Dieses Fokuspapier basiert auf Maravalle und Rawdanowicz (2019).
OECD-Wirtschaftsausblick, Ausgabe 2019/2
Fokuspapier 5: Wie wirksam sind automatische fiskalische Stabilisatoren bei der Sicherung der Einkommen der privaten Haushalte?
Die Fiskalpolitik trägt dazu bei, durch automatische Veränderungen der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen, die sich aus den geltenden Gesetzen und Leistungsansprüchen ergeben – die sogenannten automatischen Stabilisatoren – die Wirtschaft über den gesamten Verlauf des Konjunkturzyklus zu stabilisieren. Höhere Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung bei steigender Arbeitslosigkeit oder niedrigere direkte Steuern bei Lohnrückgängen sind Beispiele für solche automatischen Stabilisatoren. In Ländern mit umfassenden und effektiven automatischen fiskalischen Stabilisatoren sind geringere diskretionäre Veränderungen der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen erforderlich, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Automatische fiskalische Stabilisatoren sind naturgemäß temporär und wirken sich nicht auf die strukturelle Haushaltsposition aus. Durch einen stärkeren Einsatz automatischer Stabilisatoren könnte eine zeitnahe, gezielte und zeitlich befristete fiskalische Reaktion auf Konjunkturschwankungen gefördert werden.
In diesem Fokuspapier werden Schätzungen der Gesamtwirksamkeit der automatischen fiskalischen Stabilisatoren sowie die Bedeutung verschiedener fiskalischer Instrumente für die automatische fiskalische Stabilisierung in 23 OECD-Volkswirtschaften untersucht. Das Augenmerk liegt auf dem Umfang, in dem automatische Veränderungen bestimmter Komponenten der Staatsausgaben und -einnahmen nach einem negativen Schock auf die Löhne dazu beitragen, das aggregierte verfügbare Einkommen der privaten Haushalte zu stabilisieren.1 In vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften sorgen die gegenwärtigen Fiskalrahmen im Allgemeinen für eine effektive Stabilisierung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Dies geschieht in erster Linie über die direkten Steuern. Dabei sind jedoch maßgebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern festzustellen. Zudem ist die Wirksamkeit bei der Stabilisierung des Konsums der privaten Haushalte u.U. geringer.
Beurteilung der automatischen fiskalischen Stabilisierung der verfügbaren Haushaltseinkommen
Zu den in diesem Fokuspapier erfassten automatischen fiskalischen Stabilisatoren zählen Einkommensteuern, Sozialversicherungsbeiträge sowie Arbeitslosen-, Wohngeld- und Familienleistungen. Bei einer Veränderung der Beschäftigung oder des Lohnniveaus sind all diese Stabilisatoren unmittelbar betroffen.2 Die Stärke des Zusammenhangs zwischen diesen einzelnen Komponenten und den Veränderungen des Markteinkommens hängt von der Gestaltung der jeweiligen Steuer- und Sozialversicherungssysteme ab, wie der Progressivität der Einkommensteuern und der Bedürftigkeitsabhängigkeit der Sozialleistungen.
Die Wirksamkeit wird anhand eines spezifischen Falls analysiert, in dem die Beschäftigung im privaten Sektor und der Lohnsatz im gleichen Verhältnis zurückgehen, wodurch das Markteinkommen sinkt. Die automatischen Stabilisatoren sind in diesem Kontext in vollem Umfang wirksam, wenn die induzierten Veränderungen bei den direkten Steuern, den Sozialversicherungsbeiträgen und den drei Sozialleistungsarten den Effekt eines negativen Markteinkommensschocks ausgleichen, sodass das aggregierte verfügbare Einkommen der privaten Haushalte unverändert bleibt. Der Wert des Indikators ist nicht von der Größe des Schocks abhängig. Eine andere Art von Schock hätte indessen Auswirkungen auf die gemessene Wirksamkeit.3
Die automatischen Stabilisatoren scheinen in allen 23 analysierten OECD-Ländern bei der Stabilisierung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte wirksam zu sein (Figure 2.9). Sie absorbieren im Durchschnitt etwas mehr als die Hälfte des spezifischen Schocks auf das Markteinkommen (in absoluter Rechnung), wobei die gemessene Gesamtwirksamkeit zwischen annähernd 80% in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz und weniger als 40% in Griechenland, Japan und der Slowakischen Republik liegt.
In den meisten erfassten Ländern erfolgt die Stabilisierung der verfügbaren Haushaltseinkommen – in absoluter wie auch relativer Rechnung – hauptsächlich durch direkte Steuern (die stärker sinken als das Einkommen). Der absolute Stabilisierungseffekt der direkten Steuern ist in Irland, Italien, Österreich und Schweden besonders groß, wohingegen er in Japan, der Slowakischen Republik und der Tschechischen Republik verhältnismäßig gering ist. Steigende Arbeitslosen-, Wohngeld- und Familienleistungen sowie Verringerungen der von den privaten Haushalten entrichteten Sozialversicherungsbeiträge tragen ebenfalls – im Durchschnitt zu etwa gleichen Teilen – dazu bei, den Rückgang der verfügbaren Einkommen abzufedern. Sozialleistungen spielen in Deutschland und der Schweiz bei der Einkommensstabilisierung (in absoluter Rechnung) eine besonders wichtige Rolle, da der prozentuale Anstieg der Arbeitslosigkeit relativ hoch ist4 und die Transferleistungen stark einkommensabhängig sind, ebenso wie in Finnland, wo die Arbeitslosenleistungen einen großen Anteil am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte ausmachen.
Die unterschiedliche Wirksamkeit dieser spezifischen automatischen Stabilisatoren spiegelt die zwischen den Ländern bestehenden Differenzen bei der Reagibilität der einzelnen Komponenten des Haushaltseinkommens auf den Konjunkturzyklus sowie Differenzen bei der Zusammensetzung des verfügbaren Einkommens und den ursprünglichen Arbeitsmarktbedingungen wider. Die Wirksamkeit der direkten Steuern und der drei Sozialleistungsarten ist im Allgemeinen positiv mit ihrem Umfang im Verhältnis zum nominalen BIP korreliert (Figure 2.10).
Unterschiedliche Stabilisierungswirkung auf Haushaltseinkommen und Konsum
Eine starke automatische fiskalische Stabilisierung der Haushaltseinkommen bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Konsum der privaten Haushalte und damit das BIP-Wachstum ebenso stark stabilisiert werden. Selbst wenn negative Schocks auf die Beschäftigung und die Löhne in erheblichem Maße durch geringere Steuern und höhere Sozialleistungen kompensiert werden, kann das Vorsorgesparen der privaten Haushalte zunehmen. Dies scheint umso wahrscheinlicher, wenn die Einkommensstabilisierung nicht durch höhere Sozialleistungen, sondern durch geringere Steuern bedingt ist. Es gibt umfassende Belege dafür, dass Transferleistungen die Notwendigkeit des Vorsorgesparens verringern, indem sie idiosynkratische Einkommensrisiken infolge von Arbeitslosigkeit reduzieren (Kotlikoff, 1988). Weniger klar ist hingegen, ob eine progressive Besteuerung genauso wirksam sein könnte, da auf höheren Einkommensniveaus ein Teil der Steuersenkung gespart werden könnte.5 Außerdem erfolgt der Ausgleich des Markteinkommens durch niedrigere Steuern u.U. erst mit erheblicher Verzögerung, was in den vorstehenden Simulationen nicht berücksichtigt ist und zunächst zu einem stärkeren Rückgang des Konsums der privaten Haushalte führt. Im Gegensatz dazu können Sozialleistungen, vor allem Arbeitslosenleistungen, den privaten Haushalten rascher zugutekommen, wenngleich sie danach im Zeitverlauf möglicherweise sinken.
Literaturverzeichnis
Kotlikoff, L. (1988), “Health Expenditures and Precautionary Saving”, in L. Kotlikoff, What Determines Saving?, MIT Press, Cambridge.
Maravalle, A., und Ł. Rawdanowicz (2019), “How Effective Are Automatic Fiscal Stabilisers in the OECD Countries“, OECD Economics Department Working Papers, OECD Publishing, Paris, erscheint demnächst.
McKay, A. und R. Reis (2016), “The Role of Automatic Stabilizers in the U.S. Business Cycle”, Econometrica, Vol. 84(1), S. 141-194, https://doi.org/10.3982/ECTA11574.
Price, R., T. Dang und J. Botev (2015), "Adjusting Fiscal Balances for The Business Cycle: New Tax and Expenditure Elasticity Estimates for OECD Countries", OECD Economics Department Working Papers, No. 1275, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/5jrp1g3282d7-en.