1. Wohnraum gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und ist ein wesentlicher Aspekt der Lebensqualität. In vielen Ländern wird es jedoch zunehmend schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wohnimmobilienpreise und Mieten steigen. Daher entfällt auf Wohnen im Vergleich zu anderen Ausgabenposten wie Gesundheit, Bildung oder Verkehr ein wachsender Anteil der Haushaltseinkommen. Im Zeitraum 2005–2015 hat dieser Anteil um durchschnittlich 5 Prozentpunkte zugenommen. In der Mehrzahl der OECD-Länder beläuft er sich inzwischen auf durchschnittlich 31 % des Einkommens der Haushalte mit mittleren Einkommen. Sozial benachteiligte Gruppen trifft dies besonders hart. Guter Wohnraum, vor allem in Arbeitsplatznähe, ist für sie häufig kaum erschwinglich. Sie leben zudem oft in beengten Wohnverhältnissen – ein Problem, das während der Ausgangssperren der Coronazeit besonders deutlich wurde. Hinzu kommt, dass bereits vor der Coronapandemie in etwa einem Drittel der OECD-Länder ein Anstieg der Wohnungslosigkeit verzeichnet wurde.
2. Der Hauptgrund für das Bezahlbarkeitsproblem ist, dass das Wohnungsangebot in Gegenden mit starker Nachfrage, z. B. in städtischen Räumen mit zahlreichen Arbeitsplätzen, nicht ausreichend ist. Dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erklärt sich z. T. aus geografischen Gegebenheiten und aus den rechtlichen Beschränkungen, die in vielen Städten gelten, etwa Flächennutzungs- und Bebauungsvorschriften. Auch mietrechtliche Bestimmungen können die Effizienz der Immobilienmärkte beeinträchtigen, wenn von ihnen Fehlanreize für den Bau und die Instandhaltung von Wohnungen ausgehen.
3. Zur Frage der Bezahlbarkeit und der Markteffizienz kommt als dritte Herausforderung die Frage der ökologischen Nachhaltigkeit hinzu: Auf den Wohngebäudesektor entfallen weltweit 17 % der energie- und prozessbedingten Treibhausgasemissionen sowie 37 % der Feinstaubemissionen. Um die vereinbarten Emissionsziele zu erreichen, bedarf es daher ambitionierter Initiativen zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks der Bautätigkeit sowie zur Steigerung der Energieeffizienz des Gebäudebestands. Aufgrund der langen Lebensdauer von Wohngebäuden haben Anstrengungen in diesem Bereich nachhaltige Umwelteffekte. Energiearmut ist in sozial benachteiligten Gruppen in der Regel ebenfalls weiter verbreitet. Dies vergrößert das Problem der Bezahlbarkeit: Im OECD-Durchschnitt haben fast 20 % der einkommensschwachen Bevölkerung (Personen in Haushalten, deren Einkommen weniger als 60 % des Medianeinkommens beträgt) eigenen Angaben zufolge Schwierigkeiten, ihre Wohnung ausreichend zu heizen.
4. Zur Bewältigung dieser drei miteinander verknüpften Herausforderungen sind Maßnahmen in einem breiten Spektrum von Bereichen erforderlich, wobei es Komplementäreffekte und Konflikte zwischen verschiedenen Politikzielen zu berücksichtigen gilt. Einige Politikinstrumente können verschiedenen Zielen dienen, so z. B. Investitionen in den sozialen Wohnungsbau oder Maßnahmen im Bereich der Bebauungs- und Flächennutzungsvorschriften oder der Besteuerung von Wohnimmobilien:
Im OECD-Durchschnitt sind die öffentlichen Investitionen in den Wohnungsbau zwischen 2001 und 2018 von 0,17 % auf 0,06 % des BIP gesunken. Höhere Investitionen in den sozialen Wohnungsbau bzw. in bezahlbaren Wohnraum machen sich gleich doppelt bezahlt: Sie helfen einkommensschwachen bzw. vulnerablen Haushalten und erhöhen zugleich direkt das Wohnungsangebot, womit sie den Aufwärtsdruck bei den Wohnimmobilienpreisen verringern. Damit sich solche Investitionen aber wirklich auszahlen, müssen die neuen Gebäude hohen Umweltstandards gerecht werden und die Entwicklung inklusiver, sozial gemischter Quartiere fördern, anstatt soziale und wirtschaftliche Gräben entstehen zu lassen.
Reformen der Bauleitplanung können Hindernisse für die Vergrößerung des Wohnraumangebots in Gegenden mit hoher Nachfrage beseitigen und so den Anstieg der Wohnimmobilienpreise dort bremsen. Dies kann über die Aufhebung übertrieben strenger Auflagen hinsichtlich der Gebäudehöhe oder der Bebauungsdichte geschehen. Des Weiteren gilt es, Zuständigkeitsüberschneidungen zwischen und innerhalb der verschiedenen staatlichen Ebenen zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Entscheidungsfindung jeweils an den Bedarfen des gesamten Metropolraums und nicht nur einzelner Gemeinden ausgerichtet ist.
Wenn anstelle von Verkehrsteuern auf Immobilientransaktionen stärkerer Gebrauch von jährlichen Steuern auf unbewegliches Vermögen gemacht würde und die Bemessungsgrundlage dieser Steuern von der Bebauung hin zum aktuellen Verkehrswert der Grundstücke verlagert würde, hätte dies verschiedene Vorteile. Eine Umstellung von einmaligen Verkehrsteuern auf laufende Steuern würde Mobilitätshindernisse beseitigen und damit Arbeitsmarktanpassungen erleichtern und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Eine Verlagerung der Bemessungsgrundlage von der Bebauung hin zum Verkehrswert der Grundstücke würde Anreize für die Errichtung von Gebäuden auf wertvollem Bauland schaffen und so Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage verringern. Viele Länder machen nicht genügend Gebrauch von laufenden Immobiliensteuern. Sie haben daher noch reichlich Spielraum, diese Steuern anzuheben, die für die Kommunen eine wichtige, stabile Quelle zur Finanzierung von Dienstleistungen für die lokale Bevölkerung sind – nicht zuletzt im Bereich des sozialen Wohnungsbaus.
5. Bei anderen Reformoptionen kommt es hingegen zu Konflikten zwischen verschiedenen Zielen, was ausgleichende Maßnahmen notwendig macht:
Wenn die Steueranreize für Hypothekendarlehen reduziert werden, verringert dies den Aufwärtsdruck auf die Wohnimmobilienpreise, was wiederum die Markteffizienz verbessert und Wohneigentum langfristig erschwinglicher macht. Insbesondere die Abschaffung von Steuererleichterungen für Hypothekenzinsen, die in erster Linie einkommensstarken Haushalten zugutekommen, hätte verteilungspolitische Vorteile. Bevor sich die Preiskorrektur einstellt, die dadurch ausgelöst wird, erschweren solche Politikänderungen jedoch den Immobilienerwerb für Erstkäufer, bei denen es sich häufig um junge Familien handelt. Bei der Umsetzung von Reformen in diesem Bereich ist daher eine gestaffelte Vorgehensweise wichtig. Hilfreich wären dabei auch ergänzende Maßnahmen zum Abbau von Hindernissen für die Vergrößerung des Angebots in Gegenden mit starker Nachfrage, wie sie weiter oben beschrieben wurden.
Mehr Flexibilität im Mietrecht, auch was Mietpreisbeschränkungen betrifft, kann Wohnungsbauinvestitionen fördern, Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage verringern und Mobilitätshindernisse reduzieren. Solche Reformen können sich auf kurze Sicht allerdings negativ auf vulnerable Bestandsmieter*innen auswirken, weshalb auch hier ausgleichende Maßnahmen notwendig wären, z. B. eine Erhöhung des Angebots an Sozialwohnungen. Dies ist während der Erholung nach der Coronakrise besonders wichtig.
Strengere Umweltstandards sind nötig, um die vereinbarten Emissionsziele zu erreichen, können aber zu einem Anstieg der Bau- und Instandhaltungskosten und damit auch der Wohnimmobilienpreise und Mieten führen. Daher sind u. U. ausgleichende Maßnahmen notwendig, um Nachhaltigkeit mit Bezahlbarkeit zu vereinbaren. Bei solchen Maßnahmen kann es sich beispielsweise um Zuschüsse für die energetische Sanierung handeln, die zumindest teilweise durch Anhebungen der laufenden Immobiliensteuern finanziert werden könnten. Dabei sollte der Mietsektor angemessen erfasst werden. Die Finanzmarktregulierung kann die Finanzierung der Energiewende im Wohnungsbau ebenfalls erleichtern. Dazu muss sie Hypothekenkreditgebern gestatten, in ihren Preis- und Kreditbedingungen – und zwar auch bei der Finanzierung von Renovierungsarbeiten – zu berücksichtigen, dass Wohngebäude mit einer höheren Energieeffizienz langfristig mehr wert sind.
6. Diese und andere hier untersuchte Zusammenhänge und Wechselwirkungen machen deutlich, wie wichtig effiziente Entscheidungsstrukturen sind, in die die verschiedenen staatlichen Ebenen und Ressorts sowie die für die Wohnungspolitik zuständigen Stellen eingebunden sind. Die Wohnungspolitik ist stark dezentralisiert. In zwei Dritteln der OECD-Länder sind die Entscheidungen über die Nutzung von Flächen für den Wohnungsbau hauptsächlich auf kommunaler oder subkommunaler Ebene angesiedelt. In einem Drittel der OECD-Länder teilen sich die verschiedenen staatlichen Ebenen die Zuständigkeiten für die Bauleitplanung. Dies erschwert die Koordinierung. Eine horizontale Koordinierung zwischen den verschiedenen nachgeordneten Gebietskörperschaften eines Metropolraums kann beispielsweise erheblich dazu beitragen, dass die Flächennutzungspolitik den Anforderungen der Bürger*innen in einer Weise gerecht wird, die mit ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zielen vereinbar ist. Auf nationaler Ebene ist ein ressortübergreifender Ansatz notwendig, um beispielsweise die Konsistenz und Kohärenz der makroprudenziellen und hypothekenrechtlichen Bestimmungen einerseits und der Steuerpolitik andererseits zu sichern.
7. Alle diese Herausforderungen und damit verbundenen Politikentscheidungen sind vor dem Hintergrund großer Veränderungen zu sehen. Dies betrifft die technologischen Möglichkeiten, die Neigungen und Präferenzen sowie die sich wandelnden Anforderungen. Maßgeblich sind dabei langfristige Trends, aktuelle politische Rahmenbedingungen und künftige Reformen:
Der demografische Wandel und die rasche Bevölkerungsalterung in vielen Teilen der Welt werden sich darauf auswirken, welche Art von Wohnraum wo nachgefragt wird. Wichtig ist dabei auch die Frage, wie gut es gelingt, den Wohnungsbestand auf bezahlbare und nachhaltige Weise an die Anforderungen einer alternden Bevölkerung anzupassen.
Die Coronakrise könnte zu anhaltenden Veränderungen der Arbeitsweisen und -gewohnheiten – z. B. zu mehr Arbeit im Homeoffice – führen, die auch die Immobilienmärkte verändern könnten. So könnte beispielsweise die Nachfrage nach Büroräumen in zentraler Lage sinken, während die Nachfrage nach größeren Wohnungen in Stadtrandnähe oder auf dem Land steigen könnte, vor allem in Regionen, in denen ein gutes öffentliches Verkehrsangebot das Pendeln erleichtert. Zugleich könnte die Entwicklung hin zu mehr Onlineshopping weiter an Fahrt gewinnen, womit die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien sinken dürfte. Dies würde das Bild der innerstädtischen Einkaufszonen stark verändern. Dadurch könnte es möglich werden, städtische Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum umzuwandeln.
Das Geschäftsmodell der Onlineplattformen für Kurzzeitvermietungen wurde durch die Coronakrise ebenfalls stark beeinträchtigt. Unter dem Eindruck der Krise könnte es noch einige Zeit zu Umwidmungen dieser Wohnungen zugunsten dauerhafter Vermietungen kommen, was sich positiv auf die Funktionsweise des privaten Wohnungsmarkts auswirken dürfte. Wenn die Coronagefahr weiter nachlässt, könnte die Nachfrage nach Kurzzeitvermietungen über digitale Plattformen künftig aber wieder steigen und Wohnraum erneut knapper werden lassen.
8. Dieser Bericht fasst die empirische Evidenz und die Erkenntnisse zusammen, die im Rahmen des horizontalen Projekts der OECD zum Thema Wohnungsbau gewonnen wurden. Mehrere OECD-Ausschüsse haben 2019–2020 ihr Fachwissen und ihre Erfahrung in dieses Projekt eingebracht, darunter die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Beschäftigung, Arbeit und Sozialfragen, für Umweltpolitik und für die Politik der räumlichen Entwicklung, für Statistik und Statistikpolitik sowie für Steuerfragen.
9. Der Bericht ist Teil des „Housing Policy Toolkit“ der OECD, das auch ein Housing-Dashboard sowie Country-Snapshots umfasst, die den Vergleich von Ergebnis- und Politikindikatoren verschiedener Länder ermöglichen. Mit dem Toolkit können politisch Verantwortliche und Fachleute auf vergleichende Länderanalysen und Indikatoren zugreifen, die bei Politikentscheidungen helfen können. Dabei gilt es allerdings, länderspezifische Unterschiede in Bezug auf Kontext, Präferenzen und politische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.