Nachdem betriebliche Ausbildungen und andere Formen des arbeitsplatzbasierten Lernens in vielen Ländern eine gewisse Zeit relativ vernachlässigt worden sind, gewinnen sie nun wieder an Bedeutung. Dabei wird gewürdigt, dass sie nicht nur den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben erleichtern, sondern auch der Wirtschaft von Nutzen sind.1 Es stellt allerdings nach wie vor eine große Herausforderung dar, Auszubildende, Ausbildungsbetriebe, Sozialpartner sowie Bildungs- und Ausbildungssysteme in das arbeitsplatzbasierte Lernen einzubinden. Dieser Synthesebericht enthält Anregungen zur Ausgestaltung und Umsetzung hochwertiger betrieblicher Ausbildungen unter Verwendung von Material aus dem OECD-Projekt Lernen am Arbeitsplatz in der beruflichen Bildung. Er stützt sich auf Analysen, die im Rahmen dieses Projekts durchgeführt wurden, ebenso wie auf Empfehlungen aus sechs veröffentlichten Grundsatzpapieren. Er basiert auf sieben Fragen, die sich die einzelnen Länder in der Regel stellen, wenn es darum geht, Ausbildungssysteme für junge Menschen und/oder ältere Arbeitskräfte einzuführen oder zu reformieren: 1. Können betriebliche Ausbildungen in jedem Land einen sinnvollen Beitrag leisten? 2. Sollten Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize erhalten? 3. Wie sieht eine angemessene Ausbildungsvergütung aus? 4. Wie lange sollte eine betriebliche Ausbildung dauern? 5. Wie lassen sich gute Lernerfahrungen im Betrieb gewährleisten? 6. Wie kann betriebliche Ausbildung auf förderungsbedürftige junge Menschen ausgerichtet werden? 7. Wie kann das Interesse potenzieller Auszubildender geweckt werden?
Sieben Fragen zur betrieblichen Ausbildung
Zusammenfassung
Wichtigste Ergebnisse
Aus den Analysen der Ausbildungssysteme weltweit geht ein zentrales – jedoch ganz einfaches – Erfolgsrezept hervor: Eine betriebliche Ausbildung kann nur funktionieren, wenn sie sowohl für den Auszubildenden als auch den Ausbildungsbetrieb attraktiv ist. Ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis für beide Seiten ist für eine wirksame Politik von entscheidender Bedeutung. Wenngleich die einzelnen Länder versucht sein könnten, Unternehmen zu subventionieren, um Ausbildungsplätze anzubieten, sind erfolgreichere Ansätze auf einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen bei der Ausgestaltung betrieblicher Ausbildungen ausgerichtet. Es gibt keine Universallösung, die überall passt. Eine ausgewogene Ausgestaltung sollte deshalb der Art der Ausbildung und dem Profil des Auszubildenden Rechnung tragen. Ausbildungsdauer und -vergütung sollten den jeweiligen Kosten und dem jeweiligen Nutzen angepasst werden. Eine attraktive betriebliche Ausbildung bietet jungen Menschen und Erwachsenen die Aussicht auf eine langfristige, qualifizierte Tätigkeit. Potenzielle Auszubildende wissen aber oftmals nur wenig darüber, was eine betriebliche Ausbildung zu bieten hat. Für die Bildungs- und Berufsberatungsdienste ist es daher eine Herausforderung, zu gewährleisten, dass junge Menschen ausreichend Gelegenheit haben, sich umfassend über die betriebliche Ausbildung zu informieren, bevor sie eine Entscheidung treffen.
Wichtigste Erkenntnisse
Können betriebliche Ausbildungen in jedem Land einen sinnvollen Beitrag leisten?
In den einzelnen OECD-Ländern besteht ein wachsendes Interesse an betrieblichen Ausbildungen. Während die betriebliche Ausbildung einst als Weg für einen nur kleinen Teil der Lernenden in technischen oder handwerklichen Berufen (wie Klempner oder Kfz-Mechatroniker) galt, stellt sie heute in mehreren Ländern auch einen Weg zu administrativen, leitenden oder gewerblichen Tätigkeiten im öffentlichen und privaten Sektor ebenso wie im Non-Profit-Sektor dar. Die Attraktivität der betrieblichen Ausbildung besteht darin, dass sie zuverlässig Kompetenzen vermittelt, die auf dem Arbeitsmarkt mit Sicherheit gefragt sind. Im besten Fall ist eine betriebliche Ausbildung ein klares Zeichen für Relevanz auf dem Arbeitsmarkt, weil sie mit den Arbeitgebern und anderen Sozialpartnern ausgestaltet wird und in erster Linie in echten Betrieben mit echten Arbeitgebern erfolgt. Eine gute betriebliche Ausbildung ist eine Lernform, die für die einzelnen Länder und Volkswirtschaften von Bedeutung ist. Damit sie zunehmend in Anspruch genommen wird, muss es jedoch einen fairen Wettbewerb zwischen der betrieblichen Ausbildung und alternativen Bildungs- und Ausbildungsformen geben. Die relative Attraktivität der betrieblichen Ausbildung sollte nicht durch künstliche Anreize geschmälert werden. Desgleichen gibt es keine Universallösung, wie das betriebliche Ausbildungsplatzangebot aussehen sollte. Es ist davon auszugehen, dass betriebliche Ausbildungen in Abhängigkeit vom nationalen und sektoralen Kontext unterschiedlich ausgestaltet werden müssen (z.B. im Hinblick auf Vergütung und Dauer), damit sie sowohl für die Betriebe als auch die potenziellen Auszubildenden attraktiv sind. Diese Varianz erklärt sich aus unterschiedlichen Kosten-Nutzen-Verhältnissen betrieblicher Ausbildungen. Das Geheimnis bei der Ausgestaltung betrieblicher Ausbildungen besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Kosten und dem Nutzen für die Betriebe wie auch die Auszubildenden zu schaffen. Die heute existierenden Erhebungsinstrumente können den Politikverantwortlichen helfen, für ein solch ausgewogenes Verhältnis zu sorgen.
Sollten Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize erhalten?
Besonders relevant ist die Kosten-Nutzen-Bilanz bei Diskussionen darüber, ob Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize erhalten sollten. Es spricht sicherlich viel für die Förderung betrieblicher Ausbildungen mit öffentlichen Mitteln, vor allem wenn sie den Einstieg ins Berufsleben ermöglichen sollen. Vorsicht ist allerdings bei universellen Steuererleichterungen oder Subventionen für Betriebe geboten. Lässt man gut konzipierte und bewährte arbeitgeberorientierte Abgabesysteme einmal außer Acht, wären die Länder besser beraten, die Mittel gezielt für Maßnahmen einzusetzen, die den Kompetenzerwerb der Auszubildenden beschleunigen und ihre Einsatzfähigkeit fördern. Mit anderen Worten, wenn es seitens der Unternehmen Widerstand gegenüber betrieblichen Ausbildungen gibt, können die Länder eingreifen, um die Kosten-Nutzen-Bilanz stärker zu deren Gunsten zu beeinflussen. Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der innerbetrieblichen Ausbildung und zur Senkung der Verwaltungskosten können etwas bewirken und sind für kleinere Unternehmen besonders wichtig.
Wie hoch sollte die Ausbildungsvergütung sein?
Der größte Teil der zu tragenden Kosten stellt für ausbildende Unternehmen die Ausbildungsvergütung dar. Es liegt in der Verantwortung der einzelnen Länder, den Arbeitsmarkt so zu steuern, dass die Vergütung hoch genug ist, um potenzielle Auszubildende zu gewinnen, aber niedrig genug, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein beträchtlicher Teil der Ausbildung auf unproduktive Aufgaben entfällt. Eine angemessene Vergütung fällt daher je nach Ausbildungsart unterschiedlich hoch aus und wird am besten je nach Branche oder Beruf z.B. durch Tarifverträge festgesetzt. Die Länder sollten die Festlegung eines Mindestlohns in Betracht ziehen, um Einzelne vor Ausbeutung zu schützen. Zudem gilt es, zusätzliche finanzielle Hindernisse zu überwinden, die ältere Arbeitskräfte von betrieblichen Ausbildungen abhalten können.
Wie lange sollte eine betriebliche Ausbildung dauern?
Die Ausbildungsdauer sollte sowohl dem Schwierigkeitsgrad der angestrebten Kompetenzen als auch den Merkmalen der Auszubildenden Rechnung tragen. Bei einer niedrigen Ausbildungsvergütung (unterhalb der Grenzproduktivität des Auszubildenden) ist eine angemessene Ausbildungsdauer wichtig, um sicherzustellen, dass die betriebliche Ausbildung attraktiv ist. Eine zu kurze Ausbildung wirkt sich negativ auf die Kosten-Nutzen-Bilanz der Unternehmen aus, eine zu lange Ausbildung führt zur Ausbeutung der Auszubildenden. Deshalb hat die Einbindung der Sozialpartner in die Ausgestaltung von Ausbildungen einen so positiven Effekt: Auf diese Weise können sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auf die optimale Dauer eines Ausbildungsgangs einigen. Eine attraktive betriebliche Ausbildung berücksichtigt darüber hinaus das höhere Kompetenzniveau und die Erfahrung, die ältere Arbeitskräfte vermutlich mitbringen. Einige Länder haben Ansätze entwickelt, die es ermöglichen, die Ausbildungsdauer für diese Lernenden zu verkürzen. Sofern diese Ansätze auf soliden Prüfungssystemen beruhen, sorgen sie für mehr Gerechtigkeit und Effizienz in den Ausbildungssystemen.
Wie lassen sich gute Lernerfahrungen im Betrieb gewährleisten?
Das Lernen am Arbeitsplatz ist ein entscheidendes Element der betrieblichen Ausbildung. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber in der Lage sind, eine gute Ausbildung zu vermitteln. Die staatlichen Stellen bzw. die Sozialpartner können vorschreiben bzw. anregen, dass die Ausbilder sich selbst fortbilden. Sie können außerdem den Führungskräften bei der Gestaltung betrieblicher Verfahren helfen, um möglichst viele Lernerfahrungen der Auszubildenden in die produktive Arbeit zu integrieren. In den Abschlussprüfungen sollte anerkannt werden, wie wichtig das Lernen am Arbeitsplatz ist, indem nicht nur Theorie- und Fachwissen sowie entsprechende Kompetenzen geprüft werden, sondern auch auf die darüber hinausgehenden Anforderungen des jeweiligen Berufs eingegangen wird, beispielsweise auf den persönlichen Umgang oder soziale Kompetenzen. Simulationen und Rollenspiele mit den Prüfern stellen innovative Mittel dar, um das volle Wissens- und Kompetenzspektrum zu prüfen, das von der jeweiligen Berufsausbildung gefordert wird.
Wie kann die betriebliche Ausbildung auf förderungsbedürftige junge Menschen ausgerichtet werden?
In vielen Ländern gilt die betriebliche Ausbildung als Instrument zur Verbesserung der Ergebnisse junger Menschen, die nach Abschluss der Pflichtschulzeit Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung zu finden oder ihren Bildungsweg fortzusetzen. Es gibt internationale Befunde dafür, dass die betriebliche Ausbildung diesen jungen Menschen den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben erleichtern kann. Viele Länder subventionieren Ausbildungsbetriebe, die Auszubildende mit Lernschwächen oder aus benachteiligten Verhältnissen einstellen. Die Datenbasis für die Wirksamkeit derartiger finanzieller Anreize ist jedoch wenig überzeugend. Maßnahmen, die darauf abzielen, junge förderungsbedürftige Auszubildende schneller zu produktiven Fachkräften zu qualifizieren und so die Kosten zu decken, die den Ausbildungsbetrieben durch die Ausbildung entstehen, sind effektiver. Dazu gehören Veränderungen bei der Regelausbildungsdauer, berufsvorbereitende Maßnahmen, um junge Menschen für Ausbildungsbetriebe attraktiver zu machen, sowie individuelle Förderung zur Überwindung von Problemen, mit denen Auszubildende während der Ausbildung konfrontiert sind.
Wie kann das Interesse potenzieller Auszubildender geweckt werden?
Damit Ausbildungen erfolgreich sind, müssen viele junge Menschen erreicht werden. Attraktive betriebliche Ausbildungen vermitteln die von den Arbeitgebern geforderten Kenntnisse und Kompetenzen und führen tatsächlich zu qualifizierter Beschäftigung. Von qualitativ schlechten Ausbildungen wenden sich Jugendliche ab. Schülerinnen und Schüler bzw. ihre Familien sind häufig unzureichend darüber informiert, was berufliche Ausbildungen tatsächlich zu bieten haben. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo mittlerweile für unterschiedliche Kompetenzniveaus und eine Vielzahl von Berufen Ausbildungen angeboten werden. Die Bildungs- und Berufsberatungsdienste müssen sicherstellen, dass junge Menschen zum gegebenen Zeitpunkt informierte Entscheidungen treffen. Die Daten der Internationalen Schulleistungsstudie (PISA) zeigen, dass Berufsziele durch Einflussfaktoren wie Geschlecht, sozioökonomischen Status und Migrationshintergrund geprägt sind. Mit der Arbeitsmarktnachfrage stehen sie nur selten in Zusammenhang. Schulen müssen bei der Bildungs- und Berufsberatung einen proaktiven und strategischen Ansatz verfolgen, der früh ansetzt, für eine Perspektivenerweiterung sorgt und sicherstellt, dass regelmäßige Gespräche mit unabhängigen und gut ausgebildeten Beratungsfachkräften die Norm sind. Entscheidend für eine effektive Beratung ist, dass die Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, sich im Rahmen von Aktivitäten wie Career-Talks und Hospitationen selbst ein Bild von verschiedenen Bildungs- und Berufswegen, einschließlich betrieblicher Ausbildungen, zu machen.
Anmerkung
← 1. . Eine betriebliche Ausbildung setzt sich in der Regel wie folgt zusammen: 1. aus der im Betrieb verbrachten Zeit, in der sich die Auszubildenden Kompetenzen aneignen und produktive Arbeit leisten, und 2. aus der außerbetrieblichen Ausbildung, die üblicherweise in der Verantwortung staatlicher Einrichtungen liegt. In den meisten Ländern verbringen die Auszubildenden mehr als 50% ihrer Zeit im Betrieb. Eine betriebliche Ausbildung führt zu einer formalen, landesweit anerkannten Qualifikation.