OECD‑Wirtschaftsausblick, Ausgabe 2020/1 (Kurzfassung)

Report

OECD-Wirtschaftsausblick

3 Juli 2020

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1. Gesamtbeurteilung der Wirtschaftslage

Einleitung

Die COVID-19-Pandemie ist eine globale Gesundheitskrise, wie wir sie noch nie erlebt haben. Sie fordert weiterhin zahlreiche Todesopfer und verursacht großes menschliches Leid. Um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Leben zu retten, hat die Mehrzahl der Regierungen in aller Welt strenge Maßnahmen ergriffen. Die Wirtschaftstätigkeit wurde in vielen Branchen vollständig heruntergefahren und die Reise- und Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt. Dank dieser notwendigen Maßnahmen ist es gelungen, die Infektionsausbreitung zu verlangsamen und die Zahl der Todesopfer zu begrenzen. Diese Maßnahmen haben jedoch zu schweren kurzfristigen wirtschaftlichen Verwerfungen und großen Beschäftigungsverlusten geführt, die durch einen Vertrauenseinbruch und restriktivere Finanzierungsbedingungen verschärft werden. Aktuell befindet sich die Weltwirtschaft in der tiefsten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. In vielen Ländern ist das BIP in der Shutdown-Phase um über 20 % geschrumpft, während die Arbeitslosigkeit sprunghaft gestiegen ist.

Der Wirtschaftsausblick ist außergewöhnlich ungewiss. Da sich die Gesundheitskrise abschwächt, werden die Zwangsmaßnahmen zur ihrer Eindämmung schrittweise gelockert. Mit dem Wiederanlaufen der Wirtschaft steigt automatisch die gesamtwirtschaftliche Produktion, auch wenn einige Maßnahmen, z. B. die Schließung vieler internationaler Grenzen, noch einige Zeit in Kraft bleiben werden. Die Erholung dürfte sich nur zögerlich einstellen und könnte durch eine weitere Corona-Welle unterbrochen werden, falls dem nicht durch gezielte Eindämmungsmaßnahmen – insbesondere Tests und Nachverfolgung – vorgebeugt wird bzw. falls sich diese Maßnahmen als ineffektiv erweisen. Angesichts des ungewöhnlichen Grads an Unsicherheit werden in diesem Wirtschaftsausblick für jedes Land und jede Volkswirtschaft zwei gleichermaßen wahrscheinliche Szenarien dargestellt: eines, in dem es gegen Jahresende in allen Volkswirtschaften zu einer zweiten Corona-Welle kommt (Table 1.1, Teil A), und ein Alternativszenario, in dem dies vermieden wird (Table 1.1, Teil B). Im Szenario mit zweiter Welle („Double-Hit-Szenario“) schrumpft das weltweite BIP dieses Jahr um 7,6 % und bleibt auch Ende 2021 deutlich unter dem Vorkrisenniveau; im Szenario ohne zweite Welle („Single-Hit-Szenario“) sinkt es dieses Jahr um 6 %, steigt bis Ende 2021 aber fast wieder auf Vorkrisenniveau. Dennoch könnten sich Produktionseinbußen in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften 2021 auf das Äquivalent von mindestens fünf Jahren realem Pro-Kopf-Einkommenswachstum belaufen.

Die Regierungen und Währungsbehörden haben bemerkenswert schnell auf die Krise reagiert. So konnte die Ausbreitung des Virus verringert und dabei ein noch stärkerer Einbruch der Real- und Finanzwirtschaft verhindert werden. Durch Sofortmaßnahmen wurden die Kapazitäten der Krankenhäuser und der Gesundheitsversorgung insgesamt ausgeweitet und die Einkommen der Beschäftigten und Unternehmen gestützt; in einigen Ländern wurden in großem Rahmen Kreditgarantien für den privaten Sektor gewährt. Die Geldpolitik wurde gelockert: Die Zinsen wurden gesenkt, die Programme zum Ankauf von Vermögenswerten wurden verstärkt und in einigen äußerst angespannten Finanzmarktsegmenten wurde gezielt interveniert. Auch die Finanzmarktpolitik wurde gelockert, um die Kreditvergabe der Finanzinstitute zu stützen. Damit stehen die politischen Entscheidungsträger nun vor außerordentlichen Herausforderungen: Die Haushaltsdefizite sind beträchtlich, die öffentliche Verschuldung dürfte in vielen Ländern ein außergewöhnlich hohes Niveau erreichen, die Zinsen wurden auf oder unter null gesenkt und die Zentralbankbilanzen sind sehr stark gewachsen.

Angesichts des außergewöhnlichen Grads an Unsicherheit bedarf es einer flexiblen und agilen Politik, um auf mögliche erneute Ausbrüche des Virus zu reagieren, mit je nach Sektor unterschiedlichen Exit-Strategien umzugehen und die Herausforderungen zu meistern, die der tiefe Produktionseinbruch nach sich zieht. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, was im Double-Hit-Szenario unterstellt wird, oder sollte die Erholung unerwartet schwach ausfallen, wird die Fiskalpolitik für zusätzliche Impulse sorgen müssen, da kaum Spielraum für eine weitere geldpolitische Lockerung vorhanden ist. In diesem Fall müssen die Währungsbehörden aber möglicherweise verstärkte Anstrengungen unternehmen, um die Liquidität und die Kreditvergabe zu stützen und sicherzustellen, dass die Zinsen entlang der gesamten Renditekurve niedrig bleiben.

Table 1.1. Global activity has collapsed and the recovery will be slow and possibly interrupted

Selbst wenn die Pandemie nicht ein zweites Mal aufflammt, sollte der konjunkturstützende fiskal- und geldpolitische Kurs beibehalten werden, um eine dauerhafte Erholung zu sichern. In manchen Branchen dürfte die Wirtschaftstätigkeit zudem noch einige Zeit auf niedrigerem Niveau verharren. Die Verschlechterung der öffentlichen Haushaltslage im laufenden Jahr wird 2021 bis zu einem gewissen Grad durch eine konjunkturelle Haushaltsverbesserung und das Auslaufen der Krisenmaßnahmen ausgeglichen, Haushaltsdefizite und öffentliche Verschuldung werden aber weiterhin wesentlich höher sein als 2019. In Anbetracht der voraussichtlichen Fragilität der Erholung und der gedämpften Inflation sollte darauf geachtet werden, dass die Krisenmaßnahmen nicht zu rasch zurückgenommen werden bzw. dass sie durch andere Maßnahmen mit stärkerer konjunkturstützender Wirkung ersetzt werden, falls sie befristet sind. Die Geldpolitik sollte sehr akkommodierend bleiben und gewährleisten, dass die Zinsen auf niedrigem Niveau verharren, um eine Verdrängung privater Ausgaben zu vermeiden.

Die Krise wird einen langen Schatten auf die Weltwirtschaft und die OECD-Länder werfen: Im Double-Hit-Szenario geht das reale Pro-Kopf-Einkommen in der Mehrzahl der OECD-Volkswirtschaften 2021 auf das Niveau von 2013 zurück, im Single-Hit-Szenario auf das von 2016. Infolge zunehmender Insolvenzen dürfte es verstärkt zur vorzeitigen Verschrottung von Anlagen kommen. Zusammen mit Hysterese-Effekten auf den Arbeitsmärkten aufgrund längerer Arbeitslosigkeitsphasen könnte dies zu einem dauerhaften Rückgang des Produktionspotenzials führen. Um diesen negativen krisenbedingten Schocks entgegenzuwirken, müssen verstärkte Bemühungen zur Umsetzung von Reformen unternommen werden, die das Produktivitäts- und Beschäftigungswachstum bei gleichzeitig stärkerer Teilhabe ankurbeln und die Reallokation von Ressourcen zwischen den Branchen fördern. Die vorübergehenden Störungen in den weltweiten Wertschöpfungsketten, zu denen es während der Krise gekommen ist, könnten bei den Unternehmen den Wunsch wecken, ihre Krisenfestigkeit zu stärken. Die Unternehmen könnten daher bestrebt sein, ihre Lieferketten zu verkürzen und die Beschaffung von Vorleistungen bei effizienteren, aber geografisch weiter entfernten Zulieferern einzuschränken. Dies hätte negative Auswirkungen auf Effizienz und Einkommen weltweit.

Es bedarf einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit, um die Pandemie schneller zu beenden, die Erholung der Weltwirtschaft zu beschleunigen und zu verhindern, dass der Aufholprozess der Schwellen- und Entwicklungsländer beeinträchtigt wird. Um die Herausforderungen der Pandemie zu bewältigen, ist es unerlässlich, Wissen sowie medizinische und finanzielle Ressourcen zu teilen und schädliche Handelsbeschränkungen, vor allem für medizinische Erzeugnisse, abzubauen.

Die weltweite Wirtschaftstätigkeit ist abrupt eingebrochen

Wegen der Pandemie und der notwendigen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung wurden dieses Jahr in aller Welt weite Teile der Wirtschaftstätigkeit heruntergefahren, was zu einem abrupten Produktions-, Ausgaben- und Beschäftigungseinbruch führte. Das globale BIP ist im ersten Quartal 2020 um geschätzte 3 % gesunken, obwohl die Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der Infektionen in vielen Ländern erst im Verlauf des Monats März eingeleitet wurden (Figure 1.1). In China, dem ursprünglichen Zentrum der Pandemie, verringerte sich die Wirtschaftstätigkeit drastisch um 10 % gegenüber dem Stand des vierten Quartals 2019. In anderen asiatischen Ländern, in denen durch Lieferketten und Tourismus starke Verbindungen mit China bestehen, schrumpfte die Produktion ebenfalls. In der Gruppe der großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften kam es im Euroraum zu einem stärkeren Einbruch der Wirtschaftstätigkeit als in den Vereinigten Staaten und Japan. Dies erklärt sich aus den strengeren und früher eingeleiteten Shutdown-Maßnahmen vieler europäischer Länder sowie einer bereits zuvor tendenziell schwachen Wachstumsdynamik.

Figure 1.1. Global activity declined abruptly in the first quarter of 2020

Percentage change in GDP, quarter-on-quarter

Im zweiten Quartal kam es mit dem vollen Effekt der Shutdown-Maßnahmen zu einem noch stärkeren Rückgang der weltweiten Produktion. Unvorhergesehene angebotsseitige Schocks brachten viele Unternehmen in Schwierigkeiten, da die Einstellung nicht essenzieller Tätigkeiten und die Reisebeschränkungen die Betriebsabläufe und Zulieferbeziehungen behinderten. Auch die Nachfrage gab abrupt nach, vor allem für viele Verbrauchsgüter und Dienstleistungen, bei denen ein enger physischer Kontakt zwischen Dienstleister und Kunden notwendig ist. Stark von dem Nachfrageeinbruch betroffen waren zudem Reiseverkehrs- und Tourismusleistungen. Dies führte bei vielen Unternehmen zu erheblichen Einnahmeeinbußen und einem schweren Liquiditätsschock (siehe weiter unten). Das Verbrauchervertrauen ist drastisch eingebrochen und die Arbeitslosigkeit steigt. Dies bremst den Konsum der privaten Haushalte und führt zu erhöhtem Vorsorgesparen. Kleine und mittlere Unternehmen trifft es besonders hart. Viele von ihnen sind in den Dienstleistungsbranchen tätig, die am direktesten von den Shutdown-Maßnahmen betroffen waren. Zudem verfügen sie über wenig Finanzpolster, um drastische Umsatzeinbußen abzufedern (OECD, 2020a).

Illustrative OECD-Vergleichsschätzungen für März lassen darauf schließen, dass infolge der strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in vielen Ländern etwa ein Viertel der Wirtschaftstätigkeit direkt heruntergefahren wurde, was einen Verbraucherausgabenrückgang um rund ein Drittel nach sich gezogen haben könnte (OECD, 2020b). Vorliegende Schätzungen für andere Länder deuten auf einen in etwa ähnlich starken Rückgang hin; in Ländern, in denen weniger strenge Eindämmungsmaßnahmen ergriffen wurden, scheint der Effekt indessen schwächer gewesen zu sein (Kapitel 2, Themenpapier 1). In allen Ländern konzentrierte sich der Rückgang der Geschäftstätigkeit stark auf eine kleine Zahl beschäftigungsintensiver Branchen, insbesondere Einzel- und Großhandel sowie Beherbergungs- und Gastgewerbe. In anderen Teilen der Wirtschaft, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe, führten Lieferabhängigkeiten und ein beschränktes Arbeitsangebot in Tätigkeiten, in denen Telearbeit kaum möglich ist, zu weiteren Beeinträchtigungen (OECD, 2020b). Vertrauensverluste und Störungen der grenzüberschreitenden Lieferketten verstärkten diese Effekte zusätzlich.

Erste Daten zeigen bereits, dass die Pandemie erhebliche wirtschaftliche und soziale Kosten nach sich zieht. Indikatoren aus Unternehmensbefragungen sanken im April in den meisten Ländern auf ein Rekordtief, besonders im Dienstleistungssektor (Figure 1.2). Dies steht im Gegensatz zu dem, was normalerweise in Rezessionsphasen zu beobachten ist. Trotz einer leichten Erholung im Mai, als die Länder die Eindämmungsmaßnahmen zu lockern begannen, verharrten die meisten Indikatoren auf niedrigem Niveau. Viele Dienstleistungsbranchen sind weiterhin erheblich durch Abstandsregeln, Schließungen nicht essenzieller Betriebe und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit beeinträchtigt.

Figure 1.2. Survey measures of business activity remain exceptionally weak

Hochfrequenzindikatoren zeigen, in welchem Umfang bestimmte Branchen ihre Tätigkeit nach der partiellen Aufhebung der Beschränkungen nun wieder aufgenommen haben. Sie machen aber auch deutlich, dass hier im Ländervergleich noch große Unterschiede bestehen. Auf Tageswerten basierende Indikatoren für Mobilität, Reiseverkehr und Anwesenheit am Arbeitsplatz sind im März und April eingebrochen, der Stromverbrauch ist deutlich gesunken und viele Freizeit- und Tourismustätigkeiten wurden fast völlig eingestellt. Besonders deutlich waren diese Entwicklungen in zahlreichen großen europäischen Ländern sowie aufstrebenden Volkswirtschaften wie Indien, Südafrika und Argentinien, in denen relativ strenge und strikt umgesetzte Eindämmungsmaßnahmen ergriffen wurden. In einigen asiatischen Volkswirtschaften, in denen es nicht zu einem kompletten Shutdown kam, sondern zur Eindämmung der Infektionszahlen stärker auf Tests sowie eine wirksame Kontaktnachverfolgung vertraut wurde, fiel der Rückgang schwächer aus. Auch in den Vereinigten Staaten war er weniger ausgeprägt. Die Konjunkturerholung, die in China seit der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen im Februar zu beobachten ist, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe, half ebenfalls, den Rückgang der weltweiten Wirtschaftstätigkeit etwas zu begrenzen. Daten für Mai zeigen, dass die Auswirkungen der Eindämmungsmaßnahmen auf die Wirtschaft in den meisten Ländern allmählich nachlassen. Japan ist allerdings eine Ausnahme, weil die Shutdown-Maßnahmen dort erst relativ spät einsetzten (Figure 1.3, Teil A und B). In einigen Branchen wie dem Luftverkehr ist die Wirtschaftstätigkeit ebenfalls noch sehr schwach.

Die Ausgaben für einige langlebige Gebrauchsgüter wie Pkw sind außergewöhnlich stark gesunken. Die weltweiten Pkw-Verkäufe waren im März und April um 37 % niedriger als im Monatsdurchschnitt von 2019, wobei die allmähliche Nachfragebelebung in China durch die Nachfrageschwäche in den anderen Ländern aufgewogen wurde. In vielen Ländern, darunter Spanien, Italien, das Vereinigte Königreich und Südafrika, wurden im April fast keine Neuwagen mehr verkauft. Im Euroraum und in den Vereinigten Staaten lagen die Verkaufszahlen im April bei etwa einem Fünftel bzw. der Hälfte des Niveaus von 2019. Die hohe Ungewissheit und der Nachfrageeinbruch, den viele Unternehmen verzeichneten, verschlechtern die Investitionsaussichten zusätzlich. In den großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften sank die Investitionsgüterproduktion im ersten Quartal 2020 um rd. 12 %, nachdem sie bereits im zweiten Halbjahr 2019 zurückgegangen war. Auch die Investitionspläne wurden Unternehmensumfragen zufolge deutlich zurückgeschraubt.

Figure 1.3. High-frequency data point to sharp contractions in activity during shutdowns

Die Arbeitsmarktlage hat sich erheblich verschlechtert. Aufgrund von Entlassungen und einem verringerten Arbeitsvolumen sind die Arbeitslosen- und Kurzarbeitsanträge in die Höhe geschnellt. In den Vereinigten Staaten kam es zu einem beispiellosen Arbeitsmarktschock. Die Zahl der abhängig Beschäftigten im Unternehmenssektor (ohne Landwirtschaft) war im Mai über 13 % niedriger als im Februar, womit das gesamte im Verlauf der letzten zehn Jahre verzeichnete Beschäftigungswachstum zunichtegemacht war. Auch die Arbeitslosenquote stieg drastisch an. Sie lag im April und Mai bei durchschnittlich 14 %, dem höchsten Wert seit der Weltwirtschaftskrise. Die weitergefasste Messgröße der Arbeitslosigkeit (U6), in der auch die Unterbeschäftigung berücksichtigt ist, beläuft sich inzwischen auf über 20 %. In den großen europäischen Volkswirtschaften konnte der Anstieg der Arbeitslosigkeit dank umfangreicher staatlich finanzierter Programme begrenzt werden, vor allem was unbefristet Beschäftigte betrifft. Mittlerweile beziehen etwa 20-25 % der Beschäftigten des privaten Sektors in den großen europäischen Volkswirtschaften Kurzarbeitergeld oder sonstige Lohnzuschüsse. In Japan waren die Verwerfungen am Arbeitsmarkt bislang weniger ausgeprägt, was sich aus dem unterschiedlichen Zeitpunkt und Umfang der Shutdown-Maßnahmen erklärt. Die Arbeitslosenquote ist jedoch gestiegen und die Einschätzung der Arbeitsmarktlage durch die Verbraucher erreichte im April und Mai ein Rekordtief. Viele Beschäftigte arbeiteten während der Krise im „Homeoffice“, wodurch der Rückgang der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in vielen Ländern begrenzt werden konnte. Umfragedaten zeigen aber, dass es weniger als der Hälfte der Beschäftigten möglich ist, regelmäßig von zu Hause aus zu arbeiten (ONS, 2020; Statistics Canada, 2020).

Figure 1.4. World trade is now collapsing

Der Welthandel schrumpft inzwischen ebenfalls stark. Das Volumen des Waren- und Dienstleistungshandels ist Schätzungen zufolge in den ersten drei Monaten von 2020 um 3¾ % gesunken (Figure 1.4). Der Luftverkehr wurde besonders hart getroffen: Im internationalen Personenverkehr wurde im April im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Rückgang um mehr als 98 % verzeichnet und der internationale Güterverkehr ist im April im Vorjahresvergleich um nahezu 30 % gesunken. Der Effekt des Nachfrageeinbruchs wurde durch Störungen bei den Zulieferern aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen und die fast völlige Einstellung des internationalen Reiseverkehrs zusätzlich verstärkt. Die weltweiten Exportaufträge sanken im April auf ein Allzeittief – wobei in allen Ländern ein erheblicher Rückgang verzeichnet wurde – und sie blieben im Mai ungewöhnlich schwach. Besonders ausgeprägt war der Rückgang in Europa und einigen aufstrebenden Volkswirtschaften, vor allem Indien und Indonesien. Selbst in Ländern mit vergleichsweise schwachen Eindämmungsmaßnahmen befinden sich viele Unternehmen infolge einer stark rückläufigen Auslandsnachfrage in einer schwierigen Situation.

Figure 1.5. Financial market tensions have increased

Die Risikoaversion an den Finanzmärkten stieg zu Beginn der COVID-19-Krise erheblich, verringerte sich jüngst aber wieder. Die rapide Ausbreitung der Pandemie und die strengen Eindämmungsmaßnahmen, die die Länder ergriffen hatten, lösten einen massiven Rückgang der Wertpapierkurse und einen Volatilitätsanstieg aus; einige Märkte funktionierten nicht mehr richtig. In vielen Ländern brachen die Aktienkurse um 30-50 % ein, wobei die höchste tägliche Rückgangsrate seit 1987 verzeichnet wurde. Die Aktienkursvolatilität stieg auf ein Niveau, das nicht einmal während der weltweiten Finanzkrise erreicht worden war (Figure 1.5, Teil A und C). Aufgrund von Lockerungen der Geldpolitik und einer Flucht in sichere Anlagen nahmen die Renditen langfristiger Staatsanleihen in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften erheblich ab. Die Risikoaufschläge auf zahlreiche Staatsanleihen aufstrebender Volkswirtschaften stiegen indessen, während es zugleich zu Kapitalabflüssen in Rekordhöhe kam und der US-Dollar deutlich aufwertete (siehe weiter unten). Die Spreads auf Unternehmensanleihen haben ebenfalls zugenommen, vor allem für Unternehmen mit niedrigem Rating. Wegen der Rezession sowie schon vor der Krise bestehender Anfälligkeiten, die mit der hohen Verschuldung und der verschlechterten Kreditqualität zusammenhängen, steigt zudem das Risiko von Herabstufungen (siehe weiter unten). Auch die Spreads auf Unternehmensanleihen mit Investment Grade und geringerem Ausfallrisiko sind gestiegen, da bei den Anlegern eine starke Nachfrage nach Barmitteln besteht und sie bereit sind, diese liquiden Papiere abzustoßen, um ihre Barbestände zu erhöhen (Haddad et al., 2020). Rasche und weitreichende Reaktionen der Zentralbanken, u. a. durch die Aktivierung internationaler Liquiditätslinien (siehe weiter unten), sorgten indessen wieder für etwas Stabilität, womit es bei den Wertpapierkursen zu einer partiellen Wende kam und die Volatilität sank. Dennoch liegen die Aktienkurse in vielen großen Volkswirtschaften 10-20 % unter dem Stand von Ende 2019 und die Volatilitäts- und Spreadmaße sind etwas höher als vor sechs Monaten (Figure 1.5, Teil C).

Die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie und der Exit-Strategien ist unsicher

Die Corona- bzw. COVID-19-Pandemie ist die schwerste weltweite Gesundheitskrise seit der Spanischen Grippe vor knapp über einem Jahrhundert. Sie nahm im Dezember 2019 in China ihren Anfang, breitete sich dann weltweit aus und erfasste nahezu alle Länder. Anfang Juni lag die Zahl der bestätigten Infektionen weltweit bei über 6,5 Millionen; die Zahl der gemeldeten Todesfälle belief sich auf etwa 380 000. Die globalen Infektions- und Todesraten liegen bislang zwar deutlich unter den geschätzten Zahlen für die Spanische Grippe,1 für beide Werte ist jedoch von einer im Ländervergleich unterschiedlich hohen Untererfassung auszugehen, da die Messmethoden variieren. Bei den bestätigten Fällen dürfte es sich nur um einen Bruchteil der tatsächlichen Fälle handeln, weil nur ein geringer Anteil der Gesamtbevölkerung getestet wurde und es zahlreiche asymptomatische Fälle gibt, die unentdeckt bleiben. Auch in Bezug auf die gemeldeten Todesraten dürften erhebliche Messprobleme bestehen.2 Vor allem in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern ist die Dunkelziffer wahrscheinlich sehr hoch, teils aufgrund geringer Kapazitäten im Gesundheitssektor, teils aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Politik im Umgang mit der Pandemie. Für ein besseres Verständnis der epidemiologischen Merkmale des Coronavirus, der COVID-19 auslöst, wären umfassende, standardisierte Daten guter Qualität nötig. Da es an solchen Daten mangelt, lässt sich die weitere Entwicklung der Pandemie schwer vorhersagen (Kasten 1.1).

Kasten 1.1. Die epidemiologischen Aussichten sind unsicher

Aufgrund unvollständiger Daten und unzureichender Kenntnisse über die Merkmale des neuen Virus ist die weitere Entwicklung der Pandemie ungewiss.

Das Virus, das COVID-19 auslöst, ist hoch ansteckend, unklar ist jedoch, wie ansteckend es genau ist. Der Konsens lautet aktuell, dass die Reproduktionszahl R0 (die angibt, wie viele weitere Personen eine mit dem Krankheitserreger infizierte Person im Mittel ansteckt, wenn die gesamte Bevölkerung für das Virus empfänglich ist) ohne Eindämmungsmaßnahmen zwischen 2 und 3 liegt. Teilweise wird aber auch von einer höheren Zahl ausgegangen (Katul et al., 2020). Ohne Maßnahmen zur Eindämmung des Virus durch eine Verringerung der Kontaktzahlen – d. h. des nicht biologischen Faktors der Reproduktionszahl – würde eine solche hohe Zahl dazu führen, dass sich ein hoher Anteil der Bevölkerung infiziert. Falls die erfassten Daten stimmen, lässt die geringe kumulierte Zahl der bestätigten Fälle vermuten, dass es dank der Ausgangsbeschränkungen und sonstigen Eindämmungsmaßnahmen gelungen ist, die effektive Reproduktionszahl auf unter 1 zu senken. Dies würde aber auch bedeuten, dass sie wieder steil ansteigen könnte, wenn diese Maßnahmen gelockert werden. Im Fall einer starken Untererfassung wäre es indessen möglich, dass die Infektionsraten nach der Lockerung der Maßnahmen weniger deutlich ansteigen.
Welcher Anteil der Bevölkerung sich wirklich infiziert hat und wie nah dieser Anteil bei dem für eine Herdenimmunität erforderlichen Niveau liegt, ist umstritten. Daten aus Ländern, in denen viel getestet wurde (z. B. Island und Luxemburg) sowie neuere auf nationaler Ebene durchgeführte Studien (beispielsweise in Frankreich und der Tschechischen Republik) lassen vermuten, dass sich nur etwa 6 % der nationalen Bevölkerung angesteckt haben. Dies ist deutlich weniger, als angesichts der vermutlichen Basisreproduktionszahl zur Erzielung der Herdenimmunität erforderlich wäre. Zudem sind auch der Grad und die Dauer der Immunisierung, die durch die Infektion erlangt wird und die Voraussetzung für die Herdenimmunität ist, weiterhin unsicher.
Vorläufige Schätzungen beziffern die Letalitätsrate zwischen 0,4 % und 3,8 % (WHO, 2020). Diese Zahlen sind mit der zunehmenden weltweiten Ausbreitung des Virus im Zeitverlauf gestiegen. Die große Schwankungsbreite der Schätzungen lässt darauf schließen, dass auch andere biologische Faktoren wie Vorerkrankungen sowie nicht biologische Faktoren wie die Kapazitäten des Gesundheitssektors großen Einfluss auf die Todesraten haben.
Ob es sich bei Corona um eine saisonale Krankheit handelt, ist noch unsicher. Wenn warme Temperaturen und feuchtes Wetter das Virus schwächen, müssten die Infektionszahlen auf der Nordhalbkugel in den kommenden Monaten sinken, auf der Südhalbkugel aber zunehmen. Im Fall einer saisonalen Krankheit wäre im späteren Jahresverlauf allerdings auch mit einer erneuten Infektionswelle auf der Nordhalbkugel zu rechnen.
Wann ein Impfstoff entdeckt wird, ist naturgemäß unsicher – und damit auch, wie lange es dauern wird, bis das Virus keine lebensgefährliche Bedrohung mehr darstellt. Die Entwicklung und Massenproduktion eines neuen Impfstoffs kann 6-7 Jahre in Anspruch nehmen. Angesichts der außerordentlichen globalen Anstrengungen von Wissenschaft und Pharmaindustrie könnte es allerdings sein, dass bereits in 12-18 Monaten ein Impfstoff gegen COVID-19 vorliegt. Dennoch bleibt unsicher, wie schnell ein Impfstoff gefunden und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.

Die Gesundheitsversorgungskapazitäten werden ausgebaut

Die Kapazitäten des Gesundheitssektors zur Behandlung von COVID-19-Infektionen werden erheblichen Einfluss auf den weiteren Ablauf der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben. Die Maßnahmen, die in den letzten Monaten in zahlreichen Ländern eingeleitet wurden, zielten darauf ab, die Kurve der Infektionen soweit abzuflachen, dass sie vom Gesundheitssektor bewältigt werden konnten, insbesondere was die Intensivversorgung in den Krankenhäusern betrifft. Zur Zahl der Betten für die Intensivversorgung liegen nur wenige Ländervergleichsdaten vor.3 Nichtstandardisierte Daten deuten darauf hin, dass einige Länder (darunter Deutschland und die Vereinigten Staaten) bei Ausbruch der Epidemie über wesentlich höhere Kapazitäten verfügten als andere (OECD, 2020c). Den besonders stark betroffenen Ländern in Europa (Frankreich, Italien, Spanien und Vereinigtes Königreich) gelang es jedoch, ihre Intensivkapazitäten deutlich auszubauen. Sie dürften einer neuen Infektionswelle daher jetzt besser begegnen können. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern sind die Intensivkapazitäten sehr begrenzt bzw. nahezu inexistent. Wie nachstehend erörtert sind verstärkte Testkapazitäten und eine ausreichende Ausstattung mit persönlicher Schutzausrüstung notwendig, um bei der Wahl künftig zu ergreifender Eindämmungsmaßnahmen flexibler vorgehen zu können.

Exit-Strategien für die Aufhebung der Lockdown- und Eindämmungsmaßnahmen

Die Aufhebung der Lockdown- und Eindämmungsmaßnahmen hat begonnen und in mehreren Ländern wurden entsprechende Exit-Strategien angekündigt. Ausschlaggebend dafür waren Anzeichen, dass sich die Neuinfektionen und Todesraten stabilisieren bzw. verringern, sowie die aus ökonomischer Sicht bestehende Notwendigkeit, das wirtschaftliche und soziale Leben wieder hochzufahren. In vielen Ländern sind diese Strategien graduell angelegt, wobei der Übergang von einer Stufe zur nächsten davon abhängig ist, ob bestimmte Kriterien bezüglich der epidemiologischen Entwicklung und der Kapazitäten des Gesundheitssektors erfüllt sind.

Die Lockerung der Shutdown- und Eindämmungsmaßnahmen ist in den meisten Ländern an strenge Auflagen in Bezug auf persönliche Schutzausrüstungen geknüpft, wie eine Maskenpflicht an bestimmten öffentlichen Orten oder eine Pflicht für Arbeitgeber, ihren Beschäftigten entsprechende Ausrüstungen zur Verfügung zu stellen. Personenkontakte werden ebenfalls weiterhin beschränkt, beispielsweise durch Obergrenzen für die Zahl der Kunden, die sich gleichzeitig in einem Laden aufhalten können, durch die Einhaltung von Abstandsregeln und durch die Verringerung der Klassengrößen in den Schulen. Diese Regeln erhöhen die Betriebskosten und bremsen die Erholung, da viele Unternehmen nur mit deutlich verringerter Kapazität wieder öffnen können. Manche Maßnahmen wie z. B. die Einreisebeschränkungen dürften zudem, zumindest teilweise, noch einige Zeit bestehen bleiben, was negative Auswirkungen auf den internationalen Tourismus und die Arbeit multinationaler Unternehmen haben wird. Freiwillige Bemühungen um physische Distanzierung und die Sorge einiger Unternehmen, möglicherweise zur Haftung gezogen zu werden, falls sich Beschäftigte am Arbeitsplatz anstecken, könnten die Erholung zusätzlich bremsen.

Wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Exit-Strategie ist die Ausarbeitung groß angelegter, wirksamer Programme für Tests und Nachverfolgung (OECD, 2020d). Solange es keinen Impfstoff gibt, ist es bei der Lockerung der Shutdown-Maßnahmen entscheidend, dass lokale Ausbrüche rasch eingedämmt werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Dazu müssen mehr Menschen getestet werden, um festzustellen, wer sich infiziert hat, und um die Infizierten isolieren zu können, damit sie das Virus nicht weiterverbreiten. Zudem müssen die Kontakte der Infizierten nachverfolgt werden, um Personen aufzuspüren, die ebenfalls infiziert sein könnten. Durch intensive Testprogramme können zudem Personen ermittelt werden, die Antikörper entwickelt haben und somit sicher an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Außerdem lassen sich auf diese Weise verlässlichere Informationen über die Entwicklung der Pandemie gewinnen.

Im Fall einer erneuten großen Corona-Welle im späteren Jahresverlauf wäre es durch breit angelegte Programme mit Tests und Kontaktnachverfolgung möglich, gezieltere Maßnahmen als während der ersten Welle zu ergreifen. Dank der Erhöhung der Zahl der Intensivbetten und der Erfahrung, die das Gesundheitspersonal inzwischen gewonnen hat, verfügt der Krankenhaussektor jetzt über bessere Kapazitäten. Da auch die Vorräte an persönlicher Schutzausrüstung mittlerweile größer sind, könnte die Notwendigkeit sehr strenger landesweiter Shutdown- und sonstiger Eindämmungsmaßnahmen geringer sein. Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass bei einer starken zweiten Welle erneut strikte – wenn auch weniger weitreichende – Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Zwei epidemiologische Szenarien

Vor dem Hintergrund der oben genannten Unwägbarkeiten lassen sich zwei mögliche epidemiologische Szenarien für die kommenden 18 Monate untersuchen.

Double-Hit-Szenario: Nach der derzeitigen Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen kommt es im Oktober/November zu einer zweiten, allerdings weniger heftigen Infektionswelle. Dies könnte geschehen, weil in einigen Ländern, insbesondere auf der Nordhalbkugel, saisonale Faktoren zum Tragen kommen oder weil die Eindämmungsmaßnahmen und Anstrengungen zur Durchführung von Tests, zur Kontaktnachverfolgung und zur Isolierung der Infizierten weniger effizient sind als erwartet. Weitere mögliche Gründe wären, dass die kumulativen Infektionsraten nicht ausreichen, um eine Herdenimmunität zu erreichen, dass es an geeigneten Behandlungsmethoden fehlt oder dass kein Impfstoff gefunden wird. Für 2021 wird unterstellt, dass ein Wiederaufflammen der Pandemie durch bahnbrechende pharmazeutische Entwicklungen verhindert wird, weitere Ausbrüche stellen jedoch nach wie vor ein erhebliches Abwärtsrisiko dar.
Single-Hit-Szenario: Mit den aktuellen Eindämmungsmaßnahmen gelingt es, die gegenwärtige Pandemiewelle zu stoppen; die effektive Reproduktionszahl sinkt und verharrt dauerhaft unter 1. Dank gestiegener Kapazitäten in den Krankenhäusern und weiträumig umgesetzter, wirkungsvoller Programme für Tests, Kontaktnachverfolgung und Behandlung gelingt es, einen Wiederanstieg der Infektionszahlen und der Intensivfälle im späteren Jahresverlauf bzw. bis zum Vorliegen eines Impfstoffs zu verhindern.

Kurzfristige Szenarien für eine unsichere weltwirtschaftliche Entwicklung

Die gegenwärtige Situation und die weiteren Aussichten sind außergewöhnlich ungewiss. Die Wachstumsaussichten sind von vielen Faktoren abhängig, insbesondere von Umfang und Dauer der Shutdown-Maßnahmen in den einzelnen Ländern, vom Tempo der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen, von den Auswirkungen auf das Vertrauen und von der Geschwindigkeit, mit der die umfangreichen fiskalischen und monetären Impulse zum Tragen kommen, für die die Regierungen und Währungsbehörden gesorgt haben. In den meisten Ländern wurde mit der Rücknahme der Restriktionen begonnen; die dabei in den einzelnen Ländern, Regionen und Sektoren verfolgten Strategien unterscheiden sich allerdings. Bestimmte Tätigkeiten wie der internationale Reiseverkehr und Sportveranstaltungen mit Zuschauern werden in vielen Volkswirtschaften wahrscheinlich noch einige Zeit Beschränkungen unterliegen. Auch die beträchtliche Unsicherheit dürfte noch länger anhalten und die Investitionstätigkeit bremsen, selbst wenn sich eine neue Pandemiewelle vermeiden lässt. Viele Unternehmen in den am stärksten von den Zwangsschließungen betroffenen Dienstleistungsbranchen werden wahrscheinlich Insolvenz anmelden müssen, wenn sie ihre Kapazitäten nicht in ausreichendem Umfang wieder hochfahren können und sich die Nachfrage nicht erholt. Dies dürfte mit Arbeitsplatzverlusten einhergehen. Die steigende Arbeitslosigkeit dürfte auch das Vorsorgesparen der privaten Haushalte in die Höhe treiben. Für Millionen informell beschäftigter Arbeitskräfte verstärkt die Krise zudem das Armuts- und Deprivationsrisiko. In einer durch Lieferketten, internationalen Tourismus und Investitionen eng verflochtenen Welt sind alle Volkswirtschaften erheblich von den Nachfrage- und Angebotsstörungen betroffen – unabhängig vom Umfang der jeweils ergriffenen Maßnahmen, um den Effekt der Pandemie zu begrenzen. Bereits zuvor bestehende Risiken wie die hohe Unternehmensverschuldung, deren sinkende Qualität sowie die Handelsspannungen zwischen den großen Volkswirtschaften könnten den Abschwung ebenfalls verstärken und die anschließende Erholung verlangsamen.

In Anbetracht dieser Unwägbarkeiten wurden zwei an Bedingungen geknüpfte Szenarien entwickelt, um die mögliche Entwicklung der Weltwirtschaft darzustellen. Der Unterschied zwischen den beiden Szenarien besteht darin, dass das Double-Hit-Szenario auf der Annahme beruht, dass es in allen Volkswirtschaften im vierten Quartal 2020 infolge einer weiteren starken weltweiten COVID-19-Welle erneut zu Shutdown-Maßnahmen kommt. Es wird unterstellt, dass diese neuen Zwangsschließungen ungefähr halb so umfangreich sein werden wie diejenigen, die im ersten Halbjahr umgesetzt wurden, und nach zwei bis drei Monaten mit unterschiedlichem Tempo in den verschiedenen Sektoren wieder gelockert werden.

Auf die gegenwärtige tiefe Rezession folgt eine langsame Erholung

In den Projektionen wird unterstellt, dass alle Länder 2020 eine tiefe Rezession erleben, auf die 2021 in beiden Szenarien eine langsame, graduelle Erholung folgt. Im Double-Hit-Szenario sinkt das weltweite BIP 2020 um etwas weniger als 7¾ %, bevor es 2021 wieder um etwa 2¾ % steigt (Figure 1.6, Teil A). In den OECD-Ländern bricht die Wirtschaftstätigkeit noch stärker ein: Das BIP des OECD-Raums verringert sich in diesem Szenario 2020 um 9¼ % (Figure 1.6, Teil B). Auch im Single-Hit-Szenario geht die gesamtwirtschaftliche Produktion dieses Jahr erheblich zurück: Das weltweite BIP sinkt 2020 um 6 %, das BIP des OECD-Raums um 7½ %. 2021 sind die Wachstumsaussichten etwas besser, was durch kräftige Carryover-Effekte aufgrund der allmählichen Konjunkturbelebung im zweiten Halbjahr 2020 begünstigt wird. Das weltweite BIP dürfte im kommenden Jahr dabei um rd. 5¼ % steigen.

Figure 1.6. A collapse in output followed by a slow recovery

Im zweiten Quartal 2020 kommt es zu einem beispiellosen Konjunkturrückgang (Figure 1.7): Am tiefsten Punkt der Entwicklung liegt die globale Wirtschaftsleistung den Schätzungen zufolge rd. 12½ % unter dem im vierten Quartal 2019 verzeichneten Niveau und das BIP des Euroraums schrumpft um über 18 %. Konjunkturstützende Maßnahmen – Kurzarbeitsprogramme und Einkommensersatzleistungen, Steuerstundungen und Kreditbürgschaften – sorgen dafür, dass die privaten Haushalte und die Unternehmen den Effekt dieses Rückgangs nicht in vollem Umfang zu spüren bekommen (siehe weiter unten). Allerdings dürfte es im Anschluss nur zu einer langsamen und graduellen Erholung kommen, selbst wenn die progressive Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen, wie in den Projektionen unterstellt, zu einem ersten Wiederanstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion führt und die Pandemie nicht erneut aufflammt. Zahlreiche Unternehmen des Dienstleistungssektors werden voraussichtlich noch längere Zeit deutlich unterhalb ihrer vollen Kapazitätsauslastung arbeiten müssen. Der während des Lockdowns ausgebliebene Dienstleistungskonsum wird dabei wohl kaum aufgeholt werden können. Manche Unternehmen werden wahrscheinlich Insolvenz anmelden müssen, was das Risiko erhöht, dass es in der Phase, in der die staatlichen Krisenmaßnahmen aus heutiger Sicht auslaufen sollen, zu einer weiteren Runde von Beschäftigungsrückgängen, Einkommenseinbußen und Wertverlusten in den Bankbilanzen kommt.

Figure 1.7. An unprecedented output collapse is occurring in the first half of 2020

Per cent change in GDP between 2019Q4 and 2020Q2

Die neue Infektionswelle, die im Double-Hit-Szenario für das vierte Quartal 2020 unterstellt wird, führt während ihrer Dauer zu einem weiteren erheblichen Konjunkturrückgang (Figure 1.6). In diesem Szenario sinkt das weltweite BIP im vierten Quartal 2020 um 4¼ % und die Wirtschaftsleistung in den OECD-Ländern verringert sich um rd. 4½ %. Damit wäre das globale BIP Ende 2020 11 % niedriger als im Vorjahresvergleich. Dies entspräche dem stärksten und dauerhaftesten Konjunktureinbruch seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Das BIP des OECD-Raums würde sich sogar noch schwächer entwickeln und läge 13 % unter dem Ende 2019 verzeichneten Wert. Selbst im Fall weiterer staatlicher Stützungsmaßnahmen dürfte eine solch lange Belastungsphase für viele Unternehmen, vor allem in Sektoren, in denen die Wirtschaftstätigkeit erneut stark eingeschränkt würde, zu einer großen und steigenden Zahl von Insolvenzen und Entlassungen führen.

Die Wachstumsaussichten der großen Volkswirtschaften variieren erheblich (Figure 1.8), in allen ist jedoch von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr auszugehen. In den meisten dürfte die Wirtschaftsleistung Ende 2021 außerdem unter dem Ende 2019 verzeichneten Niveau liegen und deutlich schwächer ausfallen, als in früheren Projektionen unterstellt (Figure 1.9).

Unter den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte die BIP-Entwicklung dieses Jahr wegen der strengen, über einen relativ langen Zeitraum umgesetzten Eindämmungsmaßnahmen in Europa am schwächsten ausfallen. Das BIP des Euroraums liegt 2020 im Double-Hit-Szenario um 11½ %, im Single-Hit-Szenario um etwas mehr als 9 % unter dem 2019 verzeichneten Niveau. In den Vereinigten Staaten und Japan sinkt das BIP im Double-Hit-Szenario um 8½ % bzw. 7¼ %, im Single-Hit-Szenario um 7¼ % bzw. 6 %. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die erste Runde der Eindämmungsmaßnahmen dort erst zu einem späteren Zeitpunkt im zweiten Quartal eingeleitet wurde, weniger lange dauerte und weniger streng umgesetzt wurde, was auch für die während der zweiten Infektionswelle im vierten Quartal 2020 zu ergreifenden Maßnahmen unterstellt wird. Korea stellt 2020 eine bemerkenswerte Ausnahme unter den größeren fortgeschrittenen Volkswirtschaften dar: Die gesamtwirtschaftliche Produktion geht hier gegenüber 2019 nur um ca. 1¼ % im Single-Hit-Szenario und 2½ % im Double-Hit-Szenario zurück, was den weniger strengen, gezielten Eindämmungsmaßnahmen zu verdanken ist. Die Unterschiede im Ländervergleich spiegeln sich auch in den Projektionen für die einsetzende Erholungsphase wider. Die Wachstumsprognosen für 2021 sind im Allgemeinen für die Volkswirtschaften höher, in denen die Wirtschaftsleistung aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen am stärksten eingebrochen ist.

Figure 1.8. Output is projected to decline in all economies this year

Annual GDP growth, per cent

Zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer, insbesondere die Rohstoffförderländer unter ihnen, befinden sich aufgrund der doppelten Gesundheits- und Wirtschaftskrise in beträchtlichen Schwierigkeiten. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stellen diese Länder vor eine extrem große Herausforderung, da ihre Gesundheitssysteme häufig nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, um effektiv zu reagieren. Diese Herausforderung wird durch den Absturz der Rohstoffpreise, sinkende Rücküberweisungen, eine schwache Auslandsnachfrage und ein restriktiveres finanzielles Umfeld zusätzlich verstärkt. In Brasilien, Russland, Südafrika und Mexiko wird das BIP den Projektionen zufolge 2020 in beiden Szenarien mindestens 7 % geringer ausfallen als 2019. In der Türkei dürfte dies zumindest im Double-Hit-Szenario der Fall sein. In einigen großen aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens sind die Auswirkungen verhaltener. Für China und Indonesien wird in beiden Szenarien mit einem geringeren Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2½-4 % im Jahr 2020 gerechnet. Hier kommt der günstige Effekt des Rohstoffpreisrückgangs auf die Realeinkommen zum Tragen. Auch Indien profitiert von den niedrigeren Rohstoffpreisen; allerdings wird hier für das Finanzjahr 2020/2021 dennoch mit einem erheblichen Konjunkturabschwung gerechnet, wobei das BIP im Double-Hit-Szenario um etwa 7¼ % und im Single-Hit-Szenario um 3¾ % unter dem im Finanzjahr 2019/2020 verzeichneten Niveau liegt. Wie in China und Indonesien wird die gesamtwirtschaftliche Produktion den Projektionen zufolge in beiden Szenarien ähnlich hoch oder höher sein als Ende 2019 (Figure 1.9), was jedoch gegenüber dem zuvor erwarteten BIP-Wachstum von 5-6 % jährlich immer noch eine erhebliche unvorhergesehene Wachstumseinbuße darstellt.

Figure 1.9. Output is set to remain weak for an extended period

Der private Verbrauch und die Anlageinvestitionen werden dieses Jahr voraussichtlich drastisch zurückgehen, sich 2021 jedoch langsam wieder erholen. Ausschlaggebend für den Einbruch der Wirtschaftstätigkeit im ersten Halbjahr 2020 waren der Rückgang der Konsumausgaben, der aus der Einstellung nicht essenzieller Geschäftstätigkeiten, der unterbliebenen Reisetätigkeit und dem stark gesunkenen Vertrauen resultierte. Gleichzeitig ist die Ersparnis der privaten Haushalte kräftig gestiegen, wobei die Arbeitseinkommen in vielen Ländern durch staatliche Maßnahmen für vorübergehend freigesetzte Arbeitskräfte gestützt wurden. Aufgrund der hohen Unsicherheit, des geringen Vertrauens und der Beschäftigungsrückgänge wird das Vorsorgesparen wahrscheinlich noch eine Zeit lang erhöht bleiben. Wenn die Eindämmungsmaßnahmen gelockert werden und die Geschäfte wieder öffnen, dürfte sich das Ausgabenniveau langsam jedoch wieder erholen. Die schwächere Nachfrage, die gestiegene Unsicherheit sowie Liquiditätsengpässe werden die Investitionstätigkeit in diesem Jahr wohl erheblich bremsen, was die Aussichten auf eine rasche Belebung im Jahr 2021 beeinträchtigt. Im Fall einer neuen Infektionswelle im späteren Jahresverlauf würde die Unsicherheit für einen längeren Zeitraum weiter zunehmen, was mit zusätzlichem Vorsorgesparen, niedrigeren Ausgaben der privaten Haushalte und deutlich schwächeren Investitionsaussichten verbunden wäre.

Im OECD-Raum liegen die Verbraucherausgaben 2020 im Double-Hit-Szenario etwa 10¾ %, im Single-Hit-Szenario etwa 8½ % unter dem Niveau des Vorjahres, beleben sich im Jahresverlauf 2021 dann jedoch wieder. Für die Anlageinvestitionen wird für 2020 ein Rückgang gegenüber 2019 um ca. 12¾ % im Double-Hit-Szenario und 10½ % im Single-Hit-Szenario unterstellt.
In vielen aufstrebenden Volkswirtschaften wird mit einer noch stärkeren Abnahme der Investitionstätigkeit gerechnet, was durch die stärkeren finanziellen Spannungen in einigen Ländern, die hohe Verschuldung des Unternehmenssektors und einen drastischen Vertrauenseinbruch bedingt ist. Im Double-Hit-Szenario wird unterstellt, dass die Investitionstätigkeit in Brasilien, Indien, Mexiko, der Türkei und Südafrika 2020 um über 13 % nachgibt.

Die Fiskalpolitik wird die Konjunktur 2020 sowohl durch spezielle Maßnahmen zur Sicherung der Einkommen bzw. der Beschäftigung während des Lockdowns als auch durch höhere Endausgaben stützen. Im OECD-Raum wird der staatliche Endverbrauch den Projektionen zufolge 2020 um 4-4¼ % steigen, gegenüber etwa 2 % durchschnittlich im Zeitraum 2018-2019. Mit einem besonders starken Wachstum ist im Vereinigten Königreich, Korea, Australien, Japan und Deutschland zu rechnen. Die außergewöhnlichen zusätzlichen geldpolitischen Maßnahmen, die seit Beginn der Pandemie eingeführt wurden, sind ebenfalls wichtig, um die Wirtschaft in der Phase der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen zu stabilisieren und die Schuldendienstlast zu begrenzen; sie dürften jedoch keinen starken Effekt auf das anschließende Tempo der Erholung der Inlandsnachfrage haben (OECD, 2019a). Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die sehr niedrigen Zinssätze und hohen Vermögenspreise der vergangenen Jahre nur relativ geringe Auswirkungen auf die inländische Endnachfrage hatten. Dies könnte dadurch bedingt sein, dass die Erwartung dauerhaft niedriger Zinssätze die Anreize schmälert, Ausgaben vorzuziehen. Die Gewinne aus dem Anstieg der Finanzvermögenspreise konzentrieren sich außerdem relativ stark auf Haushalte, die in geringerem Maße dazu neigen, aus ihrem Vermögen zu konsumieren.

Die Arbeitsmarktbedingungen werden sich voraussichtlich erheblich verschlechtern. Die Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern, die Ende 2019 auf den niedrigsten Stand seit fünfzig Jahren gesunken war, dürfte sich bis Mitte dieses Jahres mehr als verdoppeln und etwa 11½ % erreichen. Damit wird sie deutlich über dem während der weltweiten Finanzkrise verzeichneten Stand liegen (Figure 1.10). Mit dem Ende der Shutdown-Maßnahmen dürfte die Arbeitslosigkeit allmählich wieder sinken. Sie wird jedoch wahrscheinlich deutlich über dem vor Ausbruch der Pandemie verzeichneten Niveau verharren. Grund dafür sind das Ausmaß der unmittelbaren Arbeitsplatzverluste in einigen Ländern sowie die Beschäftigungsrückgänge, zu denen es in anderen Ländern kommen dürfte, wenn die befristeten Maßnahmen zur Stützung der Löhne bzw. der Beschäftigung im zweiten Halbjahr auslaufen. Im Double-Hit-Szenario bleibt die Arbeitslosigkeit in den OECD-Ländern noch länger hoch, nachdem sie im vierten Quartal 2020 mit rd. 12½ % ihren Höchststand erreicht. Dadurch steigt das Risiko von Hysterese-Effekten, wenn sich Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt und entmutigte Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben ausscheiden. In diesem Szenario wird damit gerechnet, dass die Arbeitslosenquote im OECD-Raum Ende 2021 nahe bei 9 % und damit immer noch über dem während der globalen Finanzkrise verzeichneten Höchststand bzw. 3½ Prozentpunkte über dem Wert von Ende 2019 liegen wird (Figure 1.10). Von erheblichen Angebotsüberhängen an den Arbeitsmärkten würde wiederum Abwärtsdruck auf die Löhne und das Einkommenswachstum ausgehen.

Besonders ausgeprägt sind die Arbeitsplatzverluste und anschließenden Neueinstellungen in den Vereinigten Staaten. Die im April und Mai dieses Jahres sprunghaft gestiegene Arbeitslosenquote geht dort im Double-Hit-Szenario bis Ende 2021 nur auf rd. 10 % und im Single-Hit-Szenario auf 8¼ % zurück. Auch für das Vereinigte Königreich und Spanien wird mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit gerechnet, ebenso wie für einige kleinere offene Volkswirtschaften, wenngleich die Einkommenseffekte auf kurze Sicht durch befristete Stützungsmaßnahmen abgefedert werden. Für Deutschland, Frankreich und Italien werden geringere Veränderungen erwartet, da die dortigen Maßnahmen zur Stützung der Beschäftigung die Arbeitsplatzverluste abschwächen; auch in Japan dürfte der Anstieg geringer ausfallen (OECD, 2020e; Kapitel 2, Themenpapier 5).

Figure 1.10. The crisis is resulting in sizeable job losses and high unemployment

Der Welthandel entwickelte sich bereits vor Ausbruch der Pandemie schwach und wird den Projektionen zufolge 2020 im Double-Hit-Szenario um 11½ %, im Single-Hit-Szenario um 9½ % nachgeben, sich 2021 jedoch wieder beleben (Figure 1.11). Ein besonders drastischer Rückgang wird in diesem Jahr für viele europäische Volkswirtschaften erwartet, was auf die starken Handelsverflechtungen zwischen diesen Ländern und die hohe Bedeutung der Tourismusexporte in einigen von ihnen zurückzuführen ist. Dies gilt auch für viele Rohstoffförderländer, in denen die Auslandsnachfrage stark eingebrochen ist. Den Projektionen zufolge wird die globale Wirtschaftsleistung in diesem Jahr zwar deutlich stärker sinken als während der weltweiten Finanzkrise, der Rückgang des Welthandels dürfte im Gesamtjahr 2020 jedoch im Großen und Ganzen ähnlich sein wie 2009. Dies ist z. T. dadurch bedingt, dass sich die gegenwärtige Krise relativ stark auf Dienstleistungsbranchen konzentriert, die weniger handelsintensiv sind als das Verarbeitende Gewerbe mit seinen langen globalen Wertschöpfungsketten, und dass die Konsumausgaben verglichen mit den Anlageinvestitionen weniger importintensiv sind. Zudem hat sich die Handelsintensität seit der globalen Finanzkrise insgesamt stabilisiert. Der Welthandel ist in den vergangenen Jahren nur etwas rascher gestiegen als die weltweite Produktion, wohingegen er Anfang der 2000er Jahre mehr als doppelt so schnell expandierte wie die Produktion.

Beide vorstehend beschriebenen Szenarien werden als denkbare Entwicklungen während der kommenden 18 Monate betrachtet, es sind aber noch eine Vielzahl anderer Verläufe möglich. Beispielsweise könnten längere Zwangsschließungen als gegenwärtig unterstellt erforderlich sein, vor allem in bestimmten Sektoren wie dem Reise- und Fremdenverkehr, um die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle niedrig zu halten. Dies würde die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr noch stärker beeinträchtigen. Zudem könnte es auch im Jahresverlauf 2021 zu weiteren, wenn auch schwächeren Infektionswellen kommen, die möglicherweise weitere Eindämmungsmaßnahmen erforderlich machen und das Tempo der Erholung im kommenden Jahr drosseln könnten. Zu einer günstigeren Entwicklung könnte es kommen, wenn die nun eingeleitete Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen reibungsloser und zügiger vonstattengeht als angenommen und sich das Vertrauen rasch erholt oder wenn relativ schnell ein wirkungsvolles Medikament gefunden würde. Beides würde die Aussichten auf eine dauerhafte Erholung der Wirtschaftsleistung und der Einkommen verbessern.

Figure 1.11. World trade is projected to remain very weak, with challenges for tourism-dependent economies

Die Inflation wird den Projektionen zufolge niedrig bleiben

In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind die Jahresraten der Verbraucherpreisinflation Anfang 2020 gesunken. In vielen Ländern haben sie sich zwischen Ende 2019 und April/Mai 2020 aufgrund des Energiepreisrückgangs halbiert, obwohl die Nahrungsmittelpreise etwas angezogen haben (Figure 1.12, Teil A). Da viele Dienstleistungen wegen der strengen Eindämmungsmaßnahmen nicht erbracht wurden und viele Einzelpreise von den Statistikämtern extrapoliert wurden, ist die Inflationsmessung allerdings mit größerer Unsicherheit behaftet (Bureau of Labor Statistics, 2020; Eurostat, 2020). Die Messgrößen des Inflationsausgleichs, die aus Finanzmarktindikatoren, insbesondere Anleiherenditeunterschieden, abgeleitet werden, sind deutlich zurückgegangen.

In beiden Szenarien wird der Verbraucherpreisauftrieb in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften 2020 und 2021 voraussichtlich niedrig bleiben und unter dem 2019 verzeichneten Niveau liegen (Figure 1.12, Teil A). Im Euroraum und Japan wird mit einer vorübergehenden Deflation gerechnet, anders als in den Vereinigten Staaten, wo der Preisauftrieb den Projektionen zufolge robuster bleiben wird. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der schwachen Verbrauchernachfrage wird ein geringerer Lohndruck erwartet, wie dies auch während der weltweiten Finanzkrise zu beobachten war.4 In den meisten aufstrebenden Volkswirtschaften dürften die Jahresinflationsraten in den kommenden 18 Monaten allmählich sinken, weil die inflationären Schocks abklingen, die durch Währungsabwertungen sowie höhere Nahrungsmittel- und administrierte Preise ausgelöst wurden, und die Konjunktur sich schwach entwickelt (Figure 1.12, Teil B).

Figure 1.12. Inflation is expected to remain low

Double-hit scenario

Diese Projektionen sind aufgrund des besonderen Charakters der gegenwärtigen Krise und sich daraus möglicherweise ergebender Effekte auf der Angebotsseite, die momentan sehr schwer vorherzusagen sind, mit großer Unsicherheit behaftet. Die Eindämmungsmaßnahmen und Abstandsregeln führen für die Unternehmen zu Kosten und Kapazitätseinschränkungen, was sich negativ auf ihre Ertragslage auswirkt. Daher könnten die Unternehmen versuchen, die Preise anzuheben, um Verluste auszugleichen. Das Risiko eines solchen Preissetzungsverhaltens ist im Double-Hit-Szenario größer, insbesondere wenn es vermehrt zu Insolvenzen kommen sollte, was den Wettbewerb sowie das Angebot an bestimmten Waren und Dienstleistungen verringern würde. Diese Tendenzen würden verstärkt, wenn der internationale Handel dauerhaft beeinträchtigt würde oder neue Handelshemmnisse geschaffen würden (siehe weiter unten). Es ist jedoch ungewiss, ob solche angebotsseitigen Effekte ausreichen würden, um den Abwärtsdruck auszugleichen, der von den in vielen Wirtschaftszweigen bestehenden Kapazitätsüberhängen ausgeht.

Ein Inflationsanstiegsrisiko besteht allerdings auch im Zusammenhang mit der Ölpreisentwicklung. Die Ölpreise sind Anfang 2020 aufgrund des Nachfragerückgangs eingebrochen, obwohl die größten Ölproduzenten das Angebot deutlich verknappt haben. In Anbetracht der aktuell sehr niedrigen Ölpreise könnte eine Einigung auf weitere erhebliche Förderkürzungen zu einem rascheren und stärkeren Anstieg der Ölpreise führen als im Single-Hit-Szenario unterstellt; die Differenz zwischen durch Angebotsbeschränkungen bedingten höheren Ölpreisen und den trotz der schwächeren Nachfrage im Double-Hit-Szenario unterstellten konstanten Ölpreisen wäre noch ausgeprägter (vgl. Anhang 1.A).

Die große Rezession könnte viele Narben hinterlassen und sich noch länger hinziehen

Bis Ende 2021 könnte in vielen Ländern das Einkommenswachstum von mindestens fünf Jahren verloren gehen

Die durch die Pandemie verursachten Verwerfungen dürften in vielen Volkswirtschaften noch lange sichtbare Narben hinterlassen. Der Lebensstandard ist erheblich zurückgegangen, die Arbeitslosigkeit steigt weit über ihr Vorkrisenniveau – was die Gefahr mit sich bringt, dass viele Menschen für längere Zeit arbeitslos bleiben –, und die Investitionstätigkeit bricht ein. Vor allem die sozial schwächsten Gruppen sind dadurch in ihrer Existenz bedroht (Kapitel 2, Themenpapier 4). Viele der von der Pandemie am schwersten betroffenen Dienstleistungsbranchen sind relativ beschäftigungsintensiv. Der Anteil der Geringverdiener und nichtregulären Beschäftigungsverhältnisse ist dort besonders hoch und viele Beschäftigte arbeiten in Berufen, in denen Telearbeit kaum möglich ist (OECD, 2020f; Dingel und Neiman, 2020; Yasenov, 2020). Zwangsschließungen, Wiedereröffnungen mit geringerer Kapazität und Veränderungen der Konsumpräferenzen und des Verbraucherverhaltens können die Existenz vieler Unternehmen gefährden und dauerhafte Arbeitsplatzverluste zur Folge haben.

Im Double-Hit-Szenario geht das reale Pro-Kopf-Einkommen im Median der OECD-Volkswirtschaften 2020 um 9½ % zurück (Figure 1.13, Teil A), wobei alle Volkswirtschaften erhebliche Verluste verzeichnen. Selbst wenn es 2021 zu einer leichten Erholung kommen sollte, wird das reale Pro-Kopf-Einkommen in der typischen Volkswirtschaft nur das Niveau von 2013 erreichen und über 10½ % niedriger sein, als vor der Pandemie prognostiziert wurde. Im Single-Hit-Szenario sind die Einkommensverluste geringer, das reale Pro-Kopf-Einkommen liegt 2021 aber trotzdem auf dem niedrigsten Stand seit 2016.5
Die Arbeitslosigkeit wird den Projektionen zufolge im Median des OECD-Raums in diesem Jahr den höchsten Stand seit 25 Jahren erreichen und 2021 nur leicht zurückgehen. Die längerfristigen Folgen der Arbeitsplatzverluste („Scarring-Effekte“) werden voraussichtlich vor allem jüngere und geringqualifizierte Arbeitskräfte zu spüren bekommen. Viele Menschen laufen zudem Gefahr, für einen längeren Zeitraum arbeitslos zu bleiben.
Die Pandemie dürfte die Nettoinvestitionen weiter schwächen. Die produktiven Nettoinvestitionen (Unternehmen plus Staat) waren im Median der OECD-Volkswirtschaften bereits vor Ausbruch der Pandemie schwach. Im Zeitraum 2015-2019 beliefen sie sich auf durchschnittlich 4½ % des BIP, rd. 2¼ Prozentpunkte weniger als in den zehn Jahren vor der Weltfinanzkrise. Für den Zeitraum 2020-2021 werden weitere erhebliche Rückgänge erwartet (Figure 1.13, Teil B). Dadurch erhöht sich das Risiko, dass sich das schwache Produktionswachstum verfestigt.

Angesichts der auf den Arbeits- und Produktmärkten zurückbleibenden Narben, der im Anschluss an die Pandemie erforderlichen Reallokation von Arbeitskräften und Kapital zwischen den Sektoren und der erheblichen negativen Auswirkungen der Krise auf den Lebensstandard ist es in allen Volkswirtschaften nun noch dringender notwendig, zielgerecht konzipierte, neue strukturpolitische Reformen durchzuführen. Die Regierungen nutzen einen breiten Fächer von Maßnahmen, um den Arbeitsmarkt und die Unternehmen zu stützen und die Einkommen der Beschäftigten und Unternehmen während der Shutdown-Phase zu sichern. Aufseiten der Politik ist noch einige Zeit agiles und flexibles Handeln geboten, da die Lockerung der verschiedenen Eindämmungsmaßnahmen in unterschiedlichem Tempo erfolgt und es zu erneuten Ausbrüchen des Virus kommen könnte. In einigen Sektoren wie Luftverkehr und Tourismus wird die Wirtschaftstätigkeit möglicherweise über längere Zeit deutlich schwächer sein. Die Konsumpräferenzen könnten sich ebenfalls dauerhaft verändern, was den digitalen Wandel hin zu einer verstärkten Nutzung von E-Commerce und digitalen Dienstleistungen beschleunigen könnte.

Figure 1.13. The pandemic will leave long-lasting legacies

Eine entscheidende Herausforderung wird darin bestehen, als tragfähig eingeschätzte Arbeitsplätze und Unternehmen kurzfristig zu unterstützen, gleichzeitig jedoch flexibel die notwendige Reallokation von Ressourcen zwischen den Sektoren zu ermöglichen, um langfristige Verwerfungen zu minimieren und das Produktivitätswachstum zu beleben.

Kurzarbeitsprogramme sind ein effektives Mittel, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten, sie sind aber möglicherweise weniger effizient, wenn es darum geht, nach der Krise Anpassungen zwischen den Sektoren zu erleichtern. Eine allmähliche Anhebung der Arbeitgeberbeiträge zu solchen Programmen könnte eine Möglichkeit sein um festzustellen, welche Unternehmen sich selbst für längerfristig überlebensfähig erachten (OECD, 2020e; Kapitel 2, Themenpapier 5). In Ländern, in denen die Einkommen durch großzügige Arbeitslosengeldleistungen gestützt werden, gilt es, Beschäftigungsverhältnisse aus der Vorkrisenzeit, die wieder tragfähig werden, wenn die Eindämmungsmaßnahmen auslaufen und die Konjunktur anzieht, wieder herzustellen. Dies könnte finanzielle Anreize für Unternehmen umfassen, Beschäftigte nur vorübergehend freizustellen oder ehemalige Beschäftigte wieder einzustellen.
Darüber hinaus sind aktive Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich, um Chancen für alle zu schaffen, eine mögliche Reallokation von Arbeitsplätzen nach der Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen zu erleichtern und die Erosion von Kompetenzen zu verhindern. Fester Bestandteil gut konzipierter Maßnahmenpakete müssen zudem bessere Kinderbetreuungsangebote sowie effizientere und gezieltere Steuer- und Transfermaßnahmen sein. Dabei gilt es, die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen und für mehr Teilhabe am Arbeitsmarkt zu sorgen.
Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen in Form von Lohnsubventionen, Steuerstundungen und Garantien müssen schrittweise auslaufen, wenn die Eindämmungsmaßnahmen gelockert werden, um zu verhindern, dass eigentlich nicht überlebensfähige Unternehmen über einen längeren Zeitraum unterstützt werden (OECD, 2020f; Kapitel 2, Themenpapier 2). Eine Option besteht darin, diese Vergünstigungen in staatliche Kapitalbeteiligungen umzuwandeln. Dabei muss allerdings sichergestellt sein, dass der Wettbewerb nicht verzerrt wird und dass transparente und klar definierte, an Auflagen geknüpfte Exit-Strategien für diese Investitionen festgelegt werden (OECD, 2020g). In einigen Ländern kann es außerdem notwendig sein, die Insolvenzverfahren zu straffen, um Hindernisse für Unternehmensumstrukturierungen abzubauen und eine produktivitätssteigernde Reallokation von Kapital zu fördern (Adalet McGowan et al., 2017).
Reformen, die darauf abzielen, die Unternehmensdynamik zu steigern, Infrastrukturengpässe zu beseitigen und die politische Unsicherheit hinsichtlich der längerfristigen Herausforderungen des Klimawandels, der Digitalisierung und der Globalisierung zu reduzieren, würden mittelfristig die Investitionsanreize der Unternehmen erhöhen und die Aussichten auf eine nachhaltige Steigerung des Lebensstandards verbessern.
Wichtig ist es außerdem, bei den erforderlichen Anstrengungen zur Erhöhung der Resilienz die möglichen Effizienzverluste zu beachten, die entstehen können, wenn die Unternehmen von der Politik ermutigt werden, ihre Lieferketten umzustrukturieren und weniger Vorleistungen von effizienten, aber weit entfernten Anbietern zu beziehen (siehe weiter unten).

Die staatlichen Anstrengungen zur Förderung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus müssen zudem geeignete Maßnahmen umfassen, um die langfristige Bedrohung zu verringern, die vom Klimawandel ausgeht. Bestehende Umweltstandards sollten während des Wiederaufbaus nicht gelockert werden und sektorspezifische finanzielle Fördermaßnahmen sollten, wenn möglich, an umweltpolitische Auflagen geknüpft werden. Das gilt insbesondere für von der Krise stark betroffene Wirtschaftszweige, die sehr umweltbelastend sind (OECD, 2020h). Da die Preise für fossile Energieträger über einen längeren Zeitraum deutlich niedriger bleiben könnten als erwartet, ist es dringend erforderlich, den Unternehmen wirksame Anreize für Investitionen in energieeffiziente Technologien zu geben.

Unternehmensinsolvenzen und Finanzmarktrisiken

Der infolge der Zwangsschließungen vieler Sektoren verzeichnete starke Rückgang der Unternehmensumsätze erhöht das Insolvenzrisiko. Wie viele Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten könnten, wird vom Ausmaß und von der Dauer der aus den Eindämmungsmaßnahmen resultierenden Verwerfungen und vom Verhalten der Verbraucher nach der Aufhebung der Beschränkungen abhängen. In einigen Sektoren, wie Gastgewerbe, Reiseverkehr und Tourismus, wo der Lockdown länger andauern wird und strenge Gesundheitsschutz- und Hygieneregeln umgesetzt werden müssen, werden die Unternehmen ihre Einnahmeverluste möglicherweise nicht mehr ausgleichen können. Die Auswirkungen werden auch davon abhängen, inwieweit es den Unternehmen gelingt, ihre Betriebsverluste durch Senkungen der betrieblichen Fixkosten zu minimieren und neue Finanzmittel zu mobilisieren. Eine wichtige Rolle spielt auch der Umfang ihrer Liquiditätspuffer und ihrer Schuldenzahlungen. Unternehmen mit höheren Kassenbeständen, niedrigerer Verschuldung und besserem Zugang zu alternativen externen Finanzierungsquellen werden besser zurechtkommen. Dies gilt auch für Unternehmen in Ländern mit staatlichen Förderprogrammen. Stilisierte Simulationen zeigen, dass effektive staatliche Maßnahmen, darunter Schuldenmoratorien sowie Steuerentlastungen und Lohnsubventionen, den Anteil der Unternehmen mit Liquiditätsproblemen im Fall einer schleppenden Erholung nach einem Jahr mehr als halbieren könnten (OECD, 2020f; Kapitel 2, Themenpapier 2).

Es liegen zwar keine umfassenden Daten zur Finanzlage der Nichtfinanzunternehmen vor, die vorhandenen Informationen zu ausgewählten Großunternehmen lassen jedoch vermuten, dass der Produktionseinbruch erhebliche negative Auswirkungen haben wird, allerdings mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern und Sektoren (OECD, 2020f; Kapitel 2, Themenpapier 2; Banerjee et al., 2020). Dies ist u. a. auf geringe Liquiditätspuffer zurückzuführen: Ende 2019 verfügten 25 % der börsennotierten und großen nicht börsennotierten Unternehmen in einer Auswahl von OECD-Ländern und aufstrebenden Volkswirtschaften nicht über genügend Barreserven, um alle 2020 fällig werdenden Schuldverpflichtungen zu bedienen (Banerjee et al., 2020). Außerdem verläuft die Korrektur der Betriebsaufwendungen gewöhnlich wesentlich langsamer als die Korrektur der Einnahmen. Aufgrund der aus den Hygiene- und Schutzmaßnahmen resultierenden Kosten könnte sie jetzt sogar noch schwieriger werden. Neue externe Finanzierungsquellen könnten kurzfristig helfen. Der Zugang zu Finanzierungsmitteln könnte jedoch mit der Zeit schwieriger werden. Zudem führt die Finanzierung von Verlusten durch neue Schulden zu einem Anstieg der bereits hohen Verschuldung und zu Problemen für die Zukunft. In den letzten Monaten haben die Unternehmen bereits Bankkreditlinien in Anspruch genommen.6 Aufgrund der sich verschlechternden Kreditwürdigkeit der Unternehmen und der sinkenden Kreditvergabebereitschaft und -fähigkeit der Banken könnte diese Finanzierungsquelle jedoch versiegen. Außerdem könnte sich der Zugang zu Fremdfinanzierung verschlechtern, insbesondere für riskantere Unternehmen. Die weltweiten Emissionen von hochverzinslichen Unternehmensanleihen und Leveraged Bonds ebenso wie die Schuldtitelemissionen in Europa sind bereits drastisch zurückgegangen (IWF, 2020).

Der voraussichtliche Anstieg der Unternehmensinsolvenzen könnte negative Rückkopplungseffekte auf den Märkten für Unternehmensanleihen auslösen. In den Vereinigten Staaten und im Euroraum haben die Risikoaufschläge auf hochverzinsliche Unternehmensanleihen bereits ein hohes Niveau erreicht (siehe weiter oben). Ein weiterer Ausverkauf ist zu erwarten und es dürfte zu Herabstufungen wegen der verschlechterten Ertragslage der Unternehmen kommen, insbesondere bei Unternehmensanleihen, deren Rating knapp über Non-Investment-Grade liegt (Çelik et al., 2020). Sollten solche Anleihen auf Non-Investment-Grade herabgestuft werden, werden einige institutionelle Anleger aufgrund aufsichtsrechtlicher Auflagen zum Verkauf gezwungen sein, was die Unternehmensanleihekurse belasten würde. In den letzten Monaten hat das Volumen der auf Junk-Status gefallenen Anleihen bereits ein Rekordniveau erreicht. Um die Emittenten hochverzinslicher Anleihen zu entlasten und zugleich die Kreditrisiken zu begrenzen, könnten die Staaten die gezielte Kreditvergabe an solche Schuldner ausweiten. Außerdem könnten sie in Erwägung ziehen, sich über rückzahlbare Vorzugsaktien am Kapital tragfähiger Unternehmen zu beteiligen (Kapitel 2, Themenpapier 3).

Die finanziellen Schwierigkeiten der Unternehmen könnten außerdem die Banken zusätzlich belasten. Das gilt insbesondere für Europa, wo die Unternehmen in größerem Umfang auf Bankkredite zurückgreifen als in den Vereinigten Staaten und wo die Banken in einigen Ländern bereits vor Beginn der Pandemie in einer schwachen Position waren. Die Banken haben die derzeitige Krise nicht verursacht und verfügen über größere Kapital- und Liquiditätspuffer als vor der globalen Finanzkrise 2008. Sie werden aber wahrscheinlich durch zunehmende Unternehmens- und Privatinsolvenzen, eine schwache Nachfrage nach neuen Krediten und sehr niedrige Zinssätze in Mitleidenschaft gezogen. Es ist bereits zu erkennen, dass die Bankrisiken höher eingeschätzt werden. In einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind die Kurse von Bankaktien stärker zurückgegangen als die Börsenindizes insgesamt, und die Kreditausfallswap-Prämien sind für Bankanleihen rasch gestiegen. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist ebenfalls deutlich zurückgegangen. In vielen europäischen Ländern hat sich diese Kennzahl gegenüber den Durchschnittsniveaus von 2017-2018 mindestens halbiert und historische Tiefstwerte erreicht. Sinkende Bankerträge und eine steigende Zahl notleidender Kredite könnten die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe im derzeitigen Niedrigwachstums- und Niedrigzinsumfeld trotz der geldpolitischen Unterstützung verringern. Die Kreditstandards der Banken wurden in den Vereinigten Staaten bereits deutlich verschärft, im Euroraum dagegen bisher nur geringfügig.

Herausforderungen für aufstrebende Volkswirtschaften und Entwicklungsländer

Für die Schwellen- und Entwicklungsländer ist die globale Rezession und die Corona-Pandemie weiterhin eine große Bedrohung.

Die hohe Verschuldung stellt in vielen aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern einen großen Risikofaktor dar. Seit der Weltfinanzkrise ist die Verschuldung im Verhältnis zum BIP in vielen Ländern gestiegen (in China, Chile und der Türkei insbesondere im nichtfinanziellen Unternehmenssektor und in Argentinien, Brasilien, China, Chile und Südafrika im Staatssektor). In Brasilien, Chile und China ist die Verschuldung nach den Standards aufstrebender Volkswirtschaften derzeit sehr hoch (Figure 1.14, Teil A). Darüber hinaus ist ein erheblicher Teil der Kredite und Schuldtitel von Nichtbanken in Argentinien, Chile, Mexiko und der Türkei in Fremdwährung denominiert, insbesondere in US-Dollar (Figure 1.14, Teil B). Der Anteil von in Inlandswährung emittierten Unternehmensanleihen, der von ausländischen Investoren gehalten wird, ist in einigen Schwellen- und Entwicklungsländern ebenfalls gestiegen (Çelik et al., 2019). Das führt zu erheblichen Herausforderungen, wenn die inländischen Währungen abwerten, die Deviseneinnahmen zurückgehen und die Bereitschaft internationaler Anleger zur Kreditvergabe schwindet. Die Devisenreserven sind im Allgemeinen nicht sehr groß (Figure 1.14, Teil C) und mehrere Länder mussten bereits auf den Devisenmärkten intervenieren, um ihre Währungen zu verteidigen.7 In einigen Ländern steht der Bankensektor aufgrund eines hohen Anteils notleidender Kredite vor Schwierigkeiten, so z. B. in Indien und der Türkei.

Figure 1.14. Vulnerabilities in emerging-market economies

Die aufstrebenden Volkswirtschaften und die Entwicklungsländer sind aufgrund der globalen Wertschöpfungsketten stark von der Nachfrage der fortgeschrittenen Volkswirtschaften und Chinas abhängig, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Der Fremdenverkehr und Rücküberweisungen stellen eine wichtige Einkommensquelle dar.8 Rohstoffförderländer mit begrenzten Finanzpuffern und Niedrigeinkommensländer mit unterentwickelten inländischen Finanzmärkten und einer kleinen inländischen Anlegerbasis sind wahrscheinlich besonders betroffen.
In vielen aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern sind die automatischen fiskalischen Stabilisatoren aufgrund des weniger stark entwickelten sozialen Sicherungsnetzes und des höheren Anteils der informellen Beschäftigung schwächer ausgeprägt. Außerdem haben sie wegen der hohen Staatsverschuldung und des durch abwertende Inlandswährungen verursachten Inflationsdrucks weniger Spielraum für makroökonomische Maßnahmen. Die vielfältigen Auswirkungen des COVID-19-Schocks – Rückgang der Auslandsnachfrage, niedrigere Steuereinnahmen und höhere öffentliche Ausgaben – erhöhen in diesen Ländern das Risiko eines Doppeldefizits.

Die Risikoeinschätzung im Hinblick auf Schwellen- und Entwicklungsländer hat sich im Lauf der COVID-19-Krise verschlechtert. In den letzten Wochen ist jedoch vereinzelt eine Verbesserung eingetreten. Die Wechselkurse sind deutlich gesunken – in Brasilien, Kolumbien, Mexiko, der Russischen Föderation und Südafrika um bis zu 20-30 % –, allerdings im Allgemeinen nicht so stark wie auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise; inzwischen sind sie aber teilweise wieder gestiegen (Figure 1.15). Die Renditeaufschläge auf in US-Dollar denominierte Staatsanleihen gegenüber US-Staatsanleihen sind auf ihren früheren Höchstwert des Jahres 2009 angestiegen (insbesondere in Lateinamerika), und die Zahl der Staatsanleihen mit extrem hohen Spreads übersteigt das Niveau von 2009 (Figure 1.5). Die Abflüsse von Portfoliokapital aus aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern erreichten ein Rekordniveau – fast 100 Mrd. USD in weniger als zwei Monaten (IFF, 2020) –, was selbst die Kapitalabflüsse während der Weltfinanzkrise in den Schatten stellte. Viele Staatsanleihen wurden herabgestuft oder mit einem negativen Ausblick versehen, so u. a. die Anleihen von Kolumbien, Mexiko und Südafrika.

Um die Finanzmarktspannungen abzuschwächen, sind die G20-Staaten übereingekommen, die Rückzahlung von bilateralen staatlichen Krediten für 76 Niedrigeinkommensländer einzufrieren. Private Gläubiger wurden aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. Darüber hinaus hat der IWF vergünstigte Kredite in Höhe von 17 Mrd. SZR (24 Mrd. USD) für 66 Länder gebilligt (mehr als 100 Länder haben solche Kredite beantragt) und den Schuldendienst für 25 Länder für sechs Monate gestrichen. Diese Maßnahmen bieten zwar eine vorübergehende Erleichterung, die an die hohe Verschuldung geknüpften Herausforderungen bleiben jedoch bestehen und werden sich noch verschärfen, wenn die Pandemie andauert oder erneut aufflammt und die globale Rezession sich verfestigt. Außerdem könnte es schwieriger werden, private Gläubiger zu Schuldenerleichterungen zu bewegen, wie die jüngsten Verhandlungen über Argentiniens Staatsschulden gezeigt haben. Die Spannungen werden also voraussichtlich zunehmen. Einige fortgeschrittene Volkswirtschaften und China, das ein wichtiger Kreditgeber für viele aufstrebende Volkswirtschaften und Entwicklungsländer geworden ist, müssen mit negativen Ausstrahlungseffekten rechnen (Horn et al., 2019).

Figure 1.15. Domestic currencies have weakened considerably against the US dollar

Percent change in the US dollar exchange rate

Die Folgen der Kontraktion des internationalen Handels

Die Krise hat die Anfälligkeit der Inlandsproduktion gegenüber der Beschaffung von Vorleistungen bei geografisch weit entfernten Anbietern vor Augen geführt. Unternehmen verlagern aus Effizienzgründen Teile ihrer Produktion ins Ausland, um die komparativen Vorteile verschiedener Anbieter bei der Ausführung bestimmter Aufgaben zu nutzen. So entstehen lange und komplexe globale Wertschöpfungsketten. Die letzten verfügbaren Daten zeigen, dass der ausländische Wertschöpfungsanteil der Produktion in den meisten Volkswirtschaften und Wirtschaftsräumen 50 % übersteigt. Im Verarbeitenden Gewerbe, insbesondere im Automobil- und Elektroniksektor, sind die vorgelagerten Beziehungen relativ stark ausgeprägt, während im Dienstleistungssektor, beispielsweise bei den Bank- und Unternehmensdienstleistungen, die nachgelagerten Beziehungen eine größere Rolle spielen (Figure 1.16, Teil A). Aufgrund der regulatorischen Harmonisierung innerhalb des europäischen Binnenmarkts und des gemeinsamen Währungsraums besteht in einigen kleinen europäischen Ländern eine starke Abhängigkeit von Zulieferern in anderen europäischen Ländern. Da die Beschaffung bei diesen Zulieferern aber sicherer sein dürfte als bei anderen geografisch weiter entfernten Anbietern, dürften die Zahlen zur Auslandsabhängigkeit insgesamt die Anfälligkeit dieser kleineren europäischen Volkswirtschaften gegenüber Lieferstörungen im Ausland überzeichnen (Figure 1.16, Teil B).

Figure 1.16. Vulnerability to trade shocks is high in some OECD countries

Die zunehmende Verflechtung der Volkswirtschaften erhöht die Resilienz, kann jedoch auch den entgegengesetzten Effekt haben: Eine stärkere Spezialisierung der Handelspartner bzw. geringere Substituierbarkeit von Produkten oder Zulieferern kann Ansteckungseffekte im gesamten System verstärken (Jouanjean et al., 2017). Je nach der Position der einzelnen Sektoren in diesem Netzwerk verbreiten sich Schocks entlang der Lieferkette mit unterschiedlicher Intensität.9 Deshalb sind angemessene Puffer erforderlich, um mögliche Ansteckungseffekte abzufedern. Die internationale Diversifizierung der ausländischen Direktinvestitionen, der Zulieferer und der Märkte kann die Resilienz stärken, wenn die Schocks (Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen) nicht miteinander korrelieren oder wenn sie länderspezifisch sind. Wenn weltweit jedoch mehrere Schocks gleichzeitig auftreten, wie dies bei einer Pandemie der Fall ist, ist sie dagegen weniger effektiv (Acemoglu et al., 2012).

Wie Wertschöpfungsketten durch örtlich begrenzte Angebotsengpässe gestört werden können, zeigte sich 2011, als der Tsunami in Japan und Überschwemmungen in Thailand in nachgelagerten Bereichen des Fahrzeugbaus bzw. der Festplattenherstellung zu einem Mangel an schwer substituierbaren Komponenten führten.10 Der Anfang des Jahres in China verhängte Shutdown hat Unternehmen, die von Vorleistungen aus China abhängig sind, Berichten zufolge erheblich belastet. Das galt insbesondere für Lieferungen aus der Provinz Hubei, die ein wichtiger Knotenpunkt inländischer und internationaler Wertschöpfungsketten ist. In Europa, wo globale Wertschöpfungsketten besonders wichtig sind, könnte es infolge des unterschiedlichen Tempos, mit dem die Shutdown-Maßnahmen aufgehoben werden, zu Vorleistungsengpässen kommen.

Wenn die globalen Wertschöpfungsketten verkürzt würden, um die Beschaffungsrisiken zu reduzieren und die Resilienz bzw. Krisenfestigkeit zu stärken, würden einige der in den letzten Jahrzehnten mit der Ausweitung dieser Ketten erzielten Effizienzgewinne verloren gehen. Die Unternehmen müssten beispielsweise auf einige der Vorteile verzichten, die aus Skalen- und Spezialisierungseffekten resultieren. Gleichzeitig könnte der Zugang zu ausländischen Märkten gefährdet sein, wenn die Aktivitäten von ausländischen Tochtergesellschaften reduziert würden. Außerdem ginge die für die Förderung von FuE- und Innovationsinvestitionen erforderliche Nähe zu den strategischen Wissensressourcen (z. B. Forschungszentren, Universitäten und Konkurrenten) verloren. Darüber hinaus würde die Rückverlagerung von Aktivitäten die Möglichkeiten für Produktivitätssteigerungen verringern, die sich aus dem Technologieaustausch und der Übernahme effektiverer Organisations- und Managementpraktiken ergeben (Criscuolo und Timmis, 2017).

Figure 1.17. Cross-border trade has helped to raise world trade intensity

Insgesamt deutet die empirische Analyse darauf hin, dass die zunehmende Eingliederung in globale Wertschöpfungsketten in der Vergangenheit sowohl in den fortgeschrittenen als auch in den aufstrebenden Volkswirtschaften mit erheblichen Produktivitätszuwächsen assoziiert war. Ein 10%iger Anstieg der Einfuhr von Vorleistungen steigert die Arbeitsproduktivität Schätzungen zufolge um 2 % und das Pro-Kopf-Einkommen um 11-14 % (Constantinescu et al., 2019). Angesichts der schnellen Ausweitung des grenzüberschreitenden Handels und der damit verbundenen Zunahme der Handelsintensität (Figure 1.17) seit den 1990er Jahren könnte ein Rückgang des internationalen Vorleistungshandels im Fall einer Verkürzung der Lieferketten mit hohen Kosten verbunden sein. Eine Rückverlagerung der Auslandsproduktion in die fortgeschrittenen Volkswirtschaften könnte in den aufstrebenden Volkswirtschaften und den Entwicklungsländern dazu führen, dass die mit globalen Wertschöpfungsketten verbundenen Vorteile in Bezug auf Kapitalströme und den Zugang zu internationalen Märkten, Arbeitskräften und Wissen zurückgehen.

Die mit einer Verkürzung der globalen Wertschöpfungsketten verbundenen Herausforderungen addieren sich zu anderen Gefahren für den internationalen Handel. Die zunehmende Nutzung handelsbeschränkender Maßnahmen bremst den grenzüberschreitenden Güter- und Dienstleistungsverkehr. Trotz Bemühungen, eine weitere Eskalation der Handelsspannungen zu verhindern, belastet die starke Anhebung der bilateralen Zölle im Handel zwischen den Vereinigten Staaten und China, zu der es in den vergangenen zwei Jahren gekommen ist, die bilateralen Einfuhr- und Ausfuhrbeziehungen der beiden Volkswirtschaften. Die durch die Pandemie ausgelöste Nachfrageschwäche könnte zudem die Umsetzung des Phase-I-Handelsabkommens zwischen den USA und China gefährden, das China verpflichtet, seine Waren- und Dienstleistungsimporte aus den Vereinigten Staaten im Zeitraum 2020-2021 um insgesamt 200 Mrd. USD zu erhöhen (gegenüber dem 2017 verzeichneten Niveau von 180 Mrd. USD). Auch generell haben die Unsicherheit über die Handelspolitik und die Erosion der regelbasierten Verfahren zur Schlichtung von Handelsstreitigkeiten den Handel, die internationalen Investitionen und das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren belastet. Darüber hinaus hat die andauernde Ungewissheit über den Brexit zu erheblicher Handelsvolatilität und großen Wechselkursschwankungen geführt.

Politikerfordernisse

Auf kurze Sicht – d. h. möglicherweise so lange, bis geeignete Medikamente oder ein Impfstoff verfügbar sind – besteht die entscheidende Herausforderung für die Politik darin, die Erholung in Gang zu bringen, während z. T. noch Eindämmungsmaßnahmen gelten und sich in einigen Sektoren ein Strukturwandel vollzieht. Dazu sind Maßnahmenpakete erforderlich, die die Reallokation von Ressourcen zwischen verschiedenen Sektoren fördern und die Einkünfte von Arbeitskräften und Unternehmen stützen, deren Lage prekär ist. Die umfassende fiskal-, geld- und finanzmarktpolitische Krisenreaktion wird dazu beitragen, die Haushaltseinkommen, die Beschäftigung und die Liquidität der Unternehmen zu stützen und den längerfristigen Schaden für die Wirtschaft zu minimieren. Angesichts der unterschiedlichen Dauer der pandemiebedingten Beschränkungen und der Erholung in den einzelnen Sektoren, der Möglichkeit neuerlicher Shutdown-Maßnahmen und finanzieller Instabilität, der Unsicherheit bezüglich struktureller Angebots- und Nachfrageänderungen und der Gefahr, dass die damit verbundenen wirtschaftlichen Kosten längerfristiger Natur sind, ist jedoch eine flexible und agile Politik notwendig. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass sich durch die aktuelle Krise viele Herausforderungen verschärfen könnten, die bereits zuvor im Zusammenhang mit schwachem Wachstum, Ungleichheit und hoher Staatsverschuldung bestanden.

Eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und Koordination über die G20, die Europäische Union und andere Gruppen ist entscheidend, um die Ausbreitung der Pandemie zu verfolgen, finanzielle Ressourcen zu bündeln und Informationen über wirksame Eindämmungsmaßnahmen und Behandlungsmethoden auszutauschen. Gemeinsames Handeln schafft Vertrauen und positive Spillover-Effekte. Davon profitieren alle Länder stärker, als wenn sie alleine handeln.

Gesundheitspolitische Prioritäten zur Verringerung von Gefährdungen

Die unmittelbare Politikpriorität besteht in den meisten Ländern darin, hinreichende Krankenhauskapazitäten zur Bewältigung der aktuellen Lage und möglicher künftiger Infektionswellen zu sichern, mehr persönliche Schutzausrüstung für das Gesundheitspersonal und die Bevölkerung insgesamt bereitzustellen und die Infrastruktur für eine effektive Test-, Nachverfolgungs- und Behandlungsstrategie aufzubauen.

Die intensivmedizinischen Kapazitäten der Krankenhäuser, die in einigen Ländern und Regionen bei der Bekämpfung der aktuellen Corona-Welle extrem unter Druck gerieten, müssen verstärkt werden. In einigen der am schlimmsten von der Pandemie betroffenen Ländern ist dies bereits geschehen; zudem ist ein weiterer Ausbau geplant. Es bleibt aber äußerst wichtig, in diesen und anderen Ländern in den kommenden Monaten zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Nur so kann das Krankenhaussystem einen potenziellen Wiederanstieg der Infektionszahlen verkraften, ohne dass notwendige Eingriffe bei anderen Patienten über Gebühr aufgeschoben werden müssten. In vielen aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländern sind Intensivkapazitäten begrenzt oder kaum vorhanden. Längerfristig werden die meisten Länder ihr Gesundheitssystem reformieren und besser für die Bewältigung zukünftiger Pandemien rüsten müssen.
Umfassende Testkapazitäten sind eine wesentliche Voraussetzung für die vollständige Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen. Obwohl hierzu keine länderübergreifenden Vergleichsdaten vorliegen, lassen die verfügbaren länderspezifischen Daten von Ende April darauf schließen, dass die Zahl der durchgeführten Tests im Verhältnis zur Bevölkerung von Land zu Land stark variierte (OECD, 2020c). Allerdings haben sich einige Länder, in denen bislang vergleichsweise wenig getestet wurde, ehrgeizige Ziele für die Ausweitung der Tests in der nächsten Zeit gesetzt. Die Steigerung der Testkapazitäten muss durch bessere Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung flankiert werden, um die Personen ausfindig zu machen, die mit nachweislich Infizierten in Kontakt waren; die Nutzung neuer Technologien für diesen Zweck wirft datenschutzrechtliche Bedenken auf, die ausgeräumt werden müssen.
Die bessere Ausstattung des Gesundheitspersonals und der Bevölkerung insgesamt mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) dürfte dazu beitragen, die Übertragung des Virus einzudämmen. Zu Beginn der Pandemie wurde Schutzausrüstung in vielen Ländern knapp, worauf teilweise mit Exportverboten reagiert wurde (OECD, 2020i). Dank des vermehrten internationalen Handels mit Schutzausrüstung und einer deutlichen Steigerung der inländischen PSA-Produktion haben sich die Engpässe mittlerweile verringert. Ein weiterer Ausbau der PSA-Versorgung gemäß nationalen Zielvorgaben und die dauerhafte Sicherung einer hinreichenden Bevorratung werden dazu beitragen, dass die Eindämmungsmaßnahmen gelockert werden können.

Es liegt im beiderseitigen Interesse von Import- und Exportländern, den freien Handel mit medizinischen Gütern aufrechtzuerhalten. Vor der Krise machten die weltweiten Ein- und Ausfuhren solcher Produkte 5 % des Welthandels aus, wobei einzelne Länder auf den Export bestimmter Produkte spezialisiert waren (WTO, 2020). Beispielsweise entfielen 40 % aller PSA-Exporte auf China, die Vereinigten Staaten und Deutschland. Mehr als die Hälfte aller Exporte von Beatmungsgeräten stammte aus Singapur, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden und China. Einige Länder reagierten auf die Angebotsengpässe, indem sie eine kostspielige importsubstituierende Fertigung im Inland aufbauten, die sich nach der Infektionswelle möglicherweise nur schwer wieder zurückfahren lässt. Da Exportbeschränkungen einen Eingriff in die globalen Wertschöpfungsketten darstellen, könnten sie außerdem die Produktion in den Ländern behindert haben, die sie verhängt haben. Im Moment deutet wenig darauf hin, dass die Exportbeschränkungen in näherer Zukunft aufgehoben werden.

Internationale Zusammenarbeit und Koordination sind unabdingbar für die Bewältigung der gravierenden Herausforderungen im Gesundheitswesen, mit denen alle Länder konfrontiert sind. Es braucht gemeinsame Maßnahmen und multilaterale Bemühungen, um eine effiziente Produktion medizinischer Güter sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass erschwingliche Impfstoffe und Behandlungsmethoden überall, wo sie benötigt werden, allgemein und rasch verfügbar sind. Von wesentlicher Bedeutung sind ferner eine weitreichende, gemeinsam genutzte und transparente Informationsbasis und der Austausch von Best Practices, um eine fundierte nationale Politikreaktion und Risikobewertung zu ermöglichen.

Geld- und Finanzmarktpolitik

Die Krisenreaktion und ihre Wirksamkeit

Die Geld- und Finanzmarktpolitik wurde in Reaktion auf die Pandemie und die durch sie ausgelöste Panik an den Finanzmärkten erheblich gelockert.

Viele Zentralbanken haben ihre Leitzinsen gesenkt und zugesagt, in großem Umfang Wertpapiere öffentlicher und privater Schuldner anzukaufen, um die längerfristigen Zinssätze niedrig zu halten (Figure 1.18; Tabelle 1.2). Mehrere Volkswirtschaften haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Liquidität im Finanzsektor zu stärken und die Bankkreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte zu steigern (Tabelle 1.2).
Um potenziellen Engpässen bei der weltweiten US-Dollar-Versorgung entgegenzuwirken, haben sechs führende Zentralbanken ihre bestehenden Swap-Vereinbarungen erweitert, indem sie die Laufzeit verlängert, die Frequenz erhöht und den Preis der Geschäfte gesenkt haben.11 Zudem hat die Federal Reserve ihre Devisenswap-Vereinbarungen mit den Zentralbanken in Australien, Brasilien, Mexiko, Südkorea und anderen Ländern ausgeweitet.12
Um die Bankkreditvergabe zu fördern, lockerten die Aufsichtsbehörden vieler fortgeschrittener und großer aufstrebender Volkswirtschaften auch die prudenzielle Bankenregulierung (Tabelle 1.3). So wurden beispielsweise die antizyklischen Kapitalpuffer oder Systemrisikopuffer herabgesetzt und die Mindestreserveanforderungen gesenkt, Unterschreitungen der Kapital- und Liquiditätsanforderungen für Banken zugelassen, die Umsetzung von neuen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, Stresstests und aufsichtsrechtlichen Berichtspflichten verschoben, die Anforderungen für Sicherheiten gelockert und eine flexiblere Behandlung notleidender Kredite ermöglicht. Zudem legten die prudenziellen Aufsichtsbehörden vieler Länder den Banken nahe, von der Pandemie betroffenen Kreditnehmern bei der Umschuldung von Krediten behilflich zu sein und Kleinunternehmen sowie Privatpersonen Darlehensstundungen zu gewähren. Mehrere Staaten legten unter Beteiligung von Geschäftsbanken umfassende staatlich garantierte Kreditprogramme auf.

	Wertpapierankäufe	Stützung der Kreditversorgung	Stützung der Liquiditätsversorgung
Bank of Canada	- Government of Canada Bond Purchase Program (55 Mrd. CAD) zum Abbau von Spannungen am Staatsanleihemarkt - Corporate Bond Purchase Program (10 Mrd. CAD) zur Sicherung der Liquidität und Funktionsfähigkeit des Unternehmensanleihemarkts - Commercial Paper Purchase Program (3 Mrd. CAD) zur Förderung der Kreditversorgung der Realwirtschaft - Canada Mortgage Bond Purchase Program (6 Mrd. CAD) zur Stützung der Hypothekenkreditvergabe	- Bankers’ Acceptance Purchase Facility (39 Mrd. CAD) zur Stützung der KMU-Finanzierung - Provincial Money Market Purchase Program (6 Mrd. CAD) und Provincial Bond Purchase Program (2 Mrd. CAD) zur Sicherung eines liquiden und reibungslos funktionierenden Markts für die kurzfristige Kreditaufnahme der Provinzen	- Erhöhung der Frequenz der Term Repo Operations zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte - Befristete Erhöhung der Bietungslimits und ‑spannen für Auktionen kanadischer Staatsschuldverschreibungen zur Sicherung der Liquidität und Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte - Contingent Term Repo Facility zur Bereitstellung von Liquidität gegen Wertpapiere der öffentlichen Hand - Ausweitung des Sicherheitenrahmens für die Standing Term Liquidity Facility auf Hypotheken
Bank of England	- Staatsanleihen des Vereinigten Königreichs und Sterling-Unternehmensanleihen (200 Mrd. GBP) zur Verbesserung der inländischen Finanzierungsbedingungen	- Covid Corporate Financing Facility (325 Mrd. GBP) zur Bereitstellung von Finanzmitteln für Nichtfinanzunternehmen - Term Funding Scheme (100 Mrd. GBP) mit zusätzlichen Anreizen für KMU-Kredite zur Verbesserung der Weitergabe der Leitzinssenkungen an die Realwirtschaft - Vorübergehende Ausweitung der Ways and Means Facility, um der Regierung im Bedarfsfall eine kurzfristige zusätzliche Liquiditätsquelle zur Optimierung ihres Cashflows zu bieten	- Ausweitung der Contingent Term Repo Facility, um der Notenbank bei der Bereitstellung von Liquiditätsversicherung zusätzliche Flexibilität zu verschaffen - Erhöhung des Anteils der von der Asset Purchase Facility gehaltenen, für Repogeschäfte nutzbaren Staatsanleihen, um operativen Störungen entgegenzuwirken und die regulären Aktivitäten des Debt Management Office zu unterstützen
Bank of Japan	- Staatspapiere mit kürzeren und längeren Laufzeiten zur Stabilisierung der Renditekurve auf einem niedrigen Niveau - Commercial Paper und Unternehmensanleihen (20 Bill. JPY) zur Sicherung einer reibungslosen Unternehmensfinanzierung - Exchange-Traded Funds (12 Bill. JPY) und Japan Real Estate Investment Trusts (0,2 Bill. JPY) zur Verringerung der Risikoprämien auf Vermögenswerte	- Anerkennung von Forderungen gegenüber Großunternehmen, KMU und privaten Haushalten als Sicherheiten im Rahmen der Special Funds-Supplying Operations to Facilitate Financing (55 Bill. JPY), um Finanzinstitute bei der Erfüllung ihrer Funktion für verschiedene private Sektoren zu unterstützen	- Umfassende Bereitstellung von JPY-Liquidität durch Marktoperationen mit langen Laufzeiten gegen Sicherheitenpools - Umfassende Bereitstellung von US-Dollar-Liquidität - Vorübergehende Erhöhung der Zahl der im Rahmen der Securities Lending Facility angebotenen Emissionen japanischer Staatspapiere und der Repogeschäfte mit japanischen Staatspapieren zur Stabilisierung des Repomarkts
EZB	- Pandemie-Notfallankaufprogramm (1,35 Bill. EUR – Wertpapiere des öffentlichen und privaten Sektors) zur Senkung der Kreditkosten und Förderung der Kreditvergabe - Vorübergehende Aufstockung des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (120 Mrd. EUR) zur Erleichterung der Finanzierungsbedingungen entlang der gesamten Renditekurve	- Längerfristige Pandemie-Notfallrefinanzierungsgeschäfte - Vorübergehende Ausweitung des Sicherheitenrahmens, Verringerung der Bewertungsabschläge und Lockerung der Bonitätsanforderungen für Sicherheiten zur Verbesserung des Kreditzugangs von Unternehmen und privaten Haushalten	- Zusätzliche längerfristige Refinanzierungsgeschäfte zur Verbesserung der unmittelbaren Liquiditätsversorgung der Banken,
Federal Reserve	- Staatspapiere sowie hypothekarisch besicherte Wertpapiere staatlich geförderter Emittenten (Agency MBS und Agency CMBS) zur Sicherung störungsfrei funktionierender Kreditmärkte	- Primary bzw. Secondary Market Corporate Credit Facility und Term Asset-Backed Securities Loan Facility (850 Mrd. USD) zur Stützung der Kreditversorgung von Arbeitgebern - Municipal Liquidity Facility (500 Mrd. USD) zur Unterstützung des Liquiditätsmanagements der Bundesstaaten und Kommunen - Main Street Lending Program (600 Mrd. USD) zur Förderung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen - Exchange Stabilization Fund (300 Mrd. USD) zur Förderung von Krediten an Konsumenten und Unternehmen - Anerkennung von im Rahmen des Paycheck Protection Program der Small Business Administration gewährten Darlehen als Sicherheiten, um den Kreditzugang von Kleinunternehmen zu fördern - Anpassung der Regelungen für die Liquiditätsdeckungsquote, um die Beteiligung an der Money Market Mutual Fund Liquidity Facility und der Paycheck Protection Program Liquidity Facility zu fördern und so die Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen zu unterstützen	- Ausweitung der Repogeschäfte mit Übernacht- und längeren Laufzeiten zur Förderung einer effektiven Politikumsetzung und reibungslosen Versorgung mit US-Dollar-Liquidität

Quelle: Bank of Canada, Bank of England, Bank of Japan, Europäische Zentralbank und Federal Reserve.

Figure 1.18. The global monetary policy stance has been eased substantially

	AUS	CAN	FRA	DEU	ITA	JPN	KOR	GBR	USA
Absenkung des antizyklischen Kapitalpuffers			X	X				X
Absenkung des Systemrisikopuffers oder inländischen Kapitalpuffers		X
Nutzung anderer Kapitalpuffer	X	X	X	X	X	X	X	X	X
Nutzung von Liquiditätspuffern	X	X	X	X	X	X	X	X	X
Weniger strikte Risikovorsorge	X	X	X	X	X	X	X	X	X

1. Unter „Risikovorsorge“ sind auch vorübergehende Änderungen der Definition und Behandlung notleidender Kredite während der COVID-19-Krise berücksichtigt.

2. Unter „Nutzung von Liquiditätspuffern“ sind auch vorübergehende Lockerungen bei der Berechnung der Liquiditätsdeckungsquote (LCR) und der strukturellen Liquiditätsquote (NSFR) berücksichtigt.

Quelle: Europäische Zentralbank und nationale Aufsichtsbehörden.

Das rasche Handeln der Zentralbanken in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere in den Vereinigten Staaten, bewirkte eine erhebliche Steigerung der Marktliquidität; dadurch wurden Spannungen an den Finanzmärkten abgebaut und konnte das Risiko verringert werden, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eine systemische Finanzkrise auslösen. In der jetzigen Phase der Krise ist es zwar entscheidend, für hinreichende Liquidität und Finanzstabilität zu sorgen, letztlich sollten die ergriffenen Maßnahmen aber auch die Kreditversorgung der Wirtschaft und die Konjunkturerholung fördern.13 Wegen des bereits vor der Pandemie niedrigen Zinsniveaus und der hohen Verschuldung im Unternehmenssektor könnte die Wirksamkeit der Geldpolitik jedoch geringer sein als normalerweise.

Politikerfordernisse in den beiden Szenarien

Die zahlreichen aktuell laufenden geld- und finanzmarktpolitischen Maßnahmen bieten genug Flexibilität, um ein Wiederaufflammen der Pandemie sowie eine daraus resultierende Störung der Wirtschaftstätigkeit und höhere Finanzmarktvolatilität zu bewältigen. In einem solchen Fall könnten viele der Maßnahmen ausgeweitet oder verlängert werden, insbesondere die Maßnahmen zur Förderung der Liquiditäts- und Kreditversorgung. Ein weiterer Ausbau der Swap-Vereinbarungen zur Sicherung der US-Dollar-Versorgung, möglicherweise mit einer größeren Zahl aufstrebender Volkswirtschaften, könnte ebenfalls notwendig werden. Bei einer länger anhaltenden globalen Rezession wird es jedoch schwieriger, die Risiken für die Finanzstabilität zu begrenzen. Die Kapitalpuffer der Finanzinstitute dürften in diesem Fall aufgezehrt werden und der Umfang der Insolvenzen würde deutlich zunehmen. Zudem könnten die Stützungsmaßnahmen an ihre Grenzen stoßen, wenn immer mehr Wirtschaftssektoren Hilfe benötigen. Je nachdem, wie gravierend diese Effekte ausfallen, könnten formelle Staatshilfen für die Banken notwendig werden. Jede weitere Lockerung der prudenziellen Regulierung sollte von einer transparenten Offenlegung der finanziellen Risiken und von Beschränkungen für Dividendenzahlungen und Boni abhängig gemacht werden.

Wenn die Pandemie endet und die Eindämmungsmaßnahmen schrittweise aufgehoben werden, wie dies im Single-Hit-Szenario unterstellt wird, kann in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften eine graduelle Rückführung der Liquiditätshilfen ins Auge gefasst werden.14 Trotzdem sollte die Geldpolitik sehr akkommodierend bleiben, an den niedrigen Zinssätzen festhalten und die Maßnahmen zur Förderung der Kreditvergabe fortführen, um den Zugang des öffentlichen und privaten Sektors zu günstiger Finanzierung zu sichern. Da die Projektionen von einer schwachen Erholung ausgehen und die Inflation auf mittlere Sicht wahrscheinlich verhalten bleibt, ist dieser Kurs angemessen. Solange es nicht zu längeren Angebotskürzungen (u. a. bei Erdöl) kommt, dürfte die Inflation niedrig bleiben, weil die Nachfrage schwach ist. Dies könnte jedoch Herausforderungen für die Zukunft mit sich bringen (siehe weiter unten). Falls die Inflation aber deutlich und anhaltend anzieht, könnte eine Verringerung der geldpolitischen Impulse in Betracht gezogen werden.

Umgang mit Aufwärtsdruck bei den Anleiherenditen

Bei einem Anstieg der Staatsanleiherenditen – die sich auch auf die Kreditpreise in anderen Finanzmarktsegmenten auswirken – haben die Zentralbanken verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Sie können die Leitzinsen senken, falls dafür noch Spielraum vorhanden ist, sie können die Zinserwartungen über Forward Guidance beeinflussen und sie können ihre Wertpapierkäufe steigern. Um die Renditen im längeren Laufzeitenbereich niedrig zu halten, könnten die Zentralbanken auch Zinskurvensteuerung betreiben, wie es die Bank of Japan seit einiger Zeit praktiziert.15 Dies dient dazu, den Preis von längerfristigen Staatsanleihen direkt zu steuern – im Gegensatz zur üblichen quantitativen Lockerung, die auf den Umfang der Wertpapierkäufe ausgerichtet ist.

Die EZB könnte jedoch Schwierigkeiten haben, die Anleiherenditen in einzelnen Mitgliedstaaten zu steuern, da sich ihre Staatsanleihekäufe nach wie vor an den Anteilen der Staaten am Kapital der EZB orientieren. Die im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms eingeführte Flexibilität bei der Verteilung der Ankäufe auf verschiedene Anlageklassen und Länder im Zeitverlauf wird der EZB jedoch helfen, eine ausgewogenere Transmission der Geldpolitik im gesamten Euroraum sicherzustellen.16

Wachsende Herausforderungen für die Politik

Anhaltende geldpolitische Impulse sind angesichts des gravierendsten globalen Konjunktureinbruchs seit der Weltwirtschaftskrise zwar notwendig, werden aber viele der bereits vor der Krise bestehenden Politikherausforderungen verschärfen.

Die Transmission der Geldpolitik könnte durch die niedrigere Rentabilität und die schwächeren Bilanzen der Banken beeinträchtigt werden. Eine schwere und lang anhaltende Rezession, wie im Double-Hit-Szenario unterstellt, und eine lange Phase mit schwachem Wachstum, niedrigen oder negativen Zinssätzen und flachen Zinskurven würden sich negativ auf die Banken auswirken. In einigen europäischen Ländern würden sich dadurch Herausforderungen vergrößern, die bereits vor der Krise vorhanden waren: hohe Bestände an notleidenden Krediten und langjährige strukturelle Probleme wie z. B. die geringe Kosteneffizienz, die begrenzte Ertragsdiversifizierung und die Überkapazitäten im Bankensektor (EZB, 2018). Die voraussichtliche Zunahme der notleidenden Kredite erfordert eine strenge prudenzielle Aufsicht, effektive und rasche Insolvenzverfahren sowie die Schaffung von Märkten für Problemkredite oder die Einrichtung von Bad Banks.
Die krisenbedingt notwendige Lockerung der prudenziellen Aufsicht muss nach und nach rückgängig gemacht werden, damit die Kapital- und Liquiditätspuffer wieder aufgebaut werden. Ein solides Finanzsystem ist entscheidend für die künftige geldpolitische Transmission und die Resilienz in kommenden Abschwungphasen.
Die lange Phase schwachen Wachstums und niedriger Zinssätze wird zudem die Solvenz von Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen weiter angreifen. Niedrige Diskontierungszinssätze erhöhen den Barwert der Pensionsverpflichtungen von Pensionsfonds mit festen Leistungszusagen und Lebensversicherungsgesellschaften (OECD, 2015; OECD, 2016). Die negativen Auswirkungen niedriger Zinssätze auf Pensionsfonds machen sich bei Fonds, die bereits vor der Krise nicht ausfinanzierte Verpflichtungen aufwiesen, besonders stark bemerkbar. Die Finanzierungslücken der Pensionsfonds sind seit der globalen Finanzkrise gewachsen und beliefen sich im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten Mitte der 2010er Jahre bereits auf rd. 30 % ihres Gesamtvermögens. Dadurch werden die Herausforderungen, die mit der steigenden Lebenserwartung einhergehen, zusätzlich verschärft (IWF, 2016).
Die zu erwartende krisenbedingte Ausweitung der Staatsverschuldung und der Zentralbankbilanzen könnte den Eindruck einer geschwächten Unabhängigkeit der Zentralbanken erwecken. Dies könnte sich negativ auf die Inflationserwartungen auswirken. Um diesen Risiken zu begegnen, sollten die fiskal- und geldpolitischen Organe gemeinsam ihr Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Zentralbank bekräftigen und eine klare Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten sicherstellen; das Mandat der Geldpolitik sollte weiterhin auf das Inflationsziel ausgerichtet sein. Die Zentralbankbilanzen sind bereits auf einen Rekordstand angewachsen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo sich die Bilanzsumme der Federal Reserve seit Anfang März nominal um fast 70 % vergrößert hat (Figure 1.18, Teil B und C). Infolge der anhaltenden Wertpapierkäufe und einer stärkeren Inanspruchnahme der Programme zur Förderung der Kredit- und Liquiditätsversorgung werden sie weiter anschwellen. Darüber hinaus bringen einige Maßnahmen der Zentralbanken zur Stützung von Nichtfinanzunternehmen und nachgeordneten Gebietskörperschaften Verteilungseffekte mit sich. Dies lässt den Eindruck entstehen, dass sich die Geldpolitik in Aufgaben einmischt, die gewählten Regierungen vorbehalten sind. Die höheren Kreditrisiken, die die Zentralbanken mit einigen ihrer derzeitigen Maßnahmen eingehen, könnten zu künftigen Kapitalverlusten und zunehmender Kritik und Einflussnahme seitens der Politik führen.17

Fiskalpolitik: Krisenmaßnahmen und zukünftige Prioritäten

Die Krisenreaktion und die kurzfristigen Politikerfordernisse

In beiden Szenarien wird für den Zeitraum 2020-2021 mit einer gewaltigen Verschlechterung der Haushaltssalden und Erhöhung der Staatsverschuldung im OECD-Raum gerechnet, bedingt durch die umfangreichen Stützungsmaßnahmen (Kasten 1.2) und das Wirken der automatischen Stabilisatoren.

Im Double-Hit-Szenario kommt es 2020 zu einer drastischen Verschlechterung der Haushaltssalden (Figure 1.19, Teil A). Im Median der OECD-Länder dürfte die Defizitquote um rd. 9 Prozentpunkte steigen – ungefähr dreimal so stark wie 2008-2009. In einigen Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Japan und Italien, dürften die Defizite 2020 besonders hoch ausfallen. 2021 wird im Double-Hit-Szenario nur eine geringfügige Verbesserung der Haushaltslage erwartet. Grund dafür sind anhaltende Effekte einiger diskretionärer Maßnahmen sowie das Wirken der automatischen Stabilisatoren. Im Single-Hit-Szenario sind die Haushaltsdefizite etwas kleiner als im Double-Hit-Szenario (Figure 1.19, Teil B); im Median der OECD-Länder dürfte der Unterschied 2021 rd. 2 % des BIP betragen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Kosten der diskretionären Maßnahmen niedriger und überwiegend auf das Jahr 2020 konzentriert sind und der Effekt der automatischen Stabilisatoren geringer ist.

Figure 1.19. Fiscal positions are set to deteriorate drastically

Kasten 1.2. Reaktion der Staaten auf die Pandemie-Krise

Zur Überwindung der pandemiebedingten Krise haben die Regierungen u. a. folgende Maßnahmen ergriffen (Figure 1.20):

Die unmittelbar haushaltswirksamen Maßnahmen auf der Ausgabenseite umfassen – neben zusätzlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen – vor allem Maßnahmen zur Einkommens- und Beschäftigungssicherung. Hierzu zählen beispielsweise Kurzarbeit und Lohnersatzleistungen für freigestellte Arbeitskräfte und Selbstständige, eine Ausweitung der Arbeitslosenleistungen (einschließlich Kurzarbeitergeld) sowie der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei anderweitiger Freistellung (z. B. durch Ausweitung der Anspruchsberechtigung oder Verlängerung der Bezugsdauer) und zusätzliche Unterstützung für Personen mit Kinderbetreuungs- oder Pflegeverpflichtungen. Hinzu kommen zusätzliche Transferzahlungen an private Haushalte, Selbstständige und Unternehmen sowie eine Aufstockung der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen jenseits des Gesundheitswesens (z. B. aktive Arbeitsmarktmaßnahmen oder Bildung). In den meisten Ländern entfällt das Gros der unmittelbar haushaltswirksamen Maßnahmen auf die Ausgabenseite.
Auf der Einnahmenseite haben viele Länder die Steuern und Sozialabgaben vorübergehend gesenkt, entweder direkt oder durch eine Lockerung der Regeln für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Unternehmen (z. B. durch großzügigere Verlustrückträge oder Abschreibungsmöglichkeiten). Viele Länder haben privaten Haushalten und Unternehmen die Stundung von Steuern und Sozialabgaben gestattet; zudem haben einige Staaten die Zahlung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber privaten Haushalten und Unternehmen, wie z. B. Steuerguthaben, vorgezogen, um die Liquiditätsversorgung der Haushalte und Unternehmen zu verbessern. Einige Länder haben die Auszahlung von Altersvorsorgeguthaben erleichtert (z. B. vorzeitige Auszahlungen, niedrigere Schwellenwerte) oder Entleihungen daraus ermöglicht (z. B. die Vereinigten Staaten und Australien). Die Stundung von Zahlungen belastet die Haushalte nach den Regeln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zwar nicht direkt, erhöht aber vorübergehend den Verschuldungsbedarf der öffentlichen Hand.
Die meisten Regierungen haben überdies umfangreiche außeretatmäßige Hilfen in Form von Krediten und Rekapitalisierungen (entweder direkt durch den Staat oder über staatliche Entwicklungsbanken und gesonderte Hilfsfonds) sowie Kreditbürgschaften angekündigt.1 In vielen Volkswirtschaften bestehen die Stützungsmaßnahmen größtenteils aus umfangreichen staatlichen Kreditbürgschaften (rd. 15 % des BIP im Vereinigten Königreich und mehr als 25 % des BIP in Deutschland).
In mehreren Ländern wurde eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die besonders betroffenen Sektoren (z. B. Tourismus, Gastgewerbe, Luftverkehr, Kultur, Export und Automobilbranche) zu unterstützen. Dabei handelt es sich z. T. um Hilfsprogramme für die gesamte Wirtschaft, bei denen jeweils ein bestimmter Betrag für bestimmte Sektoren vorgesehen ist, teilweise aber auch um branchenspezifischere Hilfen. Italien beispielsweise weitete das soziale Sicherungsnetz auf Saisonarbeiter der Tourismus- und Unterhaltungsbranche aus; für diejenigen, die wegen der Pandemie ihren Job verloren haben, wurde eine einmalige Sonderzahlung beschlossen. Mehrere Länder haben spezielle Kredit- und/oder Bürgschaftsprogramme für die am schlimmsten betroffenen Branchen geschaffen, so z. B. Finnland, Norwegen und Schweden (Luftfahrt) und Kanada (landwirtschaftliche und nahrungsmittelverarbeitende Betriebe). In manchen Ländern wurden bestimmte Abgaben für einzelne Branchen vorübergehend ausgesetzt oder gesenkt (z. B. Flughafenpacht in Kanada, Steuern im Gastgewerbe im Vereinigten Königreich und Island, vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie in Deutschland). Einige Länder, darunter Finnland, die Niederlande und Portugal, sorgten auch für direkte Zuschüsse, beispielsweise für landwirtschaftliche Betriebe, Restaurants oder kulturelle Einrichtungen. Um den Tourismussektor zu unterstützen, haben einige Länder u. a. subventionierte Reisegutscheine für Arbeitnehmer eingeführt (z. B. die Tschechische Republik) oder Werbekampagnen gestartet, um sich stärker als Reiseziel zu positionieren (z. B. Island). Einige Länder verknüpfen die pandemiebedingten Maßnahmen mit anderen langfristigen Zielen, z. B. einer ökologischen Wende. In Frankreich beispielsweise sind eine Erhöhung des Ökobonus und Abwrackprämien geplant, die nicht nur dem schwer gebeutelten Automobilsektor helfen, sondern zugleich auch die Umweltbelastung verringern und die Elektromobilität fördern sollen. Neben Hilfen für bestimmte Branchen haben fast alle Länder spezielle Programme (mit Zuschüssen, Krediten und/oder Bürgschaften) für KMU aufgelegt (OECD, 2020j; OECD Covid Tracker).

Figure 1.20. Frequency of government measures in response to the pandemic crisis

Number of countries adopting indicated measures

1. In einigen Ländern wurden auch privatwirtschaftliche Unternehmen angehalten, ihren Kunden die Stundung von Zahlungen zu ermöglichen, z. B. bei Darlehenstilgungen und -zinsen, Mieten oder Gas-, Wasser- und Stromrechnungen. Die Staatsfinanzen bleiben von diesen Maßnahmen aber unberührt.

Die Verschlechterung der Haushaltssalden schlägt sich auch in den Projektionen für die Staatsschuldenquote nieder, zusammen mit dem niedrigeren BIP (das den Nenner der Quote bildet) und zusätzlichen außeretatmäßigen Stützungsmaßnahmen, die sich auf die finanziellen Aktiva der öffentlichen Hand auswirken (z. B. Kredite, Rekapitalisierungen von Unternehmen oder Eigenkapitalbeteiligungen). Im Double-Hit-Szenario erhöht sich die Staatsschuldenquote 2020 im Median um fast 15 % des BIP, verglichen mit einem Anstieg um 10 % im Jahr 2009. 2021 wächst die Schuldenquote weiter auf 87 % des BIP (Figure 1.19, Teil C und D). In Japan, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien erreichen die Staatsschuldenquoten ein extrem hohes Niveau. Der Schuldenstand dieser Länder ist den Projektionen zufolge 2021 um rd. 20-35 % des BIP höher als 2019. Im Single-Hit-Szenario fällt der Anstieg der Schuldenquoten etwas gemäßigter aus.

Obwohl die Projektionen bereits von einer drastischen Verschlechterung der Staatsfinanzen ausgehen, könnten die erheblichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise, den Stützungsmaßnahmen und der Realisierung von Eventualverbindlichkeiten eine noch gravierendere Entwicklung der Finanzlage bewirken als erwartet. Die Staatsausgaben, die durch die automatischen Stabilisatoren und die speziellen staatlichen Hilfsprogramme verursacht werden, könnten deutlich höher ausfallen als in den Projektionen unterstellt, wenn sich die Konjunktur schwächer entwickelt, die Programme verlängert werden oder mehr Menschen Kurzarbeitergeld und Lohnersatzleistungen in Anspruch nehmen als erwartet. Zudem könnte erheblicher politischer Druck entstehen, umfangreiche Stützungsmaßnahmen auch nach dem Ende der Pandemie beizubehalten. Ferner könnten Verluste aus Eventualverbindlichkeiten – wie z. B. den staatlichen Kreditbürgschaften – zusätzliche fiskalische Kosten verursachen.18

Die Wirksamkeit der fiskalischen Impulse und der Bedarf an spezifischen Maßnahmen werden sich im Zeitverlauf verändern. Dadurch entstehen zunehmende Zielkonflikte zwischen der Notwendigkeit, die Wirtschaft zu stützen, der Notwendigkeit, die Ressourcenreallokation in Sektoren mit besseren längerfristigen Aussichten zu fördern, und den fiskalischen Kosten.

Während des Lockdowns und der ersten Phasen der Lockerung der Beschränkungen besteht das Hauptziel der fiskalischen Unterstützung darin, den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, der durch die Pandemie und die Eindämmungsmaßnahmen verursacht wird. Die fiskalischen Multiplikatoren dürften während eines kompletten Shutdowns nahe null liegen, da öffentliche Stützungsmaßnahmen wegen der staatlich angeordneten Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivität keine wesentliche Steigerung der privaten Konsum- und Investitionstätigkeit bewirken. Stattdessen ist die Politikreaktion vor allem darauf ausgerichtet, die Beschäftigung und die Einkommen der privaten Haushalte zu sichern und Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren. Um die größtmögliche Wirksamkeit solcher Programme zu gewährleisten, müssen administrative Verzögerungen bei der Umsetzung auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Mit der allmählichen Aufhebung der pandemiebedingten Beschränkungen dürften sich die fiskalischen Multiplikatoren verstärken und dazu beitragen, die Nachfrage anzukurbeln und Hysterese-Effekte zu verringern.
Unternehmen, die von einem vorübergehenden Nachfrageeinbruch oder Lieferstörungen betroffen sind, brauchen Liquiditätshilfen in Form von Zuschüssen, Krediten oder Kreditbürgschaften. Diese Maßnahmen können verhindern, dass die Liquiditätsprobleme der Unternehmen zu Solvenzproblemen werden. Sie können sich jedoch als kostspielig und wirkungslos erweisen, wenn damit Unternehmen gestützt werden, die auf Dauer nicht überlebensfähig sind. Um die Risiken möglichst gering zu halten, sollten die Maßnahmen zu gegebener Zeit evaluiert und bei Bedarf angepasst werden. Außerdem sollten hinreichende Verlustrückstellungen vorgenommen werden, die sich direkt im Haushalt niederschlagen, und Rückzahlungsanreize geschaffen werden (z. B. durch Teilbürgschaften).

Falls die Pandemie ein zweites Mal aufflammt (wie im Double-Hit-Szenario angenommen) oder das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung noch schwächer ausfallen als in den beiden Szenarien unterstellt, müssen die Stützungsmaßnahmen möglicherweise ausgeweitet und verlängert, zugleich aber auch zielgerichteter gestaltet werden. Neue Stützungsmaßnahmen für Unternehmen könnten beispielsweise eigenkapitalähnliche Instrumente zur Risikoteilung umfassen, etwa Programme, bei denen Liquidität gegen einen Steueraufschlag bereitgestellt wird (Boot et al., 2020). Auf diese Weise könnten Unternehmen die benötigte Liquidität erhalten, ohne ihre Verschuldung zu erhöhen. Für KMU, für die es in einem Wirtschaftsabschwung schwieriger ist, an Finanzmittel zu gelangen, sind solche Maßnahmen besonders wichtig. Sie wirken sich zudem positiv auf die Stabilität des Bankensystems aus. Dabei sind Flexibilität und Agilität äußerst wichtig. Bei Entscheidungen über solche Maßnahmen müssen die voraussichtlichen Grenzkosten und Grenznutzen, die Stärke der automatischen Stabilisatoren und der verfügbare fiskalische Spielraum berücksichtigt werden. Letzterer hängt im Wesentlichen von der geldpolitischen Reaktion ab.

Die EU hat mehrere neue Initiativen vorgeschlagen, um die besonders stark in Mitleidenschaft gezogenen Länder zu unterstützen und pandemiebedingten Ungleichgewichten entgegenzuwirken (Kasten 1.3). Diese Vorschläge sind sehr zu begrüßen; wie wirksam sie sein werden, wird von der letztlichen Ausgestaltung, dem Umfang und der Nutzung der Maßnahmen abhängen, worüber noch diskutiert wird. Gegebenenfalls könnten zusätzliche Lösungen in Betracht gezogen werden (Boone und Pereira, 2020).

Kasten 1.3. EU-Programme zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie

Die Organe der EU und des Euroraums haben mehrere willkommene Initiativen ausgearbeitet, um den Mitgliedstaaten – vor allem jenen, die von der Pandemie besonders in Mitleidenschaft gezogen wurden und geringere fiskalische Spielräume haben – eine relativ kostengünstige Finanzierung fiskalischer Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu ermöglichen. Dadurch sollen die Auswirkungen auf die nationale Schuldenlast begrenzt werden.

Im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wird der „Pandemic Crisis Support“ bereitgestellt. Dabei handelt es sich um eine Kreditlinie mit geringen Auflagen, die es den Euroländern ermöglicht, Kredite bis zu 2 % ihres BIP des Jahres 2019 für eine Laufzeit von bis zu zehn Jahren aufzunehmen. Dies ist zwar ein erfreulicher Durchbruch, u. U. reicht dieses Programm alleine aber nicht aus. Der Umfang der Kreditlinie ist gemessen an den derzeitigen Herausforderungen eher gering. Die fehlende Automatik der Kredite (sie erfordern eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die Europäische Kommission und anschließende Genehmigung durch den ESM-Gouverneursrat) könnte Länder zudem davon abhalten, sie zu beantragen.
Der mit 25 Mrd. EUR dotierte paneuropäische Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank (EIB), der bis zu 200 Mrd. EUR an Krediten vor allem für KMU mobilisieren soll, ist zu begrüßen, stellt aber u. U. keine ausreichende Hilfe für besonders gefährdete Klein- und Mikrounternehmen dar.
Zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wurde das zeitlich befristete Programm „Support to mitigate Unemployment Risk in an Emergency“ (SURE) aufgelegt. Dieses Programm, das die Finanzierung von Kurzarbeit in den Mitgliedstaaten fördert, ist eine willkommene Initiative, die zu einer ausgewogeneren Konjunkturentwicklung in den Mitgliedstaaten beitragen könnte. Es besteht jedoch ausschließlich aus Krediten und bietet abgesehen von den niedrigen Zinsen keine Lösung für Probleme, die sich aus eingeschränkten fiskalischen Spielräumen ergeben. Zudem verfügt das Programm nur über begrenzte Kapazitäten zur Minderung EU-weiter Schocks (100 Mrd. EUR bzw. 0,7 % des BIP der EU27 für 2019). Künftig könnte die Einrichtung einer dauerhaften gemeinsamen fiskalischen Kapazität in Betracht gezogen werden, um negative Beschäftigungsschocks abzufedern, ohne die nationalen Haushalte und Schuldenquoten übermäßig in Mitleidenschaft zu ziehen (Claveres und Stráský, 2018).
Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, den EU-Haushalt durch ein außerordentliches und befristetes Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Mrd. EUR zu verstärken, das sich aus rd. 450 Mrd. EUR Zuschüssen, 50 Mrd. EUR Bürgschaften und 250 Mrd. EUR Krediten zusammensetzen soll. Die genaue Verteilung der Mittel auf die einzelnen Mitgliedstaaten und Programme ist noch unklar und könnte mit gewissen Auflagen verbunden sein. Der Großteil der Mittel (rd. 80 %) soll dazu eingesetzt werden, öffentliche Investitionen, insbesondere in die ökologische und digitale Transformation, und wesentliche Strukturreformen in Ländern und Regionen zu fördern, die am schlimmsten von der Krise betroffen sind und in denen die Widerstandsfähigkeit am dringendsten gestärkt werden muss. Das Programm umfasst auch andere Instrumente, wie z. B. ein Solvenzhilfeinstrument zur raschen Unterstützung krisengebeutelter, aber grundsätzlich solider Unternehmen, und ein Gesundheitsprogramm, das die Gesundheitssicherheit stärken und die Vorsorge für künftige Gesundheitskrisen sicherstellen soll. Der Wiederaufbaufonds soll in erster Linie über eine einmalige Mittelaufnahme an den Finanzmärkten im Namen der Europäischen Union finanziert werden. Die Rückzahlung der Schulden (die zwischen 2028 und 2058 erfolgen soll) hängt von eventuell einzuführenden Abgaben auf EU-Ebene ab, mit denen der Klimaschutz und die Steuergerechtigkeit in einer globalisierten Welt vorangetrieben werden sollen (z. B. Digitalsteuern). Die Auszahlung der Mittel ist ab Anfang 2021 zu erwarten.

Optionen für den längerfristigen Umgang mit der hohen öffentlichen Schuldenlast

Die hohen Haushaltsdefizite und Staatsschulden, die für 2021 erwartet werden, vergrößern die bereits vor der Krise bestehenden Herausforderungen für die öffentlichen Finanzen und könnten die fiskalischen Risiken in vielen OECD-Volkswirtschaften erhöhen. Ein einmaliger Verschuldungsschock allein dürfte die Schuldentragfähigkeit noch nicht gefährden, wenn sich die Konjunktur erholt; wichtig ist vor allem, die Schuldendynamik unter Kontrolle zu halten. Eine zu rasche Haushaltskonsolidierung im Anschluss an die Krise könnte das Wachstum übermäßig hemmen. Dies war in einigen OECD-Ländern nach der globalen Finanzkrise der Fall. Riskant wäre es jedoch auch, die Sicherung der Schuldentragfähigkeit zu vernachlässigen, wenn sich die Erholung gefestigt hat.

Niedrige Schuldendienstkosten verringern zwar den Finanzierungsdruck, können für sich genommen einen Anstieg des Schuldenstands aber nicht verhindern. Seit der globalen Finanzkrise wird eine sehr akkommodierende Geldpolitik betrieben, um die Inflation wieder in Richtung der Zielwerte zu bringen. Die daraus resultierenden niedrigen Zinssätze und erhöhten Staatsanleihebestände der Zentralbanken (Figure 1.21) haben die Schuldendienstkosten der Staaten deutlich verringert. Da es lange dauern könnte, bis sich Produktionskapazitäten, Einkommen, Beschäftigung und Inflation nach der Pandemie erholt haben, muss diese akkommodierende Geldpolitik voraussichtlich mehrere Jahre beibehalten werden. Sollte zur Erfüllung des Mandats der Zentralbanken eine noch akkommodierendere Ausrichtung erforderlich sein, könnte dies durch zusätzliche Nettokäufe von Staatsanleihen, Zinskurvensteuerung oder eine Stärkung der Forward Guidance erreicht werden. Diese Maßnahmen würden sich auf lange Sicht in unterschiedlicher Weise auf die Schuldendienstkosten für Staatspapiere auswirken.

Bei einem stärkeren Wirtschaftswachstum und einer höheren Inflation würde die Staatsschuldenquote von selbst zurückgehen. Folglich sollten die Regierungen ambitionierte Strukturreformen durchführen, um das Wachstumspotenzial zu erhöhen (OECD, 2019b). Die Erfahrung der letzten zehn Jahre zeigt jedoch, dass eine schnelle Steigerung des Wachstums durch Strukturreformen nur schwer zu erreichen ist, wenn die Reformen nicht durch geld- und fiskalpolitische Impulse flankiert werden. Anhaltende geld- und fiskalpolitische Impulse dürften auch erforderlich sein, um die Inflation auf das Zielniveau zu steigern und dort zu halten.

Die Staatsausgaben müssen generell auf den Prüfstand, um dafür zu sorgen, dass ausreichende Mittel für Bereiche und Bevölkerungsgruppen mit prioritärem Bedarf bereitstehen und das Wachstum gesteigert wird, ohne die Schuldentragfähigkeit zu gefährden. Erstens müssen die Gesundheitsausgaben in vielen Ländern erhöht werden – sowohl, um die Kapazitäten für die Bewältigung zukünftiger Pandemien zu steigern, als auch wegen eines strukturellen Anstiegs der Gesundheitskosten (Lorenzoni et al., 2019).19 Zweitens sind nach der geringen öffentlichen Investitionstätigkeit der letzten zehn Jahre umfangreichere und hochwertige öffentliche Investitionen in Sektoren notwendig, die einen Bezug zu Digitalisierung, Bildung und Klimaschutz aufweisen. In diesen Sektoren führt Marktversagen dazu, dass der private Sektor zu wenig investiert. Dadurch werden wesentliche positive Externalitäten gehemmt und wichtige soziale Ziele nicht erreicht. Anders als während früherer bedeutender Konsolidierungsphasen sollte eine Kürzung der öffentlichen Investitionen diesmal vermieden werden (Blöchliger et al., 2012). Drittens müssen sich die Staaten mit den zunehmenden Kosten der Bevölkerungsalterung auseinandersetzen (OECD, 2019c).20 Viertens könnte sich politischer Druck aufbauen, großzügigere Sozialleistungen und Maßnahmen zur Sicherung der Erwerbseinkommen beizubehalten, um zukünftige Konjunkturabschwünge besser abzufedern. Es ist wichtig, eine Neuordnung der öffentlichen Ausgaben möglichst frühzeitig zu beginnen, da die Umschichtung von Ausgaben auf prioritäre Bereiche in der Regel ein recht langwieriger Prozess ist.

Figure 1.21. Several central banks have become dominant holders of domestic government bonds

Per cent of total outstanding marketable bonds

Wenn sich die Wirtschaft von der Krise erholt hat, müssen in einigen Ländern zugleich die Staatseinnahmen erhöht werden, um die Schuldentragfähigkeit zu sichern. Dabei gilt es auch, die Progressivität des Steuersystems zu steigern und den Klimaschutz zu fördern. Hierfür ist eine umfassende Prüfung des Steuermix erforderlich, bei der Wachstumserwägungen ebenso wie Teilhabe- und Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden müssen. Letztere könnten nach der Krise eine wichtigere Rolle bei der Gestaltung der Fiskalpolitik spielen. Angesichts der Wachstumsziele sollte die Besteuerung von Kapital (von Kapitaleinkünften über Veräußerungsgewinne bis hin zu Immobilien) kritisch überprüft und bei Bedarf progressiver gestaltet werden. Nach der globalen Finanzkrise wurde vielfach auf Maßnahmen im Bereich der Verbrauchsteuern zurückgegriffen. Hier könnten die Spielräume zwar begrenzt sein, sie sollten aber nach Möglichkeit ausgelotet werden. CO₂-Steuern sollten stärker genutzt, Subventionen für fossile Energieträger dagegen verringert werden, wobei allerdings auf die Verteilungseffekte solcher Maßnahmen geachtet werden muss. Dies würde nicht nur gravierendes Marktversagen beheben und zur dringend notwendigen Klimawende in der Wirtschaft beitragen (Marten und van Dender, 2019; OECD, 2020h), sondern auch Einnahmen generieren, mit denen von diesen Maßnahmen besonders betroffene private Haushalte und Kleinunternehmen entlastet werden könnten. Eine Auseinandersetzung mit den steuerlichen Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft und eine Mindestbesteuerung multinationaler Unternehmen würden das Einnahmepotenzial stärken und könnten als Beitrag zu einer fairen Lastenteilung betrachtet werden. Ein koordiniertes Vorgehen in diesem Bereich würde die Wirksamkeit von Reformen steigern, u. a. weil damit Steuervermeidung bekämpft und sichergestellt würde, dass Steuerstreitigkeiten nicht zu Handelskriegen führen, die die Erholung zusätzlich behindern würden (OECD, 2020k).

Gut konzipierte Fiskalregeln und reformierte Haushaltsverfahren, die stärkere Anreize für eine umsichtige, langfristige Planung bieten und aussagekräftigere Informationen liefern, würden den haushaltspolitischen Entscheidungsprozess verbessern. Die Einrichtung bzw. Stärkung unabhängiger Fiskalräte und die Schaffung spezieller Haushaltsinstrumente, wie z. B. das langfristige Haushaltsziel, das im Enzi-Whitehouse-Gesetzentwurf für die Haushaltsreform in den Vereinigten Staaten vorgesehen ist, könnten in diesem Zusammenhang sinnvoll sein.21 In der Europäischen Union müssen die Fiskalregeln reformiert werden, um in Abschwungphasen einen antizyklischen fiskalpolitischen Kurs zuzulassen, bei dem zugleich die fiskalische Tragfähigkeit gewahrt bleibt. Dazu könnten beispielsweise die verschiedenen numerischen Regeln, die derzeit gelten, durch eine Ausgabenregel ersetzt werden, die u. U. an eine Zielvorgabe für die Schuldenquote gekoppelt werden könnte (Claeys et al., 2016; Darvas et al., 2018; OECD, 2018).

Politikprioritäten in den aufstrebenden Volkswirtschaften

Mehrere große aufstrebende Volkswirtschaften haben ihren geldpolitischen Kurs bereits gelockert und fiskalpolitische Maßnahmen angekündigt (Figure 1.18 und Figure 1.19). Weitere Politikreaktionen werden von der Dauer und dem Ausmaß der Spannungen an den Finanzmärkten, den Folgen der niedrigeren Ölpreise, den negativen Ausstrahlungseffekten der internationalen Nachfrage, den durch die Pandemie bedingten Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern, dem Umfang der bereits vor der Krise bestehenden Risiken und dem politischen Spielraum zur Abfederung negativer Schocks abhängen.

Aufstrebende Volkswirtschaften mit einem glaubwürdigen makroökonomischen Rahmen und flexiblen Wechselkurssystemen, in denen die Risiken aus in Fremdwährung denominierten Schulden beherrschbar sind, sollten weiterhin akkommodierende Maßnahmen ergreifen, um den Schock abzufedern. Für die Geldpolitik würde dies weitere Senkungen der Leitzinsen und ein Hinwegsehen über vorübergehende, durch einmalige Abwertungen der Inlandswährung bedingte Inflationsanstiege bedeuten. In einigen Ländern dürften die bereits niedrigen Realzinsen allerdings eine weitere Lockerung der Geldpolitik erschweren, da zusätzliche Wechselkursabwertungen die Inflation anheizen und die Finanzstabilitätsrisiken in Zusammenhang mit der hohen Fremdwährungsverschuldung verschärfen könnten (Figure 1.14). In diesen Fällen können die Mindestreservesätze als antizyklisches Politikinstrument gesenkt werden (Cordella et al., 2014). Im Bereich der Fiskalpolitik sollte das Wirken der automatischen Stabilisatoren in vollem Umfang zugelassen werden. Weitere befristete fiskalische Konjunkturimpulse, die geringe längerfristige Auswirkungen auf die Staatsverschuldung hätten, könnten in Betracht gezogen werden.
Ländern mit schwächeren makroökonomischen Fundamentaldaten bleibt hingegen möglicherweise nichts anderes übrig, als die makroökonomischen Impulse unter Inkaufnahme negativer Auswirkungen auf die Inlandsnachfrage begrenzt zu halten. Falls der Zugang dieser Länder zu internationalen Krediten schwierig oder sehr kostenaufwendig ist, sollten sie versuchen, zusätzliche Kredite bei internationalen Institutionen aufzunehmen, und mit internationalen Gläubigern Schuldenmoratorien oder Kreditumstrukturierungen vereinbaren, um das Wachstum möglichst wenig zu gefährden und ihren künftigen Zugang zu den Kreditmärkten zu sichern.22 Mittelfristige Fiskalrahmen, die möglicherweise durch Haushaltsregeln oder Fiskalräte gestützt werden können, sollten sich auf alle fiskalischen und quasifiskalischen Aktivitäten erstrecken, um zur Steigerung der Qualität und Transparenz des makroökonomischen Gesamtrahmens beizutragen.
Auch wenn flexible Wechselkursregime externe Schocks in aufstrebenden Volkswirtschaften im Allgemeinen reduzieren, kann eine übermäßige Wechselkursvolatilität die Finanzstabilität beeinträchtigen.23 Wenn diese Risiken hoch sind, bedarf es u. U. transparenter und zeitlich befristeter Interventionen. Bei der Erwägung von Interventionen sollte allerdings ihrer möglicherweise eingeschränkten Wirksamkeit zur Bewältigung eines andauernden Schocks sowie den begrenzten Devisenreserven Rechnung getragen werden (Basu et al., 2018). In extremen Fällen von Finanzkrisen können Kapitalverkehrskontrollen unerlässlich sein. Sie sollten aber notwendige Anpassungen zur Bewältigung struktureller Ungleichgewichte nicht verzögern. Kapitaleinfuhrbeschränkungen für Devisengeschäfte inländischer Finanzinstitute könnten dagegen gelockert werden, u. a. durch eine Senkung der Devisenreservesätze (OECD, 2020l).24

Maßnahmen zur Wahrung der Vorteile der Globalisierung

Die politischen Entscheidungsträger müssen koordinierte Maßnahmen ergreifen, um den freien Handels- und Investitionsverkehr aufrechtzuerhalten und so der wachsenden Gefahr einer Globalisierungsumkehr vorzubeugen. Um die Schäden für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten und weitere Einkommensverluste für private Haushalte und Unternehmen zu verhindern, die bereits stark von der Krise betroffen sind, ist Zusammenarbeit zur Verringerung der Handelsspannungen und zum Abbau von Zöllen und Mehrkosten für Unternehmen und Verbraucher von entscheidender Bedeutung. Die Regierungen sollten auch davon absehen, Ausfuhrbeschränkungen für Güter des Grundbedarfs einzuführen, die das Vertrauen in die Weltmärkte untergraben, zu Hamsterkäufen und Preisschwankungen führen und importabhängigen Ländern schaden könnten (OECD, 2020m).

Die derzeitige Krise belastet auch die internationalen Lieferketten. Ihre Widerstandsfähigkeit sollte regelmäßig Stresstests unterzogen werden, um besondere Schwachstellen zu erkennen. Um sie zu sichern, sollten Unternehmen und Regierungen strategische Vorräte aufbauen und Upstream-Vereinbarungen für die Umrüstung von Fertigungsstraßen in kritischen Phasen treffen. Die Investitionspolitik sollte den Ausbau der digitalen Infrastruktur fördern und Verkehrserleichterungen ermöglichen, um Entfernungen zu überbrücken, die Handelskosten entlang der Produktionsketten zu senken und Probleme bei Prozessen zu beheben, die einen direkten Kontakt erfordern. Die Regierungen können die Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Industriestrategien unterstützen, indem sie für eine flexible Regulierung sorgen, die die Innovationstätigkeit und die Lieferkettendiversifizierung fördert. Hilfreich wäre hierbei auch eine Ausweitung von Kreditförderprogrammen zur Steigerung der Logistikeffizienz. Die Sicherung des grenzüberschreitenden Handels ist zudem von entscheidender Bedeutung für ärmere Länder, in denen die Gefahr von Engpässen in der Versorgung mit Nahrungsmitteln und medizinischen Produkten besteht. Daher sollten die fortgeschrittenen Volkswirtschaften Kooperationsvereinbarungen über die Errichtung von regionalen Vorräten und Gesundheitsnothilfeprogrammen inklusiv gestalten, um auch den Bedürfnissen der ärmsten Länder Rechnung zu tragen. Besonders wichtig ist es, dass aufstrebende Volkswirtschaften und Entwicklungsländer nicht von den globalen Wertschöpfungsketten abgeschnitten sind, die ihre Wachstumsaussichten verbessern, indem sie ihnen Zugang zu internationalen Märkten, Kompetenzen und Wissen verschaffen.

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Anhang 1.A. Wirtschaftspolitische und sonstige Annahmen für die Projektionen

Die beiden epidemiologischen Szenarien, die als Grundlage für die beiden Wirtschaftsszenarien dienen, sind im Haupttext dargelegt.

In beiden Wirtschaftsszenarien werden unveränderte Wechselkurse gegenüber ihrem Stand vom Freitag, 15. Mai 2020 unterstellt, d. h. es wird ein US-Dollar-Wechselkurs von 107,1 JPY, 0,92 EUR (bzw. ein Euro-Kurs von 1,08 USD) und 7,10 CNY zugrunde gelegt.

Im Double-Hit-Szenario wird davon ausgegangen, dass der Preis für die Rohölsorte Brent während des gesamten Projektionszeitraums konstant bei 30 USD pro Barrel liegt. Im Single-Hit-Szenario wird unterstellt, dass der Ölpreis entsprechend den Terminmarktpreisen im letzten Quartal 2021 auf 42 USD ansteigt. Für die Preise anderer Rohstoffe wird unterstellt, dass sie im Projektionszeitraum in beiden Szenarien konstant auf ihrem durchschnittlichen Niveau von April 2020 verharren.

Die Projektionen für das Vereinigte Königreich beruhen auf der Annahme, dass zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union ab Anfang 2021 ein begrenztes Freihandelsabkommen für Waren gilt.

Redaktionsschluss für die in den Projektionen zugrunde gelegten Daten war der 4. Juni 2020.

Anmerkungen

← 1. Mit der Spanischen Grippe infizierten sich Schätzungen zufolge 500 Millionen Menschen, ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung. Sie forderte mindestens 50 Millionen Todesopfer (Johnson und Mueller, 2002; Taubenberger und Morens, 2006). Anders als die aktuelle COVID-19-Pandemie machte sich die Spanische Grippe stark unter der Bevölkerung im Erwerbsalter bemerkbar: Schätzungen zufolge handelte es sich bei etwa der Hälfte der Todesfälle um Personen zwischen 15 und 40 Jahren (Simonsen et al., 1998).

← 2. So werden z. B. in manchen Ländern nur die Todesfälle in Krankenhäusern oder anderen stationären Einrichtungen erfasst, während in anderen Ländern breiter gemessen wird. Zudem kann es Unterschiede bei der Erfassung der Todesursache geben, wenn die Verstorbenen zusätzlich zur Corona-Infektion noch an anderen Erkrankungen litten.

← 3. Die Definition der in den OECD-Statistiken verwendeten Zahl der Betten für die medizinische Behandlung in Krankenhäusern (Akutbetten) ist weitergefasst als die der Intensivbetten, weshalb die Zahlen in der Regel höher sind als die aktuellen Angaben zu den Bettenkapazitäten für die Intensivversorgung.

← 4. In den großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften ging der Rückgang der Inflationsraten 2009 und 2010 von den Dienstleistungen aus, wobei dieser Effekt in den einzelnen Ländern von unterschiedlicher Dauer war.

← 5. Das reale Pro-Kopf-Einkommen (KKP von 2015) ist im Median der OECD-Volkswirtschaften 2021 im Single-Hit-Szenario um 1 700 USD (3¾ %) niedriger und im Double-Hit-Szenario um 3 500 USD (8¼ %) niedriger als 2019.

← 6. Die Inanspruchnahme von Kreditlinien durch Unternehmen hat sich in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit dem letzten Quartal 2019 fast verdoppelt.

← 7. Brasilien, Chile, Kolumbien, Indien, Indonesien, Mexiko, die Russische Föderation und die Türkei haben in Reaktion auf die Krise bereits interveniert, um ihre Währungen zu stützen.

← 8. Die Rücküberweisungen in Länder der unteren und mittleren Einkommensgruppe könnten 2020 weltweit um fast 20 % zurückgehen (Weltbank, 2020a).

← 9. Die vorgelagerten Unternehmen sind mit größeren Nachfrageschwankungen konfrontiert als die nachgelagerten. Deshalb sind sie einem größeren Risiko von Produktionskürzungen ausgesetzt, das durch die Anpassung der Lagerbestände an neue Nachfrageerwartungen verstärkt wird (sogenannter „Peitscheneffekt“). Analog dazu verursacht ein Mangel an Vorleistungsprodukten im Anschluss an einen Angebotsschock einen „Dominoeffekt“, der sich über alle nachgelagerten Sektoren verbreitet. Dieser Effekt wird umso stärker, je weiter man in der Lieferkette nach vorn blickt.

← 10. Im Fahrzeugbau entstanden durch den Tsunami in Japan Schätzungen zufolge Kosten in Höhe von 139 Mrd. USD (an entgangener Wertschöpfung). Davon entfielen rd. 40 % auf Japan, 25 % auf die Vereinigten Staaten, 8 % auf China, 8 % auf die Europäische Union und 7 % auf Kanada (Weltbank, 2020b). Zum Zeitpunkt der Überflutungen in Bangkok stammten 45 % der Weltproduktion von Computerfestplatten aus dem Großraum Bangkok. Das führte in diesem Jahr zu einem Rückgang des weltweiten Angebots an Festplatten um schätzungsweise 30 % (OECD, 2014).

← 11. Die Bank of Canada, die Bank of England, die Bank of Japan, die Europäische Zentralbank, die Federal Reserve und die Schweizerische Nationalbank.

← 12. Die EZB hat Euro-Swap-Vereinbarungen mit Bulgarien und Kroatien getroffen. Die Bank of Japan und die Bank of Thailand haben eine bilaterale Swap-Vereinbarung für ihre Landeswährungen abgeschlossen.

← 13. Im Euroraum und in den Vereinigten Staaten hat die Bankkreditvergabe an Nichtfinanzunternehmen wegen des großen Liquiditätsbedarfs der Unternehmen bereits deutlich zugenommen; die Verbraucherkredite sind dagegen zurückgegangen.

← 14. Die Bank of Canada hat bereits die Rückführung einiger ihrer Marktoperationen angekündigt, da sich die kurzfristigen Finanzierungsbedingungen deutlich verbessert haben.

← 15. Japan verfolgt bereits seit fast vier Jahren einen Zielwert für die Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen. Ein ähnlicher Vorschlag wird auch in den Vereinigten Staaten diskutiert, dort jedoch für kürzere Laufzeiten (Bernanke, 2016; Brainard, 2019).

← 16. Sollte eine Extremsituation eintreten, in der dauerhaft hohe Spreads die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität – und somit auch die Preisstabilität – bedrohen, könnte die EZB unbegrenzte Interventionen im Rahmen der geldpolitischen Outright-Geschäfte (OMT-Programm) tätigen, wenn ein Mitgliedstaat Finanzhilfen des Europäischen Stabilitätsmechanismus beantragt.

← 17. Im Prinzip wären Zentralbanken auch mit negativem Eigenkapital funktionsfähig (Buiter, 2008). Einige Zentralbanken verfügen über Mechanismen, um Kapitalverluste abzuwenden, indem sie künftige Zahlungen an den Staatshaushalt aufschieben; z. T. stehen auch die fiskalpolitischen Organe offiziell für potenzielle Verluste der Zentralbank ein.

← 18. Unter der Annahme, dass der gesamte bis zum 13. Mai bekanntgegebene Umfang der staatlichen Bürgschaften vollständig zugeteilt wird und diese Bürgschaften 90 % des Kreditwerts garantieren, würde ein Zahlungsausfall bei 10 % der garantierten Kredite fiskalische Kosten von rd. 0,8 % des 2019er BIP in Spanien, 1,2 % in Frankreich und 2,7 % in Italien bewirken.

← 19. Die Gesundheitsausgaben steigen den Projektionen zufolge im OECD-Durchschnitt zwischen 2015 und 2030 um 1,4 % des BIP (Lorenzoni et al., 2019).

← 20. Die öffentlichen Rentenausgaben steigen den Projektionen zufolge im OECD-Durchschnitt zwischen 2015 und 2050 um 0,6 % des BIP (OECD, 2019c).

← 21. Der Enzi-Whitehouse-Gesetzentwurf (November 2019) sieht vor, dass die Haushaltsresolution für den US-Bundeshaushalt, die die Vorlage für das Verfahren der eigentlichen Haushaltszuweisung bildet, in Zukunft Zielvorgaben für die Staatsschuldenquote enthalten soll. Verschuldungserhöhende Gesetze würden dann automatische Anpassungen sowie ein spezielles Gesetzgebungsverfahren erfordern, um den Haushalt mit den Zielvorgaben in Einklang zu bringen. Explizite Zielvorgaben für die langfristige fiskalische Tragfähigkeit könnten dafür sorgen, dass sich die Politikverantwortlichen stärker mit diesen Zielen identifizieren und entschiedener für ihre Einhaltung eintreten.

← 22. Bolton et al. schlagen ein Schuldenmoratorium vor, das über die Vereinbarung zur Aussetzung der Schuldendienstzahlungen für die bilateralen Forderungen der G20-Länder hinausgeht (2020). Ihr Vorschlag sieht vor, dass für jedes Teilnehmerland eine zentrale Kreditfazilität eingerichtet wird, die von einer multilateralen Institution verwaltet und überwacht wird. Diese zieht die Zinszahlungen an alle bilateralen und privaten Kreditgeber ein, damit diese Mittel zur Bekämpfung von COVID-19 verwendet werden können. Schätzungen zufolge könnten mit einem derartigen Moratorium 800 Mrd. USD für Schwellen- und Entwicklungsländer freigesetzt werden, was nahezu 5 % ihres jährlichen BIP entspräche.

← 23. In aufstrebenden Volkswirtschaften, die mit flexiblen Wechselkursen operieren, reagieren die inländischen Finanzbedingungen im Allgemeinen weniger auf das globale Finanzumfeld als in aufstrebenden Volkswirtschaften mit Wechselkursbindung (Obstfeld et al., 2017).

← 24. Die Regulierung der Kapitalzuflüsse wurde in Argentinien, China und Indien bereits gelockert. In Indonesien und in der Türkei sind die Devisenreservesätze schon gesenkt worden (OECD, 2020l).

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