Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht der Betrieb als Ort der praktischen Ausbildung. Zum einen wird beschrieben, wie Auszubildende ihre Zeit zwischen produktiven und nichtproduktiven Aufgaben aufteilen, zum anderen werden Ansätze untersucht – wie die Schulung von Ausbildern und die Steuerung von Arbeitsaufgaben –, die hilfreich sind, damit Auszubildende gleichzeitig lernen und produktiv arbeiten können. Zum Abschluss erfolgt eine Erörterung der Funktion der Abschlussprüfungen, der Ausbildung der Prüfer sowie innovativer Methoden, um das gesamte Spektrum der Kenntnisse und Kompetenzen der Auszubildenden zu messen. Zudem wird auf die Funktion summativer Abschlussprüfungen im Zusammenhang mit der Anerkennung der Kompetenzen von Arbeitskräften eingegangen, denen Leistungen angerechnet werden und die daher nicht die gesamte Ausbildung absolvieren müssen.
Sieben Fragen zur betrieblichen Ausbildung
Kapitel 5. Wie lassen sich gute Lernerfahrungen im Betrieb gewährleisten?
Abstract
Die statistischen Daten für Israel wurden von den zuständigen israelischen Stellen bereitgestellt, die für sie verantwortlich zeichnen. Die Verwendung dieser Daten durch die OECD erfolgt unbeschadet des völkerrechtlichen Status der Golanhöhen, von Ost-Jerusalem und der israelischen Siedlungen im Westjordanland.
Fragen und Herausforderungen
Die betriebliche Ausbildung ist ein wesentliches Element einer hochwertigen Berufsausbildung
Die Ausbildung in den Betrieben bildet den Kern der Berufsausbildung. Betriebe bieten ein wichtiges Lernumfeld, das den Erwerb fachlicher Kompetenzen unter Nutzung modernster technischer Geräte und unter der Anleitung und Aufsicht von Berufspraktikern ermöglicht, die diese Geräte zu bedienen wissen. Soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Verhandlungskompetenz können von berufserfahrenen Vorbildern abgeschaut und so im Kontext erworben werden.
Die im Betrieb gemachten Lernerfahrungen sind für die Gesamtqualität der Berufsausbildung entscheidend, da Auszubildende in der Regel mindestens die Hälfte ihrer Zeit im Betrieb verbringen (Tabelle 5.1) – im Gegensatz zu schulbasierten beruflichen Bildungsgängen, bei denen das Lernen im Betrieb allenfalls eine Ergänzung zum schulischen Lernen ist, sofern es überhaupt angeboten wird.
Tabelle 5.1 Wie verbringen die Auszubildenden ihre Zeit?
Zeitaufteilung |
Anteil der produktiven Arbeit an der im Betrieb verbrachten Zeit |
|
---|---|---|
Deutschland |
56% - Betrieb; 29% - außerbetriebliche Ausbildung; 14% - Urlaub und Krankheitstage |
77% für produktive Arbeit |
England (Ver. Königreich) |
Bis zu 80% - Betrieb; mindestens 20% außerbetriebliche Ausbildung |
|
Norwegen |
In der Regel zwei Jahre Schule, danach zwei Jahre Betrieb |
1 Jahr Ausbildung 1 Jahr produktive Arbeit |
Österreich |
66% - Betrieb; 20% - außerbetriebliche Ausbildung; 14% - Urlaub und Krankheitstage |
83% für produktive Arbeit |
Schweiz |
59% - Betrieb; 27% - außerbetriebliche Ausbildung; 14% - Urlaub und Krankheitstage |
83% für produktive Arbeit |
Quelle: Kuczera, M. (2017[1]), “Striking the right balance: Costs and benefits of apprenticeship”, OECD Education Working Papers, No. 153, http://dx.doi.org/10.1787/995fff01-en.
Auszubildende können bei der Arbeit unterschiedliche Arten von Aufgaben ausführen
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit der Berufsausbildung ist, wie die von den Lehrlingen in den Betrieben verbrachte Zeit auf die verschiedenen Tätigkeiten aufgeteilt werden sollte. Der Aufgabenmix muss den Auszubildenden einerseits die Gelegenheit geben, die Kompetenzen zu erwerben, auf die die jeweilige Ausbildung abzielt, dem Ausbildungsbetrieb zugleich jedoch auch einen finanziellen Nutzen bringen. Auszubildende können ihre Zeit für drei verschiedene Arten von Tätigkeiten einsetzen:
Nichtproduktive Tätigkeiten: Tätigkeiten ohne unmittelbaren produktiven Wert für das Unternehmen. Hierzu zählen einige Lernformen (z.B. Übungen durchführen oder den Ausführungen des Ausbilders zuhören) und andere Tätigkeiten (z.B. die auf dem Weg zu einem Kundenbesuch in einem Verkehrsmittel verbrachte Zeit).
Produktive qualifizierte Tätigkeiten: Aufgaben, die normalerweise von einer Fachkraft ausgeführt werden. Dies kann Lernerfahrungen beinhalten (z.B. wenn eine Technik eingeübt und gleichzeitig echte Arbeit erledigt wird), muss jedoch nicht (z.B. wenn bei der Arbeit Kompetenzen eingesetzt werden, die der bzw. die Auszubildende bereits beherrscht).
Produktive unqualifizierte Tätigkeiten: Aufgaben, die von einer ungelernten Arbeitskraft erledigt werden können (z.B. eine Werkstatt putzen). Die Ausführung solcher Aufgaben führt nicht zum Erwerb von Fachkompetenzen, möglicherweise aber zum Erwerb sozialer Kompetenzen, z.B. Teamfähigkeit oder Zeitmanagement.
Die Art der von den Auszubildenden ausgeführten Arbeiten wirkt sich finanziell auf ihre Ausbildungsunternehmen aus
Was genau die Auszubildenden im Betrieb tun, wirkt sich auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis auf Arbeitgeberseite aus. So hat beispielsweise ein Restaurant einen Nutzen, wenn ein Koch-Lehrling Kartoffeln schält (produktive ungelernte Tätigkeit) oder ein Soufflé backt (produktive qualifizierte Tätigkeit), aber keinen unmittelbaren Nutzen, wenn der künftige Koch Kompetenzen trainiert, die nicht zum Produktionsprozess gehören, auch wenn er hierbei Kompetenzen erwirbt (nichtproduktive Tätigkeiten). Der mit der Ausbildung (einschließlich der Übungsaufgaben) verbundene Nutzen wird von dem Unternehmen später realisiert, wenn die Auszubildenden ihre neu erworbenen Kompetenzen praktisch einsetzen und qualifizierte Tätigkeiten ausüben. Statt reguläre Beschäftigte (zum Fachkräftelohn) zu bezahlen, um die Arbeit zu erledigen, kann der Auszubildende dieselbe Aufgabe für eine niedrigere Vergütung ausführen.
Es besteht das Risiko, dass Auszubildende als billige ungelernte Arbeitskräfte ausgebeutet werden
Arbeitgeber können zwar finanziellen Nutzen daraus ziehen, Auszubildenden neue Kompetenzen beizubringen, manchmal lohnt es sich für sie jedoch noch mehr, die Auszubildenden kaum auszubilden und sie als ungelernte Arbeitskräfte einzusetzen. Hierfür sind seitens der Unternehmen nur geringe Investitionen erforderlich, die angesichts der niedrigen Vergütung der Auszubildenden und der produktiven ungelernten Tätigkeit, die sie ausführen, jedoch durchaus Erträge abwerfen. Auf Kosten-Nutzen-Erhebungen beruhende Simulationen zeigen, dass schweizerische Arbeitgeber ihren Nettogewinn über die Dauer der Ausbildung um durchschnittlich 22 000 EUR pro Auszubildenden steigern könnten, wenn die Auszubildenden im Betrieb nur ungelernte Arbeiten verrichten würden [Wolter und Ryan (2011[2]) in Mühlemann (2016[3])].
Um eine hochwertige betriebliche Ausbildung für alle Auszubildenden sicherzustellen, bedarf es Vorschriften
In Ausbildungsfragen reicht es nicht aus, sich auf das Eigeninteresse der Arbeitgeber zu verlassen, um sicherzustellen, dass alle Auszubildenden eine hochwertige betriebliche Ausbildung erhalten: Es bedarf auch einschlägiger Vorschriften. In Ländern mit starken Ausbildungssystemen wird mithilfe entsprechender Vorschriften sichergestellt, dass die Arbeitgeber ihre Auszubildenden auch tatsächlich ausbilden und nicht einfach als billige ungelernte Arbeitskräfte ausbeuten. Hierfür bedarf es Normen, in denen die Kompetenzen definiert sind, die die Auszubildenden während der im Betrieb verbrachten Zeit erwerben sollten, Arbeitgeber, die in der Lage sind, eine hochwertige Ausbildung zu vermitteln, und strenge Prüfungen, um herauszufinden, ob die Auszubildenden die angestrebten Kompetenzen erworben haben.
Manchmal dienen Betriebe hauptsächlich dem praktischen Einsatz von Kompetenzen, aber nicht hinreichend als Lernumfeld
Im Zuge der historischen Entwicklung der betrieblichen Berufsausbildung in verschiedenen Ländern wurde die weit in die Vergangenheit zurückreichende Ausbildungspflicht der Arbeitgeber durch außerbetriebliche Ausbildungsangebote sowie Ausbildungsgänge an (Fach-)Schulen ergänzt. In einigen Ländern umfassen die Bildungsgänge auch von den Unternehmen finanzierte und organisierte, aber in gemeinsam betriebenen Schulungseinrichtungen angebotene Ausbildungsteile (z.B. in Deutschland und in der Schweiz). In den meisten Ländern ergibt das Lernen in unterschiedlichen Lernumgebungen eine wertvolle Kombination einander ergänzender Ausbildungserfahrungen. In manchen Ausbildungssystemen ist die Ausbildungspflicht der Arbeitgeber jedoch zurückgefahren worden; in diesem Fall sind die Erwartungen und Regeln vor allem auf die Ausbildung in (Fach-) Schulen ausgerichtet. So konzentriert sich beispielsweise in England (Vereinigtes Königreich) die Qualitätssicherung auf die von zugelassenen Ausbildungsanbietern durchgeführte außerbetriebliche Ausbildung. Sofern es sich bei dem Ausbildungsanbieter nicht um das Unternehmen handelt, bei dem die Ausbildung erfolgt, wird von den Arbeitgebern kaum erwartet, dass sie im Rahmen der Berufsausbildung Ausbildungsleistungen erbringen (Kuczera und Field, 2018[4]).
Die Ausbildungskapazitäten der Unternehmen müssen ausgebaut und gefördert werden
Die Qualität der Lernerfahrung im Betrieb hat bedeutende Auswirkungen auf die Gesamtqualität der Berufsausbildungen, da die Auszubildenden einen großen (häufig sogar den überwiegenden) Teil ihrer Zeit in ihrem Ausbildungsbetrieb verbringen. Doch während Schulen auf den Unterricht ausgelegt sind, dienen Betriebe in erster Linie der Produktion. Auszubildende einzustellen und neben der täglichen Arbeit auszubilden fordert den Unternehmen einiges ab.
Die Ausbildungskapazitäten sollten gefördert werden, um den Arbeitgebern zu helfen, den Auszubildenden eine hochwertige Ausbildung zu bieten. Diese Förderung kann durch die staatliche Politik, durch konzertiertes Handeln der Unternehmen (z.B. branchenspezifische Einrichtungen, Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften) oder durch eine Kombination von beiden erfolgen. Die Ausbilder sollten gezielt geschult werden.
Bessere Ausbildungskapazitäten in den Betrieben kommen den Auszubildenden zugute. So wird sichergestellt, dass die Lernerfahrungen in den Betrieben für alle von hoher Qualität sind und die Auszubildenden die fachlichen und sozialen Kompetenzen erwerben können, auf die die Ausbildung abzielt und die sie für eine erfolgreiche Berufslaufbahn rüsten.
Für die Arbeitgeber kann die Stärkung ihrer Ausbildungskapazitäten durch die bessere Einbindung der Auszubildenden in den Produktionsprozess von Vorteil sein. In Unternehmen mit besseren Ausbildungskapazitäten erwerben die Auszubildenden rascher die erforderlichen Kompetenzen. Wenn das Lernen stärker in die produktive Arbeit eingebettet ist, können die Auszubildenden ihre Kompetenzen trainieren und vertiefen und gleichzeitig einen produktiven Beitrag leisten.
These 1: Für eine hochwertige betriebliche Berufsausbildung bedarf es guter Führungs- und Schulungskapazitäten
Die betriebliche Ausbildung erfordert gute Ausbildungskapazitäten
Manche Unternehmen sehen sich möglicherweise nicht in der Lage, Lehrlinge auszubilden, und manchen gelingt die betriebliche Ausbildung besser als anderen. Die Ausbildungskapazitäten sind von der Kompetenz der Ausbilder, der Qualität der Ausbildungsmethoden und -ausstattung sowie der Fähigkeit zur Erledigung der administrativen Aufgaben im Zusammenhang mit der Berufsausbildung (z.B. Verwaltung und Prüfungen) abhängig. Diese Kapazitäten sind als Kern der „Ausbildungstradition“ in Ländern und Wirtschaftszweigen, die diesbezüglich auf eine lange Erfahrung zurückblicken, stark ausgeprägt: Die Ausbilder haben häufig selbst einst eine Berufsausbildung absolviert; zudem verfügen die Unternehmen über das nötige Wissen, um regelkonform auszubilden, und sind in der Lage, die damit zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Daraus folgt die wichtige Feststellung, dass eine Ausbildungstradition im Lauf der Zeit nach und nach aufgebaut (oder auch verloren) werden kann. Durch die Unterstützung der Ausbildungskapazitäten der Arbeitgeber kann die betriebliche Berufsausbildung in Ländern mit vorwiegend schulbasierten Bildungsgängen gefördert werden; sie kann in neuen Wirtschaftszweigen etabliert oder in Betrieben gefördert werden, die sich zuvor kaum in der Berufsausbildung engagiert haben.
Ausbildungskapazitäten lassen sich auf verschiedene Art und Weise fördern
Den staatlichen Stellen steht eine ganze Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um die Ausbildungskompetenzen der Betriebe und damit ihre Ausbildungskapazitäten zu verbessern. Sie können zudem die Vernetzung der Ausbildungsbetriebe fördern, damit diese ihre Erfahrungen bezüglich der besten Möglichkeiten zur Unterstützung, zur Ausbildung und zum Einsatz von Auszubildenden sowie zur Schulung der Ausbilder austauschen (dies wird weiter unten eingehender erörtert). Durch die gemeinsame Wahrnehmung von Schulungsaufgaben können die Unternehmen ihre Ausbildungslast senken. Dies kann besonders für Kleinunternehmen hilfreich sein, die häufig nicht über das Personal und die nötige Ausstattung verfügen, um alle Ausbildungsinhalte abzudecken (vgl. die Länderbeispiele in Kapitel 2).
Die Ausbilder prägen die Lernerfahrungen der Auszubildenden in den Betrieben
Beschäftigte, die Auszubildende in den Betrieben betreuen, tragen eine große Verantwortung. Neuauszubildende müssen nicht nur Fachkenntnisse erwerben, sondern auch vielfältige soziale Kompetenzen im Zusammenhang mit der Zusammenarbeit mit Kollegen, der Beziehung zum Vorgesetzten, Kundenkontakten und manchmal auch der Bewältigung von Konflikten. Junge Auszubildende lernen darüber hinaus, mit dem Arbeitsleben zurechtzukommen, und haben als Heranwachsende in der Übergangsphase zum Erwachsenendasein möglicherweise auch mit persönlichen Problemen zu kämpfen, wozu auch Drogen- und Alkoholprobleme zählen können. Wenn mit solchen Problemen nicht richtig umgegangen wird, könnten sie zum Abbruch der Ausbildung durch die betreffenden Lehrlinge führen. Junge Auszubildende mit sozioökonomisch benachteiligtem oder anderweitig problematischem Hintergrund sehen sich möglicherweise besonderen Herausforderungen gegenüber, wie in Kapitel 6 erörtert.
Durch gezielte Schulung der Ausbilder lässt sich die Qualität der Ausbildung verbessern
Die Ausbildungsregelungen in mehreren Ländern fordern von den Unternehmen, Lehrlinge auszubilden, wobei für die Ausbilder besondere Anforderungen gelten. Sofern derartige Vorschriften bestehen, müssen die Ausbilder in der Regel einschlägige Fach- und Ausbildungskompetenzen nachweisen. Die gezielte Ausbildung der Ausbilder ist in Deutschland, den Niederlanden, der kanadischen Provinz Ontario und der Schweiz obligatorisch, in Norwegen optional (vgl. Kasten 5.1). Die Befunde lassen darauf schließen, dass besser ausgebildete Ausbilder die Qualität der Berufsausbildung fördern. In Deutschland führte die vorübergehende Aussetzung der Ausbildereignungsprüfung zu höheren Abbruchquoten seitens der Auszubildenden und mehr Klagen seitens der Unternehmen bezüglich der Leistungen der Auszubildenden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen wurde 2009 nach sechsjähriger Aussetzung die Ausbildereignungsprüfung wieder eingeführt (BIBB, 2009[5]).
In manchen Ländern gibt es nur lockere Regelungen. In Australien beispielsweise handelt es sich bei den Auszubildenden um reguläre Arbeitskräfte und es ist eine Herausforderung sicherzustellen, dass sie zusätzlich zu den im Rahmen ihrer regulären Arbeit ausgeübten Tätigkeiten ausgebildet werden. Manche australische Staaten schreiben daher vor, dass die Ausbilder für diese Aufgabe qualifiziert sein müssen (Queensland Government, 2018[6]). In Israel gibt es Vorgaben zu den für Ausbilder geltenden Kompetenzanforderungen, wobei diese allerdings nicht immer eingehalten werden, wenn die Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Kosten zu decken (Kuczera, Bastianić und Field, 2018[7]).
Kasten 5.1 Ausbildung der Ausbilder
Deutschland: Ausbilder mit einem Berufsabschluss des Sekundarbereichs II müssen die Ausbildereignungsprüfung ablegen, bei der ihre Fähigkeit geprüft wird, die Ausbildungsvoraussetzungen zu prüfen und die Ausbildung zu planen, die Ausbildung vorzubereiten und bei der Einstellung von Auszubildenden mitzuwirken, die Ausbildung durchzuführen und die Auszubildenden auf die Abschlussprüfung vorzubereiten (BIBB, 2009[10]). Die Anwärter bereiten sich in der Regel durch Lehrgänge zum Erwerb der Ausbildereignung vor, die einen Umfang von 115 Stunden haben und von den Handelskammern angeboten werden (BIBB, 2009[5]). Die Prüfungskosten betragen durchschnittlich 180 EUR, während sich die Kosten für die Vorbereitungslehrgänge auf bis zu 420 EUR belaufen. Die Anwärter können durch ihre Arbeitgeber unterstützt werden und finanzielle Förderung durch den Staat beantragen (TA Bildungszentrum, 2015[11]). Wer höhere berufliche Qualifikationen besitzt, hat eine Ausbildungsbefugnis, da die entsprechende Berechtigung Teil der Meisterprüfung ist.
Quelle: BIBB (2009[10]), “Ausbilder-Eignungsverordnung“ vom 21. Januar 2009, Bundesgesetzblatt 5, www.bibb.de/dokumente/pdf/ausbilder_eignungsverordnung.pdf;
BIBB (2009[5]), Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zum Rahmenplan für die Ausbildung der Ausbilder und Ausbilderinnen, BIBB, Bonn, www.bibb.de/dokumente/pdf/HA135.pdf; TA Bildungszentrum (2015[11]), Ausbildungseignungsprüfung IHK (AEVO).
Kanada: In den kanadischen Provinzen müssen Ausbilder qualifizierte journeypersons (etwa: Gesellen) sein. Bei vielen Berufen ist in den entsprechenden Ausbildungsgängen eine bestimmte Zeit für Mentoring vorgesehen. Dies erfolgt häufig in der Abschlussphase der Berufsschulphase der Berufsausbildung. Damit besitzen die Ausbildungsteilnehmer, wenn sie ihren Gesellenbrief erhalten, eine gute Wissensbasis, um gute Mentoren zu werden.
Quelle: Government of Ontario (2017[8]), “Hire an Apprentice”, www.ontario.ca/page/hire-apprentice; Industry Training Authority (2017[9]), “Apprenticeships Who’s Who”, www.itabc.ca/about-apprentices/apprenticeship-who%E2%80%99s-who.
Norwegen: Die Ausbildung der Ausbilder ist optional und für die Teilnehmer kostenfrei. Sie wird von den Regionen, Schulen oder in unternehmenseigenen Schulungsbüros angeboten. Die Regionen stellen den Lehrgang, das Lernmaterial, Aufenthalts- und Reisekosten, während die Unternehmen für die Dauer des Lehrgangs die Ausbilder bezahlen. Die Ausbildung hat in der Regel einen Umfang von zwei Tagen (oder vier halben Tagen) pro Jahr. Die Ausbilder lernen, die Ausbildungsinhalte abzuarbeiten, Evaluierungsverfahren durchzuführen und Verwaltungsformulare auszufüllen sowie einen Ausbildungsplan zu erstellen und umzusetzen. In der Zeit zwischen den verschiedenen Schulungsterminen können die Ausbilder das Gelernte praktisch anwenden. Die zusammen mit den Lehrerbildungsinstituten im Bereich der beruflichen Bildung erarbeiteten nationalen Leitlinien können online abgerufen werden.
Quelle: Norwegian Directorate for Education and Training (2009[12]), persönliche Auskunft (22. Januar 2009).
Die Unternehmen profitieren im weiteren Sinn von einer Stärkung ihrer Führungskompetenz
Ausbildungskompetenz und allgemeine Führungskompetenz haben viel gemeinsam. Alle Arbeitskräfte sind eher teilweise als vollumfassend qualifiziert, vor allem im Hinblick auf den technologischen Wandel und Innovationen. Alle experimentieren mit neuen Ansätzen und Aufgaben. Es obliegt den Führungskräften, die Mitarbeiter anzuleiten und zu unterstützen und sicherzustellen, dass die wichtigsten unmittelbar anstehenden Aufgaben erledigt werden. Gleichzeitig müssen die vorhandenen Kompetenzen vertieft und neue erworben werden. Dies ist eine große Herausforderung, die in ähnlicher Weise für diejenigen gilt, die Lehrlinge ausbilden. Dies bedeutet, dass sich Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungskapazitäten der Unternehmen auch positiv auf ihre Kapazitäten zur Führung anderer Mitarbeiter auswirken.
These 2: Bei umsichtiger Vorgehensweise lässt sich das Lernen zum Vorteil der Unternehmen wie der Auszubildenden in die produktive Arbeit einbetten
Mit zunehmendem Kompetenzgewinn der Auszubildenden erhöht sich in der Regel der Arbeitsanteil zulasten des Ausbildungsanteils
Bei Ausbildungssystemen, in denen sich Berufs- bzw. Fachschultage und Arbeitstage im Betrieb abwechseln, verändert sich der Aufgabenmix mit der Zeit in Richtung weniger Ausbildung und mehr produktiver Arbeit (vgl. Abbildung 5.1 mit Daten aus Deutschland und der Schweiz). Bei einigen Ausbildungssystemen sind die Schwerpunktzeiten für Ausbildung bzw. produktive Arbeit in aufeinanderfolgende Blöcke aufgeteilt. Beispielsweise besuchen Auszubildende in Norwegen zunächst zwei Jahre lang eine Berufsschule, ehe sie zwei Jahre lang im Betrieb arbeiten, wo dann ein Jahr für Ausbildungstätigkeiten und das zweite für produktive Arbeit vorgesehen ist.
Das Lernen kann im Rahmen produktiver oder nichtproduktiver Tätigkeiten erfolgen
Viele Lernformen können entweder im Rahmen nichtproduktiver Tätigkeiten erfolgen oder in produktive Arbeit eingebettet sein. So können Auszubildende, die zunächst ihrem Ausbilder zugesehen haben und von diesem unterwiesen wurden, die angestrebten Fertigkeiten beispielsweise anhand von Simulationen (z.B. in einer Übungswerkstatt) oder echter Arbeit üben. Beides bietet dem Auszubildenden die Gelegenheit, die Tätigkeit zu üben, um sich die Kompetenz anzueignen. Während sie Simulationen oder andere Übungen durchführen, produzieren die Auszubildenden allerdings nichts, wohingegen sie in einem realen Arbeitsumfeld beim Lernen produktiv arbeiten können. Auszubildende benötigen zwar länger für die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit als erfahrene Arbeitskräfte, und das Ergebnis mag von geringerer Qualität sein, sie erbringen aber dennoch einen Nutzen für das Unternehmen. Wenn ein Teil der Ausbildung in Form von produktiven Tätigkeiten erfolgt, ist dies somit grundsätzlich für das Unternehmen vorteilhaft und für die Auszubildenden neutral.
Manchmal besteht Spielraum, um das Lernen stärker mit produktiver Arbeit zu verbinden
Die Befunde lassen darauf schließen, dass sich das Lernen bei umsichtiger Vorgehensweise oftmals in die produktive Arbeit einbetten lässt, was mit einem größeren Nutzen für den Betrieb verbunden ist, ohne dass die Lernqualität leidet. Forschungsarbeiten haben er-geben, dass die ausbildenden Unternehmen in Deutschland den Anteil der nichtproduktiven Tätigkeiten zwischen 2000 und 2007 halbiert haben und den Anteil der produktiven Arbeit gesteigert haben. Wenn die Unternehmen schlicht weniger Zeit in die Ausbildung investiert hätten, hätte sich diese Veränderung negativ auf die Lernergebnisse der Auszubildenden ausgewirkt. Die Daten lassen jedoch darauf schließen, dass die Auszubildenden weiterhin ebenso viel Zeit mit ihrem Ausbilder verbrachten wie zuvor, die Unternehmen ihre Ausbildungsinvestitionen auf demselben Stand belassen haben und dass die Produktivität der Auszubildenden im Vergleich zu den Fachkräften nicht gelitten hat (Jansen et al., 2015[13]). Kurz gesagt: Durch umsichtige Organisation der im Betrieb verbrachten Zeit konnten die Unternehmen den Nutzen der Ausbildung für sich selbst steigern, ohne die Lernergebnisse ihrer Auszubildenden zu beeinträchtigen.
Inwiefern Lernen durch produktive Arbeit möglich ist, ist vom jeweiligen Beruf abhängig
Wie gut die produktive Arbeit zum Lernen geeignet ist, hängt vom jeweiligen Beruf ab: Bei sehr technischen Berufen, bei denen in größerem Umfang teure Arbeitsgeräte zum Einsatz kommen, müssen die Auszubildenden oftmals gründlich angelernt werden, ehe sie mit produktiver Arbeit beginnen können. Bei anderen sind Simulationen, theoretische Unterweisungen und andere nichtproduktive Ausbildungsformen aus Gesundheits- und Sicherheitserwägungen erforderlich, ehe ein Auszubildender mit der Arbeit beginnen kann. Beispielsweise kann sich ein Kochlehrling gleich am ersten Tag an einem Soufflé versuchen, ein künftiger Elektriker muss jedoch umfassend eingewiesen werden, ehe er elektrische Leitungen anfasst.
Die Einbettung des Lernens in die produktive Arbeit setzt eine hohe Führungskompetenz voraus
Das Prinzip, das Lernen in die produktive Arbeit einzubetten, ist ein scheinbar leichter Weg zum Erfolg. In der Praxis ist eine umsichtige Führung erforderlich, um Auszubildenden produktive Tätigkeiten anzuvertrauen, da stets ein gewisses Risiko gegeben ist, wenn erst teilweise ausgebildete Lehrlinge mit wertvollen Geräten arbeiten oder Umgang mit geschätzten Kunden haben. Es bedarf einer umsichtigen Führung und Ausbildung, um einem jungen Auszubildenden beispielsweise zu helfen, damit sein Soufflé gelingt, und zu verhindern, dass ein geschätzter Kunde glibberige Rühreier vorgesetzt bekommt. Somit können Instrumente, die die betrieblichen Ausbildungskapazitäten verbessern (wie weiter oben erörtert), sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Auszubildenden nützlich sein: Die Arbeitgeber erzielen ein besseres Finanzergebnis, indem sie dieselben Kompetenzen wie zuvor ausbilden, diese aber stärker ins Produktionsverfahren einbinden, und die Auszubildenden lernen kontinuierlich hinzu.
Ausbildungsprüfungen müssen anspruchsvoll sein
Wenn ein Arbeitgeber einen neuen Auszubildenden oder eine neue Auszubildende einstellt, verpflichtet er sich, die im Rahmen des Ausbildungsgangs angestrebten Kompetenzen zu vermitteln. Es steht den Ausbildungsbetrieben dabei in gewissem Umfang frei, wie sie die Arbeitszeit ihrer Auszubildenden organisieren, solange sie die betreffenden Kompetenzen abdecken. Dieser Freiheit müssen strenge Bewertungsverfahren gegenüberstehen, um zu prüfen, ob alle Auszubildenden am Ende der Ausbildung die angestrebten Kompetenzen erworben haben.
Eine Herausforderung ist, dass Ausbildungsberufe ein breites Spektrum von Kompetenzen voraussetzen, z.B. praktische Fachkenntnisse, deren unmittelbare Prüfung oftmals teuer ist, und soziale Kompetenzen (z.B. im Hinblick auf den richtigen Umgang mit schwierigen Kunden), die sich nur unzureichend anhand herkömmlicher Papier-und-Bleistift-Tests überprüfen lassen. In der Folge wird dieser Teil der angestrebten Kompetenzen in den Prüfungen oftmals nicht angemessen bewertet.
Um eindeutige und verlässliche Qualifikationen zu fördern, sollten Prüfungsstandards und -verfahren eingeführt werden. Diese sollten Vorgaben darüber enthalten, welche Kompetenzen geprüft werden, wie die Prüfung durchgeführt wird und durch wen. Um sicherzustellen, dass die Standards und Prüfungsverfahren in verschiedenen Landesteilen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten einheitlich angewendet bzw. durchgeführt werden, bedarf es geeigneter Mechanismen.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Kompetenzanforderungen vieler Ausbildungsberufe sollte im Rahmen der Prüfungen soweit möglich das gesamte Spektrum der für das jeweilige Berufsziel erforderlichen Kompetenzen getestet werden, darunter auch solche, die durch die herkömmlichen schriftlichen und mündlichen Prüfungen nicht angemessen beurteilt werden können, z.B. praktische Fachkenntnisse und soziale Kompetenzen.
These 1: Anspruchsvolle Abschlussprüfungen gewährleisten solide Qualifikationen bei flexiblen Möglichkeiten für den Kompetenzerwerb
Für eine hohe Qualität der betrieblichen Ausbildung bedarf es strenger Abschlussprüfungen
Bezüglich der betrieblichen Komponente der Berufsausbildung gelten in der Regel bestimmte Vorgaben bezüglich der Qualität der Eingangsfaktoren (z.B. der Qualifikationen der Ausbilder, des Ausbildungsplans). Gleichzeitig haben die Arbeitgeber aus gutem Grund oftmals beträchtliche Freiheiten bei der Festlegung der Aufgaben, die die Auszubildenden im Betrieb erledigen. Dadurch können sie die Ausbildung an den jeweiligen Arbeitskontext anpassen (z.B. Personaleinteilung, Produktionsorganisation), sodass die Auszubildenden optimal in das jeweilige Tagesgeschäft eingebunden werden können. Diesen Freiheiten muss eine valide und verlässliche Kompetenzmessung gegenüberstehen, um zu prüfen, ob die Auszubildenden im Betrieb effektiv lernen. Dies gilt in besonderem Maße für die Abschlussprüfungen, anhand derer festgestellt wird, ob der bzw. die Auszubildende zum Ausbildungsende alle angestrebten Kompetenzen erworben hat.
Strenge Prüfungen können auch für diejenigen von Vorteil sein, die ihre Kompetenzen auf anderem Weg erwerben
Verlässliche Prüfungen werden auch benötigt, um die in Kapitel 4 erörterten Instrumente umzusetzen: die Möglichkeit, die Ausbildungszeit bei einschlägigen Vorkenntnissen zu verkürzen, und die Option, die Abschlussprüfung des Ausbildungsgangs abzulegen, ohne die Ausbildung selbst zu absolvieren. Hierbei handelt es sich um Möglichkeiten zum Quereinstieg, bei denen entweder die Ausbildungsinhalte angepasst werden oder überhaupt keine obligatorische Ausbildung vorgesehen ist. Wird eine Qualifikation ohne oder lediglich auf der Basis einer Teilausbildung erteilt, hängt deren Wert am Arbeitsmarkt von der Seriosität der zugrunde liegenden Prüfungen ab.
These 2: Die Abschlussprüfungen müssen alle für das Berufsziel erforderlichen Kompetenzen testen
Fachliche Kompetenzen werden aufgrund der damit verbundenen Kosten oftmals nur unzureichend geprüft
Ein Teil der fachlichen Kompetenzen lässt sich anhand von Papier-und-Bleistift-Tests angemessen prüfen (z.B. theoretisches Wissen), für die Beurteilung der praktischen Fachkompetenzen sind solche Tests jedoch wenig geeignet. Die Prüfung der praktischen Fachkompetenzen in einem authentischen Arbeitsumfeld kann in Anbetracht des erforderlichen Materials und der notwendigen Geräte sehr kostspielig sein. Aufgrund dessen kann die Versuchung groß sein, auf die Prüfung einiger dieser Kompetenzen zu verzichten.
Durch den Einsatz von Technologien lassen sich die Kosten der Prüfungen senken
Der Einsatz bestimmter Technologien bietet möglicherweise neue und günstigere Möglichkeiten zur Prüfung der praktischen Kompetenzen. So könnten die Kompetenzen eines angehenden CNC-Fräsers (computer numerical control – CNC) beispielsweise anhand eines CNC-Simulators geprüft werden, wodurch die hohen Kosten der Nutzung einer echten Maschine und echter Materialien vermieden würden. Im Rahmen einer jüngst in Deutschland durchgeführten Forschungsinitiative wurden technologiebasierte Instrumente für die Messung beruflicher Kompetenzen entwickelt, deren Ergebnisse vielversprechend sind (Kasten 5.2).
Kasten 5.2 Technologiebasierte Kompetenzmessung in Deutschland
Die Forschungsinitiative ASCOT (Technology-based Assessment of Skills and Competences in Vocational Education and Training – technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung) wurde 2011 mit dem Ziel gestartet, Methoden für technologiebasierte Abschlussprüfungen in der beruflichen Bildung zu erarbeiten. In die Initiative wurden Projekte mit Experten aus Wissenschaft und Praxis in fünf Berufen einbezogen. Die Erhebungsinstrumente wurden auf der Grundlage realer beruflicher Gegebenheiten entwickelt. So wurden beispielsweise Auszubildende, die eine Ausbildung zur bzw. zum medizinischen Fachangestellten machten, mit einer virtuellen Arztpraxis konfrontiert, in der Patientensituationen simuliert wurden. Die Instrumente erwiesen sich als in hohem Maße geeignet für die Messung fachlicher und beruflicher Kompetenzen, berufsspezifischer sozial-kommunikativer Kompetenzen sowie berufsrelevanter Lese- und Mathematikkompetenzen. Sie steigerten zudem die Objektivität der Testverfahren sowie die Testmotivation der Prüflinge und waren effizienter als die herkömmlichen Prüfungsmethoden. Im Rahmen der Folgeinitiative ASCOT+ sollen die Instrumente in die Praxis übertragen werden, um das Lehren und Lernen zu unterstützen und als Grundlage für die Entwicklung kompetenzbasierter Ausbildungsordnungen und Prüfungen zu dienen.
Quelle: BMBF (2018[14]), Technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung (ASCOT), Ergebnisse und Bedeutung für Politik und Praxis, www.bmbf.de/ pub/ASCOT.pdf.
Soziale Kompetenzen sind für viele Arbeitsstellen von entscheidender Bedeutung, einschließlich solcher, für die ein Berufsabschluss erforderlich ist. Bei den im Rahmen der Berufsausbildung (ebenso wie an den Hochschulen) stattfindenden Prüfungen liegt der Fokus traditionell auf dem theoretischen Wissen und den fachlichen Kompetenzen, die sozialen Kompetenzen werden jedoch kaum oder überhaupt nicht berücksichtigt. Dies liegt u.a. darin begründet, dass sich soziale Kompetenzen anhand der herkömmlichen Papier-und-Bleistift-Tests nur schwer prüfen lassen. Die Gestaltung und Durchführung von Prüfungen, mit denen sich messen lässt, wie gut ein angehender Kraftfahrzeugmechaniker mit unangenehmen Kunden umgehen kann, ist weitaus schwieriger, als seine Mechatronikkenntnisse zu testen. Sozioemotionale Kompetenzen könnten für die Ausbildungsberufe der Zukunft jedoch von größerer Bedeutung sein, sodass es wichtig ist, sie zu messen. Daten aus den Vereinigten Staaten zeigen, dass die Nachfrage nach interpersonellen Kompetenzen, wie sie für Nichtroutineaufgaben benötigt werden, in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist (Autor und Price, 2013[15]).
Für die Messung berufsspezifischer sozioemotionaler Kompetenzen gibt es vielversprechende Verfahren
Für die Messung berufsspezifischer sozioemotionaler Kompetenzen gibt es einige vielversprechende Initiativen und verschiedene Länder haben Prüfungen entwickelt und eingesetzt, um soziale Kompetenzen – beispielsweise anhand von Rollenspielen – zu messen. In der Schweiz müssen in der Immobilienbranche Tätige, die die Berufsprüfung zum Immobilienbewirtschafter ablegen möchten, eine mündliche Prüfung bestehen, die Aufgaben umfasst wie z.B. ein Gespräch mit einem älteren Ehepaar über ihr schlecht instandgehaltenes Wohngebäude (Kasten 5.3).
Kasten 5.3 Mündliche Prüfung für Immobilienbewirtschafter in der Schweiz
Die Kandidaten für die Berufsprüfung in Immobilienbewirtschaftung müssen u.a. eine mündliche Prüfung bestehen, in deren Mittelpunkt in erster Linie soziale und „methodische“ Kompetenzen stehen. Teil der Prüfung ist ein Rollenspiel, bei dem die Prüfer die Rolle der Kunden spielen.
Beispiel für ein Rollenspiel
Der Kandidat trifft ein Rentnerehepaar, dem ein Gebäude gehört, dessen Bewirtschaftung einer Agentur übergeben werden soll. Das Gebäude weist verschiedene Mängel auf (z.B. rostige Schaukeln auf dem Spielplatz), sodass von dem Kandidaten Vorschläge für die Renovierung und die Instandhaltung des Gebäudes sowie Beratung bezüglich der Eigentumsübertragung an die Kinder der Eigentümer bei fortgesetzten Mieteinnahmen erwartet werden.
Die Prüfer bewerten den Kandidaten anhand eines Bewertungsrasters
Zu den sozialen Kompetenzen zählen die Kommunikationsfähigkeit, das Verhalten und das Erscheinungsbild. Um die Bestnote in Kommunikationskompetenz zu erhalten, muss sich der Kandidat klar ausdrücken, aktiv zuhören und zielgerichtete Antworten geben. Zu den methodischen Kompetenzen gehören integratives Denken, Problemlösen und Verhandlungstechniken. Um die Bestnote in Verhandlungskompetenz zu erhalten, muss der Kandidat plausibel argumentieren und erfolgreich verhandeln. Während der Diskussion werden einige Aspekte des Fachwissens geprüft, z.B. indem der Kandidat aufgefordert wird, die Rechtsgrundlage für die Untervermietung von Mietobjekten darzustellen.
Auch die Prüfer werden während der Prüfung beobachtet
Ein Beobachter des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) prüft, ob die Prüfer die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen (z.B. klare Diskussionspunkte, Anweisungen und Aufgaben). Ihre Leistungen werden als sehr gut, zufriedenstellend oder nicht zufriedenstellend bewertet. Nach der Prüfung gibt der Beobachter des SBFI den Prüfern Rückmeldung. Dies ist ein besonders wichtiges Element für den Fall, dass der Kandidat Rechtsmittel einlegt, um das Prüfungsergebnis überprüfen zu lassen.
Quelle: Kis, V. und H. Windisch (2018[16]), “Making skills transparent: Recognising vocational skills acquired through work-based learning”, OECD Education Working Papers, No. 180, https://doi.org/10.1787/5830c400-en.
Auch die unternehmerischen Fähigkeiten müssen angemessen berücksichtigt werden
Hochwertige Qualifikationen der beruflichen Bildung, z.B. zahlreiche Berufs- und Meisterabschlüsse, zielen oftmals darauf ab, die Absolventen auf die berufliche Selbstständigkeit vorzubereiten. Bei einigen Verfahren gehört die Beurteilung der unternehmerischen Kompetenzen zu den Prüfungsinhalten. In Deutschland wurden die Meisterprüfungen 2001 überarbeitet, um die für die selbstständige Betriebsführung erforderlichen Kompetenzen stärker zu berücksichtigen. Dabei ging es nicht allein um die Erfordernisse von heute, sondern auch um eine Antwort auf die sich verändernden Arbeitsplatzanforderungen (Kasten 5.4).
Kasten 5.4 Die Reform der Meisterprüfungen in Deutschland
Seit 2001 wird nach der Reform der Meisterprüfungen in verschiedenen Berufen stärkeres Augenmerk auf die Fähigkeit der Prüflinge gelegt, ein Unternehmen zu führen, Lehrlinge auszubilden und Anpassungen vorzunehmen, wenn sich die betrieblichen Anforderungen ändern.
Teil I der Prüfung umfasst nunmehr eine fachpraktische Prüfung, ein darauf bezogenes Fachgespräch sowie eine optionale situationsspezifische Aufgabe. Die Prüflinge wählen den Schwerpunkt ihres Meisterprüfungsprojekts selbst. Der Meisterprüfungsausschuss legt die Aufgabenstellung fest, lässt jedoch Raum für Vorschläge seitens der Prüflinge. Das Projekt ist wie ein Kundenauftrag angelegt und umfasst die Aspekte Planung, Durchführung und Dokumentation sowie ein Fachgespräch mit dem Prüfungsausschuss. Anhand von fallorientierten Aufgaben werden die Kompetenzen der Prüflinge in Bereichen geprüft, die nicht durch das Meisterprojekt abgedeckt sind.
Durch die Prüfung in Teil II sollen die Prüflinge nunmehr nachweisen, dass sie berufsbezogene Probleme aufzeigen, analysieren und lösen können. Die neue Struktur orientiert sich noch stärker an den betrieblichen Anforderungen und umfasst die Handlungsfelder berufsspezifische Fachkompetenzen, Auftragsabwicklung, Betriebsführung und -organisation. In jedem der Handlungsfelder ist mindestens eine Aufgabe zu bearbeiten.
Quelle: ZWH (o.J.[17]), Geänderte Anforderungen in der Meisterprüfung im Handwerk, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.V. (ZWH), www.q-zwh.de/pruefer/ index.php?id=42&tx_ttnews[tt_news]=23&tx_ttnews[backPid]=28&cHash=f19ae37d9e.
Die Ausbildung der Prüfer kann zur Gewährleistung einer validen und verlässlichen Kompetenzmessung beitragen
In manchen Ländern ist eine Ausbildung der Prüfer, die die beruflichen Prüfungen abnehmen, vorgeschrieben, um einheitliche Prüfungsmethoden zwischen den Regionen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen sicherzustellen. In der Schweiz müssen die meisten Prüfer für Lehrabschlussprüfungen an einschlägigen Schulungen teilnehmen und eine eidgenössische Zertifizierung erwerben (Felser, 2016[18]). In Norwegen müssen die Prüfer für Lehrabschlussprüfungen an den von den regionalen Bildungsbehörden angebotenen Schulungen teilnehmen, erhalten Unterstützung in Form von Mentoring und können an Weiterbildungsangeboten teilnehmen, die in Zusammenarbeit mit Hochschuleinrichtungen durchgeführt werden (Ure, 2015[19]). In Deutschland und Österreich ist die Ausbildung der Prüfer optional (Kasten 5.5).
Kasten 5.5 Training für Lehrabschlussprüfer
Deutschland
Die Vorbereitung auf das Prüferamt umfasst u.a. Erfahrungsaustausch, die Konsultation der einschlägigen Regelungen, Vorbereitungsseminare und die Gastteilnahme an Prüfungen. Die überwiegende Mehrheit der Prüfer ist sich Umfrageergebnissen zufolge darin einig, dass der Erfahrungsaustausch die beste Form des Lernens darstellt. Die zuständigen Kammern bieten entsprechende Veranstaltungen an und bieten eine Plattform für Austauschmöglichkeiten. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) betreibt eine Onlineplattform, auf der Prüfer auf aktuelle Informationen über Fortbildungsseminare zugreifen und Erfahrungen austauschen können.
Quelle: Prüferportal (2016[21]), “Prüfung”, www.prueferportal.org/html/719.php; Prüferportal (2016[22]), “Prüferin werden”, www.prueferportal.org/html/146.php; Prüferportal (2016[23]), “Meisterprüfungsausschüsse”, www.prueferportal.org/html/1546.php.
Österreich
Die Mitglieder der Prüfungskommissionen für die Lehrabschlussprüfungen können sich als Prüfer für Lehrabschlussprüfungen zertifizieren lassen. Voraussetzung ist der Besuch einer eintägigen Schulung, die mindestens 8 Trainingseinheiten à 50 Minuten umfasst. Die Schulungen werden von den Lehrlingsstellen der Bundesländer angeboten. Zu den Lehrinhalten gehören das Prüfungsverfahren, das Rollenverständnis, Prüfungssimulationen, die Leistungsbeurteilung sowie Themen wie adäquater Umgang mit Prüfungsangst und konstruktives Feedback.
Quelle: ibw (2016[20]), “Zertifizierte/r Prüfer/in für Lehrabschlussprüfungen”, www. qualitaet-lehre.at/lehrabschlusspruefung/infos-fuer-prueferinnen/zertifizierter-prueferin-fuer-lehrabschlusspruefungen/.
Schlussbetrachtungen
In diesem Kapitel wurde untersucht, wie staatliche Stellen und Arbeitgeber sicherstellen können, dass Auszubildende im Rahmen der betrieblichen Ausbildung die bestmöglichen Lernerfahrungen machen, und anhand internationaler Befunde wird die entscheidende Bedeutung dieser praktischen Ausbildung hervorgehoben. Wirksam ist, während der von den Auszubildenden im Betrieb verbrachten Zeit ein vernünftiges Maß an Ausbildung vorzusehen. Es ist nicht selbstverständlich, dass Arbeitgeber in der Lage sind, eine gute Ausbildung zu vermitteln. Die staatlichen Stellen bzw. die Sozialpartner können vorschreiben bzw. dazu ermutigen, dass die Ausbilder sich selbst fortbilden und den Führungskräften bei der Gestaltung betrieblicher Verfahren helfen, um – je nach Art der Ausbildung – möglichst viele Lernerfahrungen der Auszubildenden in die produktive Arbeit einzubetten. Anspruchsvolle Prüfungen, die durch geeignete Prüferinnen und Prüfer abgenommen werden, sind ein wesentliches Merkmal starker Ausbildungssysteme. In den Abschlussprüfungen sollten nicht nur Theorie- und Fachwissen sowie -kompetenzen geprüft werden, sondern auch auf die darüber hinausgehenden Anforderungen des jeweiligen Berufs eingegangen werden, beispielsweise auf den persönlichen Umgang oder soziale Kompetenzen. Simulationen und Rollenspiele mit den Prüfern stellen innovative Mittel dar, um das volle Wissens- und Kompetenzspektrum zu prüfen, das im Rahmen der jeweiligen Berufsausbildung erforderlich ist.
Literaturverzeichnis
[15] Autor, D. und B. Price (2013), “The Changing Task Composition of the US Labor Market: An Update of Autor, Levy, and Murnane (2003)”, MIT Working Paper, Juni, https://economics.mit.edu/files/11600.
[5] BIBB (2009), Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zum Rahmenplan für die Ausbildung der Ausbilder und Ausbilderinnen, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn, https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA135.pdf.
[14] BMBF (2018), Technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung (ASCOT) – Ergebnisse und Bedeutung für Politik und Praxis, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn, https://www.bmbf.de/pub/ASCOT.pdf.
[10] BMBF (2009), “Ausbilder-Eignungsverordnung vom 21. Januar 2009”, Bundesgesetzblatt, Jg. 2009, Teil I, Nr. 5, Bundesministerium für Bildung und Forschung, http://www.bgbl.de/ xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl109s0088.pdf.
[18] Felser, R. (2016), Eidgenössisches Institut für Berufsbildung (EHB).
[8] Government of Ontario (2017), “Hire an Apprentice”, http://www.ontario.ca/page/hire-apprentice (Abruf: 1. August 2017).
[20] ibw (2016), “Zertifizierte/r Prüfer/in für Lehrabschlussprüfungen”, Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft, Wien, https://www.qualitaet-lehre.at/lehrabschlusspruefung/infos-fuer-prueferinnen/zertifizierter-prueferin-fuer-lehrabschlusspruefungen/ (Abruf: 28. Juni 2016).
[9] Industry Training Authority (2017), “Apprenticeships Who’s Who”, http://www.itabc.ca/about-apprentices/apprenticeship-who%E2%80%99s-who (Abruf 1. August 2017).
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[4] Kuczera, M. und S. Field (2018), OECD Reviews of Vocational Education and Training: Apprenticeship in England, United Kingdom, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264298507-en.
[3] Mühlemann, S. (2016), “The Cost and Benefits of Work-based Learning”, OECD Education Working Papers, No. 143, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/5jlpl4s6g0zv-en.
[12] Norwegian Directorate for Education and Training (2009), persönliche Auskunft, 22. Januar 2009.
[21] Prüferportal (2016), “Die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses”, Bundesinstituts für Berufsbildung, https://www.prueferportal.org/de/prueferportal_73856.php (Abruf: 23. Mai 2016).
[23] Prüferportal (2016), “Meisterprüfungsausschüsse”, Bundesinstituts für Berufsbildung, https://www.prueferportal.org/de/prueferportal_73892.php (Abruf: 23. Mai 2016).
[22] Prüferportal (2016), “Prüfer/in werden”, Bundesinstituts für Berufsbildung, https://www.prueferportal.org/de/prueferportal_67891.php (Abruf: 1. Juni 2016).
[6] Queensland Government (2018), “The employer resource assessment and training plan – expectations of the department”, https://training.qld.gov.au/apprenticeshipsinfo/information-resources/employer-capacity (Abruf: 20. Juli 2018).
[11] TA Bildungszentrum (2015), “In 6 Tagen zur Ausbildungseignungsprüfung IHK (AEVO)”, https://www.ta.de/ausbildereignungspruefung-ihk-aevo.html.
[19] Ure, O. (2015), How informal and non-formal learning is recognised in Europe. Norway – country report, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, https://www.bertelsmann-stiftung.de/en/publications/ publication/did/norway-country-report-how-informal-and-non-formal-learning-is-recognised-in-europe/ (Abruf: 23. April 2018).
[2] Wolter, S. und P. Ryan (2011), “Apprenticeship”, in Handbook of the Economics of Education, Vol. 3, Kapitel 11, S. 521-576, Elsevier, https://ideas.repec.org/h/eee/educhp/3-11.html.
[17] ZWH (o.J.), Geänderte Anforderungen in der Meisterprüfung im Handwerk, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.V (ZWH), http://www.q-zwh.de/pruefer/index.php?id=42&tx_ttnews [tt_news]=23&tx_ttnews[backPid]=28&cHash=f19ae37d9e.