Dieses Themenpapier untersucht die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensinsolvenzen und die möglichen Auswirkungen eines Schuldenüberhangs von Nichtfinanzunternehmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Dabei wird auf Basis einfacher Rechenmodelle ermittelt, in welchem Umfang im Verlauf der Krise die Eigenkapitalpuffer der Unternehmen aufgezehrt werden könnten und wie stark ihre Fremdkapitalquoten steigen könnten. Anschließend wird anhand einer Regressionsanalyse und des historischen Zusammenhangs zwischen der Verschuldung und der Investitionstätigkeit von Unternehmen untersucht, welchen Effekt eine höhere Verschuldung auf die Investitionstätigkeit während der Erholung haben könnte. Vor diesem Hintergrund werden mehrere Politikoptionen aufgezeigt, um die Kurve krisenbedingter Insolvenzen abzuflachen, von denen auch bestandsfähige Unternehmen betroffen sein können, und um das Risiko eines Schuldenüberhangs zu verringern, das die Erholung verlangsamen könnte.
OECD-Wirtschaftsausblick, Ausgabe 2020/2 (Kurzfassung)
Themenpapier 2: Insolvenzen und Schuldenüberhang infolge der COVID-19-Pandemie: Risiken und Politikoptionen
Einleitung
Dank einer raschen und entschiedenen Reaktion der Politikverantwortlichen konnten die Unternehmen im OECD-Raum die kurzfristigen Liquiditätsengpässe überbrücken, die durch den wirtschaftlichen Schock infolge der COVID-19-Pandemie entstanden. Dadurch wurde eine unmittelbare und weitreichende Insolvenzkrise vermieden. Nach der Lockerung, die auf diesen ersten Lockdown folgte, befinden sich nun aber viele Länder in einer zweiten Pandemiewelle. Der beispiellose Schock zwingt die Unternehmen, ihre Liquiditäts- und Eigenkapitalpuffer aufzubrauchen und neue Finanzierungsmittel aufzunehmen. Infolgedessen droht es zu einer Welle von Unternehmensinsolvenzen und einem deutlichen Anstieg der Verschuldung zu kommen, mit lang andauernden negativen Folgen für die Investitionstätigkeit und die Beschäftigungsschaffung.
Aufbauend auf früheren Arbeiten (OECD, 2020a), die sich vor allem mit dem kurzfristigen Risiko einer Liquiditätskrise befassten, werden in diesem Themenpapier zwei wesentliche mittel- und langfristige Risiken untersucht:1
Weitreichende Unternehmensschieflagen und zunehmende Verschuldung. Die Zahl der Nichtfinanzunternehmen in Schieflage, d. h. Unternehmen, für die ein negatives buchmäßiges Eigenkapital prognostiziert wird und die somit einem hohen Insolvenzrisiko ausgesetzt sind, steigt weltweit. Mit einem Rechenmodell werden auf Basis einer Stichprobe von fast 1 Million Unternehmen in 14 europäischen Ländern der Rückgang des Nettogewinns innerhalb eines Jahres, die damit einhergehende Verringerung des Eigenkapitals und der Anstieg der Fremdkapitalquoten ermittelt.
Der negative Effekt eines Schuldenüberhangs auf die Investitionstätigkeit. Durch höhere Verschuldung werden Unternehmen nach Wirtschaftskrisen gezwungen, ihre Investitionstätigkeit zu reduzieren. Dadurch wird das Erholungstempo gebremst. Auf Basis einer Regressionsanalyse und der Betrachtung des historischen Zusammenhangs zwischen der Investitionstätigkeit und der Fremdkapitalquote von Unternehmen sowie dieses Zusammenhangs während der globalen Finanzkrise wird berechnet, wie sich der projizierte Anstieg der Verschuldung während der Erholung von der Corona-Krise auf die Investitionsquoten auswirken könnte.
In Anbetracht dieser Risiken werden Optionen für politische Entscheidungsträger erörtert, um Masseninsolvenzen zu verhindern und die Unternehmen zu unterstützen, ohne ihre Schulden und Fremdkapitalquoten weiter zu erhöhen. Die Unterscheidung zwischen bestandsfähigen und nicht bestandsfähigen Unternehmen dürfte durch das beispiellose Ausmaß der Krise und die große Unsicherheit, mit der sich Unternehmen nach wie vor konfrontiert sehen, erschwert werden. In dieser Situation müssen zwei Risiken gegeneinander abgewogen werden: das Risiko, möglicherweise nicht überlebensfähige Unternehmen zu stützen, und das Risiko, bestandsfähige und produktive Unternehmen in eine verfrühte Abwicklung zu treiben. Hintergrund ist, dass die Effizienz von Insolvenzverfahren in Krisenzeiten in der Regel abnimmt, insbesondere wenn die Gerichte überlastet sind. Dies kann dazu führen, dass mehr überlebensfähige Unternehmen abgewickelt werden als wünschenswert wäre, mit negativen Folgen für das Wachstum (Iverson, 2018).
Damit nicht bereits in einem sehr frühen Stadium ermittelt werden muss, welche Unternehmen letztlich nicht überlebensfähig sind, müssen bei den Stützungsmaßnahmen Optionen offengehalten werden. Das heißt, dass die Unterstützung der Unternehmen bei der Bewältigung der Corona-Krise mit einer regelmäßigen Überprüfung ihrer Bestandsfähigkeit einhergehen sollte. Generell bietet sich ein mehrdimensionaler Kaskadenansatz als mögliche Strategie an. Die politisch Verantwortlichen könnten zunächst eine „Abflachung der Insolvenzkurve“ anstreben, indem sie zusätzliche Mittel bereitstellen, damit in Schieflage geratene Unternehmen ihr Eigenkapital wieder aufstocken können. Wenn diese zusätzlichen Mittel nicht ausreichen, könnten die Politikverantwortlichen eine rasche Umschuldung fördern. Dadurch würde den finanziell angeschlagenen Unternehmen eine reibungslose Fortführung ihres Geschäftsbetriebs ermöglicht. Diese beiden Schritte dürften die Zahl der eigentlich bestandsfähigen Unternehmen, die abgewickelt werden, verringern. Darüber hinaus könnte mit Blick auf Unternehmen, die trotz staatlicher Hilfen und Umschuldung nicht überlebensfähig sind, die Effizienz der Abwicklungsverfahren verbessert werden, damit potenziell produktive Ressourcen freigegeben werden. Mit der Zeit werden die Politikverantwortlichen besser absehen können, wie die Normalität nach der Pandemie aussehen wird. Möglicherweise müssen dann Maßnahmen ergriffen werden, um die infolge der Corona-Krise notwendigen Reallokationen zu erleichtern.
Eigenkapital, Verschuldung und Schuldenüberhang: empirische Analyse
Evaluierung des Pandemieeffekts auf die Finanzlage von Unternehmen
Mit einem einfachen Rechenmodell wie in Carletti et al. (2020) wird der Effekt der Pandemie auf die langfristige Tragfähigkeit von Unternehmen quantitativ evaluiert. Der wirtschaftliche Schock wird als Veränderung des Betriebsergebnisses der Unternehmen modelliert, die daraus resultiert, dass die Umsätze der Unternehmen drastisch einbrechen und die Betriebsausgaben nicht in entsprechendem Umfang reduziert werden können. Nach Berechnung des Gewinnrückgangs und Berücksichtigung der in der ersten Phase der Krise ergriffenen staatlichen Maßnahmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen wird die Entwicklung der Unternehmensfinanzen anhand von zwei Aspekten evaluiert.2 Erstens wird der neue hypothetische Wert des buchmäßigen Eigenkapitals (d. h. der Saldo aus dem Buchwert des Vermögens und der Verbindlichkeiten) ein Jahr nach der Einführung von Lockdown-Maßnahmen berechnet. Unternehmen, für die ein negatives buchmäßiges Eigenkapital prognostiziert wird, werden in diesem Modell als in Schieflage befindlich und somit insolvenzgefährdet eingestuft. Diese Berechnung gibt Aufschluss darüber, wie viel Eigenkapital erforderlich wäre, um die Kapitalstruktur wiederherzustellen, die die Unternehmen vor der Krise hatten. Zweitens quantifiziert das Modell den Anstieg der Fremdkapitalquoten der Unternehmen, der durch den Rückgang des Eigenkapitals im Vergleich zu einem Szenario ohne COVID-19 verursacht wird.
Der in dieser Analyse zugrunde gelegte Umfang des sektoralen Umsatzrückgangs beruht auf den Erstrundeneffekten des Nachfrage- und Angebotsschocks, die von del Rio-Chanona et al. (2020) auf detaillierter sektoraler Ebene berechnet werden und die erhebliche Heterogenität bei der Homeoffice-Eignung der einzelnen Sektoren berücksichtigen.3 Hinsichtlich der Dauer des Schocks bietet das Modell zwei Alternativszenarien. 1. Ein „günstigeres“ Szenario mit einem drastischen Konjunkturrückgang für die Dauer von zwei Monaten (was der durchschnittlichen Dauer des Pandemieschocks entspricht, den die meisten Länder im zweiten Quartal 2020 verzeichneten), gefolgt von einer schrittweisen, aber nicht vollständigen Erholung im restlichen Jahresverlauf. 2. Ein „ungünstigeres“ Szenario, das sich anfänglich mit dem „günstigeren“ Szenario deckt, dann aber aufgrund umfassenderer weiterer Infektionsausbrüche verbunden mit strengeren Mobilitätsbeschränkungen eine langsamere Erholung unterstellt.
Für die Analyse der finanziellen Vulnerabilität der Unternehmen werden die Finanzberichte von Nichtfinanzunternehmen aus der neuesten Ausgabe der Orbis-Datenbank herangezogen. Nach Durchführung von Bereinigungsverfahren besteht die endgültige Stichprobe aus 872 648 Einzelunternehmen in 14 europäischen Ländern, die im Verarbeitenden Gewerbe und im Sektor der nichtfinanziellen Dienstleistungen tätig sind.4 Da ermittelt werden soll, inwiefern der Corona-Schock solvente Unternehmen in die Krise treiben könnte, werden jene Unternehmen aus der Stichprobe ausgeklammert, die auch unter normalen Umständen in Schieflage gewesen wären (z. B. Unternehmen mit negativem buchmäßigem Eigenkapital zum Jahresende 2018) und negative Gewinne ausgewiesen hätten. Die Ergebnisse zeigen daher nicht den Gesamteffekt, sondern den zusätzlichen Effekt infolge des Corona-Schocks.
Der drastische Gewinnrückgang schmälert die Eigenkapitalpuffer
Der geschätzte Gewinnrückgang ist enorm: Im Schnitt liegen die Unternehmensgewinne je nach Szenario um 40-50 % unter dem normalen Niveau. Nach diesem drastischen Gewinneinbruch würden im günstigeren (ungünstigeren) Szenario 7,3 % (9,1 %) der ansonsten bestandsfähigen Unternehmen in Schieflage geraten (Figure 2.1). Dadurch wären 6,2 % (7,7 %) der Arbeitsplätze, die zuvor als sicher galten, gefährdet. Dieser inkrementelle Effekt infolge des Corona-Schocks bedeutet, dass sich die Gesamtzahl der notleidenden Unternehmen im Vergleich zu normalen Zeiten verdoppelt. In normalen Zeiten, d. h. einem Szenario ohne COVID-19, befinden sich geschätzt ungefähr 8 % der Unternehmen in Schieflage.
Die Ergebnisse sind je nach Sektor und Art des Unternehmens unterschiedlich. Im Gastgewerbe liegt der Anteil der eigentlich bestandsfähigen Unternehmen, der durch die Pandemie in Schieflage gerät, bei 26 % (32 % im ungünstigeren Szenario), im Informations- und Kommunikationssektor sowie in den freien Berufen dagegen bei nahezu null (Figure 2.1). Die Sektoren Verkehr und Lagerei, Handel, Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie sonstige Dienstleistungen sind ebenfalls stark von der Krise betroffen.5 Im Verarbeitenden Gewerbe liegt der Anteil der notleidenden Unternehmen unter dem Durchschnitt. Generell sind Sektoren mit einem hohen Anteil an materiellen Investitionen verhältnismäßig stärker betroffen als Sektoren mit einem hohen Anteil an immateriellen Investitionen. Dies steht im Einklang mit der unterschiedlichen Fähigkeit von Unternehmen, innovative Technologien und Homeoffice zu nutzen (Figure 2.2, Teil A). Produktivere Unternehmen sind vergleichsweise weniger betroffen als Unternehmen mit geringer Produktivität. Dennoch gerät Schätzungen zufolge ein nicht unwesentlicher Prozentsatz der Unternehmen im obersten Quartil der Produktivitätsverteilung in Schieflage (Figure 2.2, Teil B). Ältere und größere Unternehmen sind ebenfalls besser in der Lage, dem Schock standzuhalten, als jüngere und kleinere Unternehmen (Figure 2.2, Teil C und D).
Die Unternehmen werden hoch verschuldet und mit verminderter Schuldendienstfähigkeit aus der Krise hervorgehen
Der Rückgang des Eigenkapitals im Vergleich zu normalen Zeiten wirkt sich unmittelbar auf die Fremdkapitalquoten der Unternehmen aus: Im Median erhöht sich die Fremdkapitalquote der Stichproben-Unternehmen im günstigeren Szenario um 6,7 Prozentpunkte und im ungünstigeren Szenario um 8 Prozentpunkte (Figure 2.3, Teil A). Die Fremdkapitalquoten dürften infolge des Corona-Schocks über das gesamte Spektrum der Vorkrisen-Verteilung deutlich steigen. Die neue Verteilung der Unternehmen nach Fremdkapitalquoten zeigt jedoch auch, dass der Anteil der Unternehmen mit einer sehr hohen Fremdkapitalquote größer wird. Dies unterstreicht die Wahrscheinlichkeit einer massenhaften Überschuldung (Figure 2.3, Teil B).
Zudem könnte der erhebliche Gewinnrückgang im Vergleich zum Normalszenario die Schuldendienstfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen. Figure 2.4 zeigt, dass trotz der Annahme, dass sich die Zinszahlungen im Vergleich zu normalen Zeiten nicht erhöhen, im günstigeren Szenario 30 % (im ungünstigeren 36 %) der Unternehmen nicht profitabel genug sind, um ihren Zinsaufwand zu decken – d. h. sie haben einen Zinsdeckungsgrad von unter 1. Dementsprechend dürfte sich durch die Corona-Pandemie der Zinsdeckungsgrad im Median ungefähr halbiert haben. In Figure 2.4 werden die Ergebnisse auch auf Sektorebene aufgeschlüsselt. Dabei zeigt sich erneut, dass zwischen den einzelnen Sektoren erhebliche Unterschiede bestehen und ein entsprechend hoher Anteil der Unternehmen im Gastgewerbe und in den Sektoren Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Verkehr und Lagerei Schwierigkeiten haben wird, seine Schulden zu bedienen. Wie nicht anders zu erwarten, sind den Schätzungen zufolge auch hierbei junge, kleine und weniger produktive Unternehmen stärker von der Krise betroffen.
Hohe Schulden in Verbindung mit hohem Ausfallrisiko könnten die Erholung gefährden
Durch den Anstieg der Verschuldung und des Ausfallrisikos entsteht bei den Unternehmen das Risiko eines Schuldenüberhangs. Unternehmen mit hohen ausstehenden Schulden und hohem Ausfallrisiko geraten durch ihre verminderte Investitionsfähigkeit und ihren begrenzten Zugang zu neuen Krediten unter Druck, durch Kosteneinsparungen und Personalabbau ihre Verschuldung zu verringern, selbst wenn sie eigentlich über profitable Anlagechancen verfügen. Dies könnte die Erholung verlangsamen. Wie die Frühphase der Krise gezeigt hat, sind durch eine Kombination aus negativer Umsatzentwicklung, großer Unsicherheit über die zukünftigen Umsatz- und Gewinnchancen und wachsenden Schuldenlasten die Ausfallrisiken gestiegen. Dies hat dazu geführt, dass die Kreditratings vieler Unternehmen herabgestuft wurden. So wurden beispielsweise im März 2020 die Kreditratings von 389 Nichtfinanzunternehmen im OECD-Raum gesenkt, verglichen mit 61 Herabstufungen im März 2019. Die Verschlechterung der Kreditqualität könnte wiederum die Bankbilanzen schwächen und die Kreditvergabe an Unternehmen mit guten Wachstumschancen verringern.
Um die Auswirkungen der wachsenden Verschuldungswelle infolge der Corona-Pandemie auf die Investitionstätigkeit sowie die potenzielle Größenordnung des Effekts zu schätzen, werden zwei separate empirische Analysen durchgeführt:6
Mit einer Paneldatenanalyse nach einem ähnlichen Prinzip wie in Barbiero et al. (2020) wird der historische Zusammenhang zwischen Verschuldung und Investitionstätigkeit im Zeitraum 1995-2018 untersucht. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass bei einem Anstieg der Fremdkapitalquote in einem ähnlichen Umfang wie in unserem Rechenmodell prognostiziert im günstigeren (ungünstigeren) Szenario ein Rückgang der Investitionsquote um 2 Prozentpunkte (2,3 Prozentpunkte) zu erwarten wäre (Figure 2.5, Teil A).
Mit einer Querschnittsanalyse nach einem ähnlichen Prinzip wie in Kalemli-Ozcan et al. (2019) werden die spezifischen Merkmale dieses Zusammenhangs während der globalen Finanzkrise untersucht. Die Ergebnisse bestätigen die vorherigen Befunde. Sie zeigen, dass der Zusammenhang auch bei einem erheblichen Schock wie der globalen Finanzkrise Bestand hat und dass der Effekt, den die Veränderung der Verschuldung auf die Investitionstätigkeit hat, in den einzelnen Unternehmen unterschiedlich ausfällt. Unternehmen, deren Fremdkapitalquote zu Beginn der globalen Finanzkrise höher war, verzeichneten einen stärkeren Rückgang ihrer Investitionstätigkeit. Bei Unternehmen mit anfänglich sehr niedriger Verschuldung hingegen könnte eine Erhöhung des Fremdkapitals die Investitionstätigkeit steigern (Figure 2.5, Teil B).
Insgesamt bestätigt die Analyse, dass ein Schuldenüberhang die Investitionstätigkeit hemmen und eine schnelle Erholung nach der COVID-19-Pandemie behindern könnte, da bereits Anfang 2020 Rekordschuldenstände verzeichnet wurden und die Unternehmensverschuldung wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie weiter zunimmt.
Politikoptionen
Die empirische Analyse zeigt, dass die Zunahme der Unternehmensschulden die Erholung gefährden könnte. Das lässt darauf schließen, dass die Regierungen bei der Ausgestaltung der Hilfsprogramme sorgfältig vorgehen sollten. In der Anfangsphase der COVID-19-Krise bestand ein wichtiges Mittel, Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten zu entlasten und vorzeitige Insolvenzen zu verhindern, darin, Kreditraten vorübergehend zu stunden oder die Kreditrückzahlung privaten Akteuren (z. B. Banken in den Niederlanden) oder staatlichen Stellen (z. B. Kredite des Tourismusministeriums in Spanien) zu übertragen. Kreditbürgschaften halfen in Schieflage geratenen Unternehmen ebenfalls, ihre unmittelbaren finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen und verhinderten dadurch eine erhebliche Zunahme von Zahlungsausfällen (z. B. die Überbrückungskredite bzw. Kreditbürgschaften für kurzfristige Kredite, die von spezialisierten österreichischen Banken abgewickelt werden). Solche Hilfsmaßnahmen vernachlässigen aber möglicherweise die mit dem Anstieg der Verschuldung verbundene Frage der langfristigen Überlebensfähigkeit. Im weiteren Teil dieses Themenpapiers werden die Politikoptionen beleuchtet, in Schieflage geratene Unternehmen zu unterstützen, ohne ihre Investitionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Zunächst wird die Ausgestaltung der Krisenmaßnahmen behandelt und die Notwendigkeit erörtert, bei der Rekapitalisierung notleidender Unternehmen Eigenkapitalhilfen gegenüber Fremdkapitalfinanzierung vorzuziehen. Zweitens wird die Rolle untersucht, die Umschuldungsverfahren spielen können, um den Schuldenüberhang abzubauen und wirtschaftlich bestandsfähige von nicht überlebensfähigen Unternehmen zu unterscheiden.
Die Insolvenzkurve abflachen und das Risiko eines Schuldenüberhangs reduzieren
Eine Möglichkeit, überlebensfähige Unternehmen zu unterstützen, ohne ihre Verschuldung zu erhöhen, besteht darin, das Eigenkapital aufzustocken. Wird einem Unternehmen anstelle von mehr Fremdkapital mehr Eigenkapital zugeführt, so verbessern sich der Verschuldungsgrad und der Zinsdeckungsgrad. Dadurch sinken die Refinanzierungskosten des Unternehmens, was eine mögliche Erholung unterstützt. In Zeiten hoher Unsicherheit über das künftige Umsatzwachstum kann Eigenkapitalfinanzierung auch aus der Sicht der Unternehmen wünschenswert sein, da Eigenkapital wie ein automatischer Stabilisator wirkt. Die Regierungen haben verschiedene Politikoptionen, Kapitalbeteiligungen zur Unterstützung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen auszuweiten.
Verstärkt auf Eigenkapital und Quasieigenkapital zurückgreifen
Für überlebensfähige Unternehmen, die nur durch die COVID-19-Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, anschließend aber wahrscheinlich wieder profitabel sein werden, wären Eigenkapitalhilfen ein sinnvolles Instrument, um ihr Betriebskapital zu finanzieren. Dies würde ihre Bilanz weniger belasten und ihre Chancen verbessern, in Zukunft wieder Fremdkapital aufzunehmen. Hybride Instrumente wie Vorzugsaktien scheinen besonders gut geeignet, weil sie im Abwicklungsfall einen vorrangigen Anspruch auf Dividenden und Vermögenswerte sichern. Da sie nicht mit Stimmrechten verbunden sind, ist keine aktive Beteiligung des Staats an der Geschäftsführung erforderlich. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass die Verluste für die Steuerzahler*innen minimiert werden, dass der Wettbewerb auf den Märkten nicht übermäßig verzerrt wird und dass andere Investoren nicht durch die Eigenkapitalhilfen verdrängt werden (OECD, 2020h). Die Unterstützung sollte folglich situationsabhängig sein und allen Beteiligten Anreize geben, die Maßnahmen auslaufen zu lassen, sobald sich die Wirtschaftslage verbessert (OECD, 2020c; OECD, 2020d). Befristete Formen von Vorzugsaktien, z. B. rückzahlbare Vorzugsaktien, würden außerdem helfen, bereits im Vorfeld eine Exit-Strategie zu formulieren.
Finanzhilfen für KMU und Start-ups können einen anderen und umfassenderen Ansatz erfordern, da die Aktienmärkte für kleine und mittlere sowie junge Unternehmen weniger liquide sind bzw. häufig gar nicht existieren.7 Dies erschwert die Bewertung von Eigenkapital und folglich die Ausgestaltung der Kapitalspritze. Neben direkten Eigenkapitalhilfen könnten die politisch Verantwortlichen auch auf indirekte Maßnahmen zurückgreifen. Kreditrückzahlungen könnten beispielsweise an die Erträge der Unternehmen geknüpft werden: Unternehmen, die sich besser erholen, zahlen mehr zurück – in Form künftiger Steuern – während Unternehmen, die länger in Schwierigkeiten sind, weniger zurückzahlen. Eine solche Unterstützung hätte mehrere Vorteile. Sie könnte helfen, die Insolvenzkurve abzuflachen. Außerdem wären Vereinbarungen, in denen Unternehmen sich verpflichten, als Gegenleistung für staatlich garantierte Kredite in Zukunft höhere Steuern zu zahlen, leichter zu überwachen als eine hohe Zahl von Eigenkapitalhilfen in vielen einzelnen Unternehmen.
Eine weitere sinnvolle Maßnahme, den Finanzbedarf von KMU zu decken, ohne ihre Schuldenlast zu erhöhen, besteht darin, staatliche (krisenbezogene) Kredite in Zuschüsse umzuwandeln. Dafür ist allerdings ein ausreichender fiskalischer Spielraum erforderlich. In den Vereinigten Staaten wäre es beispielsweise möglich, im Rahmen des „Paycheck Protection Program“ vergebene Kredite in Zuschüsse umzuwandeln. Als Bedingung könnte festgelegt werden, dass die begünstigten Unternehmen mindestens drei Viertel des Kredits für Lohnkosten und den Rest für Miete und Rechnungen von Versorgungsbetrieben ausgeben. Ein weiteres Beispiel ist das Soforthilfeprogramm, das die deutsche Bundesregierung aufgelegt hat, um kleinen Unternehmen, Soloselbstständigen und Angehörigen der Freien Berufe Zuschüsse zu gewähren. Die Beihilfe ist für laufende Betriebskosten wie gewerbliche Mieten und Leasingaufwendungen gedacht, die Anträge sind direkt bei den zuständigen Landesbehörden zu stellen und der Höchstbetrag des Zuschusses hängt von der Unternehmensgröße ab.
Die Aufnahme und Bereitstellung von Beteiligungskapital fördern
Eine Möglichkeit, die Nutzung von Eigenkapital nach der Corona-Pandemie verstärkt zu fördern, ist die Zinsbereinigung des Eigenkapitals von Unternehmen. Eine solche steuerliche Abzugsmöglichkeit würde die Steuervorteile der Fremdfinanzierung teilweise oder vollständig ausgleichen und die Eigenkapitalfinanzierung attraktiver machen. Die Zinsbereinigung des Eigenkapitals sollte allerdings so ausgestaltet sein, dass multinationale Unternehmen sie nicht für Steuerplanungszwecke ausnutzen können und dass die fiskalischen Kosten akzeptabel sind, beispielsweise indem die Abzugsmöglichkeit nur für neues Eigenkapital gewährt wird. Im OECD-Raum haben einige Länder (wie Italien und Belgien) bereits eine solche Regelung eingeführt oder damit experimentiert, und ihre Erfahrung kann als Vorbild dienen (Zangari, 2014; Hebous und Ruf, 2017). Einkommensteuer- und Kapitalertragsteuerermäßigungen für anrechenbare Investitionen können die Bereitstellung von privatem Beteiligungskapital fördern. Solche Steueranreize werden häufig genutzt, um Investitionen in hochriskante Unternehmen in der Frühphase anzukurbeln. Ein gutes Beispiel dafür sind das Enterprise Investment Scheme und das Seed Enterprise Investment Scheme im Vereinigten Königreich. Sie könnten jedoch auch einem breiteren Spektrum von Unternehmen gewährt werden, z. B. kleineren Unternehmen, die mit Finanzierungsengpässen konfrontiert sind.
Debt-Equity-Swaps sind ein weiteres Instrument, einem hohen Verschuldungsgrad entgegenzuwirken. Dabei geht es darum, ausstehende Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, in einem ansonsten überlebensfähigen Unternehmen in Eigenkapital umzuwandeln. Debt-Equity-Swaps können in der Theorie attraktiv erscheinen, werfen aber einige praktische Fragen auf. Ein Debt-Equity-Swap erfordert die Schätzung des Marktwerts des Fremd- und Eigenkapitals und eine Einigung zwischen den Gesellschaftern und den Gläubigern über das Umtauschverhältnis. Bei KMU, insbesondere kleineren Unternehmen, wird eine kosteneffiziente Schätzung des Marktwerts des Eigenkapitals durch fehlende Aktienmärkte behindert. Daher dürften sich Debt-Equity-Swaps vor allem dann zur Verringerung eines hohen Verschuldungsgrads eignen, wenn eine Einigung der Beteiligten über die Bedingungen der Transaktion wahrscheinlich ist. Das gilt z. B. für Tochtergesellschaften eines Großunternehmens. Als allgemeines Politikinstrument sind sie weniger geeignet.
Neben den unmittelbaren kurzfristigen Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie gibt es auch Optionen, die auf eine Weiterentwicklung der Aktienmärkte abzielen. Dazu gehört ein besserer Zugang kleinerer Unternehmen zu den Aktienmärkten, z. B. durch eine Reduzierung der Kosten und eine Optimierung der Anforderungen für die Börsenzulassung (Kaousar Nassr und Wehinger, 2016). In den EU-Ländern könnten die coronabedingten Eigenkapitalhilfen beispielsweise die Umsetzung der Kapitalmarktunion beschleunigen, was wiederum dazu beitragen könnte, die Segmentierung innerhalb der EU entlang der nationalen Grenzen zu überwinden. Darüber hinaus können die politisch Verantwortlichen die Entwicklung und Attraktivität der Aktienmärkte verbessern, indem sie die Aktienkultur und das Finanzwissen von Unternehmer*innen durch die Förderung der finanziellen Allgemeinbildung stärken.
Überlebensfähige Unternehmen sollten umstrukturiert, nicht rentable Unternehmen abgewickelt werden
Eigenkapital- und Quasieigenkapitalhilfen könnten für eine Betriebsfortführung unzureichend sein, wenn der Verschuldungsgrad und das Ausfallrisiko der Unternehmen hoch bleiben. Bei diesen Unternehmen kann die Reduzierung der Schuldenlast durch eine Umstrukturierung sowohl den Zeitpunkt eines möglichen Zahlungsausfalls als auch ihre Investitionsmöglichkeiten beeinflussen (Frantz und Instefjord, 2019). Die meisten Länder haben ihre Insolvenzordnung bereits geändert, um insolventen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschäftstätigkeit kurzfristig fortzusetzen. Die Maßnahmen umfassen die Lockerung der Insolvenzanmeldepflicht (z. B. Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien) und die Einschränkung des Gläubigerrechts, durch Insolvenzanträge Insolvenzverfahren zu erzwingen (Italien, Schweiz, Spanien und Türkei) (OECD, 2020e; INSOL International-World Bank Group, 2020). Es wäre jedoch auch sinnvoll, strukturelle Veränderungen an Aspekten des Insolvenzrechts vorzunehmen, die eine erfolgreiche Umstrukturierung behindern können. Dies könnte dazu beitragen, die Ansprüche der Gläubiger so zu koordinieren, dass die Bestandsfähigkeit des Unternehmens erhalten bleibt. Die Krise kann eine Chance sein, solche Reformen umzusetzen.
Neue Finanzmittel begünstigen
Die Betriebsfortführung während der Umstrukturierung erhöht die Chancen einer erfolgreichen Umstrukturierung. Die Unternehmen benötigen jedoch häufig Überbrückungsfinanzierungen. Der Zugang zu neuen Finanzmitteln kann jedoch schwierig sein, wenn die Verschuldung bereits hoch ist und das Ausfallrisiko beträchtlich ist, was zu einem Schuldenüberhang führt. Im OECD-Raum ist die Position neuer Investoren unterschiedlich geregelt: kein Vorrang gegenüber bestehenden Gläubigern, Vorrang nur gegenüber den unbesicherten Gläubigern oder Vorrang gegenüber besicherten und unbesicherten Gläubigern. In normalen Zeiten muss das Insolvenzrecht zwischen zwei Zielen abwägen: Anreize für Schuldner, zu investieren und Risiken einzugehen, und Anreize für Gläubiger, Mittel bereitzustellen. Neue Finanzmittel sollten deshalb Vorrang gegenüber unbesicherten Gläubigern haben, aber nicht gegenüber besicherten Altgläubigern, weil dies die langfristige Verfügbarkeit von Krediten und die Rechtssicherheit beeinträchtigen würde (Adalet McGowan und Andrews, 2018). Mehrere OECD-Länder gewähren neuen Finanzmitteln derzeit aber keinen Vorrang. Es wäre deshalb sinnvoll, einen Vorrang gegenüber unbesicherten Gläubigern einzuführen. Im Kontext der derzeitigen Krise und unter der Annahme, dass die umfassenden Bürgschaften und Liquiditätsspritzen die richtigen Firmen erreichen, ist eine Blockierung des „Kreditkanals“ aber möglicherweise nicht die Hauptsorge. Eine alternative aber kontroversere Option, den Zugang zu neuen Finanzmitteln zu verbessern, besteht darin, den Vorrang besicherter Gläubiger gegenüber neuen Investoren vorübergehend auszusetzen, wenn diese in notleidende Unternehmen investieren (Gurrea-Martínez, 2020).
Vorinsolvenzverfahren fördern
Effiziente Vorinsolvenzverfahren und Umschuldungen könnten helfen, dem Problem des Schuldenüberhangs zu begegnen, indem die negativen Auswirkungen des Fremdkapitalabbaus auf das BIP-Wachstum verringert und die Abwicklung notleidender Kredite beschleunigt werden (Carcea et al., 2015; Bricongne et al., 2016). Die meisten OECD-Länder verfügen über Vorinsolvenzverfahren, in den nichteuropäischen OECD-Ländern gab es sie jedoch generell bis vor Kurzem nicht (Adalet McGowan und Andrews, 2018). Mehrere Länder haben in den letzten Jahren außergerichtliche Verfahren gestärkt. Seit 2018 haben Gerichte in Belgien beispielsweise die Möglichkeit, einen Vergleich gegen ablehnende Gläubigerklassen durchzusetzen. Litauen hat sein Insolvenzrecht 2020 reformiert. Die Einleitung und Abwicklung von Privat- und Unternehmensinsolvenzen wurde beschleunigt und die Befriedigungsquote der Gläubiger wurde verbessert. Gemäß dem entsprechenden OECD-Indikator gehört Litauen damit zu den Ländern mit den effizientesten Insolvenzordnungen (OECD, erscheint demnächst). Darüber hinaus haben mehrere Länder Kreditgeber dazu angehalten, mit Schuldnern, die erheblich von der Corona-Krise betroffen sind, außergerichtliche Vereinbarungen zu schließen, insbesondere wenn es dabei nur um einen Aufschub der Kreditrückzahlungen geht (Australien, China, Indien, Malaysia und Singapur). Präventive Restrukturierungsrahmen oder Vorinsolvenzverfahren, wie sie beispielsweise in der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und die zweite Chance vorgesehen sind, könnten generell durch Anreize für private Gläubiger zur Schuldenumstrukturierung ergänzt werden. Dazu gehören etwa Steueranreize (z. B. Steuerbefreiungen für Gläubiger, die einen Teil der Schulden erlassen). Für die effektive Ausgestaltung dieser Maßnahmen gibt es bereits Leitlinien, wie das „Toolkit for Out-of-Court Restructuring“ der Weltbank (Weltbank, 2016)
Sonderbestimmungen für KMU einführen
KMU müssen in einer Schuldenumstrukturierungsstrategie möglicherweise anders behandelt werden als andere Unternehmen, da komplexe, langwierige und starre Verfahren, die erforderlichen Sachkenntnisse und die hohen Kosten von Insolvenzverfahren diese Unternehmen überfordern können. KMU werden mit größerer Wahrscheinlichkeit abgewickelt als umstrukturiert, da sie Kosten tragen müssen, die überproportional höher sind als bei größeren Unternehmen. In der aktuellen Situation, in der das Insolvenzrisiko von KMU hoch ist, könnten die sozialen Kosten ineffizienter Schuldenumstrukturierungen für KMU sehr hoch sein.
Vor diesem Hintergrund können formale Verfahren für KMU vereinfacht werden. Und informelle Verfahren, mit denen die Komplexität und die Dauer von Gerichtsverfahren generell vermieden werden können und die häufig mit besseren Ergebnissen für KMU assoziiert sind, können relativ schnell eingeführt werden (Weltbank, 2020). Mehrere Länder haben als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie Maßnahmen ergriffen, um die Insolvenzverfahren für KMU zu vereinfachen. Die neue COVID-19-Stundung in der Schweiz bietet KMU ein unbürokratisches Verfahren, ihre Zahlungsverpflichtungen vorübergehend auszusetzen. Brasilien hat vereinfachte Insolvenzregeln für KMU vorgeschlagen (die gerichtlichen Umstrukturierungspläne ermöglichen die Rückzahlung der Schulden in bis zu 60 Monatsraten, anstelle von 36 Monatsraten, wie dies derzeit der Fall ist). In den Vereinigten Staaten wurde der im Small Business Reorganisation Act von 2019 vorgesehene Schwellenwert für vereinfachte Insolvenzregeln erhöht, um mehr Unternehmen Zugang zum vereinfachten Verfahren zu gewähren. Derartige vereinfachte Regeln und mehr Flexibilität bei den Zahlungsplänen könnten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass unrentable KMU aus dem Markt ausscheiden und wirtschaftlich bestandsfähige KMU, die mit vorübergehenden finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert sind, umgehend umstrukturiert werden.
Die Schuldenumstrukturierung von Großunternehmen systemisch angehen
In normalen Zeiten scheint die gerichtliche Schuldenumstrukturierung von großen Unternehmen weitgehend effizient zu sein. In systemischen Krisen kann eine Umstrukturierung einzelner Unternehmen jedoch schwierig werden, privates Kapital ist nur begrenzt verfügbar und die Koordinierungsprobleme werden gravierender. Unter diesen Umständen kann eine gerichtlich überwachte Umstrukturierung zu zeitaufwendig sein. Vor diesem Hintergrund sollten staatliche Stellen soweit wie möglich außergerichtliche Vergleiche priorisieren – eine Strategie, die sich nach der Weltfinanzkrise als erfolgreich erwiesen hat (Bernstein et al., 2019; Hotchkiss et al., 2012). Wenn eine außergerichtliche Umstrukturierung schwierig ist, weil die Zahl der Gläubiger zu hoch ist, könnte ein zentralisierter außergerichtlicher Ansatz sinnvoll sein; wie etwa die von der Bank of England in den 1990er Jahren entwickelte zentralisierte außergerichtliche Schuldenumstrukturierung (der sogenannte „London approach“) oder der in den Vereinigten Staaten entwickelte Ansatz für den Umgang mit systemischen Krisen („super Chapter 11“).
Die Effizienz der Abwicklungsverfahren erhöhen, um die Ressourcenallokation zu verbessern
Eigenkapitalhilfen für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten und Schuldenumstrukturierungen dürften die Zahl unerwünschter Insolvenzen eindämmen. Einige Unternehmen werden aber auch in der Welt nach Corona nicht überlebensfähig sein (z. B. aufgrund ihres Geschäftsmodells, ihrer Finanzlage oder ihrer Spezialisierung). Angesichts dieser Gefahr müssen die politisch Verantwortlichen mehrere Herausforderungen adressieren, um eine effiziente Abwicklung dieser Unternehmen sicherzustellen.
Die Einbringungsquote für die Gläubiger maximieren. Wenn die Zahl der in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen zu hoch ist, werden die Gerichte überlastet, die regulären Insolvenzverfahren funktionieren weniger effektiv, und die Einbringungsquoten der Gläubiger können zurückgehen, möglicherweise auf das Preisniveau von Notverkäufen. Jede Reform, die gerichtliche Verfahren vereinfachen und beschleunigen kann, wäre hilfreich. Kurzfristig könnte die Einbringungsquote der Gläubiger durch eine bessere Ausstattung des Justizsystems verbessert werden. Es wäre beispielsweise möglich, die Zahl der Insolvenzrichter*innen vorübergehend zu erhöhen oder die Zahl der Richterstellen je nach Auslastung anders auf die einzelnen Gerichtsbezirke zu verteilen.
Unabhängigkeit bei der Abwicklung sicherstellen. Staatliche Stellen, wie beispielsweise öffentliche Entwicklungsbanken, die Kreditbürgschaften vergeben, sind möglicherweise nicht geeignet, eine Abwicklung durchzuführen, da ihre eigene Bilanz betroffen sein könnte (Bertay et al., 2015). Die politisch Verantwortlichen stehen deshalb vor der Herausforderung, eine unabhängige Organisation einzurichten, um die Unvoreingenommenheit von Entscheidungen im Hinblick auf die Abwicklung und Schuldenumstrukturierung sicherzustellen (Hege, 2020).
Hindernisse für den Marktaustritt kleiner Unternehmen abbauen. Bei kleinen Unternehmen ist häufig unklar, ob die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten dem Betrieb oder einzelnen Personen zuzuordnen sind. Vor diesem Hintergrund spielen die Regelungen für die Privatinsolvenz eine wichtige Rolle, um die Schäden der Krise zu verringern. Unternehmer*innen sollten nach einer Insolvenz eine zweite Chance erhalten, die einen „Neustart“ ermöglicht. Das bedeutet, dass künftige Erträge von der Rückzahlung früherer auf eine Insolvenz zurückzuführender Schulden befreit werden sollten. Viele Länder verkürzen bereits die Zeit bis zur Erlangung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre, um die EU-Richtlinie über Insolvenz und die zweite Chance umzusetzen (z. B. Deutschland). Dieser Teil der Reform könnte jedoch beschleunigt werden, um die Reallokation zu erleichtern (Spanien erwägt beispielsweise diese Option).
Literaturverzeichnis
Adalet McGowan, M. und D. Andrews (2018), “Design of insolvency regimes across countries”, OECD Economics Department Working Papers, No. 1504, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/d44dc56f-en.
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