In diesem Kapitel werden die zentralen Merkmale des deutschen Innovationssystems im internationalen Vergleich beschrieben. Es wird dargelegt, wie Deutschland bei maßgeblichen Indikatoren der Innovationsleistung abschneidet. Aus den vorgelegten Daten geht hervor, dass Deutschland bei einer Reihe von Technologien und Branchen eine globale Spitzenposition im Hinblick auf Innovationen einnimmt. Kritisch anzumerken ist die Tatsache, dass sich die vom Unternehmenssektor in Forschung und Entwicklung investierten Mittel zunehmend weniger rentieren. Auch stagnieren die Investitionen in immaterielles Kapital und in Informations- und Kommunikationstechnologien.
OECD-Berichte zur Innovationspolitik: Deutschland 2022
3. Die deutsche Innovationsleistung im Vergleich
Abstract
Einleitung
Im Folgenden soll die Innovationsleistung Deutschlands anhand von unterschiedlichen Indikatoren im internationalen Vergleich verortet werden. Die dargestellten Daten beziehen sich sowohl auf die Innovationsergebnisse von Unternehmen als auch auf wissenschaftliche Einrichtungen.
Wie in Kapitel 1 erörtert, verfügt Deutschland über ein gut ausgestattetes und etabliertes Wissenschafts-, Technologie- und Innovationssystem (WTI-System). Ein internationaler Leistungsvergleich bestätigt dies: Deutschland ist einer der produktivsten und leistungsfähigsten Innovationsträger der Welt. Bei der Patentierung und Eintragung von Markenzeichen gehört das Land ebenso zur Weltspitze wie bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, und zwar sowohl in etablierten technologischen Fachgebieten (z. B. im Maschinenbau) als auch in vielen anderen Disziplinen, die für die ökologische und digitale Transformation von Bedeutung sind.
Die Innovationsleistung des deutschen WTI-Systems wird durch einen fortwährend hohen Kapitalstock und rege Investitionstätigkeit angetrieben – hinsichtlich dieser Faktoren ist Deutschland mit Abstand die führende Volkswirtschaft in Europa und eine der global bedeutendsten. Gleichzeitig sind aber die Investitionen in immaterielles Kapital und Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) vergleichsweise niedrig; dies beeinträchtigt möglicherweise die Fähigkeit der Unternehmen, im Rahmen der digitalen und ökologischen Transformation neue Chancen für Innovationen zu nutzen.
Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen. Abschnitt 3.1 stellt die Innovationsleistung Deutschlands auf der Makroebene vor und untersucht dabei maßgebliche gesamtwirtschaftliche Leistungsindikatoren für die Vorleistungen, die Zwischen- und die Endergebnisse der Innovationstätigkeit. In Abschnitt 3.2 werden sodann die sektorspezifischen, regionalen und sozialen Dimensionen der deutschen Innovationsleistung betrachtet.
3.1. Die Innovationsleistung Deutschlands
Der vorliegende Abschnitt stellt unter Verwendung üblicher Messgrößen für Vorleistungen, Zwischen- und Endergebnisse maßgebliche Fakten zur Leistung des deutschen Innovationssystem vor (Kasten 3.1).
Kasten 3.1. Innovation messen: Vorleistungen, zwischenergebnisbezogene Indikatoren und Endergebnisse
Das OECD Oslo Manual definiert Innovation als „ein neues oder verbessertes Produkt bzw. ein neuer oder verbesserter Prozess (oder eine Kombination der beiden), das bzw. der sich von den bisherigen Produkten bzw. Prozessen der Einheit merklich unterscheidet und für potenzielle Nutzer verfügbar gemacht wurde (Produkt) bzw. in der Einheit eingeführt wurde (Prozess)“ (OECD/Eurostat, 2018[1]). Die Beurteilung der Kapazitäten und Leistung eines Innovationssystems im internationalen Vergleich ist allerdings komplex. Um Entwicklungen im Zeitverlauf gegenüberzustellen und nachzuverfolgen, werden üblicherweise mehrere Standardindikatoren verwendet. Doch sowohl beim eigentlichen Messen von Innovation als auch beim länderübergreifenden Vergleich hat jeder der WTI-Indikatoren sowohl Stärken als auch Unzulänglichkeiten. Im Folgenden werden drei Arten dieser Indikatoren vorgestellt und in ihren Kontext eingeordnet.
1. Indikatoren der Innovationsvorleistungen
Indikatoren der Innovationsvorleistungen messen die Höhe der Ausgaben innerhalb des WTI-Ökosystems zur Schaffung von Innovationen. Der Hauptnachteil dieser Messgrößengruppe besteht darin, dass sie außer Acht lassen, ob der gemessene Input erfolgreiche Innovationen hervorbringt.
Messgrößen wie Bruttoanlageinvestitionen und Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (FuE) können einen Anhaltspunkt geben, welche Ressourcen für aktuelle oder zukünftige Innovationstätigkeiten zur Verfügung stehen. Vorteilhaft ist, dass es internationale Normen für die Erhebung dieser Daten zu Vergleichszwecken gibt, die im Frascati-Handbuch zu finden sind.
Allerdings beschränken sich die für Innovationstätigkeit maßgeblichen Investitionen nicht unbedingt auf FuE-Ausgaben. Aus diesem Grund gibt es Versuche, zusätzlich Informationen über immaterielle Investitionen zu erheben, wobei dieser Betriff weit definiert wurde als Investitionen in computergestützte Informationssysteme (Datenbanken und Software), der Erwerb von innovationsbasiertem Eigentum (wie wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche FuE, Urheberrechte, eingetragene Designs und Warenzeichen) und wirtschaftliche Kompetenzen (wie Markenwert, unternehmensspezifisches Humankapital, Netzwerke, organisatorisches Know-how und Marketing) (OECD, 2011[2]). Eine steigende Zahl von Untersuchungen zeigt, dass immaterielle Investitionen ebenfalls einen wichtigen Parameter sowohl für die Innovationskapazitäten als auch für die Produktivität darstellen: Unternehmen mit höheren immateriellen Investitionen weisen mit größerer Wahrscheinlichkeit auch eine höhere Produktivität auf (Criscuolo et al., 2021[3]; Haskel und Westlake, 2017[4]; Kaus, Slavtchev und Zimmermann, 2020[5]). Investitionen in immaterielle Güter sind wichtig, um sicherzustellen, dass sowohl der öffentliche Sektor als auch der Privatsektor bei der Innovationsförderung digitale Technologien übernehmen und einsetzen können.
Indikatoren zum Forschungspersonal bieten eine weitere Möglichkeit, Innovation zu messen; sie stellen auf die eingesetzten Humanressourcen ab und werden ebenfalls international erhoben.
2. Indikatoren der Zwischenergebnisse
Patente und Veröffentlichungen können dazu dienen, Zwischenergebnisse zu messen, weil sie sich auf noch nicht wirtschaftlich verwertete Fortschritte beziehen, die aus Innovationsprozessen und -investitionen hervorgegangen sind. Lediglich ein geringer Teil dieser Zwischenergebnisse wird sich zu erfolgreichen Innovationen weiterentwickeln.
Daten zu Patenten bieten den Vorteil, dass einige der Messgrößen einen internationalen Vergleich ermöglichen. Besonders gut eignen sich dafür einerseits die Patentanmeldungen nach dem Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (Patent Cooperation Treaty – PCT)1 und andererseits die Anmeldungen bei den fünf größten Patentämtern der Welt (IP5) – also dem Europäischen Patentamt (EPA), dem japanischen Patentamt (JPO), dem Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten (USPTO), dem koreanischen Amt für geistiges Eigentum (KIPO) und dem chinesischen Amt für geistiges Eigentum (CNIPA). IP5-Patente sind Patente, die weltweit in wenigstens zwei Ämtern für geistiges Eigentum registriert sind, von denen eines zu den IP5 gehören muss.
Allerdings gibt es auch Vorbehalte bezüglich dieser Messgrößen: Obgleich Patentdaten breite Anwendung finden, sind sie bekanntermaßen nur für einige Sektoren der Wirtschaft – z. B. für die Pharmaindustrie, Chemiebranche und den Maschinenbau – von großer Bedeutung, aber nicht für alle. Es fällt u. a. auf, dass sie in der Digitalwirtschaft, mit ihren Innovationen in Form von Software, künstlicher Intelligenz und Dienstleistungen, weniger wichtig sind. Wegen ihrer größeren Relevanz für das Verarbeitende Gewerbe erzielen diejenigen Länder tendenziell höhere Patentanmeldungen, die in diesem Wirtschaftszweig aktiver sind, was die deutsche Wirtschaft wahrscheinlich in einem günstigeren Licht erscheinen lässt.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen stellen einen weiteren Indikator für innovative Zwischenergebnisse dar. Sie dienen häufig als Maßstab für die Forschungsleistung – insbesondere in den Naturwissenschaften und angewandten Wissenschaften, wo sie ein wichtiges Mittel zur Verbreitung neuer Erkenntnisse darstellen. Wissenschaftliche Veröffentlichungen lassen sich im Allgemeinen drei Kategorien zuordnen: Artikel in Fachzeitschriften, die zur Verbreitung neuer Erkenntnisse veröffentlicht werden, Übersichtsartikel, die in einem bestimmten Feld veröffentlichte Forschungsergebnisse zusammenstellen und zusammenfassen, und Tagungsberichte. Dieser Indikator ist auch aufgrund seiner Metadaten nützlich: Veröffentlichungen liefern verschiedene Einzelheiten über ihre Verfasser*innen und deren Institutionen, und damit auch Einblicke in die Zusammenarbeit dieser Akteur*innen und in andere mit ihnen zusammenhängende Indikatoren (wie Patente) (Europäische Kommission, 2021[6]).
3. Indikatoren der Innovationsergebnisse und -qualität
Die Daten zum Innovationsoutput wurden bisher mittels Innovationsumfragen erhoben, bei denen die Unternehmen angeben sollten, ob sie eine Innovation eingeführt haben, und falls ja, wie hoch der Neuheitsgrad ist (OECD/Eurostat, 2018[1]). Diese Indikatoren stellen zwar die unmittelbarste Messgröße für Innovation dar, ihre Anwendung im internationalen Vergleich hat sich aber als eher schwierig erwiesen.
Eine eher mittelbare, aber nützliche Messgröße für Innovationsergebnisse sind Warenzeichen. Sie dienen zwar weniger der unmittelbaren Erfassung von Innovationen, aber sie spiegeln den ersten Schritt der wirtschaftlichen Verwertung von Innovationen wider. Wird ein Warenzeichen wirtschaftlich verwertet, wird dadurch der mit dem Warenzeichen verbundenen Innovation – gleich, ob diese technologischer oder nichttechnologischer Natur ist – implizit ein Wert zugewiesen. Diese Daten sind außerdem textlastig und leicht zu verarbeiten. Ihre Metadaten erlauben zusätzliche Einblicke in Belange wie die regionale und sozioökonomische Teilhabe an Innovationen, in Forschungskooperationen und in die Internationalisierung der Forschung – insofern ähneln sie Patenten. Darüber hinaus ermöglichen sie die Nachverfolgung der wirtschaftlichen Verwertung von Zukunftstechnologien. Warenzeichen spielen insbesondere im Dienstleistungssektor eine besondere Rolle, wo Innovationen häufig als nichttechnologisch einzustufen sind.
Zusätzlich können Erkenntnisse zur Innovationsqualität auch aus einer Bewertung der Qualität und Komplexität von Exportprodukten abgeleitet werden (Atkin, Khandelwal und Osman, 2017[7]). Letztlich spiegelt eine vergleichsweise hohe Qualität der Exportprodukte eines Landes auch entsprechende Innovationsbemühungen wider, die den Produkten zugrunde liegen. Für die Messung der Produktqualität kommen verschiedene Bewertungsmethoden zum Einsatz.
1. Patentanmeldungen nach dem PCT werden bei einem nationalen Patentamt eines der Vertragsstaaten des PCT eingereicht. Falls das Patent angenommen wird, kann es auf sämtliche Vertragsstaaten des PCT ausgeweitet werden, sodass es de facto zu einem „internationalen“ Patent wird.
3.2. Vorleistungen für Innovation: FuE, immaterielle und sonstige Investitionen
3.2.1. Investitionen und FuE
Im Jahr 2018 war Deutschland das EU-Land mit den höchsten jährlichen Bruttoanlageinvestitionen und Bruttokapitalstöcken in der Industriebranche und im Verarbeitenden Gewerbe (Abbildung 3.1). In verschiedenen Bereichen, z. B. in der chemischen Industrie und im Maschinenbau, verfügte Deutschland über einen mehr als zweimal so hohen Kapitalstock wie das zweitplatzierte Land (Italien) und damit auch über weltweit führende Wissensreserven und Produktionskapazitäten.
Im Jahr 2019 beliefen sich die Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung (BAFE) auf 3,19 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (110 Mrd. EUR) – nach den Vereinigten Staaten, China und Japan sowohl relativ als auch in nominaler Rechnung das weltweit vierthöchste Niveau (Abbildung 3.2) (OECD, o. J.[8]). Im selben Jahr gab die deutsche Regierung ein BAFE-Ziel in Höhe von 3,5 % des BIP bis 2025 vor (Bundesregierung, 2019[9]).1 Die FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor (BERD) beliefen sich auf 91 Mrd. USD (78 Mrd. EUR); weltweit lag Deutschland damit nominal gerechnet an vierter und mit 2,2 % des BIP an neunter Stelle (OECD, o. J.[10]). Der Großteil der Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung (69 %) entfällt auf den Unternehmenssektor, der Anteil dieser Aufwendungen am BIP stieg von 1,42 % im Jahr 1994 auf 2,2 % im Jahr 2019 (OECD, o. J.[8]). Die deutschen FuE-Ausgaben der Hochschulen (HERD) belaufen sich auf 0,56 % des BIP bzw. 22,2 Mrd. EUR – das dritthöchste Niveau der Welt, hinter den Vereinigten Staaten und China. Die Ausgaben des Staatssektors für FuE (GOVERD) erreichten zuletzt 17,4 Mrd. EUR – weltweit der dritte Platz – bzw. 0,44 % des BIP, das zweithöchste Niveau nach Korea.
In Deutschland betrug die durchschnittliche jährliche BERD-Wachstumsrate 1,9 % zwischen 2008 und 2020. Die meisten anderen großen Länder verzeichneten einen deutlicheren Anstieg (12,4 % für China, 3,7 % für die Vereinigten Staaten und 2,4 % für das Vereinigte Königreich), in Frankreich (1,8 %) und Japan (0,1 %) war er allerdings geringer (siehe Abbildung 3.3).
3.2.2. Immaterielles und wissensbasiertes Kapital in Deutschland
Investitionen in IKT stellen eine verwandte aggregierte Messgröße für Innovation dar. Die deutschen IKT-Investitionen beliefen sich 2017 auf nur 1,63 % des BIP – nur drei OECD-Länder verzeichneten einen noch geringeren Anteil (OECD, o. J.[12]). Der Beitrag des IKT-Kapitals zum Wachstum ist in Deutschland damit nur halb so groß wie in den Vereinigten Staaten; zudem geht er seit Anfang der 2000er Jahre konstant zurück. Die Daten spiegeln die im Vergleich zu anderen im Innovationsbereich führenden Ländern geringe Verbreitung von IKT in der deutschen Wirtschaft wider. Dies belegen auch Daten über die Aktualisierung von IKT durch Unternehmen; eine eingehende Erörterung findet sich in Kapitel 10.
Wie aus Abbildung 3.4 ersichtlich stagnierten die Investitionen in Wissenskapital (z. B. in Organisationskapital oder Bildungsmaßnahmen) in Deutschland zwischen 1995 und 2016, insbesondere im Vergleich zu den in dieser Hinsicht leistungsstärksten Ländern. In ähnlicher Weise betragen die Investitionen in Software und Datenbanken weniger als zwei Drittel des OECD-Durchschnitts; dies spiegelt teilweise die deutsche Konzentration auf FuE und Kapitalinvestitionen im Verarbeitenden Gewerbe wider.
3.2.3. Humanressourcen für Innovation
Mit 450 700 Forschenden (gerechnet in Vollzeitäquivalenten) gehört Deutschland weltweit zu den Staaten mit den höchsten dauerhaften Forschungskapazitäten. Nur China, die Vereinigten Staaten und Japan verfügen über mehr Vollzeitäquivalente in der Forschung. In der Europäischen Union führt Deutschland mit großem Abstand vor Frankreich (314 100) und Italien (160 800). Deutschland befindet sich bei der Gesamtanzahl von in FuE Beschäftigten im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung in Ländern mit mehr als 50 Millionen Einwohnern auf Platz 10 und damit auf ähnlichem Niveau wie Frankreich, aber hinter Korea. Wie in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften der OECD ist auch in Deutschland die überwiegende Mehrheit der Forschenden im Unternehmenssektor beschäftigt (61 %). Die Anzahl der Forschenden liegt im Hochschulsektor (24 %) etwas unter dem OECD-Durchschnitt (30 %) und im öffentlichen Sektor (13 %) über dem OECD-Durchschnitt (6,5 %).
In Anbetracht der großen Bedeutung des Privatsektors für die Innovationstätigkeit in Deutschland ist es möglicherweise nicht überraschend, dass das Land die fünftgrößte Zahl an in Unternehmen beschäftigten Forschenden aufweist (262 000) und damit zwar hinter China, den Vereinigten Staaten, Japan und Korea, aber vor Frankreich (189 000) und Italien liegt (78 000). Die Anzahl der vollzeitäquivalenten Forschenden im deutschen Unternehmenssektor entspricht 27 % der gesamten Forschenden des Unternehmenssektors in der Europäischen Union. Der Anteil der Forschenden an der Erwerbsbevölkerung (9,7 %) ist mit Ländern wie Frankreich (10,9 %) und Japan (9,9 %) vergleichbar, aber geringer als in bestimmten südasiatischen und nordeuropäischen Ländern wie Korea (15,2 %), Schweden (14,7 %) und Finnland (14,4 %) (Abbildung 3.5).
Hinsichtlich der Teilhabe steht der Forschungssektor vor verschiedenen Herausforderungen, insbesondere was den Anteil von Frauen angeht. Die Schwierigkeiten sind sowohl in der Gesamtbetrachtung – Frauen machen lediglich 28 % der gesamten vollzeitäquivalenten Forschenden aus – als auch innerhalb des Unternehmenssektors (15 %) sichtbar (Abbildung 3.6). Bemerkenswerterweise weisen unter den großen Industrienationen der OECD nur Korea und Japan – zwei Länder mit einem ähnlichen Innovationsschwerpunkt im MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Technologie) einen geringeren Frauenanteil als Deutschland auf.
3.2.4. Unternehmensdynamik und Start-ups
Die Unternehmensdynamik hat sich in Deutschland abgeschwächt: Im Gegensatz zum Aufwärtstrend in anderen OECD-Ländern gingen die Unternehmensgründungen, -schließungen und -insolvenzen in den vergangenen Jahrzehnten zurück. Das Wachstumspotenzial deutscher Start-ups und kleinerer Unternehmen wird dabei durch vergleichsweise schlechte Finanzierungsbedingungen in Deutschland gehemmt. Obwohl das Volumen der deutschen Wagniskapitalfinanzierungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, liegt es in der OECD-Region nur auf dem sechsten Platz und bleibt damit erheblich hinter entsprechenden Finanzierungen in anderen Volkswirtschaften wie Korea und dem Vereinigten Königreich zurück (siehe die eingehende Erörterung in Kapitel 7). Initiativen der Politik wie der Zukunftsfonds befassen sich ausdrücklich mit diesem Mangel an Förderung, insbesondere in den unterentwickelten zweiten und dritten Phasen des Finanzierungszyklus (ein Überblick über die politischen Programme für Innovation in Unternehmen ist in Kapitel 5 enthalten). Darüber hinaus können mit gezielter öffentlicher Beschaffung auf nationaler und regionaler Ebene Innovationskapazitäten unter kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-ups gefördert werden, wie eingehender in Kapitel 11 erörtert.
3.3. Zwischenergebnisse von Innovation: Patente, Warenzeichen und Veröffentlichungen
3.3.1. Deutsche Patentanmeldungen im internationalen Kontext
2020 wurden von Deutschland 30 % der PCT-Patentanmeldungen in Europa vorgenommen, der weltweite Anteil betrug 6,7 %. Im Jahr 2018, dem letzten Jahr, für das Vergleichsdaten zur Verfügung stehen, entfiel auf Deutschland der fünftgrößte Anteil von IP5-Patentanmeldungen2, was einen Rückgang gegenüber dem Jahr 2005 darstellte, in dem Deutschland noch den drittgrößten Anteil hielt. Dies ist allerdings nicht das Ergebnis eines Rückgangs deutscher Patentanmeldungen in absoluten Zahlen, sondern geht auf die stärkeren Leistungen von China und Korea zurück.
Bemerkenswerterweise ist die Forschung in Deutschland in hohem Maße internationalisiert, was die globale Ausrichtung der FuE-Aktivitäten deutscher Unternehmen deutlich macht. So machten beispielsweise im Jahr 2018 Ko-Patente 16 % der gesamten Patentanmeldungen aus – ein Anteil, der zwar hinter dem Vereinigten Königreich und Frankreich, aber vor wichtigen Wettbewerbern wie Japan und Korea liegt (OECD, o. J.[14]). Die Anteile in den Vereinigten Staaten und China sind ebenfalls geringer – was allerdings mit der Größe dieser Volkswirtschaften zusammenhängt. Jedoch ist die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene schwächer ausgeprägt als in anderen OECD-Ländern. Beispielsweise beteiligten sich lediglich 20 % der an Innovationen arbeitenden Unternehmen an gemeinschaftlichen Innovationstätigkeiten beliebiger Art, was den viertniedrigsten Anteil in der OECD darstellt; gleichzeitig kann dies z. T. auch als Beleg für die großen internen Forschungskapazitäten dienen, die bei vielen der an Innovationen beteiligten Akteure in Deutschland vorhanden sind. Außerdem beteiligen sich in Deutschland lediglich 8,9 % der innovativen Unternehmen an internationalen Kooperationen in der Forschung, ein niedriger Anteil im Vergleich zu anderen in hohem Maße innovativen – und großen – Ländern wie den Vereinigten Staaten (14,6 %), Frankreich (16,4 %) und dem Vereinigten Königreich (35,9 %).
Der auf deutsche Unternehmen entfallende Anteil an Patenten von großem Wert ist größer als der Anteil des Landes an sämtlichen Patenten. Im Jahr 2016, dem letzten Jahr, für das Daten zur Verfügung stehen, entfielen auf Deutschland 9,2 % aller IP5-Patentanmeldungen weltweit, womit das Land nur knapp hinter Korea (9,9 %) und China (10,6 %), aber weit hinter den Vereinigten Staaten (19,2 %) und Japan (28,5 %) liegt (OECD, o. J.[10]). Bei triadischen Patentfamilien3 war der Gesamtanteil Deutschlands im Jahr 2016 etwas geringer (7,8 %), wenngleich hinter Japan (34,7 %) und den Vereinigten Staaten (26 %) immer noch am drittgrößten. Die weltweiten Anteile Deutschlands an triadischen Patenten in hochinnovativen Bereichen wie Umweltmanagement (10 %), Klimaschutztechnologien (10 %), Arzneimittel (5,6 %) und Biotechnologien (5,6 %) sind ebenfalls erheblich (OECD, 2021[31]). Deutschlands starke Leistung im Patentbereich geht u. a. auf die Wirtschaftsstruktur zurück, da die vorherrschenden Branchen des Landes für den Schutz geistigen Eigentums in erheblichem Maße auf Patente setzen.
Gleichwohl zeigen jüngere Analysen, dass der Anteil Deutschlands an „Weltklassepatenten“, einschließlich jener, die häufig zitiert werden und in mehreren Märkten angemeldet sind, in den vergangenen zwei Jahrzehnten ebenfalls geringer geworden ist.
Die rückläufige Entwicklung bei der Anmeldung triadischer Patente, die in mehreren führenden Volkswirtschaften zu beobachten ist, sowie der sinkende Anteil an häufig zitierten Patenten sind Hinweise auf nachlassende technologische Erträge aus der FuE des Unternehmenssektors. Gemäß einer jüngeren Studie hat der Beitrag deutscher Innovationsträger zu den 10 % der am meisten angeführten Patente über 58 bedeutende Technologiebereiche hinweg in den vergangenen zwei Jahrzehnten abgenommen, wenngleich das aktuelle Niveau im internationalen Kontext nach wie vor hoch ist (Breitinger, Dierks und Rausch, 2020[16]). Im Jahr 2010 befand sich Deutschland bei Weltklassepatenten noch in 47 von 58 Technologiebereichen unter den drei führenden Nationen; bis 2019 sank diese Zahl allerdings auf 22 Technologiebereiche. Diese Entwicklung betrifft auch die traditionelle deutsche Stärke des Verarbeitenden Gewerbes, wo häufig zitierte Patente zunehmend aus ostasiatischen Ländern stammen. Parallel dazu hat sich die technologische Produktivität – gemessen an der Anzahl der triadischen Patente je Milliarde US-Dollar an von deutschen Anmelder*innen eingeworbenen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor (bei konstanten Preisen) – im Zeitraum von 2000 bis 2019 halbiert.
Insgesamt hat also die Fähigkeit Deutschlands, hochwirksame technologische Innovationen hervorzubringen, trotz steigender Investitionen in FuE abgenommen. Ein ähnlicher – aber weniger steiler – Abwärtstrend ist bei FuE im Unternehmenssektor im Vereinigten Königreich und in Frankreich zu beobachten. Im Gegensatz dazu verzeichnet Korea eine stabilere Entwicklung, und Japan führt die Gruppe dieser fünf Vergleichsländer bei der Anzahl der hervorgebrachten triadischen Patente je Milliarde US-Dollar an FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor an.
3.3.2. Deutsche wissenschaftliche Veröffentlichungen im internationalen Kontext
Deutschland ist ein Hauptproduzent hochwertiger wissenschaftlicher Forschung und Veröffentlichungen. Was Forschungsergebnisse in den obersten 10 % der weltweit am häufigsten zitierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften betrifft, haben zwar China (20,7%), die Vereinigten Staaten (20,5%) und das Vereinigte Königreich (5,2 %) unter den obersten 10 % der am häufigsten zitierten Veröffentlichungen die höchsten Anteile, doch auch der Beitrag Deutschlands (4,4 %) ist nicht unbedeutend. Die hohe Anzahl wissenschaftlicher Publikationen des deutschen WTI-Systems unterstreicht sowohl den Erfolg der deutschen Förderinstitutionen und Programme für hochwertige Forschung als auch den enormen Wissensschatz, auf den Innovationsträger*innen des Landes zurückgreifen können.
Bei Beiträgen zu hochwertiger wissenschaftlicher Literatur schneidet Deutschland in denjenigen Bereichen gut ab, die die sektoralen Stärken seines Innovationssystems abbilden, wie auch auf Gebieten, die sich weniger klar den zentralen Kompetenzen bestimmter Sektoren oder Branchen zuordnen lassen. Deutschland zählt zu den zehn Ländern, die am meisten zu hochwertiger wissenschaftlicher Literatur verschiedener akademischer Disziplinen beitragen. So schneidet Deutschland in traditionellen MINT-Bereichen wie Ingenieurwesen (10,2 % – weltweit der fünfte Platz), Informatik (11,5 % – sechster Platz) und Materialforschung (9,5 % – achter Platz), aber auch in den Geistes- (12,6 % – fünfter Platz) und Sozialwissenschaften (12,6 % – vierter Platz) gut ab. Das breite Spektrum dieser wissenschaftlichen Kompetenzen verdeutlicht die große Vielfalt an wissenschaftlichem Wissen und Fachkenntnissen, die im deutschen Innovationssystem zur Verfügung stehen.
3.4. Indikatoren der Innovationsergebnisse und -qualität auf der Basis der Exportleistung
Die starke Innovationsleistung Deutschlands trägt dazu bei, dass sich die Wirtschaft des Landes trotz erheblich höherer Personalkosten als in vielen Entwicklungsländern vor allem auf Exporte stützen kann. In absoluten Zahlen liegt Deutschland beim internationalen Handel mit Gütern und Dienstleistungen unter den OECD-Ländern auf Platz zwei hinter den Vereinigten Staaten – und der Anteil deutscher Exporte am BIP (47 %) lässt die anderen G7- und G20-Staaten weit hinter sich. Im Vergleich zu anderen großen und industrialisierten Volkswirtschaften hat der Außenhandel für Deutschland demnach eine besonders hohe Bedeutung. Ein Hauptbestandteil der deutschen Exporte sind Investitionsgüter und Zwischenprodukte des Verarbeitenden Gewerbes, mit denen das Land einen bedeutenden Beitrag zur Globalwirtschaft leistet (Abbildung 3.10).
Deutschlands großes Ausfuhrvolumen ist das Ergebnis eines komplexen und innovativen Exportwarenkorbs, zu dem viele deutsche Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes hochwertige und technologisch fortgeschrittene Produkte beitragen. Die Komplexität dieses Warenkorbs – gemessen an der Vielfalt und dem hohen Entwicklungsstand der Exporte – zeugt von den Kompetenzen der deutschen Industrieproduktion und damit letztlich von ihren Innovationskapazitäten. Mit dieser Komplexität, die die Vielfalt der ausgefeilten und innovativen Exporterzeugnisse Deutschlands widerspiegelt, liegt das Land unter den G7-Staaten auf Platz 2 und weltweit auf Platz 4.
Auch Deutschlands Anteil an weltweit führenden Innovationsunternehmen verdeutlicht seine starke Position im Innovationsbereich: Das Land besitzt nach den Vereinigten Staaten (775), China (536) und Japan (309) die viertgrößte Gruppe der führenden Innovationsunternehmen (Europäische Kommission, 2020[17]). Unter den 2 500 führenden FuE-Investoren weltweit befinden sich 124 deutsche Unternehmen (2020) – nahezu doppelt so viele wie in Frankreich (69), dem nächsten EU-Land in der Rangliste; die Investitionen selbst sind sogar fast dreimal so hoch (89 Mrd. EUR für Deutschland, 33 Mrd. für Frankreich) (Europäische Kommission, 2020[17]). Innerhalb Europas hat nahezu jedes vierte hochinnovative Unternehmen seinen Sitz in Deutschland. Im Jahr 2020 befanden sich unter den 25 Firmen mit den meisten Patentanmeldungen beim EPA vier deutsche Konzerne – Siemens (sechster Platz), Robert Bosch (siebter Platz), BASF (zehnter Platz) und Continental (24. Platz); dies war der größte Anteil in der Europäischen Union (EU28) (EPA, 2021[18]). Innerhalb Deutschlands verzeichneten im Jahr 2020 die folgenden Unternehmen die meisten PCT-Patentanmeldungen: Robert Bosch (4 033 Anmeldungen), Schaeffler Technologies (1 907) und BMW (1 874) (DPMA, o. J.[19]). Die meisten deutschen Anmeldungen beim EPA reichten Robert Bosch (1 516 Anmeldungen), Siemens (1 416) und BASF (1 188) ein.
Trotz ihrer Erfolge erweisen sich deutsche Unternehmen auf den Finanzmärkten im Vergleich zu bedeutenden Innovationsträgern in mehreren anderen OECD-Ländern als nur bedingt attraktiv: Die Marktkapitalisierung börsennotierter Unternehmen betrug im Jahr 2018 insgesamt 44,1 % des BIP und lag damit zwar nur geringfügig unter dem Durchschnitt der Eurozone (54,5 %), aber deutlich hinter anderen führenden OECD-Ländern wie Korea (82,0 %), Japan (105,2 %) und den Vereinigten Staaten (147,7 %) (Weltbank, 2022[20]). Dies gilt auch für die Aktienwerte börsennotierter Unternehmen, wo Deutschland unter den G7-Staaten 2018 nur den vorletzten Platz erreichte (OECD, o. J.[21]).
3.5. Regionale und Branchenstruktur von Innovationen
3.5.1. Regionale Struktur
Im Bereich der Patentanmeldungen treten in Deutschland zwar regionale Abweichungen auf, die geografische Konzentration auf Ballungsgebiete ist allerdings weniger ausgeprägt als in anderen OECD-Ländern: Wie aus Abbildung 3.11 ersichtlich, weist Deutschland eine geringere geografische Konzentration in den führenden 10 %, 5 % und 1 % der Städte auf als wichtige Vergleichsländer wie Japan, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich (Paunov et al., 2019[22]).
Bei einigen Technologiefeldern zeigt sich allerdings eine stärkere geografische Konzentration, vermutlich weil sich in diesen Fällen das spezialisierte Fachwissen auf nur wenige Forschungseinrichtungen und Industrieakteure verteilt. Beispielsweise tritt die stärkste geografische Konzentration bei den Patentanmeldungen für digitale Technologien und Biotechnologie auf: 2010 bis 2014 wurden 41 % der Patente im Bereich digitaler Technologien und 45 % der Patente für Biotechnologie in den führenden 10 % der Städte angemeldet, während der Durchschnitt sämtlicher Technologiefelder im selben Zeitraum niedriger lag (Paunov et al., 2019[22]). Pro 100 000 Einwohner verzeichneten die 3 führenden Regionen 122 (Baden-Württemberg), 90 (Bayern) und 37 (Niedersachsen) Anmeldungen, am anderen Ende der Rangliste kamen Mecklenburg-Vorpommern auf 6, Sachsen-Anhalt auf 7 und Berlin auf 14 Anmeldungen (DPMA, o. J.[19]). Kapitel 16 enthält weitere Einzelheiten zu der regionalen Verteilung deutscher Innovationen.
Die industrielle Basis Deutschlands mit ihrem Schwerpunkt in der Fertigungsindustrie (insbesondere Fahrzeugbau, Maschinenbau und Elektrotechnik) ist in den südlichen Bundesländern beheimatet. In Bayern sind Unternehmen wie Airbus, Audi und BMW, in Baden-Württemberg neben vielen Mittelstandsunternehmen auch Bosch, Daimler und Porsche ansässig. Mit den weltweit tätigen Versicherungsunternehmen Allianz und Munich RE verfügt Bayern außerdem über eine gut entwickelte Dienstleistungsbranche, während in Baden-Württemberg SAP, eines der wenigen weltweit führenden Software-Unternehmen Deutschlands, beheimatet ist. Des Weiteren haben sich beide Bundesländer zu starken Forschungs- und Innovationszentren entwickelt: In Baden-Württemberg befinden sich 70 Einrichtungen der höheren Bildung und zahlreiche Institute der Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaften, während in Bayern annähernd 40 Einrichtungen der höheren Bildung und mehr als 20 Forschungszentren angesiedelt sind (GTAI, o. J.[23]). Das an der Grenze zu Frankreich und Luxemburg gelegene Saarland ist Knotenpunkt für Logistik und Transport mit mehr als 150 Unternehmen, weitere Cluster, z. B. Start-ups im Bereich IT, entstehen derzeit in der Region. Als Standort von Unternehmen wie Opel, Rolls-Royce, Jenoptik, Bosch und Zeiss ist in Thüringen umfassendes Fachwissen in den Bereichen Herstellung optischer Linsen, Medizin- und Biotechnologie, Photovoltaik und Softwareentwicklung verfügbar. In Rheinland-Pfalz – geprägt durch Mittelstandsunternehmen und „Hidden Champions“, aber auch die Heimat von BASF – sind die chemische und pharmazeutische Industrie, die Automobilbranche, die Metall- und Maschinenbauindustrie und die Lebensmittelindustrie stark vertreten. Der Flughafen Frankfurt am Main bringt ausländische Investoren nach Hessen und sorgt für die internationale Anbindung des Bundeslands mit Schwerpunkten rund um Digitalisierung und Daten, im Privatsektor ebenso wie in der Forschung. Das vor allem für die Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs bekannte Unternehmen BioNTech mit Sitz in Mainz war in der jüngeren Vergangenheit ein Hauptmotor des Wachstums. Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands und ein beliebtes Ziel für ausländische Investoren. 70 Universitäten und Fachhochschulen sowie 110 Technologiezentren und außeruniversitäre Forschungsinstitute bilden dort das dichteste Forschungsnetzwerk in Europa (ebd.).
Die Stärken norddeutscher Industrie stehen in vielen Fällen im Zusammenhang mit der Nord- und Ostsee: Bedeutende Schiffbauunternehmen, Hafenbetreiber sowie Unternehmen für Seehandel und internationalen Güterverkehr sind in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg angesiedelt. In Niedersachsen sind außerdem die Automobilbranche (mit Volkswagen und Continental) genauso wie die Reise- und Tourismusbranche (TUI Group) stark verwurzelt; wegen seiner 35 Häfen ist in Niedersachsen neben dem Güterverkehr auch der Schiffbau prominent vertreten. In dem Bundesland werden internationale Handelsmessen ausgerichtet und es finden sich dort 30 Einrichtungen der höheren Bildung. Schleswig-Holstein erlebt starkes Wachstum im Bereich erneuerbare Energien; das Bundesland ist Heimat des Fraunhofer-Instituts für Siliziumtechnologie und des IZET Innovationszentrums sowie führender Unternehmen der Medizinbranche wie Dräger und Johnson & Johnson Medical. Der Hamburger Hafen ist der zweitgrößte Hafen Europas und eine Logistikdrehscheibe. Hamburg ist außerdem ein Zentrum für die Luft- und Raumfahrt und besitzt eine vielfältige Dienstleistungsbranche in den Bereichen Medien, Marketing, IT und Lebenswissenschaften. Bremen, ebenfalls eine Hafenstadt, hat seine Stärken in der maritimen Wirtschaft, in Logistik, Windkraft und der Lebensmittelindustrie; außerdem sind in Bremen neben der Automobilbranche (Mercedes-Benz) und der Luftfahrtbranche (Airbus) mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz auch die Digital- und die IT-Dienstleistungsbranche vertreten (ebd.).
Berlin ist zwar kein industrielles Zentrum mehr, aber in der Bundeshauptstadt haben zahlreiche weltweit und national führende Unternehmen Niederlassungen eröffnet. Die Stärken der Stadt liegen hauptsächlich in den Bereichen Medien, Mode, Musik, Dienstleistungen, IT und Gesundheitswesen, aber auch in der Bio-, Medizin-, Umwelttechnologie sowie im Bereich Optik. In Berlin entstehen außerdem immer mehr Start-ups und die Stadt hat 18 Einrichtungen der höheren Bildung sowie 250 Forschungsstätten zu bieten, darunter Deutschlands größtes Wissenschafts- und Technologiezentrum in Adlershof. Das Bundesland Brandenburg dient dank seiner Nähe zu Berlin und seiner zentralen Position in Europa als Knotenpunkt des Wirtschaftsverkehrs. Wirtschaftliche Schwerpunkte in Sachsen-Anhalt sind die chemische Industrie und Biotechnologie, außerdem sind in dem Bundesland Automobilzulieferer ansässig und es ist ein Zentrum für die Kunststoffherstellung und -verarbeitung sowie Standort von 2 Universitäten, 12 Akademien und 22 Forschungseinrichtungen. In Sachsen konzentriert sich die Forschung auf Leichtbau, Energiespeicher-, Automatisierungstechnologien und die Zukunft der Mobilität, während die industriellen Stärken in den Bereichen Maschinenbau und Mikroelektronik/IKT liegen; die Logistikbranche ist dort ebenfalls ein starker Wirtschaftsmotor (ebd.).
3.5.2. Branchenstruktur
Im internationalen Vergleich ähnelt Deutschland hinsichtlich der sektoralen Zusammensetzung der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor vor allem Japan: Der Korrelationskoeffizient zwischen den beiden Ländern bezüglich der Anteile an 12 Branchen beträgt 0,88 (Abbildung 3.12). Auch mit Korea, China und Österreich bestehen Ähnlichkeiten, große Unterschiede ergeben sich jedoch beim Vergleich mit westeuropäischen Nachbarländern (Niederlande, Belgien, Frankreich und Schweiz). Der Korrelationskoeffizient Deutschlands mit den G30-Staaten von 0,42 sollte im Kontext der entsprechenden Zahlen für China (0,52), Japan (0,72), die Vereinigten Staaten (0,72) und Korea (0,83) betrachtet werden, die nahelegen, dass die deutsche Branchenkonzentration der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor einen Sonderfall unter den großen Industrienationen darstellt.
Deutschlands FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor konzentrieren sich auf eine begrenzte Anzahl von Sektoren und Branchen, wobei die Aufwendungen für Innovation im Verarbeitenden Gewerbe auf einem besonders hohen Niveau liegen. Im Jahr 2017, dem letzten Jahr, für das branchenbezogene Daten zur Verfügung stehen, wurden 85 % der gesamten intramuralen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor im Verarbeitenden Gewerbe getätigt, ein erheblich höherer Anteil als in den Vereinigten Staaten (64 %) und in europäischen Ländern wie dem Vereinigten Königreich (41 %), Frankreich (49 %), den Niederlanden (57 %) und der Schweiz (70 %).
Nationale Statistiken zu Aufwendungen für Innovation umfassen sämtliche (intramurale und extramurale) FuE-Aufwendungen sowie den Aufwand für die Umsetzung von Innovationen wie die Anschaffung von Maschinen und Ausrüstung, Schulungen, Marketing und Design. Zwischen 2017 und 2019 betrugen die deutschen Aufwendungen für Innovation in jedem der drei Jahre 172 Mrd. EUR. Auf den Fahrzeugbau entfielen davon 28,5 % (49,1 Mrd. EUR), gefolgt vom Maschinenbau (9,6 % bzw. 16,6 Mrd. EUR). Andere im Hinblick auf ihre Aufwendungen für Innovation bedeutende Branchen waren die Elektronikbranche, die Pharmaindustrie, die Bereiche Computerprogrammierung und elektrische Ausrüstungen sowie die Chemiebranche (Abbildung 3.13).
Die Rangfolge der Branchen nach Innovationsaufwendungen stimmt in hohem Maße mit der Rangfolge nach FuE-Aufwendungen überein, da in den meisten Branchen mit hohen Ausgaben für Innovationen diese Mittel vornehmlich in FuE fließen. Während durchschnittlich 56 % aller Innovationsaufwendungen im deutschen Unternehmenssektor FuE betreffen, wenden die Branchen, die besonders stark in Innovationen investieren, sogar zwischen 64 % und 78 % für FuE auf (Abbildung 3.14). Die einzige Ausnahme bildet die Telekommunikationsbranche, in der zwei Drittel der Aufwendungen für Innovation investive Ausgaben für materielle oder immaterielle Vermögenswerte darstellen. Der FuE-Anteil an den Innovationsausgaben der Automobilbranche ist aufgrund ihrer hohen investiven Aufwendungen im Vergleich zu den anderen Branchen mit hohen Aufwendungen für Innovationen geringer (24 % bzw. 12 Mrd. EUR pro Jahr im Zeitraum von 2017 bis 2019).
Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes bestehen bei den FuE-Ausgaben eindeutige Branchenschwerpunkte. So entfielen im Jahr 2017 beispielsweise 37,3 % der gesamten FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor auf die Automobilbranche, ein globaler Spitzenwert unter den Ländern, für die branchenweite FuE-Daten zur Verfügung stehen. Die sektorale Zusammensetzung der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor ist der Japans erstaunlich ähnlich: In Japan entfällt die zweithöchste Konzentration der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor (25,9 %) auf die Automobilbranche. Dies unterstreicht die ähnlich wichtige Rolle des Verarbeitenden Gewerbes in der japanischen Wirtschaft; dementsprechend beträgt der Korrelationskoeffizient des Anteils der zwölf Branchen mit den höchsten FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor für Deutschland und Japan 90 %. In anderen größeren Volkswirtschaften mit bedeutender Automobilindustrie sind die Anteile der Branche an den gesamten FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor deutlich geringer; dafür konzentrieren sich diese Ausgaben teilweise in anderen für die digitale Transformation bedeutenden Wirtschaftszweigen (z. B. in der Elektronikbranche in Korea). Unter den OECD-Ländern hat die Automobilbranche der Slowakischen Republik nach der deutschen den zweithöchsten Anteil an den FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor (35,5 %).
Die Automobilbranche ist der Haupttreiber des Wachstums der Aufwendungen für Innovation in Deutschland. Sie war zwischen dem Ende der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 und dem Jahr 2019 für mehr als 40 % des gesamten Anstiegs der Innovationsausgaben verantwortlich. Der gleitende Dreijahresdurchschnitt des Wachstums der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor betrug in diesem Zeitraum 1,9 %. Mehr als 40 % dieses Gesamtanstiegs kann der Automobilbranche zugerechnet werden, die nicht nur die FuE-Aufwendungen erhöhte, sondern auch die investiven Aufwendungen (durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von +2,3 %) und sonstigen Aufwendungen (durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von +3,8 %). Erheblich zum Anstieg beitragen haben u. a. auch die Pharmaindustrie, der Bereich Computerprogrammierung, der Maschinenbau und die Elektrogeräteindustrie. Die Dynamik der Automobilbranche als eine im Vergleich mit anderen Branchen deutlich ergiebigere Quelle von FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor und als wesentlicher Motor der Ausweitung dieser Aufwendungen in der deutschen Wirtschaft bringt weiter gefasste wirtschaftspolitische Herausforderungen hinsichtlich der Innovationsausgaben im Land mit sich; diese ergeben sich aus den Verbindungen des Sektors zu Wissenschaft und Forschung und aus seinen Beiträgen zu Wachstum und Erwerbsbeschäftigung.
Angesichts der Bedeutung des Verarbeitenden Gewerbes und insbesondere der Automobilbranche für die deutsche Wirtschaft ist die wichtige Rolle dieser Wirtschaftszweige auch im Innovationssystem des Landes vielleicht keine Überraschung. Ungefähr 85 % aller intramuralen FuE werden durch Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes erbracht, was weit über dem entsprechenden Anteil in vergleichbaren Volkswirtschaften wie den Vereinigten Staaten (64 %) und Frankreich liegt (49 %). Im Jahr 2019 wurden 53 % der deutschen FuE-Aufwendungen in der Automobilbranche getätigt – dieser Betrag entspricht 24 % der weltweiten FuE-Ausgaben dieser Industrie. Keine andere große Industrienation weist in irgendeiner Branche eine vergleichbare sektorale Konzentration von Innovationsförderung und Innovationskapazitäten auf (Europäische Kommission, 2020[17]). Vier der zehn bei FuE-Aufwendungen weltweit führenden Automobilunternehmen – Volkswagen (erster Platz), Daimler (zweiter Platz), BMW (sechster Platz) und Bosch (siebter Platz) – stammen aus Deutschland (Europäische Kommission, 2020[17]).
Doch im Innovationssystem Deutschlands ist die Automobilbranche bei weitem nicht der einzige bedeutende Bereich des Verarbeitenden Gewerbes und industrielle Akteur. Im Jahr 2018, dem letzten Jahr, für das Vergleichsdaten zur Verfügung stehen, trugen auch die Elektronikbranche (11,4 %), der Maschinenbau (9,9 %) sowie die Chemie- (7,2 %) und die Pharmaindustrie (5,8 %) in wesentlichem Maße zu den gesamten FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor bei (OECD, o. J.[10]). Während diese Zahlen im Vergleich zum Beitrag der Automobilbranche niedrig sind, sind sie nominal durchaus von Bedeutung (8,3 Mrd. EUR in der Elektronikbranche, 7,1 Mrd. EUR im Maschinenbau, 5,2 Mrd. EUR in der Chemie- und 4,1 Mrd. EUR in der Pharmabranche). Sie sind außerdem erheblich höher als in anderen im Innovationsbereich führenden Ländern wie Frankreich und Italien. Darüber hinaus sind in diesen Sektoren eine Reihe von Weltmarktführern in Deutschland ansässig, darunter Siemens (an zweiter Stelle bei FuE-Aufwendungen in der Elektronikbranche), Bayer (an achter Stelle in der Pharmabranche), BASF (an erster Stelle in der Chemiebranche) und SAP (an achter Stelle bei Software und EDV-Dienstleistungen) (Europäische Kommission, 2020[17]). Fünf der zehn Unternehmen, die nicht nur Nettobeiträge zur FuE in der Europäischen Union geleistet, sondern im Jahr 2019 am meisten zum Wachstum von FuE beigetragen haben, stammen aus Deutschland; angeführt werden sie von SAP, dessen Wachstum von 18,6 % im Vergleich zum Vorjahr den stärksten Impuls für einen FuE-Anstieg gegeben hat (Europäische Kommission, 2020[17]).
Zahlreiche andere Branchen stellen ebenfalls bedeutende Quellen von FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor dar, und zwar auch im internationalen Vergleich (Abbildung 3.15) und nicht nur auf nationaler Ebene (Abbildung 3.16). Im Jahr 2018 beispielsweise beliefen sich die deutschen FuE-Ausgaben der Chemiebranche insgesamt auf 5,2 Mrd. USD. Diese Zahl entspricht dem vierthöchsten Niveau weltweit, deutlich hinter China (23,9 Mrd. USD), den Vereinigten Staaten (9 Mrd. USD) und Japan (8,1 Mrd. USD), innerhalb der Europäischen Union liegt Deutschland damit aber an der Spitze, gefolgt von Frankreich (4 Mrd. USD), Belgien (1,2 Mrd. USD) und Italien (0,7 Mrd. USD). Ähnliche Entwicklungen sind im Maschinenbau zu beobachten – auch hier leistet die deutsche Branche hinter China (32,6 Mrd. USD), Japan (12,9 Mrd. USD) und den Vereinigten Staaten (12,8 Mrd. USD) den viertgrößten Beitrag (8,9 Mrd. USD) zu den FuE-Ausgaben – sowie in weiteren Sektoren mit hohen FuE-Aktivitäten wie der Elektronikbranche (mit 3,4 Mrd. USD auf dem weltweit vierten Rang) und der Pharmabranche (mit 5,8 Mrd. USD auf dem fünften Rang). Zusammengenommen stellt die breite Auswahl an Sektoren mit hohen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor in Deutschland eine weltweit wettbewerbsfähige und führende Quelle für Innovationstätigkeit im Privatsektor dar, mit wertvollen Wissensbeständen und technologischen Fachkenntnissen.
Viele Branchen mit hohen Innovationsaufwendungen haben gemein, dass ein Großteil dieser Aufwendungen auf Investitionen entfällt: Setzt man diesen Teil der investiven Ausgaben (für Sachanlagen, Werke und Ausrüstungen sowie für immaterielle Vermögensgüter, aber ohne FuE-Aufwendungen) ins Verhältnis zum Gesamtbetrag der Investitionsausgaben (ebenfalls unter Ausschluss von FuE-Aufwendungen), wie dieser in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesen wird, ergeben sich für manche Branchen hohe Anteile, die von 45 % (Elektrische Ausrüstungen), 48 % (Automobilbranche) bis zu 56 % oder gar 60 % reichen (Elektronik, sonstiger Fahrzeugbau, Maschinenbau). In der Pharmabranche (35 %) und der Chemiebranche (27 %) sind die Anteile allerdings geringer. Gesamtwirtschaftlich gesehen zielen lediglich 22 % aller investiven Ausgaben auf Innovation ab.
Zahlreiche weitere Branchen in Deutschland haben zuletzt einen überdurchschnittlichen Beitrag zum globalen Wachstum von FuE geleistet, darunter die FuE-Dienstleistungen (16,2 % des weltweiten Anstiegs von FuE-Aufwendungen zwischen den Jahren 2008 und 2017), die Unternehmensdienstleistungen (12,9 %) und der Maschinenbau (10,0 %). Über alle Branchen hinweg wurde die FuE-Dynamik stark durch China beeinflusst: das Land leistete im gleichen Zeitraum 50 % des Gesamtanstiegs. Der Beitrag Chinas zum Gesamtwachstum der FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor reichte von 33 % bis mehr als 100 % im Verarbeitenden Gewerbe und von 11 % bis 47 % in der Dienstleistungsbranche.
Auf Sektorebene war die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der deutschen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor in drei Branchen (Unternehmensdienstleistungen, FuE-Dienstleistungen, sonstiger Fahrzeugbau) höher als das weltweite Wachstum; Deutschland weist außerdem in den meisten anderen Branchen ähnlich hohe Wachstumsraten wie die anderen G30-Staaten auf, darunter in den Informations- und Kommunikationsdiensten, der Pharmabranche und der Elektrogeräteindustrie. In weiteren drei Branchen allerdings liegt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der deutschen FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor eindeutig unter den G30-Vergleichswerten: in der Elektronikbranche, der Werkstoffindustrie und im sonstigen Verarbeitenden Gewerbe. Während die Dynamik bei den Werkstoffen und im Verarbeitenden Gewerbe dominiert wird durch die Ausweitung von FuE in der chinesischen Wirtschaft, geht das Wachstum von FuE in der Elektronik auch auf die Leistungen Koreas, Chinesisch Taipehs und der Vereinigten Staaten zurück. Was Deutschland betrifft, legen die niedrige durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (+1,6 %) und der niedrige Anteil an den weltweiten Ausgaben für FuE in der Elektronikbranche (4,3 %) nahe, dass das Land in diesem Bereich nicht über die gleiche globale Präsenz wie andere große OECD-Länder verfügt und insbesondere nicht mit den Volkswirtschaften Ostasiens mithält.
Es ist zudem aufschlussreich, dass viele der Sektoren mit den höchsten FuE-Ausgaben auch bedeutende Beiträge zum Gesamtexportvolumen Deutschlands leisten, was ein weiterer Beleg für den Zusammenhang zwischen Innovation und internationaler Wettbewerbsfähigkeit ist. Im Jahr 2019 produzierte die deutsche Automobilbranche, die 10 % ihres Umsatzes auf Innovationen verwendet, 37 % der Fahrzeuge der Oberklasse, die weltweit vom Band rollten; damit lag sie deutlich vor den Vereinigten Staaten (14 %) und China (16 %) (GTAI, o. J.[27]). In ähnlicher Weise sind die starken Positionen so unterschiedlicher forschungsintensiver Sektoren wie der Luft- und Raumfahrt (2019 mit einem Anteil am Weltmarkt von 11,8 % weltweit auf dem dritten Rang) und der Pharmabranche (mit 14,1 % auf dem ersten Rang) ein weiterer Beleg für den wesentlichen Zusammenhang zwischen erfolgreicher Innovation und internationaler Wettbewerbsfähigkeit für die deutsche Wirtschaft.
3.6. Innovationsproduktivität: Ergebnisse im Verhältnis zu Investitionen
Seit Mitte der 2000er Jahre verzeichnen sowohl die Vereinigten Staaten als auch Deutschland einen Rückgang der Patentanmeldungen, wenn man sie zu den FuE-Aufwendungen ins Verhältnis setzt. Abbildung 3.17 zeigt, dass sich die Unterschiede verstärken: Die deutlichste Abnahme ergab sich in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und Japan blieben die Erträge aus den FuE-Ausgaben im Unternehmenssektor nach dem weltweiten Abschwung von 2008 und 2009 vergleichsweise stark und im Zeitverlauf stabil.
Auf Branchenebene können mit diesem Ansatz zusätzliche Einblicke gewonnen werden. Für die Darstellung in Abbildung 3.18 beispielsweise wurde der FuE-Produktivitätsindikator für zwei der wichtigsten Wirtschaftssektoren in Deutschland berechnet. In verschiedenen Studien zu Innovation wird darauf hingewiesen, dass es sowohl hinsichtlich der Investitionen in FuE als auch bei den Patentierungsmustern bedeutende Unterschiede zwischen den Sektoren gibt: Branchen mit hohen FuE-Aufwendungen, und insbesondere neu entstehende Branchen, achten stärker auf Patentschutz und sind in größerem Maße technologischen Veränderungen unterworfen. Entsprechend weist Japan die höchste Anzahl von Patentanmeldungen im Verhältnis zu den FuE-Ausgaben auf – ein in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchgängig auftretendes Muster (Abbildung 3.17). Diese Entwicklung hat sich im Kraftfahrzeugsektor erheblich verstärkt, wo das Verhältnis von Patentanmeldungen zu den FuE-Aufwendungen 2018 in Japan ungefähr zweieinhalbmal höher war als in Deutschland oder auch in den Vereinigten Staaten. In Deutschland verzeichnen der Maschinenbau und die Kraftfahrzeugbranche eine langsame Verschlechterung der Kapazitäten, auch wenn die Innovationsleistung des Landes im Jahr 2018 immer noch größer war als die Frankreichs und der Vereinigten Staaten (Abbildung 3.18).
Sowohl in Deutschland als auch weltweit hat die Forschungsproduktivität (gemessen als Gesamtfaktorproduktivität pro Anzahl der Forschenden) in den letzten zwei Jahrzehnten abgenommen (Abbildung 3.18). Zwischen 1930 und 2015 ist die Forschungsproduktivität in den Vereinigten Staaten pro Jahr durchschnittlich um 5,3 % zurückgegangen (Bloom et al., 2020[29]). In Deutschland war die Entwicklung ähnlich: Die Forschungsproduktivität ist zwischen 1992 und 2017 pro Jahr um durchschnittlich 5,2 % gesunken (Boeing und Hünermund, 2020[30]).
Literaturverzeichnis
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Anmerkungen
← 1. Als Ziel wurde vorgegeben, die FuE-Ausgaben bis zum Jahr 2025 auf 3,5 % des BIP zu erhöhen.
← 2. Patente, die weltweit in wenigstens zwei Ämtern für geistiges Eigentum geschützt sind, von denen eines ein Mitglied der IP5 – also des Europäischen Patentamts (EPA), des japanischen Patentamts (JPO), des Patent- und Markenamts der Vereinigten Staaten (USPTO), des koreanischen Amts für geistiges Eigentum (KIPO) und des chinesischen Amts für geistiges Eigentum (CNIPA) – sein muss.
← 3. Triadische Patentfamilien setzen sich aus mehreren Patenten zum Schutz ein und derselben Erfindung durch ein und denselben Erfinder zusammen, die jeweils beim EPA, beim JPO und beim USPTO angemeldet wurden.
← 4. ISIC: International Standard Industrial Classification of All Economic Activities.