Da das BIP-Wachstum im Euroraum den Projektionen zufolge länger schwach bleiben wird und die Abwärtsrisiken weiter zunehmen, sind zusätzliche Politikmaßnahmen erforderlich, um die Nachfrage kurzfristig zu stützen und die Wachstumsaussichten auf mittlere Sicht zu verbessern. In den Jahren nach der Finanz- und Eurokrise war die Geldpolitik das wichtigste Politikinstrument zur Stützung der Nachfrage. Mit einer Neuausrichtung des Politikmix im Euroraum wäre es möglich, wirkungsvoller zur makroökonomischen Stabilisierung beizutragen und die Risiken für die Finanzstabilität zu verringern, die aus einer über einen längeren Zeitraum sehr akkommodierend ausgerichteten Geldpolitik resultieren.
Um dies zu veranschaulichen, werden in diesem Papier die Ergebnisse von Simulationen zusammengefasst, die die Auswirkungen von zwei verschiedenen Ansätzen im Euroraum gegenüberstellen. Dabei handelt es sich einerseits um eine längere Phase quantitativer Lockerung (quantitative easing – QE) und andererseits um einen alternativen Politikmix, der einen aktiveren Einsatz der Fiskalpolitik, ehrgeizigere strukturpolitische Maßnahmen und eine schwächere Zunahme der geldpolitischen Akkommodierung kombiniert.
Im Szenario, das sich nur auf die quantitative Lockerung stützt (einfaches QE-Szenario) sinkt die Laufzeitprämie auf 10-jährige Staatsanleihen im Euroraum über einen längeren Zeitraum, wobei die EZB-Schätzungen der Effekte des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten zugrunde gelegt werden (nach dessen Ausweitung auf Staatsanleihen im Jahr 2015) (Eser et al., 2019). In der Höchstphase, in den Jahren 3 bis 5 der Simulationsrechnung, ist die Laufzeitprämie um 100 Basispunkte niedriger als im Basisszenario. Anschließend klingt dieser Effekt langsam ab. Außerdem werden die Leitzinsen im Euroraum fünf Jahre lang konstant gehalten. Der Effekt der gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (GLRG), die neben dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten in den letzten Jahren durchgeführt wurden, um die Kreditvergabe der Banken an den Privatsektor zu stützen, wird ebenfalls berücksichtigt (wenn auch unvollkommen). Dazu werden die Hypothekenzinsen für fünf Jahre – zusätzlich zum Effekt des Laufzeitprämienschocks auf die Kreditzinsen im Privatsektor – um weitere 100 Basispunkte verringert.
Das alternative kombinierte Politikszenario umfasst die folgenden Maßnahmen:
Alle Euroländer erhöhen die öffentlichen Investitionen fünf Jahre lang um ¾% des BIP. Dadurch wird der große und andauernde Rückgang der öffentlichen Investitionen nach der Finanzkrise ausgeglichen (Blanchard, 2019). Die gesamtstaatlichen Nettoinvestitionen (Investitionen abzüglich Abschreibungen) lagen im Euroraum 1999-2008 bei durchschnittlich rd. 0,7% des BIP pro Jahr, sind seit 2013 aber auf null zurückgegangen. In Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, der Slowakischen Republik und den baltischen Staaten besteht Spielraum, eine solche Politik durch die Ausgabe zusätzlicher Schuldtitel umzusetzen. Das nominale Defizit dieser Länder liegt deutlich unter 3% des BIP und ihr Schuldenstand befindet sich auf einem Abwärtspfad. Andere Länder, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Belgien, haben weniger Spielraum für eine Lockerung der Fiskalpolitik, weil ihre Haushaltsdefizite und Staatsschuldenquoten nach wie vor hoch sind. In diesen Ländern werden die zusätzlichen öffentlichen Investitionsausgaben vollständig durch höhere direkte Steuern gegenfinanziert, sodass der Ex-ante-Haushaltseffekt neutral ist.
Alle Länder führen produktivitätssteigernde Strukturreformen durch, die das Wachstum der Gesamtfaktorproduktivität (GFP) über einen Zeitraum von fünf Jahren um 0,2 Prozentpunkte pro Jahr erhöhen. Das um 1% höhere GFP-Niveau wird anschließend dauerhaft beibehalten. Diese Reformen gleichen die seit der Krise im Euroraum verzeichnete und u.a. auf den nachlassenden Reformeifer zurückzuführende Verlangsamung des Wachstums der GFP und des Potenzialwachstums teilweise aus (OECD, 2018).
Die quantitative Lockerung fällt schwächer aus, sodass die Laufzeitprämie auf 10-jährige Staatsanleihen in der Höchstphase nur um 50 Basispunkte sinkt, wobei sich das Profil des Schocks im Zeitverlauf ähnlich darstellt wie im einfachen QE-Szenario. Die Leitzinsen werden wieder fünf Jahre lang konstant gehalten. Bei der Berücksichtigung der GLRG wird von einem proportional geringeren Effekt ausgegangen. Danach wird bei der Ausrichtung der Geldpolitik den längerfristigen angebotsseitigen Nutzeffekten Rechnung getragen, die sich aus den verstärkten Strukturreformen ergeben. Durch Forward Guidance wird dazu beigetragen, dass die Zinssätze länger niedrig bleiben können.