprodukt (BIP) berücksichtigt. Ein wichtiger Aspekt ist, dass das föderale System der Bundesrepublik Deutschland den Bundesländern umfangreiche Zuständigkeiten im Bereich der Erstausbildung (einschließlich eines großen Teils der tertiären Bildung) zuschreibt. Bundesgesetze regeln andere Bereiche des Bildungswesens, etwa das duale Ausbildungssystem in Deutschland und die Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen. Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf Landesebene ergänzen somit die Maßnahmen des Bundes – Kapitel 4 wird dieses System noch ausführlicher darstellen. Politisch gesehen agiert die Regierende Bürgermeisterin von Berlin gleichzeitig auch als Ministerpräsidentin des Landes. Der Senat von Berlin fungiert als Stadt- und Landesregierung, die Senatoren entsprechen den Landesministern (OECD, 2010[1]). Die verschiedenen Senatsverwaltungen entsprechen den Ministerien von Bundesländern.
Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt der Stadt spiegeln die große Vielfalt und Dynamik der Berliner Bevölkerung wider. In Berlin, der größten Stadt Deutschlands, lebten im Jahr 2020 Staatsangehörige aus 193 Ländern. Die historische Teilung in Ost- und Westberlin trägt zusätzlich zur Vielfalt auch unter deutschen Staatsangehörigen bei. Der große Bevölkerungszuwachs – zwischen 2000 und 2019 nahm die Bevölkerung Berlins um fast 8 % zu – ist zum Teil auch der Attraktivität der Stadt für Migrant*innen aus ganz Deutschland geschuldet. Der Berliner Arbeitsmarkt spiegelt einen Teil der Dynamik wider und bietet der Weiterbildung besondere Chancen, stellt sie aber auch vor große Herausforderungen. Der verbleibende Teil dieses Abschnitts liefert einen aufschlussreichen Überblick über die jüngsten Trends auf dem Berliner Arbeitsmarkt und beschreibt eingehend das sozioökonomische Profil der Berliner Bevölkerung.
Berlin hat zuletzt einen Boom auf dem Arbeitsmarkt erlebt
Die Arbeitslosenquote in Berlin war im Verlauf des letzten Jahrzehnts konstant rückläufig. Vor Beginn der COVID-19-Pandemie war die Arbeitslosenquote in Berlin von 13,0 % im Jahr 2010 auf 5,5 % im Jahr 2019 gesunken (Abbildung 2.2). Im Vergleich zu anderen Städten im OECD-Raum war die Arbeitslosenquote in Berlin 2019 relativ niedrig, auf derselben Höhe wie Stockholm (6,3 %) und London (4,6 %) und nur geringfügig über dem Wert der zweit- und drittgrößten Stadt Deutschlands: Hamburg (3,7 %) und München (2,6 %). In absoluten Zahlen bedeutete die Reduzierung der Arbeitslosenquote in Berlin zwischen 2010 und 2019 um 7,5 Prozentpunkte den stärksten Rückgang unter den in Abbildung 2.2 dargestellten Städten im OECD-Raum.
Gleichwohl ist die Arbeitslosenquote in Berlin gegenüber anderen Bundesländern immer noch die höchste in Deutschland. Abbildung 2.3 zeigt die Arbeitslosenquote Berlins im nationalen Vergleich für den Zeitraum von 2010 bis 2020. Die Arbeitslosenquoten waren im Verlauf des letzten Jahrzehnts in allen deutschen Bundesländern rückläufig. Die Bundesländer, die 2010 noch die höchste Arbeitslosigkeit aufwiesen – Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt –, verzeichneten den deutlichsten Rückgang der jeweiligen Arbeitslosenquote, so dass es deutschlandweit zu einer Annäherung unter den Regionen kam. Trotz der erheblichen Verbesserungen auf dem Berliner Arbeitsmarkt verzeichnet Berlin jedoch auch weiterhin die höchste Arbeitslosenquote in Deutschland. Im Jahr 2020, dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie, lag die Arbeitslosenquote in Berlin bei 6,4 % und damit 1 Prozentpunkt höher als noch 2019. Alle anderen deutschen Bundesländer (mit Ausnahme Bremens) verzeichneten für 2020 Arbeitslosenquoten unter 5 %, und nur in Hamburg (+1,2 Prozentpunkte), Brandenburg (+1,1 Prozentpunkte) und Rheinland-Pfalz (+1 Prozentpunkt) fiel der Anstieg der Arbeitslosigkeit im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie gleich groß oder größer aus als im Vorjahr.
Die Erwerbsquote in Berlin war vor der COVID-19-Pandemie deutlich gestiegen, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Vergleich zu anderen europäischen Städten. Die zweite wichtige Kennziffer für die regionalen Arbeitsmärkte ist die Erwerbsquote. Sie ist definiert als der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, der erwerbstätig oder erwerbslos ist, und erfasst somit den Anteil der wirtschaftlich aktiven Personen im erwerbsfähigen Alter. Abbildung 2.4 verdeutlicht, dass die Erwerbsquote Berlins von 76,0 % im Jahr 2010 auf 79,2 % im Jahr 2019 gestiegen ist und die Wirtschaftstätigkeit der Stadt nun auf dem Niveau anderer OECD-Hauptstädte wie London (78,1 % Stand 2019) und Madrid (76,8 % Stand 2019) liegt. Im bundesweiten Vergleich konnte Berlin dank dieser Erwerbsquote den Abstand zu Hamburg (79,5 % Stand 2019) und München (80,8 % Stand 2019) mit Blick auf die wirtschaftliche Aktivität beinah aufheben. Der Anstieg der Erwerbsquote in Berlin um 3,2 Prozentpunkte ist einer der größten unter allen in Abbildung 2.4 aufgeführten Städten im OECD-Raum. Der gleichzeitige Rückgang der Arbeitslosenquote in Berlin im selben Zeitraum (Abbildung 2.2) lässt darauf schließen, dass der Anstieg bei der Wirtschaftstätigkeit tatsächlich auf eine Zunahme der Beschäftigungszahlen in dieser Altersgruppe zurückzuführen ist.
Die Erwerbsquote in Berlin liegt nahe am deutschen Durchschnitt und war im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie nur leicht rückläufig. Das entscheidende Risiko für den Arbeitsmarkt infolge der COVID-19-Pandemie besteht darin, dass sich die Arbeitssuche schwieriger gestalten kann, wodurch Arbeitslose potenziell in die Langzeitarbeitslosigkeit und letztlich in wirtschaftliche Inaktivität fallen können. Eine solche Dynamik ließ sich in den Vereinigten Staaten in der Frühphase der Pandemie gut dokumentieren (Coibion, Gorodnichenko and Weber, 2020[2]). Damit besteht die Gefahr, dass die COVID-19-Pandemie auch länger anhaltende Spuren in der Erwerbsbevölkerung hinterlässt. Die Erwerbsquote in Berlin sank zwischen 2019 und 2020 allerdings nur geringfügig um 0,6 Prozentpunkte (Abbildung 2.5). Exakt die Hälfte der deutschen Bundesländer verzeichnete ebenfalls eine rückläufige Wirtschaftstätigkeit, wobei der Rückgang in Bremen mit 4,2 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr am deutlichsten ausfiel. Im Jahr 2020 lag die Erwerbsquote auf nationaler Ebene bei 79,2 % und damit nur 0,6 Prozentpunkte über dem Wert von Berlin (78,6 %). Im Zeitraum von 2010 bis 2020 bewegte sich Berlin mit einem Anstieg der Erwerbsquote von 2,6 Prozentpunkten etwa im Mittelfeld der Bundesländer, wobei das Saarland (+4,3 Prozentpunkte) und Bayern (+3,9 Prozentpunkte) die höchsten Zuwachsraten bei der regionalen Erwerbsbevölkerung verbuchen konnten.
Berlin erlebte einen zwei Jahrzehnte andauernden Beschäftigungsboom, insbesondere im Dienstleistungssektor mit vielen hochqualifizierten Arbeitsplätzen. Zwischen 2000 und 2019 stieg die Gesamtbeschäftigung in Berlin jährlich um fast 1,3 % gegenüber 0,7 % in Deutschland und 0,6 % in der Europäischen Union (Abbildung 2.6). Dies entspricht fast 450.000 neuen Arbeitsplätzen, die in Berlin seit 2000 geschaffen wurden. Die drei Sektoren, die das schnellsten Beschäftigungswachstum in Berlin verzeichnen konnten, waren Handel, Verkehr, Hotel- und Gastgewerbe sowie Gastronomie (jährlicher Zuwachs von 2,4 %), aber auch Finanz-, Versicherungs-, Immobilien- und Unternehmensdienstleistungen (jährlicher Zuwachs von 1,6 %), aber auch öffentliche Verwaltung, Bildung, Gesundheit und Kunst (jährlicher Zuwachs von 1,4 %). Allein in diesen drei Sektoren wurden mehr als 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Gegensatz dazu sank die Beschäftigung in der Industrie und im Baugewerbe um 37.000 bzw. 22.000 Arbeitsplätze, so dass in diesen Sektoren in absoluten Zahlen die meisten Arbeitsplätze verloren gingen.
Die Arbeitskräfte in Berlin konnten ihre Arbeitsproduktivität im Verlauf des letzten Jahrzehnts nur geringfügig steigern, die Produktivität der Arbeitskräfte stieg deutlich weniger als in einigen OECD-Regionen. Stagniert die Arbeitsproduktivität, kann dies ein Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Berlin darstellen. Abbildung 2.7 zeigt die relativen Veränderungen bei der regionalen Bruttowertschöpfung pro Arbeitnehmenden gegenüber dem Basisjahr 2008. Im internationalen Vergleich verlief der Produktivitätszuwachs in Berlin bis 2018 nur schleppend und lag bei lediglich 106 % der Produktivität pro Arbeitnehmende im Jahr 2008. In anderen OECD-Städten wie Oslo (133 %), Kopenhagen (115 %), Barcelona (113 %) oder Amsterdam (112 %) stieg die Produktivität je Arbeitnehmenden im selben Zeitraum deutlich stärker an. Infolgedessen lag die Bruttowertschöpfung je Arbeitnehmenden in Berlin im Jahr 2019 bei 81.107 USD (konstante Preise, konstante KKP, Basisjahr 2015) – ein Wert, der deutlich niedriger ist als in anderen Großstädten des OECD-Raums, die in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls nur geringe Produktivitätszuwächse aufweisen konnten, wie etwa Wien (99.038 USD), Hamburg (104.051 USD) oder Stockholm (110.507 USD).
Der Berliner Arbeitsmarkt hat sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts spürbar angespannt. Nach einer langen Phase schneller, vom Dienstleistungssektor getragener Beschäftigungszuwächse ist der Berliner Arbeitsmarkt inzwischen in eine neue Phase eingetreten. Für Arbeitgebende dürft es zunehmend schwieriger werden, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, was letztlich einen Aufwärtsdruck auf die Löhne in den Sektoren bewirken wird, in denen ein Mangel an Arbeitskräften herrscht. Durch eine solche Entwicklung wächst die Bedeutung des lokalen Systems der Weiterbildung, und zwar aus zwei Gründen: Erstens lässt sich so das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften verbessern, die den Qualifikationsbedarf der Berliner Arbeitgebenden decken können. Da, zweitens, die Löhne in Sektoren mit hohen Qualifikationsanforderungen überproportional steigen dürften, besteht die Gefahr einer verschärften gesellschaftlichen Spaltung, wenn Arbeitnehmende mit niedrigem und mittlerem Bildungsstand nicht geschult und weitergebildet werden, um für lokale Arbeitgebende attraktiv zu bleiben.
Die Indikatoren für die Nachfrage nach Arbeitskräften deuten tatsächlich darauf hin, dass der Berliner Arbeitsmarkt schon bald mit größeren Schwierigkeiten bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter*innen und einem Aufwärtsdruck auf die Löhne in Sektoren mit Arbeitskräftemangel zu tun haben wird. Abbildung 2.8 und Abbildung 2.9 zeigen die Zahl der offenen Stellen und die Zahl der Arbeitslosen pro offener Stelle in Berlin und Brandenburg gegenüber den anderen Bundesländern. Aus Abbildung 2.8 geht hervor, dass die Gesamtzahl der offenen Stellen in Berlin zwischen 2010 und 2020 gestiegen ist, und zwar von 39.800 im Jahr 2010 auf 113.600 im Jahr 2019, gefolgt von einem Rückgang auf 92.400 im Jahr 2020, dem ersten Jahr der COVID-19-Pandemie. In den meisten anderen Bundesländern war ein vergleichbarer Anstieg bei den offenen Stellen in absoluten Zahlen zu verzeichnen, wobei die Unterschiede vor allem auf die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen in den einzelnen Regionen zurückzuführen sind. Ein solcher absoluter Anstieg der Nachfrage nach Arbeitskräften muss jedoch der Angebotsseite des Arbeitsmarktes gegenübergestellt werden, die sich am besten durch die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte messen lässt. Abbildung 2.9 verdeutlicht, dass das Verhältnis von Arbeitssuchenden zu freien Stellen in Berlin deutlich gesunken ist. Noch im Jahr 2010 kamen auf jede freie Stelle etwa neun Arbeitslose. Bis 2019 sank dieses Verhältnis auf etwas mehr als einen Arbeitssuchenden pro freie Stelle und stieg anschließend auf etwa zwei Arbeitslose pro freie Stelle im Jahr 2020 an, dem ersten Jahr der Pandemie. Eine ähnliche Anspannung der Lage auf dem Arbeitsmarkt ließ sich auch in den anderen Bundesländern beobachten, die dort jedoch nicht ganz so schnell verlief wie in Berlin.
Der Anstieg der Nachfrage nach Arbeitskräften war vom Berliner Dienstleistungssektor getrieben. Der Beschäftigungszuwachs im Dienstleistungssektor spiegelt sich auch in der sektoralen Aufschlüsselung eines Maßes für die direkte Nachfrage nach Arbeitskräften, der Zahl der offenen Stellen. Abbildung 2.10 zeigt die Gesamtzahl der offenen Stellen in Berlin zwischen 2010 und 2020, aufgeschlüsselt nach Wirtschaftszweigen. Der Dienstleistungssektor verzeichnete den bei weitem größten Anstieg bei den absoluten Zahlen an Stellenangeboten, und das gilt sowohl für Unternehmens- als auch sonstige Dienstleistungen. Die Zahl der offenen Stellen im Bereich Unternehmensdienstleistungen stieg von 12.000 im Jahr 2010 auf 26.000 im Jahr 2019. Auch die Zahl der offenen Stellen im Bereich anderer Dienstleistungen – u.a. Dienstleistungen mit Bezug zum Gesundheits- und Sozialwesen, Bildungsdienstleistungen, Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Hotel- und Gastgewerbe sowie Gastronomie – stieg von 13.000 im Jahr 2010 auf 43.000 im Jahr 2019. Im Baugewerbe (+11.100 freie Stellen zwischen 2010 und 2019) und in der Informations- und Kommunikationsbranche (+4.400) stieg die Nachfrage nach Arbeitskräften ebenfalls an.
Bereits vor der COVID-19-Pandemie hatte eine zunehmende Anzahl von Unternehmen in Berlin Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen. Der Anteil der Berliner und Brandenburger Unternehmen, die von Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Bewerber*innen während des jeweiligen Einstellungsverfahrens berichteten, stieg von 30,0 % im Jahr 2010 auf 40,6 % im Jahr 2019 (Abbildung 2.11). Die von Unternehmen gemeldeten zunehmenden Schwierigkeiten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter*innen entsprechen dem in Deutschland insgesamt vorherrschenden Trend: Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil deutscher Unternehmen, die Schwierigkeiten beim Einstellungsverfahren meldeten, von 29,1 % auf 44,0 %. Die zwischen 2019 und 2020 in allen Bundesländern mit Ausnahme Schleswig-Holsteins und Hamburgs zu beobachtende Senkung des Anteils schwer zu besetzender Stellen dürfte auf den selektiven Rückgang bei den Einstellungen für vergleichsweise schwerer zu besetzende Stellen zurückzuführen sein.
Eine unzureichende Anzahl von Bewerber*innen und die ungenügende fachliche Qualifikation der Bewerber*innen sind immer häufiger der Hauptgrund, warum Unternehmen freie Stellen nur schwer besetzen können. Abbildung 2.12 weist die von den Unternehmen selbst angegebenen Gründe für ihre Schwierigkeiten, geeignete Bewerber*innen für offene Stellen zu finden, aus. Im Jahr 2010 gaben Berliner Unternehmen an, mit Verweis auf die mangelnde berufliche Qualifikation der Bewerber*innen 17,7 % der offenen Stellen nur schwer besetzen zu können. Im Jahr 2019 stieg der Anteil der offenen Stellen, die sich aus eben diesem Grund nur schwer besetzen ließen, auf 26,4 %. Auch der Anteil der Stellen, die Berliner Unternehmen aufgrund einer unzureichenden Anzahl von Bewerber*innen nur schwer besetzen konnten, stieg von 17,1 % im Jahr 2010 auf 26,1 % im Jahr 2019. Andere Gründe, wie etwa die mangelnde Bereitschaft der Bewerber*innen, das geforderte Arbeitspensum zu akzeptieren (+5,7 Prozentpunkte zwischen 2010 und 2019) und überzogene Gehaltsforderungen (+9,0 Prozentpunkte) legten zwar ebenfalls deutlich zu, wurden aber weniger häufig genannt. Der Rückgang des Anteils offener Stellen, die Unternehmen zwischen 2019 und 2020 nur mit Mühe besetzen konnten, ist wahrscheinlich abermals auf selektive Einstellungsverfahren während der COVID-19-Pandemie zurückzuführen.
Soziale Spaltungen sind kennzeichnend für die Berliner Bevölkerung und Wirtschaft
Die o.g. Analyse zeigt, dass der Berliner Arbeitsmarkt einen Punkt erreicht hat, an dem die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften das Angebot übersteigen könnte. Aus diesem Grund müssen die politischen Entscheidungsträger*innen Berlins sicherstellen, dass alle Arbeitskräfte über die richtigen Fähigkeiten verfügen, um auf dem lokalen Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Einer der wichtigsten Indikatoren für das Qualifikationsniveau von Arbeitskräften ist der Stand der Erstausbildung. Um die Weiterqualifizierung von Arbeitskräften zu fördern, kann es jedoch auch hilfreich sein, zur gezielten Ausrichtung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen relevante Bevölkerungsmerkmale und geografische Unterschiede innerhalb des regionalen Arbeitsmarktes zu ermitteln. Im verbleibenden Teil dieses Kapitels wird das sozioökonomische Profil der Berliner Bevölkerung und der Arbeitskräfte beschrieben, um das regionale Arbeitskräfteangebot näher zu beschreiben, mit einem Schwerpunkt auf den jungen Erwachsenen und der vielfältigen Migrationsbevölkerung Berlins.
Das durchschnittliche Bildungsniveau in Berlin ist zwar höher als in anderen deutschen Regionen, aber niedriger als in anderen Großstädten des OECD-Raums. Abbildung 2.13 zeigt, dass unter den 25- bis 64-Jährigen in Berlin im Jahr 2020 13 % in die Kategorie der Personen mit niedrigem Bildungsstand fallen – damit sind Personen gemeint, deren formaler Bildungsabschluss unterhalb der Sekundarstufe Iiegt. 43 Prozent hatten einen mittleren Bildungsabschluss, also einen Abschluss der Sekundarstufe II, nicht jedoch einen tertiären Bildungsabschluss erreicht. 42 Prozent der Berliner Bevölkerung verfügten über einen Abschluss im tertiären Bildungsbereich und gelten damit als hochgebildet. Bild A von Abbildung 2.13 macht deutlich, dass Berlin den höchsten Anteil an Hochgebildeten unter den deutschen Bundesländern aufweist. Andererseits entspricht der Anteil der Personen mit niedrigem Bildungsstand genau dem Median der Regionen Deutschlands. Die wissenschaftliche Forschung weiß jedoch bereits seit Langem, dass hochgebildete Menschen mit Blick auf die besseren Verdienstmöglichkeiten in relativ größerer Zahl in die Städte ziehen (siehe dazu die Zusammenfassung nach Brinkman (2015[3]). Es ist daher sehr aufschlussreich, den Bildungsstand der Berliner Bevölkerung mit dem in anderen Großstädten im OECD-Raum zu vergleichen. Bild B zeigt, dass der Anteil der Hochgebildeten in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten im OECD-Bereich relativ gering ist. In Wien (42,7 %), Brüssel (49,3 %), Madrid (50,2 %), Stockholm (53,7 %), Oslo (54,9 %) und London (68,4 %) fällt der Anteil der Hochgebildeten unter den 25- bis 64-Jährigen sämtlich höher aus als in Berlin. Berlin hingegen hat im Vergleich zu den anderen Städten den größten Anteil an Personen mit mittlerem Bildungsstand (43 %).
Der Anteil der Schul- und Ausbildungsabbrecher*innen ist in Berlin im Vergleich zu anderen deutschen Regionen hoch. Der Bildungsstand junger Erwachsener kann als guter Indikator für die Zukunft des regionalen Arbeitskräfteangebots dienen. Abbildung 2.14 zeigt den Anteil der Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren, die maximal die Sekundarstufe I abgeschlossen haben und in Berlin keine weiterführende Schul- oder Berufsausbildung absolvieren, im Vergleich zu anderen deutschen Regionen. Im Jahr 2018 lag diese Zahl bei 13,6 % und Berlin damit an zweiter Stelle nach Bremen, wo ein noch höherer Anteil der jungen Erwachsenen in die Kategorie der Personen mit niedrigem Bildungsstand fiel (14,6 %). Deutschland kam im selben Jahr auf durchschnittlich 10,3 %. Im Zeitraum von 2010 bis 2018 konnten bei der Quote der Bildungs- und Ausbildungsabbrecher*innen in Berlin kaum Verbesserungen erzielt werden. Der Anteil der Schul- und Ausbildungsabbrecher*innen sank im Beobachtungszeitraum lediglich um 0,8 Prozentpunkte – gegenüber einem Rückgang von 1,5 Prozentpunkten in Deutschland insgesamt.
Ein großer Anteil der jungen Berliner Bevölkerung befindet sich nicht in Ausbildung und ist arbeitslos oder inaktiv (NEET). Ein ergänzender Indikator zum Anteil der Schul- und Ausbildungsabbrecher*innen ist die NEET-Quote, die als Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die sich nicht in Ausbildung befinden und arbeitslos oder inaktiv sind (NEET), definiert ist. So haben Untersuchungen der OECD gezeigt, dass Unterschiede beim Aufbau von Lese- und Schreibkompetenzen in der OECD stark mit der NEET-Quote korrelieren. Umgekehrt bewirkt eine Verringerung der NEET-Quoten eine Verringerung der Leistungsunterschiede bei Lese- und Schreibtests und eine Verringerung der generationenübergreifenden Weitergabe von Bildungsvorteilen (OECD, 2021[4]). Im Jahr 2019 lag die NEET-Quote der jungen Erwachsenen in Berlin mit 10,2 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 7,7 % und damit nach den beiden anderen Stadtstaaten Hamburg (11,0 %) und Bremen (12,0 %) an dritter Stelle im Vergleich der Bundesländer. Trotz der relativ hohen NEET-Quote in Berlin verweist der Trend zwischen 2010 und 2019 auf einen relativ starken Rückgang um 5,1 Prozentpunkte, die drittgrößte Verbesserung im Bundesländervergleich. Die jüngsten Kohorten der 18- bis 24-Jährigen befinden sich demnach mit höherer Wahrscheinlichkeit in Ausbildung oder Beschäftigung als frühere Kohorten.
Eine Besonderheit der Berliner Bevölkerung ist ihre Vielfalt. Im Jahr 2020 lebten in Berlin Staatsangehörige von 193 Ländern. Abbildung 2.16 zeigt, dass der Anteil der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Jahr 2019 bei 33,1 % betrug. Lediglich in den Bundesländern Bremen (36,5 %), Hessen (34,4 %), Hamburg (33,9 %) und Baden-Württemberg (33,8 %) lag der relative Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund geringfügig höher. In allen anderen deutschen Regionen lag der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der jeweiligen Region 2019 deutlich darunter. Für die Zwecke dieses Berichts ist Migrationshintergrund so definiert, dass die betreffende Person entweder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit oder mindestens ein Elternteil nicht die deutsche Staatsangehörigkeit von Geburt an besitzt.
Migrant*innen sind sehr ungleichmäßig über die Berliner Bezirke verteilt. Ähnlich wie bei den Siedlungsmustern in ganz Deutschland wohnen auch die Berliner Migrant*innen aus historischen Gründen vornehmlich in den ehemaligen Westteilen der Stadt (Abbildung 2.17). In Berlin-Mitte, das vor der deutschen Wiedervereinigung in einen Ost- und einen Westteil geteilt war, hatten im Jahr 2021 54 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund gegenüber 18 % in Treptow-Köpenick. Weitere Bezirke mit hohem Migrant*innenanteil sind Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg. Personen mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern stellen in allen Berliner Bezirken den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung mit Migrationshintergrund.
Die Arbeitsmarktbeteiligung der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist in allen Bezirken Berlins geringer ausgeprägt. Abbildung 2.18 zeigt die Erwerbsquote und die Arbeitslosenquote der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren in den Berliner Bezirken nach Migrationshintergrund im Jahr 2019. Aus Bild A geht hervor, dass die Erwerbsquote der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund in allen Berliner Bezirken niedriger ist. 72 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund waren 2019 erwerbstätig gegenüber 83 % bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund. Entsprechend lag die Arbeitslosenquote bei Deutschen ohne Migrationshintergrund, wie Bild B verdeutlicht, in Berlin bei 4 % – gegenüber 9 % bei den Deutschen mit Migrationshintergrund. Zusammengenommen lässt sich Abbildung 2.18 entnehmen, dass die Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine deutlich geringere Arbeitsmarktanbindung aufweist. Die ungleiche räumliche Verteilung der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der Stadt bietet daher zumindest zum Teil eine Erklärung für die Unterschiede bei den Arbeitsmarktindikatoren.
Ein Grund für die relativ niedrige Erwerbsquote und die relativ hohe Arbeitslosenquote bei Menschen mit Migrationshintergrund ist der im Schnitt niedrigere Bildungsstand in dieser Bevölkerungsgruppe. Abbildung 2.19 zeigt die Bildungsabschlüsse der Berliner Bevölkerung nach Migrationshintergrund. Im Jahr 2019 fallen 24,8 % der Berliner Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Alter von 25 Jahren oder darüber in die Kategorie der niedrigen Bildung gegenüber 8,3 % bei Personen ohne Migrationshintergrund. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, die einen mittleren offiziellen Bildungsabschluss erlangt haben, lag bei 33,2 % gegenüber 51,2 % bei Deutschen ohne Migrationshintergrund. 42,0 % der Personen mit Migrationshintergrund hatten einen hohen Bildungsstand erreicht und damit mehr als der bundesdeutsche Durchschnitt von 40,5 %. Die Tatsache, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Berlin zur Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Bildungsstand gehören, ist wahrscheinlich ein Grund für die geringere Arbeitsmarktanbindung dieser Gruppe. Wie aus Kasten 2.1 hervorgeht, stehen Migrant*innen jedoch auch vor besonderen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Nichtübertragbarkeit von ausländischen Bildungsabschlüssen, mangelnde Kenntnisse der Landessprache und die Tatsache, dass viele Migrant*innen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, können sich auch bei Personen mit hohem Bildungsstand negativ auf ihre Beschäftigungsaussichten auswirken.
Kasten 2.1. Warum sind die Beschäftigungsquoten von Migrant*innen oft niedriger als bei der einheimischen Bevölkerung?
Es gibt drei Hauptgründe, warum Migrant*innen häufig eine geringere Arbeitsmarktanbindung aufweisen, gemessen an der Erwerbsquote und den Beschäftigungsquoten. Für jeden dieser Gründe gibt es politische Maßnahmen, die dazu beitragen können, die Integration von Migrant*innen in den Arbeitsmarkt zu fördern.
Der erste Grund ist, dass sich Abschlüsse aufgrund von Unterschieden in Qualität und Inhalt von Ausbildungen nicht über Grenzen hinweg übertragen lassen. Die Ausbildung im Ausland und sogar die Ausbildung für bestimmte Berufe kann sich von Land zu Land unterscheiden, was zum Teil auf die länderspezifischen beruflichen Anforderungen und zum Teil auf die unterschiedliche Qualität derjenigen Personen zurückzuführen ist, die berufsbezogene Fertigkeiten vermitteln. Eng damit verknüpft ist die Frage nach dem Signalwert ausländischer Bildungsabschlüsse: Arbeitgebende kennen sich in der Regel mit im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen weniger gut aus, weshalb sie unter Umständen ausländische Abschlüsse bei ihren Einstellungsentscheidungen als minderwertiger einschätzen. Politische Bemühungen zur formellen Anerkennung ausländischer Abschlüsse und zur Bereitstellung von Umschulungsmaßnahmen, wenn die Abschlüsse unter dem nationalen Standard für den jeweiligen Beruf liegen, können die Chancen von Migrant*innen auf dem heimischen Arbeitsmarkt verbessern.
Der zweite Grund sind mangelnde Sprachkenntnisse. Verschiedene wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass die Kenntnis der Amtssprache des Ziellandes in kausalem Zusammenhang mit einer höheren Erwerbsquote, Beschäftigung und Vergütung von Migrant*innen steht. Sprachkurse anzubieten, die es Migrant*innen ermöglichen, Arbeitsplätze anzunehmen, die eine Verständigung in der Amtssprache des Ziellandes erfordern, kann sich daher überaus positiv auf die Anbindung an den Arbeitsmarkt auswirken.
Der dritte Grund ist das Fehlen der Staatsangehörigkeit des Ziellandes. Die Tatsache, dass eine Person nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzt, in dem sie lebt, kann sich in mehrfacher Hinsicht negativ auf ihre Anbindung an den Arbeitsmarkt auswirken. Die Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Sektor sind unter Umständen auf Staatsangehörige des jeweiligen Landes beschränkt; die schwächeren Signalwerte einer ausländischen Staatsangehörigkeit können sich durchaus auf Einstellungsentscheidungen auswirken, Diskriminierung unter Arbeitgebenden und – zumindest bei einigen Migrant*innengruppen – Ungewissheiten bezüglich der Aufenthaltsdauer können ebenfalls eine Rolle spielen. Werden Einbürgerungsprozesse erleichtert, kann dies folglich der Beschäftigung von Migrant*innen zugutekommen.
Quelle: Zusammenfassung anhand von Ludolph (2021[5]), The Value of Formal Host-Country Education for the Labour Market Position of Refugees: Evidence from Austria.
Literatur
[3] Brinkman, J. (2015), “Big Cities and the Highly Educated: What’s the Connection?”, Federal Reserve Bank of Philadelphia Research Department.
[2] Coibion, O., Y. Gorodnichenko and M. Weber (2020), “Labor Markets During the COVID-19 Crisis: A Preliminary View”, National Bureau of Economic Research, Cambridge, MA, https://doi.org/10.3386/w27017.
[5] Ludolph, L. (2021), The Value of Formal Host-Country Education for the Labour Market Position of Refugees: Evidence from Austria, http://www.RePEc.org.
[4] OECD (2021), OECD Skills Outlook 2021: Learning for Life, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/0ae365b4-en.
[1] OECD (2010), Higher Education in Regional and City Development - Berlin, Germany, https://www.oecd.org/germany/45359278.pdf (accessed on 19 January 2022).