In diesem Kapitel werden die Auswirkungen erörtert, die von der in hohem Maße international ausgerichteten Wirtschaft Deutschlands auf das Innovationssystem des Landes ausgehen. Das Kapitel befasst sich mit den engmaschig miteinander verknüpften Fragen, wie die Auslandsnachfrage inländische Innovationsinvestitionen fördert, welche Rolle die deutsche Wirtschaft in vielen technologisch fortgeschrittenen, globalen Wertschöpfungsketten spielt und welche Herausforderungen die Resilienz der Lieferketten für die ökologische und digitale Transformation der deutschen Wirtschaft hat. Des Weiteren enthält dieses Kapitel eine Empfehlung in Bezug auf die wesentliche Bedeutung, die einer internationalen Führungsrolle Deutschlands bei der Bewältigung zahlreicher der in diesem Bericht aufgezeigten Herausforderungen zukommt.
OECD-Berichte zur Innovationspolitik: Deutschland 2022
9. Die internationale Dimension des deutschen Innovationsökosystems
Abstract
Einleitung
Die Exportorientierung des deutschen Privatsektors hat erhebliche Auswirkungen auf die Innovationstätigkeit des Landes, aber auch auf die Innovationstätigkeit in Europa allgemein. Die Bedeutung der Auslandsnachfrage für Innovation und Forschung innerhalb Deutschlands bringt es mit sich, dass die Wissenschaft, Technologie und Innovation (WTI) Deutschlands eng mit der Außenwirtschaftsleistung und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verknüpft ist. Gleichzeitig bedeutet das Ausmaß, in dem die deutsche Wirtschaft in die globalen Wertschöpfungsketten zahlreicher strategischer Industriezweige integriert ist, dass die Art, in der deutsche Unternehmen auf Veränderungen in diesen Industriezweigen reagieren, sowohl im Land selbst als auch im Ausland systemische Auswirkungen haben kann.
In diesem Kapitel werden einige dieser Auswirkungen benannt und es wird das Zusammenspiel der internationalen Ausrichtung der deutschen Wirtschaft mit der Innovationsleistung, der Wettbewerbsfähigkeit und der ökologischen Transformation erörtert. Die „internationale Komponente“ der deutschen Wirtschaft wirkt sich auf vier Arten auf die Innovationsfähigkeit und -leistung aus, womit auch die Frage der Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz zusammenhängt:
1. Deutschland ist in starkem Maße von der Auslandsnachfrage abhängig, um weiter in den exportorientierten Industriebranchen des Landes Innovationsaktivitäten durchzuführen. Teilweise ist dies das Ergebnis von verhältnismäßig schwachen Zuwächsen bei der – pandemiebedingt beeinträchtigten – Inlandsnachfrage und einer hohen Sparquote, die durch die Unsicherheit bezüglich zukünftiger Entwicklungen, u. a. auch im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, befördert werden. Der exportorientierte deutsche Unternehmenssektor ist das Rückgrat der Wettbewerbsfähigkeit des Landes, denn in diesem werden Erträge erwirtschaftet, die dann in Forschung und Innovation reinvestiert werden können.
2. Das produzierende Gewerbe in Deutschland – und, wenn auch in geringerem Ausmaß, der Dienstleistungssektor – spielen eine wesentliche Rolle in einer ganzen Reihe wichtiger globaler Wertschöpfungsketten, etwa in der Automobilindustrie. Die herausragende Stellung deutscher Unternehmen in diesen globalen Wertschöpfungsketten resultiert aus deren Vorreiterrolle in einem breiten Spektrum von Technologien. Der deutsche Privatsektor importiert eine Vielzahl verschiedener Vorprodukte zur Nutzung in den innovativsten Branchen. Da sich die Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe zunehmend aus von Deutschland importierten digitalen oder sonstigen Schlüsseltechnologien speist, besteht das Risiko, dass sich der Beitrag der deutschen Unternehmen zur Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe und damit zur Wettbewerbsfähigkeit verringert.
3. Darüber hinaus kann die Abhängigkeit von importierten Primärgütern und Vorprodukten auch zu Engpässen führen. Während der Coronapandemie verursachte der Halbleitermangel erhebliche Schwierigkeiten für die Automobilindustrie. Die mangelnde Diversifizierung der Bezugsquellen für bestimmte Primärgüter wie etwa seltene Erden und Metalle sowie Vorprodukte wie Halbleiter ist im Zusammenhang mit der digitalen und der ökologischen Transformation, bei denen diese Güter eine wichtige Rolle spielen, besonders kritisch.
4. Wie viele OECD-Länder prüft die Bundesregierung derzeit die Frage der Energieimporte und die mit der Abhängigkeit von einer geringen Anzahl von Lieferanten einhergehenden Problemstellungen. Infolge der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 steht dieses Problem nunmehr weit oben auf der politischen Agenda. Höhere Energiekosten haben erhebliche Auswirkungen auf den nationalen und internationalen Verbrauch wie auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, die in Deutschland einer der größten Abnehmer von Strom und Wärme ist, die mit aus Russland importiertem Öl und Gas produziert werden.
Um die Herausforderungen und die komplexen Fragestellungen zu bewältigen, die den Außenverknüpfungen des deutschen Innovationssystems inhärent sind, müssen politische Richtlinien im EU-Rahmen und darüber hinaus festgelegt werden. Dies ist auch unerlässlich, wenn es um die Bewältigung globaler Herausforderungen wie der ökologischen Transformation geht und wenn Möglichkeiten zur Skalierung von Innovationsbemühungen in Europa geschaffen werden sollen, um deren Abwanderung in die Vereinigten Staaten zu verhindern und den Innovationsträgern die Vorteile eines großen, einheitlichen europäischen Markts gegenüber den großen Märkten in den Vereinigten Staaten und China zu bieten.
In diesem Kapitel wird einleitend eine Empfehlung bezüglich der Führungsrolle Deutschlands in der Governance und Politikgestaltung in der internationalen Wissenschaft, Technologie und Innovation gegeben. Diese steht im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe der in diesem Bericht behandelten Themen, bezüglich derer die Lösungen höchstwahrscheinlich nicht innerhalb der Grenzen eines einzigen staatlichen Hoheitsgebiets zu finden sein werden. Zu denken ist hierbei an die strategische europäische Autonomie bei wesentlichen Zukunftstechnologien, an Investitionen durch die öffentliche Hand und den Privatsektor sowie Regulierungsmaßnahmen, um die ökologische Transformation zu beschleunigen und die zunehmende internationale Unsicherheit sowohl national als auch im Wege internationaler Kooperation einzudämmen. Deutschland ist hier einzigartig aufgestellt, um eine Führungsrolle bei einer abgestimmten Reaktion auf diese international bedeutsamen Herausforderungen für Wissenschaft, Technologie und Innovation zu übernehmen, da sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der Forschungsbasis des Landes tiefgehende technologische Fachkenntnisse verfügbar sind und der Erfolg Deutschlands bei der Bewältigung dieser Herausforderungen, sowohl national als auch im größeren europäischen Kontext, von den systemischen Auswirkungen abhängt.
Das Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut: Es beginnt mit einer Empfehlung, Deutschland möge eine Führungsrolle bei der Gestaltung der Innovationspolitik in der EU und weltweit übernehmen, womit dem internationalen Aspekt zahlreicher der in diesem Bericht erörterten Herausforderungen Rechnung getragen wird. Sodann wird in Abschnitt 1 des Kapitels die Bedeutung der Auslandsnachfrage für die Nachhaltigkeit des produzierenden Gewerbes und der Industrie in Deutschland analysiert und, davon ausgehend, das von diesen getragene WTI-System. In Abschnitt 2 werden die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten und deren Auswirkungen auf den deutschen Unternehmenssektor, auf die Forschungsbasis des Landes und die Ausrichtung der Forschung betrachtet. Das Kapitel schließt in Abschnitt 3 mit einer Erörterung einer Reihe höchst wichtiger, miteinander verknüpfter Fragen zum Zusammenwirken der mit den Lieferketten Deutschlands verbundenen Herausforderungen für die digitale und ökologische Transformation.
Empfehlung 10 Eine Führungsrolle bei der Gestaltung innovationsbezogener Politik in der EU und weltweit übernehmen
Überblick und detaillierte Empfehlungen:
Zur wirksamen Umsetzung vieler dieser Empfehlungen muss der Umfang der Koordinierung auf EU-Ebene und international genutzt werden. Um hier einen Erfolg zu erreichen, sind über Deutschland hinaus Anstrengungen auf EU- und länderübergreifender Ebene erforderlich, einschließlich der folgenden Anstrengungen: (i) Kompetenzentwicklung in entscheidenden Grundlagentechnologien für widerstandsfähigere Wertschöpfungsketten; (ii) Verwertung effizienter Infrastrukturen digitaler Daten (E4); (iii) Entwicklung eines ausreichend großen Finanzmarktes zur Skalierung vielversprechender Sprunginnovationen (E6); (iv) Festlegung der gewünschten Normen und Verfahren zur Qualitätskontrolle (E9); und (v) Stärkung von Innovation zur Förderung einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung. Zu diesem Zweck muss die Bundesregierung aktiv eine Führungsrolle bei der Gestaltung der Innovationspolitik auf EU- und globaler Ebene einnehmen.
E10.1 Die Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik besser auf den Binnenmarkt der EU ausrichten. Wie in E9.1 detailliert dargestellt könnten die Auswirkungen nationaler Prioritäten und politischer Strategien im STI-Bereich mittels Multiplikatoreffekt verstärkt werden, wenn sie besser auf die EU und den Binnenmarkt ausgerichtet wären. Bemerkenswert ist hier das am Beispiel der Dateninfrastruktur: Projekte wie z.B. GAIA-X haben einen deutlich größeren Umfang als jegliches gleichwertige inländische Projekt, da es die industriellen und Wirtschaftsdaten des gesamten EU-Binnenmarkt anvisiert, ein wichtiger Vorteil bei der maschinellen Datenanalyse. Ein ähnlicher Ansatz könnte in anderen Bereichen des WTI-Systems verfolgt werden wie bei der Entwicklung konkreter Grundlagentechnologien, bei der Digitalisierung und Stärkung von industriellen Lieferketten und der Skalierung über den Binnenmarkt noch nicht wirtschaftlich verwerteter oder noch nicht öffentlich verfügbarer Lösungen in Bereichen wie Technologien für das Klimamanagement. Wie in E2 (Labor für Innovationspolitik) und E7 (innovative Auftragsvergabe) vorgeschlagen könnte Deutschland auch eine Führungsrolle bei der Förderung von politischen Strategien einnehmen, die die Nachfragedynamik nach innovativen Lösungen auf EU-Ebene anregt.
E10.2 Potenziell wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse identifizieren, um Grundlagentechnologien zu fördern. Die während der Herausforderung durch die Covid-19-Pandemie auftretenden Lieferengpässe warfen ein Schlaglicht auf die Abhängigkeit Deutschlands von wenigen weltweit tätigen Lieferanten. Deutschland könnte eine direktere Rolle bei der Gewinnung von Unterstützung für wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse übernehmen, die auf die Entwicklung bestimmter Technologiefelder abzielen. Daraus könnten sich mehrere Vorteile für die deutsche Wirtschaft und die Europäische Union im Allgemeinen ergeben, insbesondere durch (i) die Entwicklung von Schlüsseltechnologien innerhalb der Europäischen Union und in den Volkswirtschaften entscheidender Partner in der EU mit dem Ziel einer verstärkten Resilienz der verschiedenen Lieferketten; und (ii) die Entwicklung von technologischen Schlüsselkompetenzen, die die Quelle zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit darstellen.
E10.3 Auf EU-Ebene eine Führungsrolle bei der Förderung von Normen und Verfahren zur Qualitätskontrolle einnehmen. Aufbauend auf den in E9 umrissenen Aspekten und in Anbetracht des Multiplikatoreffektes, der sich aus der Ausrichtung der nationalen politischen WTI-Strategie an der Politikgestaltung der EU und dem Binnenmarkt ergibt, sollte Deutschland eine Führungsrolle bei der Förderung EU-weiter Standardisierung und einer EU-weiten Qualitätsinfrastruktur übernehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit im weiteren Sinne und die innovativen Stärken der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten zu stützen. Damit würden die durch die Volkswirtschaften der EU verfolgten Ansätze auf eine Linie gebracht werden, was wiederum die Position des Binnenmarkts im Kontext des internationalen und systemischen Wettbewerbs stärken würde.
E10.4 Internationale Zusammenarbeit maximieren, um Unsicherheiten zu bewältigen und die komplexen Herausforderungen des Wandels anzugehen. Wie in anderen Volkswirtschaften auf der Welt gilt auch für Deutschland, dass keine einzelne Regierung und kein einzelner Akteur über sämtliche Antworten verfügt, mit denen sich die Herausforderungen bewältigen ließen, die sich der deutschen Wirtschaft stellen. Während es kein Patentrezept gibt – dazu sind die ökologische und digitale Transformation zu komplex – können sich die politischen Entscheidungsträger in Deutschland bei der Bewältigung dieser komplexen Herausforderungen in zahlreichen Fällen von den Erfahrungen und Maßnahmen anderer Länder leiten lassen, beispielsweise bei der wirtschaftlichen Verwertung von Dekarbonisierungstechnologien oder der Digitalisierung des öffentlichen Sektors innerhalb eines Föderalstaats. Als Teil der Vision „Deutschland 2030 und 2050” sollte sich die Regierung aktiv um internationale Zusammenarbeit im vom Forum identifizierten Schwerpunktbereichen sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch darüber hinaus bemühen.
E10.5 Bei der Stärkung des globalen und des nationalen Innovationsökosystems eine internationale Schlüsselrolle einnehmen. Dies beinhaltet die Gestaltung der globalen Innovationsagenda und der Hauptziele, die weltweit in wichtigen Innovationsagenden gesetzt werden, wie KI und Biotechnologie. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil in diesem Zusammenhang ist die effektive Anbindung an globale Innovationsbemühungen, die Anwerbung von Spitzenkräften und die Teilnahme an wirksamer Zusammenarbeit mit dem Ziel der Förderung des nationalen Innovationsökosystems.
9.1. Exportmerkmale
Deutschland ist das wichtigste Handelsland der EU. Es ist nach China und den USA die drittgrößte Handelsnation der Welt mit einem Anteil von 7,8 % an den weltweiten Exporten und 6,6 % an den weltweiten Importen. Im Jahr 2021 stellte der deutsche Exportanteil mit fast 47,3 % des BIP den höchsten unter den G20-Staaten und einen bedeutend höheren als in allen anderen G7-Staaten dar (OECD, o. J.[1]). Die Bedeutung des Exports für das Wachstum der deutschen Wirtschaft ist angesichts von deren beachtlicher Größe bemerkenswert, wobei der inländische Konsum in größeren Volkswirtschaften die Bedeutung des Exports nach unten korrigiert. Diese wesentliche Rolle des Exports in der deutschen Wirtschaft und in der Folge seine Bedeutung für den innovativen Privatsektor als Motor der deutschen Wirtschaft verschafft Deutschland in gewisser Weise eine einzigartige Position unter den anderen großen und industrialisierten Volkswirtschaften. Der Nettoaußenhandelsstatus Deutschlands in Verbindung mit hohen inländischen Spareinlagen hat zu einem erheblichen Leistungsbilanzüberschuss beigetragen.
Die deutschen Exporte, insbesondere von hochwertigen Gütern des produzierenden Gewerbes und Investitionsgütern, werden von der Auslandsnachfrage getragen. In Anbetracht der Größe der deutschen Wirtschaft kommt der Wertschöpfung aus der Auslandsnachfrage eine besonders hohe Bedeutung zu – da bei Exporten im weiteren Sinne größere Volkswirtschaften im Allgemeinen wegen ihrer größeren Binnenmärkte einen geringeren Anteil der inländischen Wertschöpfung aus der Auslandsnachfrage ziehen –, was von der Spezialisierung deutscher Unternehmen auf die Herstellung hochwertiger und technologisch fortgeschrittener Investitionsgüter als Endprodukte oder Vorprodukte in globalen Wertschöpfungsketten zeugt (Abbildung 9.1).
Investitionsgüter führen die deutschen Exporte an, wobei Straßenfahrzeuge, Maschinen und andere Verkehrsgüter 40 % aller Exporte ausmachen, gefolgt von sonstigen Gütern des produzierenden Gewerbes (19 %), Dienstleistungen (18 %) und Chemikalien (13 %). Im Zeitraum 2008–2018 nahm die Exportorientierung der meisten deutschen Branchen zu: 2018 generierte die Auslandsnachfrage 60 % der Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe und mehr als 70 % in den Branchen der Metallerzeugung- und -bearbeitung, in den Chemie- und Pharmabranchen, bei IKT und sonstiger Transportausrüstung (OECD, o. J.[2]).1
Die wichtigsten Handelspartner Deutschlands sind andere europäische Länder und OECD-Mitglieder, teilweise weil sich dort die Standorte wichtiger Akteure des produzierenden Gewerbes in den Wertschöpfungsketten befinden, die deutsche Unternehmen unterstützen bzw. von diesen beliefert werden. Im Jahr 2021 entfielen auf die OECD-Länder 78,5 % der deutschen Warenexporte und 72,1 % der deutschen Importe, wobei die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Anteile von 53,1 % und 51,9 % kamen (BMWK, 2022[3]). In beiden Fällen ist der Anteil geringfügig niedriger als im Jahr 2006, was die wachsende Bedeutung der asiatischen Märkte, insbesondere Chinas, unterstreicht. Während der Großteil des deutschen Außenhandels weiterhin gemeinschaftlich auf die OECD-Länder und die EU entfällt, hat die Bedeutung Chinas für den deutschen Export und Import in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen. Im Jahr 2021 betrug der Anteil Chinas an den deutschen Warenexporten 7,5 % und an den deutschen Importen 11,8 %, gegenüber 3,1 % bzw. 6,8 % im Jahr 2006. Während diese Neuorientierung in Richtung China die Bedeutung der traditionellen Märkte Deutschlands nicht ausgehebelt hat, zeigt sich darin für den handelsorientierten Privatsektor des Landes dennoch eine bedeutsame Entwicklung.
Die Bedeutung der Auslandsnachfrage für die inländische Wertschöpfung hat mehrere wichtige Implikationen für das deutsche WTI-System und die Wirtschaft im Allgemeinen. Beispielsweise sind die exportorientierten Sektoren Deutschlands wie vorstehend erörtert entscheidende Motoren des inländisch generierten BIP-Wachstums. Der exportorientierte Privatsektor Deutschlands hat große Auswirkungen auf die nationale – und regionale – Erwerbsbeschäftigung. Innerhalb Deutschlands werden 27,1 % der nationalen Erwerbsbeschäftigung – beispielsweise in exportorientierten Tätigkeitsbereichen – von der Endnachfrage generiert, wobei der Anteil bei ausschließlicher Betrachtung des Unternehmenssektors auf 39 % steigt (OECD, o. J.[4]; OECD, o. J.[5]). Diese Zahlen sind bemerkenswert, und dies umso mehr, wenn die Verflechtungen zwischen der Auslandsnachfrage nach deutschen Gütern und den regionalen Lieferketten innerhalb Europas betrachtet werden, die deutsche Unternehmen versorgen. Der vorstehende Prozentsatz von 39 % passt zum allgemein beobachteten Anteil in Europa, wo dieser von der Endnachfrage generierte Anteil der Erwerbsbeschäftigung im Unternehmenssektor zwischen 30 % und 50 % beträgt (OECD, 2022[6]).
Es gibt branchenbezogene Unterschiede: Beispielsweise werden 64,3 % der Erwerbsbeschäftigung in der deutschen Automobilbranche durch die ausländische Endnachfrage generiert. Die entsprechenden Zahlen für europäische Länder mit großen Automobilbranchen wie die Slowakische Republik und die Tschechische Republik liegen höher (93,8 % und 88,7 %), doch weichen die jeweiligen absoluten Gesamtzahlen der in dieser Branche jedes dieser Länder beschäftigten Personen erheblich voneinander ab: Die Erwerbsbeschäftigung unmittelbar in der Automobilbranche in Deutschland macht 920 000 Arbeitsplätze aus, in der Slowakischen Republik 82 000 Arbeitsplätze und 182 000 in der Tschechischen Republik (ACEA, 2022[7]). Die Wechselwirkung von ausländischer Endnachfrage und Innovation im Unternehmenssektor in Deutschland ist besonders ausgeprägt, wenn man in Erwägung zieht, dass jede vierte FuE-Stelle in der Automobilbranche angesiedelt ist (GTAI, o. J.[8]).
9.1.1. Exporte und Innovationsleistung
Was Deutschlands exportorientierte Wirtschaft ausmacht, ist die Ausgereiftheit der von ihr exportierten Produkte. Dies ist unmittelbar mit Innovation und in der Folge mit Wettbewerbsfähigkeit verknüpft, da entweder die Herstellung der von Deutschland exportierten Produkte effizienter sein muss als die anderer Exportnationen – einschließlich durch niedrigere Arbeitskosten –, wenn sie im internationalen Wettbewerb bestehen sollen, oder die Produkte von besserer Qualität sein müssen. Ein entscheidendes Merkmal der deutschen Wirtschaft und insbesondere ihres produzierenden Gewerbes ist daher die Nutzung von Spitzentechnologie, um marktreife Produkte hervorzubringen und die Effizienz bei der Herstellung besagter Produkte zu verbessern. Die jüngste Konzentration der Politik auf Industrie 4.0 ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der deutsche Privatsektor die am weitesten fortgeschrittenen Digitaltechnologien und IKT zur Erhaltung seiner weltweiten Wettbewerbsfähigkeit integriert und auch selbst weiterentwickelt.
Somit hat es Deutschlands Fokussierung auf die Produktqualität der Wirtschaft ermöglicht, trotz höherer Kosten der inländischen Produktion international wettbewerbsfähig zu bleiben, und in der Folge das produzierende Gewerbe als tragende Säule des sozioökonomischen Wohlstands der Wirtschaft und ihres Wachstums zu erhalten. Deutschland ist diesbezüglich ein Sonderfall unter anderen fortgeschrittenen und industrialisierten Nationen, doch ist der Ansatz erfolgreich. Im Gegensatz zum Schicksal des produzierenden Gewerbes als Quelle der Erwerbsbeschäftigung in mehreren anderen OECD-Ländern hat sich beispielsweise der Anteil der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren erhöht.
Die internationale Stellung Deutschlands und die von dieser Stellung getragenen inländischen und regionalen Arbeitsplätze und Investitionen hängen davon ab, wie die Unternehmen im Kontext der ökologischen und digitalen Transformation – der doppelten Transformation – abschneiden. Aus Technologie- und Produktperspektive betrachtet stellt sich als Herausforderung dar, dass die Wertschöpfung aus vielen exportierten Gütern in Bereichen, in denen Deutschland traditionell führende Kompetenzen besaß, auf jene – wie die Digitaltechnologien – verlagert wird, bei denen die Führungsrolle des Privatsektors eindeutig international aufgestellt ist. Auf ähnliche Weise wird die ökologische Transformation die Betriebsweisen in der Industrie tiefgreifend verändern.
Der hohe Entwicklungsstand im produzierenden Gewerbe in Deutschland ist anhand der von der Wirtschaft exportierten Produkte beobachtbar. Beispielsweise liegt die Komplexität des deutschen Warenkorbs unter den G7-Staaten auf Platz 2 und weltweit auf Platz 4, was der breiten Vielfalt der ausgefeilten innovativen Produkte zuzuschreiben ist, die von deutschen Unternehmen exportiert werden.2 Einzelfallbasiert lässt sich der hohe Entwicklungsstand des produzierenden Gewerbes in Deutschland bei den führenden exportorientierten Unternehmen wie BMW und Mercedes in der Automobilbranche beobachten, die im Premiumbereich miteinander im Wettbewerb stehen. Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft setzt daher voraus, dass die deutsche Produktion des produzierenden Gewerbes weiterhin so ausgereift und qualitativ hochwertig ist wie die anderer exportorientierter Volkswirtschaften mit produzierendem Gewerbe, wenn nicht sogar besser.
9.2. Verflechtungen von Handel und Wertschöpfungskette im deutschen Unternehmenssektor
Ein weiterer wichtiger Faktor internationalen Ursprungs für die deutsche Wirtschaft jenseits ihrer Abhängigkeit von Exportmärkten sind die globalen Produktionsverflechtungen, die die Beschaffung von verschiedenen Arten entscheidender Inputs (Maschinen, Vorprodukte und Primärgüter) für die Herstellung von Vorprodukten oder Endprodukten in Deutschland betreffen.
9.2.1. Verflechtungsdynamiken und deren Merkmale in der Wertschöpfungskette in Deutschland
Viele der innovativsten deutschen Unternehmen sind zu einem sehr hohen Grad in globale Wertschöpfungsketten integriert. Deutsche Unternehmen beschaffen Inputs aus dem Ausland und liefern Vorprodukte an Unternehmen in anderen Ländern. Diese Verflechtungen der globalen Wertschöpfungsketten bestehen innerhalb eines Unternehmens – beispielsweise innerhalb von multinationalen Konzernen mit globalisierten Aufgaben – oder unternehmensübergreifend. Mit dieser Integration wird es den Unternehmen innerhalb und außerhalb Deutschlands außerdem möglich, weniger komplexe Aufgaben auszulagern und sich auf jene zu konzentrieren, bei denen die Wertschöpfung größer ist – wie FuE. Der Anteil ausländischer Wertschöpfung an deutschen Bruttoexporten – ein Indikator für die Bedeutung von Wertschöpfungsketten außerhalb Deutschlands – lag im Jahr 2018, dem letzten Jahr, für das Daten zur Verfügung stehen, bei 22,9 %.
Anders als in anderen OECD-Volkswirtschaften hat Deutschlands Integration in globale Wertschöpfungsketten – gemessen an der ausländischen Wertschöpfung generiert durch den Export von Waren und Dienstleistungen und durch die Vorwärts- und Rückwärtsintegration in globale Wertschöpfungsketten – seit 2005 zugenommen (Abbildung 9.2, Teil A). Im Jahr 2018 beispielsweise, dem letzten Jahr, für das Daten zur Verfügung stehen, betrug der Anteil ausländischer Wertschöpfung an in Deutschland hergestellten Exportgütern 27,5 %, was darauf schließen lässt, dass ausländische Inputs für die exportorientierten Branchen Deutschlands von wachsender Bedeutung sind. Eine ähnliche Dynamik ist gemäß OECD-Berechnungen bei der „Vorwärtsintegration“ (dem Abhängigkeitsgrad der Exporte eines bestimmten Landes von der Nachfrage anderer Länder) und der „Rückwärtsintegration“ (dem Grad ausländischer Wertschöpfung von ausländischen Input-Lieferanten) Deutschlands in globale Wertschöpfungsketten zu beobachten; hier ist die globale Stellung Deutschlands seit 2005 vergleichsweise stabil geblieben (Abbildung 9.2. Teil B). In Deutschland gingen die zunehmende Integration in globale Wertschöpfungsketten und die Spezialisierung auf mittel- und hochtechnologieintensive Branchen im Zeitraum 2005–2015 mit einem Beschäftigungswachstum und sozialen Ergebnissen (d. h. einer Reduzierung der Einkommensungleichheit) einher, die deutlich über dem OECD-Durchschnitt lagen (OECD, 2017[9]).
Insgesamt scheint die deutsche Wirtschaft ihre globale Integration voranzutreiben, wobei sowohl die Bedeutung ausländischer Inputs für die inländische Produktion (z. B. ausländische Wertschöpfung) als auch die Bedeutung der Auslandsnachfrage weiterhin wachsen. Gleichermaßen von Bedeutung für die allgemeine Dynamik globaler Wertschöpfungsketten ist, wie und wo die deutsche Wirtschaft global integriert ist. Die größte Veränderung beim Ursprung der von deutschen Exporten generierten Wertschöpfung – beispielsweise von wo Deutschland Inputs bezogen hat, die es dann in Exportgütern verwendet – liegt in China. Im Jahr 2000 entfielen auf China 7,8 Mrd. USD der zuletzt von deutschen Exporten generierten Wertschöpfung. Bis zum Jahr 2018 ist dieser Betrag auf 77,7 Mrd. USD gestiegen (Abbildung 9.3, Teil A). Der Beitrag anderer Länder zur Wertschöpfung aus deutschen Exporten ist in diesem Zeitraum ebenfalls gewachsen, aber bei keinem in dem Ausmaß wie in China, dessen Beitrag zur Wertschöpfung aus deutschen Exporten von 2,7 % im Jahr 2000 auf 11,1 % im Jahr 2018 angestiegen ist. Chinas Beitrag stellt somit den größten Einzelbeitrag dar (Abbildung 9.3, Teil B).
Dessen ungeachtet machen die OECD- und EU-Länder trotz eines Abschwungs auf Kosten der südostasiatischen Volkswirtschaften und Chinas weiterhin den Großteil der Importe aus, die in der Folge deutsche Exporte generieren, was zum Teil die geografische Konzentration der Wertschöpfungsketten für Schlüsselindustrien wie der Fahrzeugherstellung in Europa widerspiegelt. Darüber hinaus hat Deutschland, wie in Abbildung 9.4 dargestellt, seine Position als einer der zentralsten Hubs weltweit in den Wertschöpfungsketten zweier seiner Schlüsselindustrien, Transportausrüstung (beispielsweise Fahrzeugherstellung) und Maschinenbau (Abbildung 9.4, Teil B), behalten. Für den Dienstleistungssektor bestätigen die Zentralitätskennziffern von 2016 die zentrale Position von Volkswirtschaften mit hohen Erträgen, darunter Deutschland, als entscheidende Hubs für Unternehmensdienstleistungen, darunter Dienstleistungen im Finanz-, Versicherungs- und Rechtsbereich (Abbildung 9.4, Teil B) (Criscuolo und Timmis, 2018[12]). Die anderen vorherrschenden Hub-Standorte für das produzierende Gewerbe und die Dienstleistungsbranche sind China bzw. die Vereinigten Staaten.
Die internationale Komponente der deutschen Wirtschaft ist in bestimmten Sektoren wichtiger als in anderen und spiegelt so die Zentralität bestimmter deutscher Branchen in globalen Wertschöpfungsketten wider. Beispielsweise ist der Beitrag ausländischer Wertschöpfung zu den Bruttoexporten von entscheidenden Branchen des produzierenden Gewerbes wie den Transportausrüstungen (darunter Fahrzeuge und Fahrzeugkomponenten) (5,2 %), der Chemiebranche (4,3 %) und dem Maschinenbau (2,9 %) wesentlich größer als in anderen Branchen, in denen Deutschland eine weniger zentrale Rolle in der globalen Wertschöpfungskette einnimmt (Abbildung 9.5). Die herausragende Stellung der Branche für Transportausrüstungen ist umso wichtiger in einer Situation, in der eine allgemeine Neuzuordnung der Wertschöpfung innerhalb der Wertschöpfungskette der Automobilbranche in der EU stattgefunden hat: weg von Ländern wie Frankreich, Italien und Belgien hin zu mittel- und osteuropäischen Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik, Rumänien, Slowakei und Ungarn. Deutschland hat dieser Entwicklung getrotzt und seine Position als Hauptlieferant für die Wertschöpfungskette der Automobilbranche in der EU beibehalten (Fana und Villani, 2021[13]; Balcet und Ietto-Gillies, 2019[14]; Chiappini, 2012[15]).
9.2.2. Die Auswirkungen des russischen Kriegs in der Ukraine auf deutsche Wertschöpfungsketten
Der Krieg Russlands in der Ukraine hat sich auf drei maßgebliche Arten auf die Wertschöpfungsketten Deutschlands ausgewirkt, hauptsächlich durch die Folgen der Handelssanktionen auf deutsche Importe russischer Primärgüter und Vorprodukte. Die erste Art ist die Auswirkung von Handelssanktionen auf russisches Öl und Gas, wie in Abschnitt 3.2 erörtert. Die zweite Art ist die Auswirkung von Handelssanktionen auf den Anteil an vom deutschen Produktionswert generierter russischer Wertschöpfung, die ungefähr 1,25 % beträgt und auch zum großen Teil mit Öl- und Gasimporten aus Russland in Verbindung steht (OECD, 2022[16]). Die dritte und damit verwandte Art ist die Auswirkung auf deutsche multinationale Konzerne mit einer Präsenz in Russland.
Eine weitere und bedeutende Beeinflussung der deutschen Wertschöpfungsketten durch den Krieg Russlands in der Ukraine besteht in den Auswirkungen von Handels- und Wirtschaftssanktionen auf deutsche multinationale Konzerne, die in Russland aktiv sind. Beispielsweise machten ausländische Tochtergesellschaften in Russland 4,8 % des Bruttoproduktionswerts (nach den letzten in der OECD-Datenbank „Activity of Multinational Enterprises“ zur Verfügung stehenden Daten von 2016) aus, wobei die OECD-Länder, die Sanktionen verhängt haben, die größten Investoren in dem Land darstellen (OECD, 2017[17]). Die am meisten von den Sanktionen betroffenen multinationalen Konzerne sind jene in der Kraftfahrzeugbranche: Ein angenommener Wegfall der ausländischen Produktion in dieser Branche in Russland führt möglicherweise zu einem Absturz der Wertschöpfung in diesem Sektor um 62 %. Die Vereinigten Staaten (mit 22,4 %), Deutschland (mit 16,9 %) und Frankreich (mit 11,4 %) sind die Länder, deren multinationale Unternehmen in Russland die höchsten Beiträge zum Auslandsbruttoproduktionswert leisten.
9.2.3. Auswirkungen auf das WTI-System
Das Zusammenspiel der Verflechtungen der globalen Wertschöpfungskette Deutschlands mit dem Wissenschafts-, Technologie- und Innovationssystem nimmt verschiedene Formen an:
Zum einen verknüpft die Internationalisierung des deutschen Unternehmenssektors die für Innovation und Forschung zur Verfügung stehenden Ressourcen der Unternehmen innerhalb dieses Sektors mit der Handelsleistung der deutschen Wirtschaft im weiteren Sinne. Störungen oder eine gesunkene Nachfrage von außen wirken sich daher unmittelbar und in erheblichem Ausmaß auf die nationalen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor aus. Gleichzeitig kann eine gesunkene Nachfrage vor Ort durch Nachfrage von außen ausgeglichen werden. Die Beschaffenheit des Schocks bestimmt seine Auswirkungen.
Zweitens wirkt sich die Bedeutung ausländischer Inputs für inländische innovative Branchen in folgender Weise aus: Störungen und Engpässe in den Lieferketten im weiteren Sinne können erhebliche Folgen für den inländischen Produktionswert haben, was in der Folge zu geringeren Erträgen führt. Die Auswirkungen von Störungen hängen jedoch von der Beschaffenheit des Schocks ab und davon, wie diversifiziert die Beschaffung der Inputs ist und in welchem Umfang die Produktion auf Inputs angewiesen ist. Im nächsten Abschnitt werden diese Fragen im Einzelnen erörtert.
Drittens bedeutet die zentrale Rolle deutscher Unternehmen als Quelle von Inputs für viele Branchen weltweit, dass Veränderungen innerhalb dieser Branchen die deutsche Wirtschaft auf systemischer Ebene treffen und dass die deutsche Wirtschaft außerdem diese Veränderungen beeinflussen kann. Sämtliche dieser Aspekte wirken sich auf die Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik aus, da das WTI-System sowohl die aktuelle Nachfrage exportorientierter Sektoren stützen als auch dieselben Branchen bei der Anpassung an Veränderungen und Störungen unterstützen muss, insbesondere im Kontext der digitalen und ökologischen Transformation.
9.3. Internationale Verflechtungen, Resilienz und ökologische Transformation
In diesem Abschnitt wird eine Reihe von Problemstellungen bezüglich der hochindustrialisierten Beschaffenheit der deutschen Wirtschaft und der Folgen für die ökologische und digitale Transformation des Landes vorgestellt. Begonnen wird mit einem Überblick über einige der Herausforderungen, die sich aus der Internationalisierung der deutschen Wirtschaft und der tiefgehenden Integration des Unternehmenssektors in globale Wertschöpfungsketten ergeben. Im Anschluss daran werden zwei miteinander verbundene Themen diskutiert. Zunächst werden, aufbauend auf der Betrachtung dieses Themas in Kapitel 11, die Herausforderungen erörtert, denen Deutschland sich bezüglich der Diversifizierung des Energiesektors und der Lieferanten stellen muss. Als zweites werden die damit zusammenhängenden Herausforderungen der Störungen und Resilienz in den Lieferketten erörtert. Dies baut auf der vorstehenden Betrachtung der Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten für das produzierende Gewerbe Deutschlands auf und erweitert diese ausdrücklich um das Themenfeld der für die digitale und ökologische Transformation erforderlichen Inputs.
9.3.1. Bedeutung der Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage für die Resilienz
Die große Abhängigkeit der inländischen Produktion und Investitionen von der Auslandsnachfrage bedeutet, dass sich exogene Kräfte und Trendentwicklungen, die die Märkte im Ausland beeinflussen, auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Dies ist dort weniger der Fall, wo der Binnenmarkt der Hauptabnehmer des Produktionswerts ist. Die Abhängigkeit vom Exportmarkt kann eine Quelle von Stärke sein, je nach Beschaffenheit des Nachfrageschocks (welche Länder und welche Produkte betroffen sind). Während der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 stützte die Nachfrage von außen trotz weltweiter Finanzierungsengpässe die nationalen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor. Dies war zum Teil der wachsenden Nachfrage aus China geschuldet, die dafür sorgte, dass Deutschland sich schneller von der Krise erholte und in geringerem Umfang langfristige Schäden erlitt als viele andere OECD-Länder. Zwischen 2010 und 2020 entfielen auf China 53,9 % des Wachstums deutscher Exporte, die von 69 Mrd. USD im Jahr 2010 auf 106 Mrd. USD im Jahr 2020 anstiegen (OECD, o. J.[18]).
Jetzt jedoch hat die Coronapandemie anschaulich vor Augen geführt, dass Exportorientierung nicht zu Resilienz führt, wenn die Investitionen in der Weltwirtschaft zum Erliegen kommen. Als im ersten Jahr der Coronapandemie Investitionen vorübergehend gestoppt wurden, brach die Nachfrage nach deutschen Investitionsgütern ein (OECD, 2020[19]). Dies bedeutet, dass letztlich insbesondere kleinere Unternehmen bei einer Beeinträchtigung der Wirtschaft durch solche Schocks Unterstützung benötigen werden, da ihre Fähigkeit, in Innovationen zu investieren, in erheblichem Maße von inländischen Ressourcen abhängt und damit stärker von wirtschaftlichen Abschwüngen betroffen ist (Paunov, 2012[20]). Infolgedessen wird während Konjunkturabschwüngen neben anderen Unterstützungsmaßnahmen für Innovationsaktivitäten in diesen kleineren Unternehmen die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung von Belang sein.
9.3.2. Energiesicherheit, Rohstoffabhängigkeit und erneuerbare Energien
Die russische Invasion in der Ukraine brachte die große Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas, Öl und russischer Kohle an den Tag: Ungefähr ein Drittel der Primärenergieversorgung stammt aus Russland – eine bedeutende Schwachstelle der deutschen Wirtschaft (IEA, 2020[21]). Wie in vielen anderen EU-Ländern hat der Krieg auch in Deutschland die Bemühungen um eine Diversifizierung der Energieversorgung beschleunigt. Innerhalb kurzer Zeit sind als Folge der Sanktionen auf russisches Öl und Gas die Energiepreise in Deutschland gestiegen. Die weitere Preisentwicklung, und damit die Kosten der Anpassungen, hängen auch von den Reaktionen anderer Öl- und Gasproduzenten ab. Eine Folge ist bereits eine erhebliche Reduzierung des Anteils russischer Energieimporte: Der Importanteil russischen Öls ist Ende April 2022 von 35 % auf 12 % gesunken, während der Importanteil russischer Kohle im selben Zeitraum von 50 % auf 8 % gefallen ist (OECD, 2022[22]). Der russische Anteil der Gaslieferungen nach Deutschland fiel bis Ende April 2022 von 55 % auf 35 % der Gesamtgasversorgung.
Zusätzlich zur Suche nach alternativen Quellen für die Energieversorgung hat die Bundesregierung betont, zur Erhöhung der Energiesicherheit die Entwicklung erneuerbarer Energien deutschlandweit stärker zu unterstützen. Im April brachte die Bundesregierung ein Gesetzespaket auf den Weg – einschließlich einer Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) –, mit dem die Entwicklung und der Einsatz erneuerbarer Energien beschleunigt werden sollen und in dem ausdrücklich ein Zusammenhang mit der Energiesicherheit des Landes benannt wird. Mit den neuen Rechtsvorschriften werden die Anzahl der Auktionen für Windkraft und Solarenergie erhöht und regulatorische Hindernisse bei der Errichtung neuer Windräder aus dem Weg geräumt, um die Kapazitäten Deutschlands im Bereich der Windkraft und Solarenergie auszubauen. Die Vorhaben umfassen außerdem Anreize zur Ausweitung des Einsatzes von Solarpanels auf Wohnbaudächern, während neue Gewerbebauten zwingend mit Photovoltaikmodulen ausgestattet sein müssen (Curry, 2022[23]). Die Umsetzung dieser Vorhaben sowie jener, die auf die Ausweitung der Nutzung von Brennstoffen aus Biomasse und Wasserstoff zur Ersetzung herkömmlicher Energiequellen abzielen, wird ein erhebliches Maß an Innovation und beträchtliche Zeit erfordern. Im Falle von Solarenergie und Windkraft sind viele der Technologien bereits allgemein verfügbar und können – teilweise aufgrund der langfristigen durch die Bundesregierung für diese Energieträger bereitgestellten Subventionen – im Wettbewerb mit fossilen Brennstoffen bestehen. Die Herausforderung bei der Ausweitung ihrer Nutzung liegt hauptsächlich in Investitions- und Lieferkettenschwierigkeiten, die nachstehend erörtert werden. Die für viele andere Energiequellen benötigten Technologien verharren in einem Frühstadium der technologischen Reife; das Thema wird ausführlicher in Kapitel 11 des vorliegenden Berichts erörtert. Die Fähigkeit der Bundesregierung, ihre ambitionierten Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien und der Dekarbonisierung der Industrie zu erreichen, hängt zum großen Teil von der Fortschrittsgeschwindigkeit in Technologiebereichen ab, die nach wie vor weit von der Phase wirtschaftlicher Verwertbarkeit entfernt sind (IEA, 2019[24]; IEA, 2021[25]). Darüber hinaus ist zur Entwicklung dieser Technologien – insbesondere ohne angemessene Signale aus der Regierung oder vom Markt, dass sie schneller benötigt werden – ein erheblicher Zeitaufwand vonnöten, was auch von der IEA in ihrer Bewertung der technologischen Reife von Anwendungstechnologien wie solchen zur Dekarbonisierung der Zementbranche oder zur Entwicklung von Photovoltaik-Energiequellen angemerkt wurde (IEA, 2018[26]; IEA, 2015[27]). Wichtige Hebel für die Beschleunigung von Innovation in diesen Bereichen zur Erreichung des genannten Ziels sind Subventionen und Signale der Nachfrageseite, wie sie im EEG enthalten sind.
Eine weitere Herausforderung bei der Stärkung der für die ökologische Transformation benötigten Resilienz ist die konzentrierte weltweite Versorgung mit Primärgütern, die für erneuerbare Energien benötigt werden. Es handelt sich dabei etwa um seltene Erden, die in vielen technologischen Lösungen wie den für Windräder oder Elektrofahrzeugmotoren unerlässlichen Dauermagneten unverzichtbar sind, und um Kupfer, das in riesigen Mengen für die Erneuerung von Stromnetzen notwendig ist. Bei seltenen Erden handelt es sich um eine Familie von siebzehn Elementen, die neben Scandium und Yttrium die fünfzehn Elemente der Lanthanoide umfasst. Jeder dieser Rohstoffe kommt in unterschiedlichen Anwendungen zum Einsatz, für die umweltfreundliche Energieerzeugung sind aber die vier Elemente Neodym, Dysprosium, Praseodym und Terbium besonders bedeutsam. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich China zu einem großen – und in einigen Fällen zum einzigen – Förderer dieser seltenen Erden entwickelt, woraus sich eine kaum diversifizierte Spanne an Lieferanten für diese entscheidenden Inputs für die ökologische Transformation ergeben hat (IEA, 2022[28]). Der Anteil Chinas an der Produktion seltener Erden erreichte bis zum Jahr 2010 95%, sank aber wegen des zunehmenden Abbaus in den Vereinigten Staaten, Myanmar und Australien bis zum Jahr 2019 auf knapp über 60 % ab. Trotzdem tritt eine Konzentration der Verarbeitungsprozesse – wie Separation und Raffination – in China auf, das im Jahr 2019 weiterhin einen Anteil von mehr als 90 % am Weltmarkt verzeichnete. Im Jahr 2021 gab es außerhalb Chinas lediglich vier Verarbeitungsanlagen, wobei diese ausschließlich die leichten seltenen Erden verarbeiteten, während die schweren seltenen Erden (die seltener vorkommen, für die die Nachfrage häufig das Angebot übertrifft und die regelmäßig in sauberen Energietechnologien verwendet werden) weiterhin hauptsächlich durch China verarbeitet werden. Diese Abhängigkeiten können nur in begrenztem Maß durch Innovation angegangen werden – mit der etwa die derzeit großvolumige Nutzung dieser Rohstoffe reduziert würde – und sie unterstreichen die Bedeutung gemeinsam verfolgter strategischer Bemühungen zur weitestmöglichen Diversifizierung der Verarbeitungsressourcen, um die Energiesicherheit durch Innovation zu gewährleisten.
9.3.3. Lieferkettenresilienz bei Rohstoffen und entscheidenden Schlüsseltechnologien
Neben der Abhängigkeit der Lieferketten von Energie wird ihre Resilienz durch den Bedarf an Primärgütern, aber auch an einer Reihe von Vorprodukten auf die Probe gestellt. Die Coronapandemie hat wegen Lieferschwierigkeiten eine Reihe von Verwerfungen verursacht, wobei Lockdowns überall auf der Welt zu vorübergehenden Fabrik- und Minenschließungen und in der Folge zu Güterknappheit geführt haben. Erhebungen im deutschen Unternehmenssektor haben deutlich gemacht, dass die Störanfälligkeit von Lieferketten eine Hürde für Innovation und die Transformation der deutschen Wirtschaft im weiteren Sinne darstellt, wobei die durch die Coronapandemie verursachten Verwerfungen und der russische Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 vor Augen führen, dass Unternehmen möglicherweise unvorhergesehene Hindernisse sowohl bei der Beschaffung entscheidender Komponenten als auch beim Export der von ihnen in bester Qualität hergestellten Komponenten überwinden müssen. Obwohl die Weltwirtschaft allmählich wieder hochfährt, haben die Industrie und das produzierende Gewerbe Deutschlands weiterhin mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Im November 2021 meldeten 74,4 % der im Rahmen der monatlichen Erhebung des ifo Instituts befragten 9 000 Unternehmen Lieferengpässe und andere Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen (ifo Institut, 2021[29]). Die Anzahl der befragten Unternehmen, die angab, unter Lieferkettenproblemen zu leiden, war in nahezu allen Branchen größer als in vorangegangenen Erhebungen, mit Ausnahme der Hersteller von elektrischer Ausrüstung – wobei hier die Verringerung bei einem bereits hohen Anteil von 90 % der befragten Unternehmen lediglich 5 Prozentpunkte betrug. Bei den Maschinenherstellern und bei Automobilunternehmen lauteten die Zahlen 86 % bzw. 88 %. Eine frühere, im April 2021 durchgeführte Erhebung ergab, dass 45 % der Unternehmen mit Lieferengpässen zu tun hatten, was den höchsten Wert seit 1991 darstellte und die im Oktober 2020 ermittelten 7,5 % erheblich übertraf (ifo Institut, 2021[30]).
Während der Rolle von Innovation im Bereich der Primärgüter Grenzen gesetzt sind, gibt es strategische Fragen bezüglich der Fähigkeiten in entscheidenden Schlüsseltechnologien wie neuen Werkstoffen, Mikro- und Nanoelektronik (z. B. Halbleiter) und fortgeschrittenen digitalen Technologien (z. B. Künstliche Intelligenz). Zur Veranschaulichung dieser strategischen Problemstellungen dient folgendes Beispiel: Im Falle von Halbleitern konzentriert sich die Produktion weltweit auf eine kleine Anzahl von Unternehmen, doch betrifft die nachgelagerte Verwendung dieser Komponenten eine Vielzahl an Branchen, wodurch die Halbleiterbranche für viele Volkswirtschaften von strategischer Bedeutung ist. Im Allgemeinen ist die Herstellung von Halbleitern sehr komplex und die Eintrittsbarrieren sind hoch. Es gibt kein einziges Unternehmen, das sämtliche unterschiedlichen Arten von Halbleitern anbietet, die in nachgelagerten Produktionsprozessen verwendet werden (z. B. können sich die im autonomen Fahren eingesetzten Halbleiter von denen unterscheiden, die in der Unterhaltungselektronik zum Einsatz kommen).
Die Rolle der Halbleiter ist im Kontext der Digitalisierung von strategischer Bedeutung für Deutschland; hier wird der Anteil des Produktionswerts des produzierenden Gewerbes, der auf digitale Komponenten entfällt, zunehmend als ein die Wertschöpfung bestimmender Faktor wahrgenommen werden (wie in Kapitel 11 erörtert). Ohne die Fähigkeiten in einigen Teilbereichen ist unter Umständen in bestimmten Sektoren Innovation schwieriger zu erreichen. Dies umfasst Produkte wie integrierte Leitplatten – auf einem Halbleiter aufgebrachte elektronische Schaltungen. Im Zeitraum 2014–2019 stiegen die jährlichen deutschen Importe von monolithischen integrierten Schaltungen, die gewöhnlich bei der Herstellung elektronischer Ausrüstung eingesetzt werden, um 3000 % (von 0,5 Mrd. USD auf 14,5 Mrd. USD), wobei dieser Anstieg zu mehr als 50 % seinen Ursprung in den asiatischen Märkten hatte (OECD, o. J.[18]). Eine ähnliche Dynamik ließ sich bei einer Reihe anderer Technologien feststellen. Die Importe von für die Datenverarbeitung genutzten Teilen nahmen im selben Zeitraum um 177 % zu (von 5 Mrd. USD auf 13,8 Mrd.); bei Datenspeichern betrug diese Zahl 128 % (von 4,6 Mrd. USD auf 10,5 Mrd. USD). In manchen Fällen sind diese Komponenten wesentliche Bestandteile der Produkte, in denen sie eingesetzt werden, beispielsweise Batterien für elektrische Autos. Entsprechend können Produktionskapazitäten in diesen Bereichen der entscheidende Faktor dafür sein, dass ein Unternehmen zu einem führenden Innovationsträger wird.
Die Auswirkungen der durch die Coronapandemie verursachten Störungen des Welthandels und der globalen Nachfrage auf die Herstellung von Halbleitern sind bezeichnend für die grundsätzlichen Herausforderungen, denen sich die deutsche Wirtschaft im Hinblick auf die Resilienz der Lieferketten gegenübersieht. Die steigende Nachfrage nach Unterhaltungselektronik und die sich in letzter Zeit erholende Nachfrage nach Autos in Verbindung mit den steigenden Preisen für Inputs wie Mineralien und Energie haben dazu geführt, dass der Preis von Halbleitern seit Beginn der Pandemie dramatisch angestiegen ist. Auf diesen Preisanstieg haben die Volkswirtschaften unterschiedlich reagiert, was möglicherweise mit dem Umfang der jeweiligen inländischen Herstellungskapazitäten in diesem Bereich zusammenhängt. So ist beispielsweise bemerkenswert, dass der durchschnittliche Preis von integrierten Schaltungen für deutsche Importeure erheblich über die für die Vereinigten Staaten, Korea und China beobachteten anstieg (OECD, 2022[16]). Selbst wenn Lieferketten weiterhin erhalten bleiben, hat die Pandemie gezeigt, dass die Kosten der Aufrechterhaltung dieser Lieferketten für die verschiedenen Volkswirtschaften unterschiedlich hoch sein können.
Die Bundesregierung ist sich der Notwendigkeit bewusst, die Kompetenzen in diesen Feldern auszubauen, und hat, wie in Kapitel 3 erörtert, in einer Vielfalt von Dokumenten die Strategie dafür dargelegt. Beispielsweise verfügt die Bundesregierung neben der Hightech-Strategie über zahlreiche technologiespezifische Strategiedokumente für Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Batterien und Mikroelektronik, die alle die strategische Bedeutung dieser entscheidenden Schlüsseltechnologien für die deutsche Wirtschaft widerspiegeln. Um den mit der Etablierung von Kapazitäten für die Halbleiterforschung und -herstellung in Europa verbundenen hohen Kosten und Risiken entgegenzuwirken, beteiligen sich eine Reihe von EU-Ländern – darunter Deutschland – an laufenden wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) zu Mikroelektronik (Breton, 2021[31]).
Für die Entwicklung von Kompetenzen und Produktionskapazitäten in bestimmten entscheidenden Schlüsseltechnologien ist die internationale Zusammenarbeit ausschlaggebend (Edler et al., 2020[32]). Am Beispiel der Beteiligung Deutschlands an wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse wie denen zur Entwicklung von Wasserstoff- und Elektrobatterietechnologien lässt sich das Bewusstsein der Bundesregierung über die Notwendigkeit eines strategischen Ansatzes für die Entwicklung innovativer Kompetenzen in den entscheidenden Schlüsseltechnologien der Zukunft ablesen. Einer der entscheidenden Vorteile dieser wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse besteht darin, dass sie möglichen Kollisionen mit EU-Regelungen zur staatlichen Beihilfe vorbeugen und damit gewissermaßen den Weg freimachen für rd. 8 Mrd. EUR an staatlichen Subventionen für Wasserstoffprojekte. Bis Ende 2021 hatte das BMWK 50 Projekte für eine mögliche Förderung ausgewählt, darunter Projekte zu Elektrolyseuren und Pipelines (Franke, 2021[33]). Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat außerdem eine Reihe von Projekten zu Brennstoffzellen und Tankinfrastruktur ausgewählt. Endgültige Entscheidungen zur Förderung dieser Projekte werden im weiteren Verlauf des Jahres 2022 erwartet.
9.3.4. Ökologische Transformation und internationale Verflechtungen
Die in den vorstehenden Abschnitten überblicksartig dargestellte systemische Rolle der deutschen Wirtschaft in globalen Wertschöpfungsketten bringt es mit sich, dass das Land sich in einer einzigartigen Position befindet, die Dekarbonisierung des Handels auf globaler Ebene voranzutreiben. In Verbindung mit der Debatte um die Qualitätsinfrastruktur und um Normen können Veränderungen der Art, wie in Deutschland Innovationen eingeführt und Handel betrieben wird, Prozesse in vielen globalen Branchen an anderer Stelle gestalten, da der deutsche Produktionswert für diese von hoher Bedeutung ist. Wie zu Beginn dieses Kapitels in Empfehlung 10 dargelegt, kann Deutschland daher eine globale Führungsrolle einnehmen, um Themen von internationaler Bedeutung und mit Folgen internationalen Ausmaßes voranzubringen. Konkret kann die Bundesregierung durch das Vorantreiben der Dekarbonisierung der nationalen Industrie diesen Prozess mit international vereinbarten Zielen der Emissionsreduzierung verknüpfen. So kann sichergestellt werden, dass die in den Industrien der Entwicklungsländer als Inputs genutzten Investitionsgüter nicht an stark umweltbelastende Aktivitäten gebunden werden, sondern diesen Volkswirtschaften eine Entwicklung ermöglichen, die den Ländern zum wirtschaftlichen Vorteil gereicht und die im Umweltschutzsinne nachhaltig ist.
Diese Führungsfragen, die über das mit ihnen zusammenhängende wirtschaftliche Wohlergehen hinausweisen, erstrecken sich auch auf Fragen der ethischen Beschaffung von Inputs – Fragen, die wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen werden, wenn die Unternehmen mehr Rohstoffe nachfragen, die in vielen Fällen aus Ländern mit nur geringen Aufsichtsstrukturen über Arbeits- und Geschäftsprozesse stammen. Angesichts der Verpflichtung zu verantwortungsvollem Geschäftshandeln und zur Aufrechterhaltung ethischer Standards gemäß entsprechender OECD-Richtlinien (OECD, 2019[34]) schafft dies ein erhebliches Problem für Unternehmen bei ihrer Versorgung mit einer Reihe von kritischen mineralischen Rohstoffen. Zunehmend wurde das Augenmerk auch auf die verantwortungsvolle Beschaffung seltener Erden für entscheidende Technologien des deutschen produzierenden Gewerbes wie Batterien gerichtet. Entsprechende Orientierungshilfen sind im von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission erstellten technischen Bericht über die nachhaltige Beschaffung von Rohstoffen für diese Technologie dargelegt (Mancini et al., 2021[35]).
Literaturverzeichnis
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[30] ifo Institut (2021), „Engpässe bei der Beschaffung könnten Aufschwung der Industrie bremsen“, Pressemitteilung, 3. Mai, Ifo Institut, München, https://www.ifo.de/en/node/63076.
[29] ifo Institut (2021), Materialmangel in der Industrie verstärkt, Pressemitteilung, 29. November, Ifo Institut, München, https://www.ifo.de/en/node/66594.
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[22] OECD (2022), OECD Economic Outlook, Volume 2022 Issue 1, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/62d0ca31-en.
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[4] OECD (o. J.), „Trade in Employment (TiM) 2021 Ed.“, Datensatz, Indikator: „Share of domestic employment embodied in foreign final demand“, OECD, Paris, https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=TIM_2021.
[1] OECD (o. J.), Trade in goods and services, Indikator, OECD, Paris, https://doi.org/10.1787/0fe445d9-en (Abruf: 10. Juni 2022).
[2] OECD (o. J.), „Trade in value added“, Datensatz, OECD, Paris, https://doi.org/10.1787/data-00648-en.
[20] Paunov, C. (2012), „The global crisis and firms’ investments in innovation“, Research Policy, Vol. 41/1, S. 24–35, https://doi.org/10.1016/j.respol.2011.07.007.
Anmerkungen
← 1. Die Branchenbezeichnungen beziehen sich auf die International Standard Industrial Classification of All Economic Activities (ISIC) Revision 4.
← 2. „Komplexität“ bezieht sich hier auf den vom Observatory of Economic Complexity verwendeten, von AJG Simoes und CA Hidalgo am MIT entwickelten „Economic Complexity Index“ (ECI). Der ECI ist eine Messgröße für die Leistungsstärke einer Volkswirtschaft. Diese Messgröße wird aus Daten abgeleitet, die Standorte mit den vorhandenen Aktivitäten verknüpfen. Auf intuitiver Ebene ermöglicht der ECI Einblicke in die Komplexität einer Volkswirtschaft, indem die Ausgereiftheit der von ihr gehandelten Produkte in den Blick genommen wird.