Forschung ist die Grundlage für Fortschritte im KI-Bereich. In diesem Kapitel wird die Stellung Deutschlands in der globalen KI-‑Forschungslandschaft untersucht. Mit seiner nationalen KI-Strategie, die die Bedeutung der Stärkung und des Ausbaus seiner Forschungsexzellenz im Bereich der KI betont, will Deutschland mit dem rasanten internationalen Fortschritt Schritt halten. Deutschland nimmt weltweit eine Spitzenposition ein und ist führend in der Robotik, der Automatisierung und der KI-Forschung in den Bereichen Energie und Fertigung. Deutsche Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft und Siemens gehören zur Weltspitze, und ein Netzwerk von sechs KI-Kompetenzzentren soll Deutschlands Stellung bei KI-Technologien stärken. Zwar stehen Mittel für die KI-Forschung aus verschiedenen Quellen zur Verfügung, doch könnten die Mechanismen flexibler gestaltet werden, um sie an die sich schnell entwickelnde Technologielandschaft anzupassen. Die deutsche KI-Forschungsgemeinschaft ist durch einen starken Gender Gap gekennzeichnet, was deutlich macht, dass Deutschland seine Bemühungen zur Erhöhung des Frauenanteils im KI-Bereich verstärken muss.
OECD-Bericht zu Künstlicher Intelligenz in Deutschland
3. Forschung
Abstract
Forschung untermauert Fortschritte im Bereich der KI. Sowohl die deutsche KI-Strategie 2018 als auch deren Fortschreibung 2020 betonen, dass Deutschland seine Forschungsexzellenz im KI-Bereich stärken und ausbauen muss, um mit den rasanten internationalen Entwicklungen Schritt zu halten (Die Bundesregierung, 2020[1]). Dementsprechend sieht die nationale KI-Strategie mehrere Maßnahmen hierzu vor.
Kasten 3.1. Forschung: Ergebnisse und Empfehlungen
Ergebnisse
Deutschland ist in der internationalen Forschungslandschaft gut aufgestellt und steht weltweit an fünfter Stelle hinsichtlich der Anzahl und Qualität von Publikationen. Allerdings sind Länder wie Indien in den letzten Jahren schnell im Ranking aufgestiegen, wenn auch nicht in Bezug auf die Forschungsqualität.
Öffentliche und private deutsche Einrichtungen nehmen bei der Qualität ihrer KI-Forschung Spitzenpositionen ein (Max-Planck-Gesellschaft und Siemens).
Deutsche Institutionen beteiligen sich an vielen EU-geförderten KI-Projekten. Allerdings arbeiten deutsche Institutionen mehr mit US-amerikanischen, britischen und chinesischen Institutionen zusammen als mit europäischen.
Bei KI-Forschungsthemen belegt Deutschland weltweit den dritten Platz in den Bereichen Robotik und Automatisierung, den vierten Platz bei Computer Vision und Verarbeitung natürlicher Sprache und den fünften Platz bei künstlichen neuronalen Netzwerken.
Das deutsche Fördersystem ist einzigartig positioniert, da Antragsteller:innen gemeinsame Förderprogramme, EU-Fördermittel sowie Fördermittel von Bund und Ländern beantragen können. Diese Vielfalt führt jedoch in der Praxis häufig zu Unsicherheiten, und die Fördervoraussetzungen wurden als bürokratisch und kompliziert für die Antragsteller:innen bezeichnet.
Obwohl der Gender Gap in der KI-Forschung in den letzten Jahren abgenommen hat, ist er immer noch größer als in anderen Ländern. Mehrere Bundesministerien und Hochschulen haben Initiativen gestartet, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Empfehlungen
Einführung agiler Finanzierungsmechanismen, die sich an die sich rasch verändernde KI‑Forschungslandschaft anpassen können.
Verstärkte Bemühungen um eine größere Beteiligung von Frauen und unterrepräsentierten Gesellschaftsgruppen an der Forschung und Entwicklung (F&E) im KI-Bereich, sowie interministerielle Zusammenarbeit zur Lösung struktureller Probleme, die der ungleichen Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt zugrunde liegen.
KI-Publikationen
Deutsche Institutionen haben seit 2018 einen deutlichen Anstieg der KI-Forschungspublikationen verzeichnet und rangieren weltweit an fünfter Stelle in Bezug auf die Anzahl und an vierter Stelle in Bezug auf die Qualität, mit Stärken in den Bereichen Computer Vision und Robotik.
Im nationalen KI-Ökosystem ist Deutschlands solide Forschungsbasis eine Stärke
Deutsche Institutionen veröffentlichten 2023 etwa 31.105 KI-Publikationen, was einem Anstieg von 26 % gegenüber 2018 entspricht. Deutschland steht international an fünfter Stelle (Abbildung 3.1) in Bezug auf die Anzahl der KI-Publikationen, nach den Vereinigten Staaten, der Volksrepublik China (im Folgenden „China“), dem Vereinigten Königreich und Indien. Deutschland steht an vierter Stelle, wenn es um die Qualität der Publikationen geht, gemessen daran, wie oft eine Publikation zitiert wurde. Öffentliche und private deutsche Institutionen rangieren bei der Qualität ihrer KI-Forschung in Spitzenpositionen: Die Max‑Planck-Gesellschaft steht weltweit an zweiter Stelle neben der University of California Berkeley, Siemens an siebter Stelle unter den führenden globalen Unternehmen, die KI-Forschung betreiben (OECD.AI, 2023[2]).
Im Einklang mit aktuellen Forschungstrends in anderen Ländern veröffentlichen deutsche Institutionen am meisten über Computer Vision, ein Gebiet der KI, das es Computern ermöglicht, die visuelle Welt anhand von Bildern, Videos und anderen Inputs zu interpretieren und zu verstehen (Abbildung 3.2). Computer-Vision-Anwendungen können in vielen Bereichen eingesetzt werden, einschließlich in der Automobilindustrie, der Medizin und der Fertigung (z. B. zur Erkennung von Qualitätsanomalien). In diesem Bereich belegt das Land bei der Qualität der Publikationen1 weltweit den vierten Platz (berechnet nach Zitierhäufigkeit). Auch in der Robotik und Automatisierung hat Deutschland einen Wettbewerbsvorteil und steht in diesen Forschungsfeldern weltweit an dritter Stelle (berechnet nach Zitierhäufigkeit). Auch bei der Verarbeitung natürlicher Sprache rangiert Deutschland auf Platz vier. Seit 2016 haben KI‑Publikationen zu künstlichen neuronalen Netzwerken (KNN) – sprich dem Unterbereich des maschinellen Lernens, der die rasanten Fortschritte von KI, einschließlich in der Generativen KI, ermöglicht hat – drastisch zugenommen. Deutschland steht in diesem Bereich weltweit an fünfter Stelle für die Qualität seiner KI-Publikationen (OECD.AI, 2023[4]).
Deutschland und Europa sind in zwei weiteren KI-Spezialisierungsgebieten führend in der Forschung. Dies betrifft zum einen den Energiebereich, wo KI-Anwendungen erforscht werden, um die Effizienz und Zuverlässigkeit der Energieerzeugung und -verteilung zu verbessern. Darüber hinaus verfügen sie über einen Wissensvorsprung in der Fertigungsforschung, um Produktion, Lagerbestand und vorausschauende Wartung zu optimieren und zu automatisieren (OECD.AI, 2023[6]). Für Deutschland ist es entscheidend, auch in der zukünftigen KI-geprägten Transportindustrie und in der Fertigung wettbewerbsfähig zu bleiben, etwa durch den weiteren wirksamen Einsatz von KI in der Robotik.
Während Deutschland in der KI-Forschung weltweit gut positioniert ist, macht es die Größe der führenden globalen Wettbewerber – China, USA und das rasch wachsende Indien – unerlässlich für Deutschland, die Zusammenarbeit mit den 27 Mitgliedstaaten der EU wirksam zu nutzen. Deutschland ist das Land mit der höchsten Beteiligung an KI-Projekten, die durch EU-Forschungsprogramme gefördert werden, sowohl in Bezug auf die Anzahl der Projekte als auch in Bezug auf die Förderung. Im Jahr 2023 waren deutsche Einrichtungen an über 290 Projekten mit einer Gesamtfinanzierung von rund 310 Mio. EUR beteiligt (OECD-Berechnung auf Basis von CORDIS-Daten). Allerdings arbeitet Deutschland mehr mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich zusammen als mit einzelnen EU-Ländern (Abbildung 3.3).
Um die Forschungszusammenarbeit national zu fördern, wurde mithilfe des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Netzwerk der Deutschen Kompetenzzentren für KI-Forschung geschaffen, das aus sechs führenden, aus Bundes- und Landesmitteln finanzierten KI-Forschungseinrichtungen besteht: i) Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD), ii) Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), iii) Munich Centre for Machine Learning (MCML), iv) Lamarr Institute for Machine Learning and Artificial Intelligence Nordrhein-Westfalen (LAMARR), v) Center for Scalable Data Analytics and Artificial Intelligence Dresden/Leipzig (ScaDS.AI) und vi) Tübingen AI Center (TUE.AI). Das Ziel besteht zwar darin, dass diese Institutionen zusammenarbeiten, um den Spitzenstandort Deutschland für KI-Technologien zu stärken und die nationale und internationale Sichtbarkeit der deutschen KI-Forschung zu erhöhen (DFKI, 2023[7]), doch ist laut den interviewten Interessenträger:innen eine Zusammenarbeit als Netzwerk bis dato noch nicht erkennbar. Während das BMBF sich aktiv für eine stärkere Zusammenarbeit in der deutschen KI-Forschungsgemeinschaft einsetzt, z. B. durch das All-Hands-Meeting der Kompetenzzentren und das „AI Grid“, könnte überlegt werden, Anreize zur Vertiefung der Zusammenarbeit zu schaffen, wie etwa durch die Förderung gemeinsamer Projekte.
Die Finanzierung der KI-Forschung in Deutschland erfolgt aus unterschiedlichen Quellen. Dazu gehören europäische Programme (z. B. Horizon Europe), Programme des Bundes und der Länder sowie gemeinsame Programme von Hochschulen und Industrie. Das BMBF fördert Arbeiten in den Bereichen KI-Forschung, -Entwicklung und -Anwendung von 50 laufenden Maßnahmen, die sich auf Forschung, Kompetenz- und Infrastrukturentwicklung sowie Transfer in die Anwendung konzentrieren. Im Rahmen des im November 2023 veröffentlichten KI-Aktionsplans des BMBF werden diese durch mindestens 20 weitere Initiativen ergänzt. Darüber hinaus ist das KI-Budget des BMBF seit 2017 jährlich gestiegen, am deutlichsten zwischen 2021, 2022 und 2023 (Tabelle 3.1).
Auf der Website der Förderberatung des Bundes (Förderberatung des Bundes, 2024[9]) bietet die Bundesregierung einen Überblick über Fördermöglichkeiten für Antragsteller:innen, indem sie den Zugang zu Initiativen auf einer zentralen Plattform samt personalisierter Beratung konsolidiert. Viele der befragten Expert:innen wussten jedoch nichts von diesem Angebot und sprachen sich für eine spezifische zentrale Datenbank aus. Es sind daher Promotionsmaßnahmen erforderlich, um ein breiteres Publikum potenzieller Nutzer:innen zu erreichen. Angesichts des Tempos der KI-Entwicklung müssen Forscher:innen schneller und mit minimalem bürokratischem Aufwand finanzielle Unterstützung erhalten. Die Forschungsgemeinschaft (Humboldt Foundation, 2023[10]) rät sich dabei auf den Evaluierungsprozess der EU für Projekte zu stützen, der als „Exzellenzsiegel“ angesehen werden kann. Vorschläge für Projekte, die von den EU-Gremien über dem Schwellenwert bewertet, aber aus Haushaltsgründen nicht gefördert wurden, könnten für eine finanzielle Unterstützung aus nationalen Quellen in Betracht gezogen werden, sofern die deutschen Institutionen sie umsetzen.
Tabelle 3.1. Förderung der KI-Forschung in Deutschland
Jahr |
2017 |
2018 |
2019 |
2020 |
2021 |
2022 |
2023 (geplant) |
2024 (geplant) |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mio. EUR |
17,4 |
20,5 |
41,9 |
85,7 |
120,2 |
280,4 |
427,2 |
483,3 |
Quelle: Eigene Visualisierung auf Basis von Based on BMBF (2023[11]), BMBF‑Aktionsplan “Künstliche Intelligenz”, https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/digitale-wirtschaft-und-gesellschaft/kuenstliche-intelligenz/ki-aktionsplan.html (zugegriffen am 30 November 2023).
Geschlechterrepräsentation in der KI-Forschung
Trotz einiger Fortschritte sind Frauen in der deutschen KI-Forschung und in KI-Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert. Die Förderung der Vielfältigkeit in der KI-Entwicklung durch eine stärkere Beteiligung von Frauen kann zu gerechteren und ethischeren Ergebnissen von KI-Systemen führen.
Frauen sind in der KI-Forschung unterrepräsentiert
Der zunehmende Einsatz von KI-Systemen hat die Bedeutung der Gewährleistung von Fairness, Vermeidung von Biases sowie Nichtdiskriminierung hinsichtlich KI-Systemen erhöht. Eine Überrepräsentation männlicher KI-Entwickler kann zu einem Gender Biases im KI-Bereich durch verzerrte Trainingsdaten odersubjektive Designentscheidungen, die für unterrepräsentierte Gruppen wichtige Überlegungen außer Acht lassen, zur Einführung unbeabsichtigter Biases und Stereotypen und zu einem Mangel an unterschiedlichen Perspektiven bei der Erfüllung der Bedürfnisse der Nutzer:innen führen. Dieses Ungleichgewicht kann zu KI-Systemen führen, die gesellschaftliche Stereotype fortschreiben und den Präferenzen und Bedürfnissen vielfältiger Gruppen von Nutzer:innen, einschließlich Frauen, nur unzureichend Rechnung tragen (Leavy, 2018[12]) (Nadeem, Abedin and Marjanovic, 2020[13]).
Eine stärkere Repräsentation von Frauen und Minderheiten im Designprozess kann KI-Systeme verbessern, indem während der Entwicklung vielfältige Perspektiven und Erfahrungen eingebracht werden, was zu umfassenderen und inklusiveren Ergebnissen führt. Entwicklerinnen, die sich mit Gender Biases besser auskennen, spielen eine entscheidende Rolle dabei, diese Biases zu erkennen und wirksam gegen sie vorzugehen. Vielfältige Teams tragen zu einer ausgewogenen Entscheidungsfindung bei und fördern faire, ethische und nutzer:innenorientierte KI-Systeme. Diese Inklusivität führt zu KI‑Anwendungen, die die vielfältigen Bedürfnisse der Nutzer:innen besser verstehen und erfüllen und so letztendlich die Nutzer:innenerfahrung und -zufriedenheit in verschiedenen demografischen Gruppen verbessern (Gallego et al., 2019[14]).
Der Gender Gap und andere Hindernisse im KI-Forschungsökosystem begrenzen die Einbeziehung von Frauen in die KI-Entwicklung und reduzieren gleichzeitig die Anzahl der im Land verfügbaren qualifizierten KI-Fachkräfte. In Deutschland hat sich der Gender Gap in der KI-Forschung in den letzten Jahren verringert: 2023 war an 41 % der KI-Publikationen mindestens eine Autorin beteiligt, 2018 waren es 33 % (Abbildung 3.4). Allerdings wurden nur 7 % der Publikationen 2023 ausschließlich von Frauen verfasst (leichter Anstieg von 5 % im Jahr 2018), während 58 % nur von Männern verfasst wurden (deutlicher Rückgang von 67 % im Jahr 2018). Der Gender Gap in der KI-Forschung ist nach wie vor größer als in vergleichbaren Ländern (wie etwa in Frankreich und den Vereinigten Staaten). Der Gender Gap besteht auch in Führungspositionen: Im Januar 2023 wurde keines der sechs deutschen Kompetenzzentren für KI-Forschung von einer Frau geleitet und nur 14 % der Forscher:innen oder Forschungsgruppenleiter:innen in diesen Zentren waren Frauen (Abbildung 3.5).
Unterschiede in der beruflichen Laufbahn von Männern und Frauen lassen sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt finden – nämlich dann, wenn Entscheidungen über die Ausbildung getroffen werden (OECD, 2017[16]). So streben beispielsweise in den OECD-Ländern durchschnittlich nur 0,5 % der Mädchen im Alter von 15 Jahren an, IKT-Fachkräfte zu werden, verglichen mit 5 % der Jungen. Dieser Unterschied bei den Karriereerwartungen schlägt sich auch in der Hochschulbildung nieder. In allen OECD-Ländern dominieren junge Männer in IKT-Studiengängen und machen im Durchschnitt 79 % der Neueinsteiger:innen aus. Im Jahr 2021 lag der Frauenanteil bei den Studierenden im ersten Semester im MINT-Bereich in Deutschland bei 34,5 %. Dies ist ein Rekordhoch, zeigt aber immer noch, dass Frauen sich seltener für ein MINT-Studium entscheiden als Männer und dass es zwischen den verschiedenen MINT-Feldern erhebliche Unterschiede gibt. In der Informatik beispielsweise lag der Anteil der weiblichen Studierenden im ersten Studienjahr 2021 bei nur 21,8 % (OECD, 2023[17]).
Bundesprogramme zur Förderung des Frauenanteils in technikorientierten Tätigkeitsbereichen
Vor Kurzem hat die Bundesregierung mehrere Initiativen gestartet, um den Gender Gap in der KI‑Forschung und in der Technik zu schließen. Dazu gehören Interaktionen mit jungen Frauen, um ihnen bei Karriereentscheidungen behilflich zu sein, gezielte Unterstützung an Hochschulen und Programme zur Förderung von KI-Forschungsteams unter weiblicher Führung.
„MissionMINT“ soll mehr Frauen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) bringen, indem junge Frauen beim Übergang von der Schule zur Hochschule und von der Hochschule in den Arbeitsmarkt unterstützt und inspiriert werden. Durch gemeinsame Projekte, Vorbilder, Netzwerkaktivitäten und Workshops schafft das Programm Möglichkeiten für Frauen im MINT-Bereich zum Abbau von Vorurteilen sowie zum Experimentieren (BMBF, 2023[18]). Die Beeinflussung der Berufswahl durch Vertreter:innen aus dem KI-Bereich ist gewiss einer der wichtigsten politischen Hebel, um die Zahl der Frauen im KI-Bereich zu erhöhen. Das Programm geht zwar in die richtige Richtung, sollte aber um einen Schwerpunktbereich KI erweitert werden.
Die Zahl der Frauen in KI und Wissenschaft nimmt mit fortschreitender Karriere ab. Barrieren wie kulturelle Normen (d. h. geschlechtsspezifische Rollen), implizite Biases und die eindeutigen Auswirkungen der Elternschaft auf die Karriere von Frauen reduzieren die Beteiligung an der Wissenschaft auf höherer Ebene vermutlich mehr als ein Mangel an talentierten Frauen in der frühen Karrierephase (Statistisches Bundesamt, 2023[19]; EC, 2021[20]; Stadler et al., 2023[21]).
Seit 2020 unterstützt das BMBF mit der Fördermaßnahme KI-Nachwuchswissenschaftlerinnen Nachwuchsforschungsgruppen, die von Frauen geleitet werden. Ziel des Programms ist es, den Anteil qualifizierter Frauen in Führungspositionen in der deutschen KI-Forschung zu erhöhen und den Einfluss von Wissenschaftlerinnen nachhaltig zu stärken. Während der Schwerpunkt auf der KI-Forschung zu neuartigen und innovativen Themen liegt, werden auch die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an den jeweiligen Hochschulen der Antragstellerinnen als Vergabekriterium berücksichtigt. 2023 veröffentlichte das BMBF einen neuen Aufruf für Nachwuchswissenschaftlerinnen im KI-Bereich.
Der „Dritte Gleichstellungsbericht“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) widmete sich der digitalen Gleichstellung (BMFSFJ, 2021[22]). Der Bericht hob das Potenzial für geschlechtsspezifische Diskriminierung im KI-Bereich hervor, wie z. B. mit Biases behaftete Personalinstrumente, und gab Empfehlungen ab, wie die Bundesregierung diese Probleme angehen kann. Beispiele hierfür sind die Förderung einer geschlechtersensiblen und inklusiven Technologieentwicklung und Risikobewertungen algorithmischer Personalmanagementsysteme.
In deutschen Informatik-Fachbereichen werden Frauen gezielt gefördert. Fast alle der 20 größten deutschen Hochschulen verfügen über Netzwerke, Programmierinitiativen, Mentor:innenprogramme, Projektförderung oder Gleichstellungsräte für Frauen in der Informatik. Die meisten dieser Maßnahmen sind nicht KI-spezifisch; nur an zwei Hochschulen gibt es gezielte Programme für Frauen im KI-Bereich.
Über diese Programme hinaus ist es wichtig, die umfassenderen, systemischen Probleme anzuerkennen, die sich auf die Zahl der Frauen in der KI-Forschung und -Entwicklung, im MINT-Bereich und am Arbeitsplatz im Allgemeinen auswirken. Die bestehenden Einkommenssteuerregelungen für Paare verringern Anreize für die Erwerbstätigkeit, insbesondere von Frauen (OECD, 2023[23]). Kulturelle Faktoren führen immer noch dazu, dass die Verantwortung für die Kinderbetreuung überwiegend bei den Frauen liegt. An Orten, an denen externe Kinderbetreuungseinrichtungen nur begrenzt verfügbar sind, sind Frauen wahrscheinlich stärker betroffen als Männer und müssen entsprechende Anpassungen bei ihrer Beschäftigung vornehmen. So wurden in Tübingen, wo sich das CyberValley befindet, vor Kurzem die Öffnungszeiten von Kindergärten reduziert (Süddeutsche Zeitung, 2023[24]). Dies zeigt, dass bei der Entwicklung politischer Strategien im Zusammenhang mit KI allgemeinere Fragen berücksichtigt werden müssen, wie etwa die Verteilung von Hausarbeit und Betreuungspflichten zwischen Männern und Frauen.
In Zukunft sollte Deutschland seine Bemühungen, Frauen im Bereich der KI zu fördern, durch größere Programme verstärken, die sich auf KI konzentrieren. Deutschland sollte weiterhin Bildungsinitiativen für junge Frauen fördern, um das Bewusstsein für Rollen und Wege im KI-Bereich zu schärfen, und anzuerkennen, dass ein Abschluss in Informatik keine Voraussetzung ist. Eine Erhöhung der Sichtbarkeit und Repräsentation weiblicher Führungskräfte im KI-Bereich würde dazu beitragen, gesellschaftliche Stereotype zu überwinden, ihnen Karrieremöglichkeiten eröffnen und Mädchen ermutigen, eine Karriere im KI-Bereich zu verfolgen. Ein frühzeitiges Engagement durch extracurriculare KI-Programme wie Bootcamps oder praktische Projekte kann Interesse, Vertrauen und Kompetenz fördern. Um Frauen zu unterstützen, die sich für eine Karriere im Bereich der KI entschieden haben, ist es wichtig, Mentor:innenprogramme zu entwickeln und gleiche Chancen am Arbeitsplatz zu gewährleisten, auch durch eine bessere Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Empfehlungen
Einführung agiler Finanzierungsmechanismen, die sich an die sich rasch verändernde Landschaft der KI-Forschung anpassen können
Förderprogramme für KI-Forschung sind stark zentralisiert und stützen sich oft auf ein langwieriges Verfahren zur Auswahl von Projekten für die Vergabe von Zuschüssen. Angesichts des Tempos der KI‑Entwicklungen müssen Forscher:innen schnell und mit minimalem bürokratischem Aufwand finanzielle Unterstützung erhalten. Deutsche Programme könnten sich auf den Projektevaluierungsprozess der EU stützen, der als „Exzellenzsiegel“ betrachtet werden kann. Projekte, deren Bewertung über dem Schwellenwert liegt, die aber aus Haushaltsgründen nicht finanziert werden, können für eine finanzielle Unterstützung aus nationalen Quellen in Betracht gezogen werden, sofern sie von deutschen Einrichtungen durchgeführt werden.
Verstärkte Bemühungen um eine größere Beteiligung von Frauen und unterrepräsentierten Gesellschaftsgruppen an der F&E im KI-Bereich, sowie interministerielle Zusammenarbeit zur Lösung struktureller Probleme, die der ungleichen Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt zugrunde liegen
Eine Erhöhung der Anzahl von Frauen in der KI-Entwicklung ist notwendig, um das Risiko von Biases und Diskriminierung in KI-Algorithmen zu verringern. Um die Zahl der qualifizierten Arbeitskräfte im KI-Bereich zu erhöhen, bedarf es mehr Frauen. Obwohl sich der Gender Gap in der KI-Forschung in Deutschland in den letzten Jahren verringert hat, sind Frauen im KI-Ökosystem, auch in Führungspositionen, immer noch unterrepräsentiert. Die derzeitigen Bemühungen, die Beteiligung von Frauen im KI-Bereich zu erhöhen, gehen in die richtige Richtung und sollten fortgesetzt und ausgeweitet werden. Gleichzeitig sollten Ministerien-übergreifende Bemühungen auf umfassendere strukturelle Faktoren eingehen, die die Beteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verringern, wie etwa die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen.
Literatur
[11] BMBF (2023), BMBF-Aktionsplan “Künstliche Intelligenz”, Bundesministerium für Bildung und Forschung, https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/digitale-wirtschaft-und-gesellschaft/kuenstliche-intelligenz/ki-aktionsplan.html (accessed on 30 November 2023).
[18] BMBF (2023), “MissionMINT – Wir stärken die Innovationskraft von Frauen im akademischen MINT-Bereich”, Bundesministerium für Bildung und Forschung, https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/gleichstellung-und-vielfalt-im-wissenschaftssystem/mint-pakt/mint-pakt_node.html#:~:text=F%C3%B6rderrichtlinie%20%E2%80%9EMissionMINT%20%E2%80%93%20Frauen%20gestalten%20Zukunft%E2%80%9C&text=In%20den%20sensiblen%20Pha (accessed on 11 October 2023).
[22] BMFSFJ (2021), Dritter Gleichstellungsbericht - Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/dritter-gleichstellungsbericht-184546 (accessed on 11 October 2023).
[7] DFKI (2023), Netzwerk der Deutschen Kompetenzzentren für Forschung zu Künstlicher Intelligenz, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH, https://www.dfki.de/web/qualifizierung-vernetzung/netzwerke-initiativen/ki-kompetenzzentren (accessed on 12 October 2023).
[1] Die Bundesregierung (2020), Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung - Fortschreibung 2020, https://www.ki-strategie-deutschland.de/files/downloads/201201_Fortschreibung_KI-Strategie.pdf (accessed on 11 October 2023).
[20] EC (2021), She Figures 2021: Gender in Research and Innovation - Statistics and Indicators, Directorate-General for Research and Innovation, European Commission, https://doi.org/10.2777/06090.
[9] Förderberatung des Bundes (2024), Förderfinder des Bundes, Federal Funding Advisory Service, https://www.foerderinfo.bund.de/SiteGlobals/Forms/foerderinfo/bekanntmachungen/Bekanntmachungen_Formular.html?cl2Categories_Foerderer=bund (accessed on 29 January 2024).
[14] Gallego, A. et al. (2019), “How AI could help - or hinder - women in the workforce”, https://www.bcg.com/publications/2019/artificial-intelligence-ai-help-hinder-women-workforce (accessed on 11 December 2023).
[10] Humboldt Foundation (2023), Sieben Empfehlungen zur Künstlichen Intelligenz (KI) an die Deutsche Bundesregierung, https://www.humboldt-foundation.de/fileadmin/Bewerben/Programme/Alexander-von-Humboldt-Professur/Positionspapier_zur_Kuenstlichen_Intelligenz_Recommendations_on_AI.pdf (accessed on 2023 October 2023).
[12] Leavy, S. (2018), “Gender bias in artificial intelligence: The need for diversity and gender theory in machine learning”, Conference paper, https://www.researchgate.net/profile/Susan-Leavy-4/publication/326048883_Gender_bias_in_artificial_intelligence_the_need_for_diversity_and_gender_theory_in_machine_learning/links/5bce138aa6fdcc204a001d87/Gender-bias-in-artificial-intelligence-the-need-for.
[13] Nadeem, A., B. Abedin and O. Marjanovic (2020), “Gender bias in AI: A review of contributing factors and mitigating strategies”, ACIS 2020 Proceedings, https://aisel.aisnet.org/acis2020/27.
[17] OECD (2023), Education at a Glance 2023: OECD Indicators, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/e13bef63-en.
[23] OECD (2023), OECD Economic Surveys: Germany 2023, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9642a3f5-en.
[16] OECD (2017), The Pursuit of Gender Equality: An Uphill Battle, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264281318-en.
[2] OECD.AI (2023), AI Research Publication Time Series by Institution, OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=ai-publication-time-series-by-institution (accessed on 12 October 2023).
[3] OECD.AI (2023), AI Research Publications Time Series by Country [Zeitreihe von KI-Forschungspublikationen nach Ländern], OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=ai-publications-time-series-by-country (accessed on 11 December 2023).
[8] OECD.AI (2023), Domestic and International Collaboration in AI Research Publications, OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=domestic-and-international-collaboration-in-ai-publications (accessed on 5 November 2023).
[25] OECD.AI (2023), Domestic and International Collaboration in AI Research Publications [Nationale und internationale Zusammenarbeit bei KI-Forschungspublikationen], OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=domestic-and-international-collaboration-in-ai-publications (accessed on 5 November 2023).
[15] OECD.AI (2023), Share of Women in AI Scientific Publications by Country [Frauenanteil bei wissenschaftlichen KI Publikationen nach Ländern], OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=share-of-women-in-scientific-publications-by-country-2 (accessed on 5 January 2023).
[4] OECD.AI (2023), Top Countries by AI Research Application Area, OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=top-countries-by-ai-subtopic (accessed on 12 October 2023).
[6] OECD.AI (2023), Top Policy Areas in AI Publications by Country, OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=top-policy-areas-in-ai-publications-by-country (accessed on 11 December 2023).
[5] OECD.AI (2023), Trends in AI Application Areas by Country [Trends in KI Anwendungsbereichen nach Ländern], OECD, Paris, https://oecd.ai/en/data?selectedArea=ai-research&selectedVisualization=trends-in-ai-application-areas-by-country (accessed on 12 October 2023).
[21] Stadler, B. et al. (2023), The “PARENT” Initiative: PArents in REsearch aNd Technology, https://doi.org/10.34726/4822.
[19] Statistisches Bundesamt (2023), “6,5 % weniger Studienanfängerinnen und -anfänger in MINT-Fächern im Studienjahr 2021”, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_N004_213.html#:~:text=Frauen%20entscheiden%20sich%20nach%20wie,2021%20bereits%2034%2C5%20%25. (accessed on 15 November 2023).
[24] Süddeutsche Zeitung (2023), “Eltern nach Kürzungen der Kita-Öffnungszeiten besorgt”, https://www.sueddeutsche.de/leben/kindergaerten-tuebingen-eltern-nach-kuerzungen-der-kita-oeffnungszeiten-besorgt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230211-99-559092 (accessed on 19 October 2023).
Anmerkung
← 1. Globale Rankings werden auf der Grundlage der kumulativen Anzahl der Zitierungen von KI-Forschungspublikationen im Anwendungsgebiet von 2000 bis 2023 auf der Grundlage von Daten des OECD.AI Policy Observatory berechnet (OECD.AI, 2023[4]).