Dieses Kapitel befasst sich mit der Frage, inwieweit und wodurch betriebliche Ausbildungen für junge Menschen attraktiv sind. Es wird darauf eingegangen, wie wichtig es ist, dass Ausbildungsprogramme wirklich attraktive Berufsaussichten bieten, und dargelegt, dass Jugendliche in der Regel nur unzureichend über betriebliche Ausbildungen informiert sind. Das Kapitel beleuchtet, welche Rolle Bildungs- und Berufsberatung bei der Beseitigung von Informationsdefiziten, beim Abbau stereotyper Vorstellungen über Ausbildungen und bei der Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Erwerbsleben spielt. Außerdem werden Erkenntnisse internationaler Forschungsarbeiten über die Merkmale einer effektiven Bildungs- und Berufsberatung und über die zentrale Bedeutung des Engagements der Arbeitgeber auf diesem Gebiet präsentiert.
Sieben Fragen zur betrieblichen Ausbildung
Kapitel 7. Wie kann das Interesse potenzieller Auszubildender geweckt werden?
Abstract
Die statistischen Daten für Israel wurden von den zuständigen israelischen Stellen bereitgestellt, die für sie verantwortlich zeichnen. Die Verwendung dieser Daten durch die OECD erfolgt unbeschadet des völkerrechtlichen Status der Golanhöhen, von Ost-Jerusalem und der israelischen Siedlungen im Westjordanland.
Fragen und Herausforderungen
Nur wenige der vielen wichtigen Entscheidungen, die junge Menschen zu treffen haben, sind von so großer Tragweite wie ihre Bildungs- und Berufsentscheidungen. Das Geschlecht, die ethnische Zugehörigkeit und sozioökonomische Faktoren haben auf diese bedeutenden Entscheidungen jedoch oft erheblichen Einfluss. Die Jugendlichen sind in der Regel nur unzureichend darüber informiert, was betriebliche Ausbildungen zu bieten haben, und ziehen sie häufig gar nicht in Betracht. Ein strategischer Ansatz bei der Bildungs- und Berufsberatung kann für eine Perspektivenerweiterung sorgen und sicherstellen, dass auf Basis sachdienlicher und zuverlässiger Informationen bewusste Entscheidungen getroffen werden.
Die Qual der Wahl
Oft ist es schwierig, sich in Bildungs- und Ausbildungssystemen zurechtzufinden, da sich jungen Menschen immer mehr Wahlmöglichkeiten bieten, die ganz unterschiedliche berufliche Perspektiven eröffnen. Diese Entscheidungen haben jedoch langfristige Konsequenzen und Auswirkungen. Befunde zeigen, dass die Verdienstaussichten junger Menschen nach Abschluss eines Bildungs- oder Ausbildungsgangs je nach Aus-/Bildungsniveau, Fachbereich/Branche und Fach/Beruf erheblich variieren (Pfister, Sartore und Backes-Gellner, 2017[1]; Chevalier, 2011[2).
In einigen Ländern sind betriebliche Ausbildungen keine attraktive Option
Viele Länder haben Probleme, potenzielle Auszubildende zu gewinnen. Wenn Berufsausbildungen als zweitklassige Optionen gelten und/oder als Sackgasse, die nach der Erstausbildung kaum Entwicklungsmöglichkeiten bietet, werden sich Schüler nicht dafür entscheiden. In manchen Fällen sind betriebliche Ausbildungen nicht von sehr hoher Qualität. Welche Arbeitsmarktergebnisse zu erwarten sind, z.B. welche Beschäftigungswahrscheinlichkeit und welches Verdienstniveau, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Die Qualität einer Berufsausbildung bemisst sich nämlich am Erfolg ihrer Absolventen: Wenn sie nicht dazu befähigt, am Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein, und keine Weiterbildungsmöglichkeiten eröffnet, ist sie per definitionem schlecht. Wenn Berufsausbildungen nicht attraktiv sind, sollte es auch nicht verwundern, dass junge Menschen schwer dafür zu begeistern sind. Oft wissen Jugendliche jedoch nur sehr wenig darüber, was Berufsausbildungen zu bieten haben, sodass uninformierte Entscheidungen gang und gäbe sind. Es ist Aufgabe der Bildungs- und Berufsberatung, sicherzustellen, dass junge Menschen eine fundierte Vorstellung von betrieblichen Ausbildungen in verschiedenen Branchen haben.
Die Berufsvorstellungen junger Menschen sind in der Regel unrealistisch und wenig fundiert
Befunde deuten darauf hin, dass die Berufsvorstellungen junger Menschen oft unrealistisch und wenig fundiert sind. Die Daten der Internationalen Schulleistungsstudie (PISA) 2015 zeigen, dass die meisten 15-Jährigen eine klare Vorstellung davon haben, was sie später machen möchten, und dass sich viele von ihnen nur für wenige Berufe interessieren: Ein Drittel der Jugendlichen fasste nur zehn verschiedene Berufe ins Auge (für eine eingehendere Datenanalyse vgl. Musset und Mytna Kurekova, 2018[3]).
Forschungsarbeiten belegen, dass die Berufsziele junger Menschen für gewöhnlich kaum auf die tatsächliche Arbeitsmarktnachfrage abgestimmt sind. Sie zeigen ferner, dass mit langfristigen Arbeitsmarktnachteilen zu rechnen ist, wenn Heranwachsende unrealistische Vorstellungen haben (Yates, 2011[5]).
Die beruflichen Vorstellungen sind vom familiären Hintergrund und anderen Einflussfaktoren geprägt
Merkmale wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Migrationshintergrund sowie sozioökonomische Faktoren haben maßgeblichen Einfluss auf die Berufsvorstellungen. PISA-Analysen zeigen, dass junge Menschen aus Familien mit einem höheren sozioökonomischen Status (SöS) wesentlich häufiger akademische Berufe ins Auge fassen, während sich Jugendliche aus Familien mit niedrigerem SöS deutlich öfter als Techniker oder in gleichrangigen nichttechnischen Berufen sehen, und zwar auch nach der statistischen Bereinigung um schulische Leistungen bzw. Kompetenzstufen (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3)
Viele Jugendliche ziehen eine Berufsausbildung nicht automatisch in Betracht
Die Schülerinnen und Schüler treffen Bildungs- und Berufsentscheidungen häufig, ohne viel über den Arbeitsmarkt zu wissen. In Einklang mit der längeren Bildungsdauer stecken sich junge Menschen in den letzten Jahren höhere Bildungsziele. Das Interesse an hochqualifizierten Tätigkeiten (die einen Hochschulabschluss voraussetzen) hat deutlich zugenommen, während der Anteil junger Menschen, die eine manuelle Tätigkeit (einschließlich Handwerksberufe) anstreben oder als Techniker bzw. in einem gleichrangig nichttechnischen Beruf arbeiten möchten, in einigen Ländern auf unter 5% gesunken ist (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3]).
Das negative Image mancher Berufe, insbesondere im Handwerk und in technischeren Bereichen, kann Schüler davon abhalten, sich eingehender mit diesen Bereichen zu befassen. Das heißt, dass viele (und in einigen Ländern zunehmend mehr) junge Menschen Berufsausbildungen möglicherweise gar nicht erst in Betracht ziehen. (Für Daten aus England, Vereinigtes Königreich, vgl. Mann, 2016[1].)
Jugendliche haben falsche Vorstellungen von Berufsbildung
Die Analysen der PISA-Daten lassen ebenso wie die jüngste große Umfrage des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop, 2017[7]) darauf schließen, dass es häufig an Wissen über Berufsbildung und die Berufe, zu denen sie hinführt, fehlt. Das Cedefop führte 2017 in den EU-Mitgliedsländern eine Meinungsumfrage zum Image der Berufsbildung durch, bei der mehr als 35 000 Menschen befragt wurden. Während den Umfrageergebnissen zufolge berufsbildende Programme im Ver-gleich zu allgemeinbildenden bei den Absolventen der Letzteren einen schlechten Ruf haben, sind neun von zehn Absolventen beruflicher Bildungsgänge mit ihren fachlichen Kompetenzen zufrieden. Die Erhebung zeigt, dass in Bezug auf die Berufsbildung von völlig falschen Vorstellungen ausgegangen wird: 70% glauben, dass die Berufsbildung nur auf manuelle Tätigkeiten vorbereitet, obwohl heute für eine Vielzahl von Berufen Ausbildungsgänge angeboten werden. Was Bildungs- und Berufsberatung angeht, gab lediglich die Hälfte der befragten Absolventen allgemeinbildender Programme an, vor der Wahl ihres Bildungsgangs Informationen über Berufsbildungsgänge erhalten zu haben (Cedefop, 2017[7]).
Es ist durchaus möglich, dass Schüler und Eltern nicht wissen, dass in Sektoren wie dem Banken-, dem öffentlichen oder dem Informations- und Kommunikationstechnologiesektor (IKT) berufliche Ausbildungen angeboten werden. In Frankreich etwa absolviert ein Drittel der Auszubildenden eine postsekundäre Ausbildung. Mehr als 50% dieser postsekundären Ausbildungen wird im Dienstleistungssektor angeboten, insbesondere in Handel und Verwaltung1 (OECD, 2014[8]).
Schülern ist u.U. auch nicht bewusst, dass sich nach einer Berufsausbildung verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten bieten, die u.a. zu leitenden Positionen, Selbstständigkeit, Unternehmensführung oder Hochschulstudiengängen führen. Die Bildungs- und Berufsberatung sollte daher einen proaktiven Ansatz verfolgen und mit den Jugendlichen verschiedene Berufslaufbahnen diskutieren. Ein umfassendes Wissen über Berufsausbildungen kann bei Jugendlichen nicht vorausgesetzt werden. Daher spricht viel für Sensibilisierungskampagnen, wie die Woche der beruflichen Bildung unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Deutschland oder die Europäische Woche der Berufsbildung2, bei denen versucht wird, die diesbezüglichen Vorstellungen junger Menschen und ihrer Einflusspersonen, insbesondere der Eltern, zu ändern. Öffentlichkeitswirksame Kompetenzwettbewerbe wie WorldSkills3 und Maßnahmen zur Förderung der internationalen Mobilität der Auszubildenden können eine ähnlich wichtige Rolle spielen.
Das Geschlecht kann ein wesentlicher Einflussfaktor sein
Auch das Geschlecht hat großen Einfluss auf die Berufsziele, wobei im Ländervergleich beträchtliche Unterschiede festzustellen sind. Betriebliche und schulische Ausbildungen sind oft stark geschlechtsspezifisch geprägt. Mädchen fassen generell höhere Berufsziele ins Auge als Jungen. Diese Ziele konzentrieren sich allerdings häufig auf wenige spezifische Bereiche wie zum Beispiel medizinische Berufe oder eine Lehrtätigkeit. Hinzu kommt, dass sich Mädchen häufig nicht für die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) interessieren. Forschungsarbeiten zeigen, dass eine geschlechtsspezifische Stereotypisierung sowohl Mädchen als auch Jungen von bestimmten Berufen abhalten kann und dass dem durch eine bessere Information gegengesteuert werden kann. Allerdings scheinen manche Berufe für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht derart abschreckend, dass andere Ansätze erforderlich werden, die auf Praxiserfahrungen basieren (OECD, 2015[9]).
Qualität ist wichtig, um die Attraktivität betrieblicher Ausbildungen zu erhöhen
Für hochwertige Berufsausbildungen, die ein hohes Ansehen genießen, muss ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt werden, bei dem Investitionen in die Qualität der beruflichen Ausbildungen zu besseren Arbeitsmarktergebnissen führen, wodurch wiederum mehr leistungsfähige Auszubildende angezogen werden. Durch deren Zustrom gewinnen die Berufsausbildungsgänge weiter an Ansehen und werden für Arbeitgeber attraktiver, die darin dann nicht nur eine hochwertige Ausbildung sehen, sondern auch eine Möglichkeit, kompetente Absolventen zu gewinnen. Dadurch werden sich wiederum deren Arbeitsmarktergebnisse weiter verbessern.
These 1: Auszubildende brauchen ein gutes Grundkompetenzniveau
Um eine stärkere Gleichwertigkeit mit akademischen Bildungsgängen zu gewährleisten, müssen im Rahmen von beruflichen Ausbildungen ähnliche Grundkompetenzen vermittelt werden wie in stärker akademischen Bildungsgängen. Dadurch werden arbeitsplatzrelevante Kompetenzen aufgebaut, das nötige Fundament für eine Weiterbildung im postsekundären Bereich, einschließlich akademischer Bildungsgänge, geschaffen und die Gefahr gebannt, dass Ausbildungen als Sackgasse betrachtet werden. Eine Durchlässigkeit zwischen berufsbildenden und allgemeinbildenden Programmen mit klaren Übergängen und Entwicklungsmöglichkeiten zwischen den Bildungsgängen und -stufen macht Berufsbildung attraktiv.
These 2: Attraktive berufliche Ausbildungen ziehen interessante Auszubildende an
Wie vorstehend erörtert, wirken sich die Konzeption und die Dauer der betrieblichen Ausbildung auf deren Attraktivität aus. Durch zu lange Ausbildungen mit einem zu großen Anteil an Hilfstätigkeiten wird es kaum gelingen, mehr leistungsfähige Auszubildende anzuziehen.
Bildungs- und Berufsberatung ist ein zentrales Element der Ausbildungspolitik
Bildungs- und Berufsberatung wirkt sich sowohl auf individueller als auch auf sozialer Ebene positiv aus: Sie hilft Menschen, bei Bildung und Arbeit voranzukommen, trägt aber auch dazu bei, dass die Arbeits- und Bildungsmärkte effektiv funktionieren und diverse sozialpolitische Ziele, darunter soziale Mobilität und Chancengerechtigkeit, verwirklicht werden. Insofern sind öffentliche Investitionen in Bildungs- und Berufsberatungsmaßnahmen gerechtfertigt.
These 1: Bildungs- und Berufsberatung hilft dem Einzelnen, sich weiterzuentwickeln
Empirische Befunde zeigen, dass – sowohl eine schulische als auch eine außerschulische – Bildungs- und Berufsberatung die Selbsterkenntnis von Jugendlichen und ihr Wissen über die Arbeitswelt maßgeblich fördert und in vielen Fällen zu besseren bildungsbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Ergebnissen führen kann (Hughes et al., 2016[10]).
Bildungs- und Berufsberatung kann die Präferenzen von Schülern aufzeigen und ihnen Informationen über Bildungs- und Berufswege liefern, die sie möglicherweise noch nicht in Betracht gezogen haben oder gar nicht kennen. Dadurch kann sie eine Weiterbeschäftigung von Auszubildenden fördern und die Effizienz des Bildungssystems erhöhen, da Schüler, die einen Bildungsgang wählen, der sich für sie, sei es aus persönlichen oder akademischen Gründen, als ungeeignet erweist, mit geringerer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werden (OECD, 2012[11]).
Die Annahmen der Jugendlichen in Bezug auf Berufswahl und Ausbildung haben maßgebliche Auswirkungen auf ihr Erwerbsleben im Erwachsenenalter. Wird die Dauer der zur Verwirklichung des jeweiligen Berufsziels erforderlichen Ausbildung unterschätzt, zieht dies im Erwachsenenalter wirtschaftliche Nachteile nach sich. Dies kann falschen Berufsvorstellungen oder einem mangelnden Realitätssinn geschuldet sein. Falsche Vorstellungen sind weitverbreitet. Die Jugendlichen, denen es augenscheinlich am schwersten fällt, fundierte Entscheidungen zu treffen, stammen in der Regel aus besonders benachteiligten Verhältnissen. Dies wirft grundlegende Fragen in Bezug auf die Chancengerechtigkeit auf (Yates, 2011[5).
These 2: Bildungs- und Berufsberatung trägt zudem zu einem effizienten Arbeitsmarkt bei
Personen, die über die „richtigen“ Kompetenzen verfügen, finden mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Beschäftigung, und wenn sie beschäftigt sind, haben sie in der Regel einen besseren Arbeitsplatz. Qualifizierte Arbeitskräfte erleichtern auch die Einführung und Verbreitung neuer Technologien und Praktiken der Arbeitsorganisation, die die Produktivität und das Wachstum steigern. Um sicherzustellen, dass die im Bildungs- und Ausbildungssystem vermittelten Kompetenzen dem Arbeitsmarktbedarf entsprechen, und so beträchtliche Probleme durch Diskrepanzen zwischen Kompetenzangebot und -nachfrage zu vermeiden, ist es wichtig, die Verbindungen zwischen Bildung und Arbeitswelt zu stärken. Hierbei spielen Bildungs- und Berufsberatung sowie Partnerschaftsinitiativen eine wichtige Rolle. Wenn die Schülerinnen und Schüler informierte Entscheidungen treffen, geht davon indirekt Druck auf die Bildungseinrichtungen aus, die Qualität ihrer Bildungsgänge zu verbessern (OECD, 2004[12]; OECD, 2012[11]; Hooley, 2015[13]).
Ein strategischer Einsatz von Bildungs- und Berufsberatung erweitert die beruflichen Perspektiven und wirkt Stereotypen entgegen
Eine effektive Bildungs- und Berufsberatung wirkt sich positiv auf die Bildungs- und Beschäftigungsergebnisse junger Menschen aus (Hughes et al., 2016[10). Mit der Frage, was eine effektive Bildungs- und Berufsberatung auszeichnet, haben sich die OECD und andere Wissenschaftler in den letzten zehn Jahren eingehend befasst (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3]). Die Herausforderungen, denen sich die Länder im Allgemeinen gegenübersehen, betreffen u.a. die Risiken, dass Bildungs- und Berufsberatung im Schulalltag lediglich eine marginale Rolle spielt, dass ihr zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen und/oder dass sie von unzureichend ausgebildeten Beratern angeboten wird, denen es möglicherweise an Objektivität und/oder Wissen über den Arbeitsmarkt fehlt (OECD, 2010[14). Die PISA-Daten zeigen, dass offenbar häufig gerade die Schülerinnen und Schüler mit dem größten Bedarf in geringstem Maße Zugang zu Bildungs- und Berufsberatung haben. So werden solche Dienste etwa von Mädchen und Schülerinnen und Schülern aus Familien mit niedrigem SöS seltener in Anspruch genommen (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3])
Eine effektive Bildungs- und Berufsberatung sollte dem immer umfangreicheren Korpus an Forschungsarbeiten Rechnung tragen und
jungen Menschen ab dem Grundschulalter regelmäßig die Möglichkeit bieten, über den Zusammenhang zwischen ihrem Bildungsweg und ihrer Zukunft nachzudenken,
Schülern ermöglichen, den Arbeitsmarkt in seiner ganzen Bandbreite in Betracht zu ziehen, insbesondere Berufe von strategischer wirtschaftlicher Bedeutung sowie Berufe, die neu sind und/oder wahrscheinlich verzerrt wahrgenommen werden (wie Handwerksberufe),
Ansätze auf Schulebene nutzen, die sich nicht nur auf Bildungs- und Berufsberater stützen, sondern auch die Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern einbinden,
systematisch Vertreter aus der Arbeitswelt und den Betrieben einbeziehen,
im Vorfeld von Schlüsselentscheidungen einen einfachen Zugang zu zuverlässigen Arbeitsmarktinformationen und eine Beratung durch gut ausgebildete, unabhängige und unvoreingenommene Fachkräfte gewährleisten,
geschlechtsspezifischen und ethnischen Stereotypen entgegenwirken,
die umfassendsten Maßnahmen für Jugendliche aus besonders benachteiligten Verhältnissen vorsehen.
These 1: Es bedarf einer umfassenden schulischen Bildungs- und Berufsberatung
Früh ansetzen ...
Bereits vor ihrer Einschulung wissen Kinder einiges über Berufe, die sie aus ihren Erlebnissen und durch ihren familiären Hintergrund kennen. Forschungsarbeiten zeigen, dass in der Grundschule oder sogar davor mit berufsbezogenen Aktivitäten begonnen werden sollte. Diese Aktivitäten zielen häufig einfach darauf ab, Kindern, u.a. zur Stärkung ihres schulischen Engagements, den Zusammenhang zwischen Bildung und ihrer möglichen künftigen Identität bewusst zu machen. Dabei können auch stereotype Wahrnehmungen bestimmter Bildungswege und Berufe hinterfragt werden. Primary Futures beispielsweise ist ein Projekt, das von einer gemeinnützigen Organisation im Vereinigten Königreich in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Akteuren – Staat, Arbeitgebern, Gewerkschaften – entwickelt wurde mit dem Ziel, Vertreter der Arbeitswelt einzuladen, in Grundschulen mit Schülerinnen und Schülern über ihren Beruf und ihren Werdegang zu sprechen. Die Kinder sollen dabei insbesondere mit der Vielzahl von Funktionen konfrontiert werden, die Frauen in der Arbeitswelt offenstehen (Chambers et al., 2018[15]).
... und an zentralen Übergangspunkten eingreifen
Den Schülerinnen und Schülern zu helfen, ihre Interessen und Fähigkeiten zu erkennen, ist für ihre berufliche Zukunftsplanung und ihre Bildungsentscheidungen von zentraler Bedeutung. In welchem Alter bzw. in welcher Klassenstufe diese Entscheidungen anstehen, variiert im OECD-Vergleich erheblich, je nachdem, wie und wann die erste Aufteilung auf unterschiedliche Bildungsgänge erfolgt. Durch diese Entscheidungen werden in der Regel bestimmte Bildungswege ausgeschlossen (OECD, 2012[11]). Daher sollten zum Beispiel verpflichtende Einzelgespräche mit Beratungsfachkräften stattfinden, wenn sich die Schülerinnen und Schüler für einen Schulzweig, eine bestimmte Schule oder ein Berufsbildungsprogramm entscheiden.
Schulintegrierte Ansätze entwickeln
Bildungs- und Berufsberatungsprogramme sollten am besten in Form einer in den Lehrplan eingebundenen Bildungs- und Berufskunde und nicht in Form von Einzelmaßnahmen sowie mit Unterstützung der Schulleitung und im Rahmen vielfältiger Partnerschaften umgesetzt werden (OECD, 2004[12]; Watts, 2009[16]). Auf der kanadischen Prinz-Edward-Insel wurde ein umfassender Bildungs- und Berufsberatungsansatz entwickelt, der allen Aspekten und Akteuren Rechnung trägt und sich auf mehrere Programme stützt. Zu den wichtigsten Elementen dieses Ansatzes zählen: eine Berufsorientierung im Rahmen der Gesundheitserziehung von der 1. bis zur 9. Klasse, ein verpflichtender Bildungs- und Berufskundeunterricht in der 10. Klasse, praxisbezogene Lernmöglichkeiten durch ein breites Kurs- und Programmangebot der Gemeinden in den Schulen, einschließlich außerschulischer Praxiserfahrungen, Partnerschaften mit postsekundären Einrichtungen, Arbeitsmarktexperten und Branchen, Fachschulungen für Bildungs- und Berufsberatungs- sowie Lehrkräfte und ein Orientierungsprogramm für Eltern (ICCDPP, 2015[17]).
Auch die Lehrkräfte sollten eingebunden werden
In der Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine gute Bildungs- und Berufsberatung die Einbindung sowohl qualifizierter Fachkräfte als auch des Lehr- und Schulpersonals erfordert. Mit Berufs- und Laufbahnfragen wenden sich Jugendliche häufig an einen Erwachsenen in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld, dem sie vertrauen. Oft handelt es sich dabei um Lehrkräfte, vor allem wenn die beruflichen Ambitionen von ihrem Interesse am jeweiligen Unterrichtsfach herrühren. Die Lehrkräfte können ihre im Lehrplan vorgesehenen Themen zur Arbeitswelt in Bezug setzen, indem sie zum Beispiel darauf hinweisen, wie ein bestimmtes wissenschaftliches Verfahren in Forschung oder Industrie angewandt wird – und sie tun dies auch (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3).
Sicherstellen, dass die Schülerinnen und Schüler mit gut ausgebildeten Bildungs- und Berufsberatern sprechen können, die unabhängig und objektiv sind
Unabhängig von ihrem jeweiligen Hintergrund müssen alle Schülerinnen und Schüler
ausreichend über berufliche Möglichkeiten informiert sein, um zum gegebenen Zeitpunkt in der Lage zu sein, fundierte Entscheidungen zu treffen,
verstehen, dass ihnen die Wahl bestimmter Fächer und/oder Bildungsgänge Berufslaufbahnen eröffnet, die ihnen andernfalls nicht offenstehen würden,
ein ausreichendes Verständnis der Arbeitswelt haben, um zu wissen, welche Kompetenzen, Qualifikationen und Eigenschaften nötig sind, um dort erfolgreich zu sein.
Gut ausgebildete Bildungs- und Berufsberater können dazu beitragen, dass die Jugendlichen genau diese Informationen erhalten, indem sie ihre Beratung auf die persönliche Situation der Schülerinnen und Schüler abstimmen. Bildungs- und Berufsberatung hat anspruchsvolle und wichtige Aufgaben. Eine Einbettung in die psychologische Beratung, wie dies im OECD-Raum zuweilen der Fall ist, verzerrt und marginalisiert ihre Rolle. Auch wenn es sinnvoll ist, Bildungs- und Berufsberatung in Schulen anzubieten, um zu sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler Zugang dazu haben, ist es wichtig, dass die Unabhängigkeit der Beratungsfachkräfte von der Schule gewahrt bleibt. Dies könnte z.B. bedeuten, dass ein professioneller Bildungs- und Berufsberatungsdienst außerschulisch verwaltet wird, aber in den Schulen einen „mobilen Dienst“ anbietet (OECD, 2010[14]).
Unabhängige Bildungs- und Berufsberater – in und außerhalb der Schule – können Schüler auf unterschiedliche Art und Weise unterstützen: Sie können ihnen mithilfe von Fragebogen und Tests helfen, ein besseres Verständnis ihrer eigenen Interessen und Neigungen zu entwickeln. Sie können Informationen über Berufe bereitstellen, die ihren Neigungen und Interessen entsprechen könnten, sowie über die Wege dorthin. Und sie können den Horizont der Schüler erweitern und ihnen neue bzw. andere Möglichkeiten jenseits der wenigen bekannten Berufe vorstellen, einschließlich solche, die eine betriebliche Ausbildung voraussetzen. Eine Analyse der Daten von PISA 2012 aus Kanada zeigt, dass lediglich 8% der Schülerinnen und Schüler einen traditionellen Handwerksberuf anstreben. Diejenigen, die sich über diese Berufe informiert haben, ein entsprechendes Praktikum absolviert haben oder von ihren Eltern dazu ermutigt wurden, fassen jedoch wesentlich häufiger traditionelle Handwerksberufe ins Auge.
These 2: Schulbasierte Dienste sollten durch IKT-gestützte Angebote und Arbeitsmarktinformationen ergänzt werden
Die Verbreitung von IKT hat neue Formen der Bildungs- und Berufsberatung ermöglicht, wie die Selbstinformation und die Nutzung von Technologien und Social Media zur Bereitstellung und Präsentation von Bildungs- und Berufsberatungsinformationen. Mit IKT kann sichergestellt werden, dass junge Menschen Zugang haben zu Informationen über:
die Gesamtheit der verfügbaren und ihren Bedürfnissen entsprechenden Bildungsangebote und -wege, einschließlich Berufsbildungsgängen,
die Abschlüsse, zu denen sie führen, und die Weiterqualifizierungsmöglichkeiten, die sie bieten,
die Berufe, die mit diesen Abschlüssen ausgeübt werden können,
die Arbeitsmarktergebnisse der Absolventen dieser Bildungsgänge, einschließlich der Art ihrer Beschäftigung, ihres Verdienstniveaus und der voraussichtlichen Nachfrage nach dem jeweiligen Beruf.
Bei den Berufen einer Sparte, auf die die jeweiligen Berufsbildungsprogramme unmittelbar bezogen sind, ist es wichtig zu wissen, inwieweit die im Rahmen der Ausbildung erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen in der Praxis genutzt werden.
Als Beispiel hierfür sei Utdanning.no4 genannt, ein öffentliches Bildungs- und Berufsberatungsportal in Norwegen. Es bietet einen Überblick über die Bildungswege in Norwegen, Informationen darüber, wo Bildungsgänge angeboten werden, und Porträts von mehr als 600 Laufbahnen und Berufen. Darüber hinaus findet man auf der Website auch Interviews mit Fachkräften, einen Überblick über die jeweiligen Einsatzbereiche sowie Informationen zum jeweiligen Durchschnittsverdienst. Ein ähnliches in Kanada entwickeltes Instrument, Job Bank5, steht auch als mobile App zur Verfügung.
These 3: Die Jugendlichen mit dem größten Bedarf brauchen am meisten Aufmerksamkeit
Wenn alle Schülerinnen und Schüler objektive und verlässliche Bildungs- und Berufsinformationen erhalten und durch diverse Praktiken, die einen persönlichen Kontakt mit Arbeitgebern und Fachkräften ermöglichen, wie Career Talks, Hospitationen am Arbeitsplatz und Mentoring-Programme, verschiedene Berufe kennenlernen, kann der Einfluss informeller und weniger objektiver Informationsquellen (wie Eltern und Freunde) reduziert werden.
Sozioökonomisch benachteiligte Schüler benötigen in der Regel Unterstützung, um die Hindernisse, die einer Fortsetzung ihrer Bildungslaufbahn im Weg stehen, zu überwinden und einen erfüllenden Beruf zu finden. Spezifische Programme für benachteiligte Schülerinnen und Schüler, wie jene, bei denen die Gefahr eines Schulabbruchs besteht, funktionieren am besten, wenn sie zielgruppenspezifisch ausgerichtet und in der Gemeinde verankert werden sowie passgenau auf den individuellen Bedarf zugeschnitten sind. Um geschlechtsspezifischen Stereotypen entgegenzuwirken, die u.U. verhindern, dass Mädchen dieselben Berufe ins Auge fassen wie Jungen, können Schulen den Schülerinnen und Schülern durch Bildungs- und Berufsinformationen, regelmäßige Gespräche mit Vertretern der Arbeitswelt und den Besuch von Betrieben helfen, ein größeres Spektrum möglicher Berufe kennenzulernen, einschließlich traditioneller Berufsbildungsbereiche. Das Programm Futures in Skilled Trades and Technology der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador beispielsweise zielt mit Pilotmodulen für Grundschülerinnen auf einen höheren Frauenanteil in Handwerksberufen ab. Auch das Programm Ontario Youth Apprenticeship verwendet einen Teil seiner Mittel, um Handwerksberufe durch Gespräche mit Vertretern der Arbeitswelt und praxisnahe Aktivitäten für Frauen attraktiver zu machen (OECD, 2015[9]).
Schüler mit Migrationshintergrund können mit Hindernissen faktischer (z.B. Sprachkenntnisse), kultureller (z.B. ein schlechtes Image eines Berufs oder Bildungswegs im Herkunftsland) oder sozialer Art (z.B. Mangel an direkten Kontakten in wichtigen Wirtschaftsbereichen, wie zu Ausbildungsbetrieben) konfrontiert sein. Diese Schüler bzw. ihre Eltern sind möglicherweise nur unzureichend über das Bildungssystem und die Berufe in dem für sie neuen institutionellen Kontext informiert. In einigen Ländern wurden daher spezielle Initiativen ins Leben gerufen, um Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bzw. deren Eltern über das Berufsbildungsangebot zu informieren.
Wirksame Bildungs- und Berufsberatungsstrategien erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Arbeitswelt
Um fundierte Entscheidungen zu treffen, müssen die Schülerinnen und Schüler Einblick in die Arbeitswelt erhalten und wissen, welche Bildungsanstrengungen nötig sind, damit sie ihre Träume verwirklichen können. Schulen sollten daher bereits von den ersten Schuljahren an direkte Kontakte mit der Arbeitswelt fördern.
Bei der Bildungs- und Berufsberatung sollte eine Vielzahl von Wirtschaftsvertretern umfassend eingebunden werden, um frühzeitig einen vielfältigen und authentischen Austausch mit den jungen Menschen zu gewährleisten. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Hindernisse, die einem solchen Engagement im Weg stehen könnten, zu erkennen und auszuräumen. Wenn Länder bei der Einbindung der Arbeitgeber noch am Anfang stehen, empfiehlt es sich, dort anzusetzen, wo dies logistisch gesehen am einfachsten ist. Dabei sollten Länder und Schulen Folgendes berücksichtigen:
Gespräche mit Arbeitgebern/Arbeitnehmern bzw. Bildungs- und Berufsberatungsmessen sind Instrumente, die vergleichsweise einfach umzusetzen und effektiv sind.
IKT bieten eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, den Austausch zwischen Schulen und Arbeitgebern zu erleichtern (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3]).
These 1: Vertreter der Arbeitswelt in die Bildungs- und Berufsberatung für junge Menschen einzubinden, hat zahlreiche Vorteile
In vielen Ländern beziehen die Schulen seit Langem Vertreter der Arbeitswelt in verschiedenen Bildungsbereichen ein, zum Beispiel im Rahmen von Bildungs- und Berufsmessen, Career Talks, Hospitationen, Praktika und Besichtigungen sowie als Rollenmodelle bzw. Förderer unternehmerischer Initiative und Mentoren. Die ehrenamtlich agierenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer stellen für die Jugendlichen, deren eigenes Netzwerk zwangsläufig begrenzt ist, eine Informationsquelle dar. Das Engagement dieser Menschen mit Praxiswissen aus erster Hand ergänzt die Informationen der professionellen Bildungs- und Berufsberatung. Es ermöglicht den Jugendlichen verlässliche Einblicke ins Arbeitsleben, die ihnen neue und hilfreiche Informationen über die Arbeitswelt liefern können – aber auch darüber, wie diese zu ihrem eigenen Selbstbild und ihren Zukunftsvorstellungen passt.
In einer zwar nach wie vor begrenzten, aber wachsenden Zahl von Forschungsarbeiten wird der ausgeprägte Zusammenhang zwischen einem solchen Engagement und den (Bildungs- und) Beschäftigungsergebnissen junger Menschen untersucht und nachgewiesen (vgl. z.B. Kashefpakdel und Percy, 2016[18])
Negativen Vorstellungen über bestimmte Berufe kann durch ein solches Engagement besonders wirksam begegnet werden, da ehemalige Auszubildende den Schülerinnen und Schülern kompetent über ihren jeweiligen Bildungs- und Berufsweg Auskunft geben können. In Schottland etwa wird das wichtigste Ausbildungsprogramm regelmäßig von Absolventen und ausbildenden Arbeitgebern in Schulen beworben (SDS, 2015[19).
Es ist wichtig, dass junge Menschen die Möglichkeit haben, mit Vertretern verschiedenster Berufe in Kontakt zu kommen, da jeder aus seiner eigenen Perspektive über die Praxis des jeweiligen Berufs berichtet.
Und inwiefern ist ein solches Engagement für Arbeitgeber von Nutzen? Auch sie haben oft aus mehreren Gründen Interesse daran, Schüler in Schulen über Berufe und ihr Unternehmen zu informieren. Sie sehen darin u.a. eine Möglichkeit, das künftige Kompetenzangebot zu verbessern (insbesondere in Bereichen mit kritischem Fachkräftemangel); die Chance, für Tätigkeiten in ihrem Unternehmen oder ihrer Branche zu werben; die Möglichkeit, die Probe aufs Exempel zu machen und potenzielle künftige Mitarbeiter kennenzulernen; und eine Möglichkeit, die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen zu verbessern, damit sie sich zu effektiveren Mitarbeitern entwickeln (Mann, Rehill und Kashefpakdel, 2018[20]).
Zwischen den Ländern sind erhebliche Unterschiede festzustellen
Die verfügbaren PISA-Daten zeigen, dass das Ausmaß, in dem Jugendliche im Rahmen der Bildungs- und Berufsberatung mit Arbeitgebern in Kontakt kommen, im Ländervergleich erheblich variiert. Die Schüler nehmen im Schnitt seltener an Aktivitäten mit Arbeitgebern teil als an reinen Schulveranstaltungen: Insgesamt hatten weniger als 30% der PISA-Teilnehmer im Alter von 15 Jahren eine Bildungs- und Berufsmesse besucht (Musset und Mytna Kurekova, 2018[3).
In Ländern mit einem guten Berufsbildungsangebot sind die Teilnahmequoten tendenziell höher, u.a. weil die Berufsbildungsteilnehmer wesentlich häufiger ein Praktikum absolviert haben.
Wie können Schulen effektiv und effizient mit Vertretern der Arbeitswelt zusammenarbeiten?
Arbeitgeber und Schulen sehen sich häufig mit technischen, rechtlichen und informationsbedingten Hürden konfrontiert, die sie von einer Zusammenarbeit abhalten könnten. Die Arbeitgeber haben ein Unternehmen zu führen und sind u.U. nicht ausreichend motiviert, sich im Rahmen der Bildungs- und Berufsberatung zu engagieren. Zudem ist ihnen nicht immer klar, inwiefern sie von einem solchen Engagement profitieren können. Den Schulen wiederum stehen möglicherweise nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, um die Kosten einer Zusammenarbeit mit Vertretern der Arbeitswelt zu tragen.
Die verschiedenen Aktivitäten sind mit unterschiedlichen Transaktionskosten verbunden. Mentoring-Programme z.B. sind sowohl für Arbeitgeber als auch für Schulen schwierig umzusetzen. Gespräche mit Vertretern der Arbeitswelt bzw. Bildungs- und Berufsmessen sind wesentlich einfacher zu organisieren und für die Jugendlichen erwiesenermaßen positiv (Mann, Rehill und Kashefpakdel, 2018[20]). Sie sind ein guter Ansatzpunkt für Länder und Schulen, in denen ein solches Engagement noch nicht üblich ist. Für die Behörden besteht die wichtigste Aufgabe darin, es Vertretern der Arbeitswelt leichter zu machen aktiv zu werden, etwa indem sie eventuelle Hürden beseitigen. Onlineplattformen können ein umfassendes und mit geringen Kosten verbundenes Engagement der Arbeitgeber in der Bildung ermöglichen. Für Schulen ist es wichtig, dass sie unterstützt werden, wenn sie die Schülerinnen und Schüler in die Arbeitswelt einführen.
Die Konfrontation mit der Arbeitswelt kann ebenso wie die Bildungs- und Berufsberatung, Muster sozialer Reproduktion hinterfragen oder verstärken. Laut Forschungsarbeiten sollten Schulen den Fokus auf die Quantität (Zahl der Interaktionen) und die Qualität des Angebots (Nützlichkeit in den Augen der Schüler) legen und die Maßnahmen vor allem auf Schüler ausrichten, deren Familien in Bezug auf interessante Berufe nicht gut vernetzt sind.
Andere Akteure, wie Gewerkschaften, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, da Schulen durch sie Zugang zu Vertretern der Arbeitswelt haben, die Jugendlichen wertvolle Einblicke geben können. Ein Beispiel sind dänische Auszubildende, die im Rahmen der von der dänischen Schülerorganisation der Berufsschulen Erhvervsskolernes ElevOrganisation initiierten und geleiteten Kampagne „Der Weg zur Berufsausbildung“ als Rollenmodell auftreten und Schulen der Sekundarstufe I besuchen, um für die Berufsbildung zu werben (EEO[21]). Dort legen sie aus ihrer Sicht dar, warum sie sich für eine Berufsausbildung entschieden haben, und sprechen über ihre Ausbildung und die Möglichkeiten, die sich ihnen am Arbeitsmarkt und in Bezug auf Weiterbildung bieten. Die Kampagne basiert auf einer Partnerschaft zwischen Berufsschulen, Arbeitgebern und Schulen der Sekundarstufe I, die darauf abzielt, Schülern mehr direkte Begegnungen mit Berufsbildungsteilnehmern zu ermöglichen, die etwas älter sind als sie und ihnen persönliche Einblicke in Berufsbildungsgänge geben können.
Schlussbetrachtungen
Dieses Kapitel befasste sich mit der Frage, wie es gelingen kann, junge Menschen für eine berufliche Ausbildung zu interessieren. In den zahlreichen Ländern, in denen Berufsbildung offenbar keine attraktive Option ist, ist diese Frage von besonderer Relevanz. Um erfolgreich zu sein, müssen betriebliche Ausbildungen fähige und ehrgeizige junge Menschen anziehen. Dies gelingt jedoch nur, wenn sie tatsächlich zu qualifizierten Tätigkeiten führen. Von qualitativ schlechten Berufsbildungsgängen wenden sich Jugendliche ab. Schülerinnen und Schüler bzw. ihre Familien sind häufig unzureichend darüber informiert, was berufliche Ausbildungen tatsächlich zu bieten haben. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo sie mittlerweile für eine Vielzahl von Berufen und unterschiedliche Kompetenzniveaus angeboten werden. Es ist Aufgabe der Bildungs- und Berufsberatung sicherzustellen, dass junge Menschen zum gegebenen Zeitpunkt informierte Entscheidungen treffen. Die PISA-Datenbank zeigt, dass die Berufsziele durch Einflussfaktoren wie Geschlecht, sozioökonomischer Status und Migrationshintergrund geprägt sind. Mit der Arbeitsmarktnachfrage stehen sie nur selten in Zusammenhang. Schulen müssen bei der Bildungs- und Berufsberatung einen proaktiven und strategischen Ansatz verfolgen, der früh ansetzt, für eine Perspektivenerweiterung sorgt und sicherstellt, dass regelmäßige Gespräche mit unabhängigen und gut ausgebildeten Beratungsfachkräften die Norm sind. Entscheidend für eine effektive Beratung ist, dass die Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, sich im Rahmen von Aktivitäten wie Career Talks und Hospitationen selbst ein Bild von verschiedenen Bildungs- und Berufswegen, einschließlich betrieblicher Ausbildungen, zu machen.
Literaturverzeichnis
[7] Cedefop (2017), “Cedefop European Public Opinion Survey on Vocational Education and Training”, Cedefop research paper, No. 62, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg, http://dx.doi.org/10.2801/264585.
[15] Chambers, N. et al. (2018), Drawing the Future: Exploring the career aspirations of primary school children from around the world, Education and Employers, London, https://www.educationandemployers.org/wp-content/uploads/2018/01/Drawing-the-Future-FINAL-REPORT.pdf.
[2] Chevalier, A. (2011), “Subject choice and earnings of UK graduates”, Economics of Education Review, Vol. 30, S. 1187-1201, https://doi.org/10.1016/j.econedurev.2011.04.007.
[21] EEO (2015), “Om Kampagnen”, Erhvervsskolernes ElevOrganisation , http://eeo.dk/vejentil/om-kampagnen.
[13] Hooley, T. und V. Dodd (2015), The Economic Benefits of Career Guidance, Careers England, http://hdl.handle.net/10545/559030.
[10] Hughes, D. et al. (2016), Careers education: International literature review, Education Endowment Foundation, London, https://educationendowmentfoundation.org.uk/evidence-summaries/evidence-reviews/careers-education/.
[17] ICCDPP (2015), ICCDPP 2015 Symposium. Promising/Best Practices: Canada, Dokument für das 2015 International Symposium on Career Development and Public Policy, 15.-17. Juni, Des Moines, http://www.is2015.org/wp-content/uploads/2015/06/Canada-Promising-Practices-Panel-2-2.pdf.
[18] Kashefpakdel, E. und C. Percy (2016), “Career education that works: an economic analysis using the British Cohort Study”, Journal of Education and Work, Vol. 30/3, S. 217-234, https://doi.org/10.1080/13639080.2016.1177636.
[6] Mann, A. (2016), “Promoting apprenticeships to young people and schools”, in Way, D. (Hrsg.), A Race to the Top: Achieving Three Million More Apprenticeships by 2020, Winchester University Press, Winchester.
[20] Mann, A., J. Rehill und E. Kashefpakdel (2018), Employer engagement in education: insights from international evidence for effective practice and future research, Education and Employers Research, London, https://www.educationandemployers.org/wp-content/uploads/2018/01/Employer_Engagement_in_Education.pdf.
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[4] OECD (2015), PISA 2015 (Datenbank), http://www.oecd.org/pisa/data/2015database/.
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[11] OECD (2012), Equity and Quality in Education: Supporting Disadvantaged Students and Schools, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264130852-en.
[14] OECD (2010), OECD-Studien zur Berufsbildung: Lernen für die Arbeitswelt, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264087842-de.
[12] OECD (2004), Bildungs- und Berufsberatung: Bessere Verzahnung mit der öffentlichen Politik, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264015838-de.
[1] Pfister, C., S. Sartore und U. Backes-Gellner (2017), “The relative importance of type of education and subject area: Empirical evidence for educational decisions”, Evidence-based HRM: A Global Forum for Empirical Scholarship, Vol. 5/1, S. 30-58, https://doi.org/10.1108/EBHRM-05-2015-0019.
[19] SDS (2015), Equalities Action Plan for Modern Apprenticeships in Scotland, Skills Development Scotland, Glasgow, https://www.skillsdevelopmentscotland.co.uk/media/40691/2869_sds_equalities_action_plan_digital_v7.pdf.
[16] Watts, A. (2009), The Relation of Career Guidance to VET, OECD, Paris, http://www.oecd.org/education/skills-beyond-school/44246616.pdf.
[5] Yates, S. (2011), “Early Occupational Aspirations and Fractured Transitions: A Study of Entry into 'NEET' Status in the UK”, Journal of Social Policy, Vol. 40/3, S. 513-534, http://doi.org/10.1017/S0047279410000656.
Anmerkungen
← 1. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum absolvierten drei Viertel der Auszubildenden auf Sekundarstufe II eine Ausbildung in Technik und Industrie (hauptsächlich im Bauingenieurswesen bzw. im Baugewerbe).
← 2. Für weitere Informationen zur Europäischen Woche der Berufsbildung vgl.: https://ec.europa.eu/ social/vocational-skills-week/evsw2018_en.
← 3. Nähere Informationen über WorldSkills findet man unter: www.worldskills.org/.
← 4. Für nähere Informationen vgl.: www.utdanning.no.
← 5. Weitere Informationen dazu bietet die Website: www.jobbank.gc.ca.